Benjamin Berton

„Dreamworld – Oder: Vom fabelhaften Leben des Dan Treacy und seiner Band Television Personalities“

Ein Buch, das die schillernde Figur Dan Treacy, Frontfigur der legendären Band TV Personalities, in allen Nuancen erfasst – diesem nicht gerade einfachen Unterfangen hat sich der Franzose Benjamin Berton hingegeben. Ob es gelungen ist? Eine Einschätzung Von Luca Glenzer.

Die Scheidung in Realität und Fiktion ist zuweilen eine schwierige. Zumal, wenn es um die Charakterisierung eines Fantasten wie Dan Treacy geht, Sänger und Bandleader der legendären Television Personalities. Treacy sprengte als passionierter Tagträumer Freuds Definition des Traumes als „nächtliche Realität“, indem er die Regellosigkeit des Traums auch auf den Tag ausweitete und sich damit der Trostlosigkeit und grauen Realität der Thatcher-Jahre entzog, die seine Jugendzeit prägten. „They Could Have Been Bigger Than The Beatles“, nannte er folgerichtig im Angesicht der eigenen Erfolgslosigkeit das dritte Album seiner Band und bestätigte damit die Weisheit, dass sich das Leben auf unterhaltsamste Weise immer noch im Konjunktiv erzählen lässt. Wie aber die Biographie eines solchen Mannes schreiben, die sich bereits qua Form den starren Gesetzen des biographischen, authentischen Schreibens entzieht?

Der französische Autor Benjamin Berton hat sich mit seinem jüngst erschienen Buch „Dreamworld – Oder: vom fabelhaften Leben des Dan Treacy und seiner Band Television Personalities“ dieses schwierigen Unterfangens angenommen und sich entschieden, der starren biographischen Erzählung eine unterhaltsame Mixtur aus biographischen Eckpfeilern und Fiktion, aus Erzählungen und althergebrachten Mythen vorzuziehen. So erfahren wir in seinem Buch vom kleinen Daniel, der in den frühen 1960er Jahren in London geboren wird. Materiell wohlbehütet, wird ihm als unerwünschtes drittes Kind von früh auf die elterliche Fürsorge verweigert. Die rettenden Fluchtpunkte sind bereits zu jener Zeit die Fabelwelten britischer Literatur und Kinofilme, später dann die Popmusik. Auf wundersame Weise kreuzen sich Daniels Wege schon im Kindesalter mit denen von Bob Marley und Jimmy Page. Nach der Schule lauert er Ex-Beatle McCartney vor dessen Haus auf, mit dem Plan, ihn mit drei Jugendfreunden zu entführen und – notfalls unter Gewaltandrohung – seiner songwriterischen Fähigkeiten auszufragen.

Dass Daniel und seine Freunde das eigentlich gar nicht nötig haben, stellen sie mit mit ihrer Band Television Personalities schnell unter Beweis, mit der sie Ende der 1970er Jahre die ersten drei Singles veröffentlicht, bevor 1981 das Album „And Don’t The Kids Just Love It“ folgt. Früh erlangt die exaltierte Band mit ihrem psychedelischen Indie Rock die Aufmerksamkeit der hiesigen Musikszene: So werden sie bereits vor Erscheinen ihres ersten Albums vom damaligen Radiopapst John Peel in dessen legendären Peel Sessions promotet. Doch ebenso schnell, wie sich innerhalb der Londoner Musikszene ein kurzer Hype um die Band entwickelt, zeichnet sich ab, dass die große Karriere und die damit verbundene materielle Sorglosigkeit ausbleibt: Statt in luxeriösen Villen haust die Band zumeist in prekären Wohnverhältnissen.

Die erste Hälfte der 1980er ist Treacy von einer unheimlichen Schaffenskraft getragen: So veröffentlicht er mit den TVP nicht nur 5 Alben und etliche Singles, sondern arbeitet nebenher auch noch in den von ihm gegründeteten Labels Whaam! und Dreamworld, mit denen er etwa den legendären Mighty Lemon Drops den Karriereweg ebnet. Mitte der 1990er Jahre taucht Treacy schließlich unter, auch ehemals enge Weggefährten wissen zu jener Zeit nicht mehr, wo er sich aufhält. Die kleine, aber eingeschworene Fangemeinde hat sich schon mit dem Ableben Treacys und seiner Band arrangiert, bevor sie in alter Besetzung im Jahr 2006 mit dem Album „My Dark Places“ zurückkehrt. Treacy wirkt gebrochen, seine Stimme hängt oft schief über den Songs und seine Texte sind noch düsterer als jene aus den 1980er Jahren. Und doch rühren die Television Personalities und ihr verschrobener Sänger auch knapp 30 Jahre nach ihrer Bandgründung noch an – vielleicht mehr denn je. Der Zustand Treacys ist zu jener Zeit jedoch schon mehr als labil, Drogen sind allgegenwärtig und Auftritte der Band drohen jederzeit zum Desaster zu werden. Ihr jähes Ende findet die Band schließlich im Jahr 2011, als Treacy aus einem Bus fällt, wochenlang im Koma liegt und auch danach – bis heute – ein Pflegefall bleibt, wodurch ein Comeback auch zukünftig ausgeschlossen bleiben dürfte.

All dies und noch viel mehr wird von Benjamin Berton in fantasievoller wie empathischer Weise nacherzählt. Dabei verfolgt er keine technisch anmutende, lineare Aufreihung spezifischer biographischer Ereignisse, sondern eine kohärente Erzählung in Unterkapiteln, die für sie genommen kleine Fabelwelten darstellen und auch jenseits ihrer literarischen Einbettung Sinn ergeben. Im Zuge seiner Recherchen hat Berton dabei mit unzähligen Weggefährt*innen gesprochen, deren Erzählungen in seine Geschichten miteinfließen und das Leben Treacys zu einem komplexen, mitunter überaus paradoxen Mosaikgebäude erscheinen lassen. Es bleibt dabei Bertons Verdienst, dass Treacy trotz aller nachgezeichneten Eskapaden, Brüche und charakterlichen Ausfälle nicht als Depp, sondern als tragische wie zugleich respektable Figur erscheint, von dem nicht nur, aber zuvorderst das große und vielschichtige Werk der Television Personalities bleiben wird, das in ähnlicher Weise auf- und anrührt wie die Lektüre von Bertons Buch selbst.

Dass das fabelhafte Leben des Dan Treacy nun erzählt und in Buchform veröffentlicht wurde, ist in ebensolcher Weise ein kleines Wunder wie Dans Musik selbst: Denn gemessen an seiner kommerziellen Erfolglosigkeit und im Angesicht der unerbittlichen Regeln des Marktes hätte ein Musiker seiner bescheidenen Größe normalerweise keine eigene Biographie „verdient“. Dass nun doch eine erschienen ist, haben wir einmal mehr dem Mainzer Ventil Verlag zu verdanken, der sich seit nunmehr 25 Jahren den subkulturellen Nischen jenseits feuilletonistischer Hypes verschrieben hat. Bleibt zu hoffen, dass dies auch die nächsten 25 Jahre und darüber hinaus noch so bleiben wird.

Text: Luca Glenzer

„Dreamworld – Oder: Vom fabelhaften Leben des Dan Treacy und seiner Band Television Personalities“, Benjamin Berton, Ventil Verlag

 

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