Ein Debütroman, zwei Autoren: „Vorglühen“ von Jan Müller und Rasmus Engler

Vorglühen in Hamburg: Es ist gar nicht so leicht, Musik zu machen

Rasmus Engler (li) & Jan Müller (re) (Photo: Hans Scherhaufer)

Die erste WG, die erste Band, die ersten selbst verfassten Songtexte und rauschhafte Nächte – aber auch Krach mit Freund:innen, diverse Enttäuschungen und Liebeskummer: Albert Bremer erlebt in kurzer Zeit eine Menge auf St. Pauli. Hamburg elektrisiert ihn.

Bremer ist der Protagonist in „Vorglühen“, dem gemeinsam geschriebenen Debütroman von Jan Müller (Tocotronic) und Rasmus Engler (Herrenmagazin und Ludger). Die Geschichte katapultiert uns in das Hamburg der frühen Neunziger Jahre, ist aber kein historisches Doku-Buch über die Hamburger Schule. Im Interview erzählen mir die Freunde und Musiker, wie man zu zweit einen Roman schreibt, was ihnen bei der Geschichte von „Vorglühen“ wichtig war und wie sich die Stadt mittlerweile verändert hat.

Albert Bremer kommt aus der oberbergischen Provinz nach Hamburg. Eher zufällig trifft er andere Gestalten, die sich wie er im Frühjahr 1994 für Gitarrenmusik interessieren. Es sollen seine zukünftigen Bandkollegen und Mitbewohner werden, die ihn mit Erfolg vom Germanistik-Studium ablenken. Es fließen Unmengen an Bier, manchmal auch Tränen. Aber erst in der Großstadt kann Albert sich entfalten.

„Vorglühen“ hat viele humorvolle Momente, aber auch einen melancholischen Ton. Der Erzählstil wirkt einheitlich, dabei haben sich die zwei Autoren beim Schreiben der Geschichte abgewechselt: „Wir haben im Vornherein verteilt, wer welches Kapitel übernimmt,“ sagt Rasmus Engler. Jan Müller ergänzt: „Das geschah aber ziemlich auf Zuruf und nach Gutdünken.“ Die Aufteilung erfolgte also zufällig. „Insgesamt ist das Ping-Pong-Verfahren zum Tragen gekommen,“ meint Engler. Bei null fingen die zwei aber nicht an: „Wir haben uns vorab getroffen, quasi einen Plot aufgestellt, uns Figuren ausgedacht und deren Konstellation grob skizziert.“ Es gab auch einen Kalender für die Zeit, die im Roman spielt. Aber es kam zu Abweichungen vom ursprünglichen Plan, weil diverse Figuren ein Eigenleben entwickelt haben. „Die Vorgaben waren weich. Ich fand es bemerkenswert, dass ich meistens sofort den Anknüpfungspunkt hatte, wenn ein Kapitel von Jan kam, das die Handlung in eine bestimmte Richtung getrieben hat.“

Die technische Umsetzung war komplizierter, Müller und Engler sind keine Fans von Google Docs. Zudem hatten die beiden im Dokument jeweils unterschiedliche Seitenzahlen. Trotzdem hat der Umstand, dass zwei Autoren diesen Roman geschrieben haben, die Fertigstellung beschleunigt. „Es kamen zum Teil so abgefahrene Ideen von Rasmus. Man hat dann einen Ehrgeiz und will auch etwas liefern. Das fand ich beflügelnd. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das alleine hinbekommen hätte. Ich glaube, ich wäre viel zu zögerlich gewesen,“ sagt Müller. Der Schreibprozess hätte auch von gemeinsamen Erinnerungen an die Hamburger Zeit profitiert. Das Schreiben zu zweit war eine sehr schöne Erfahrung, auch wenn es Auseinandersetzungen gab: „Es ist ganz ähnlich wie beim Bassspielen: Wenn ich mir einen ganz tollen Basslauf ausgedacht habe und damit im Proberaum ankomme, sagen die anderen: „Ist das nicht ein bisschen manieriert?“ Ganz ähnlich ist das mit Formulierungen, auf die man stolz ist. Und dann sagt Rasmus oder ich, je nachdem von wem es kommt: „Also, das würde ich schon ein wenig einfacher machen“. Erstmal ist man dann natürlich gekränkt.“ In diesem Sinne sei tiefe, gemeinsame Arbeit an einem Buchprojekt „auch eine Probe für eine Freundschaft.“

Womit wir bei der inhaltlichen Ebene des Buches wären, denn Freundschaft innerhalb einer Band ist ein zentrales Thema in „Vorglühen“: Albert, der in einer Gruppe erst als Gitarrist anfängt, übernimmt nach kurzer Zeit auch Textarbeit und Gesang, was den früheren Sänger insgeheim kränkt. Die sensible Hauptfigur spürt das. Wie porös ist das Innenleben einer Band, die primär auf Freundschaft basiert? Jan Müller: „Das gehört zum Zauber und zum Geheimnis von Bands: Es gibt diese Gruppendynamiken und die sind eigentlich immer ungeklärt. So war es auch im Roman: Es gibt ein Kapitel, wo Gernot (Anmerkung: Drummer der Band) auf einmal mit diesem Vierspurrekorder so aktiv wird. Das ist ganz bezeichnend, dass sich plötzlich Rollen in Bands ändern können“.
Dazu passt eine Textstelle, die demonstriert, wie intim Textarbeit sein kann: Erst in einer isolierten Situation wagt sich Albert an die ersten eigenen Textversuche. Inspiration dazu liefert die Musik von Freddie Quinn, auf die er durch eine ältere Nachbarin aufmerksam wird. Quinn ist neben der Band Dinosaur Jr. und Townes van Zandt einer der insgesamt wenigen real existierenden Künstler, auf die in „Vorglühen“ in Tradition von Pop-Literatur angespielt wird. Ansonsten gibt es fiktive Bands und ausgedachte Kneipen. Vorkenntnisse braucht es nicht: „Unser Ziel war auch ein bisschen, dass das auch jemand verstehen kann, der überhaupt nichts mit Indie-Rock, Punk oder Underground zu tun hat. Ich hoffe, dass das nicht zu nerdig ist. Ein wenig Nerdtum ist natürlich auch schön, aber nicht so, dass es nur für Eingeweihte zu verstehen ist.“ Und dann war den Autoren noch etwas wichtig: Die Geschichte sollte nicht nur von Typen erzählen. „Dieses Jungs-Ding zu vermeiden, ist natürlich ohnehin immer ein Anliegen“, betont Engler. „Darüber haben wir auch explizit gesprochen.“ Zum Beispiel teilt sich Alberts Band den Proberaum mit Musikerinnen, die künstlerisch schon weiter sind und als erste Riot-Girl-Band in Deutschland vorgestellt werden.

Wie es Musikerinnen im realen Hamburg während der Blütephase der Hamburger Schule erging, erzählt das Buch „Lass uns von der Hamburger Schule reden“. Diese wichtige oral history lässt beteiligte Frauen berichten, deren Relevanz für die Hamburger Subkultur vergleichsweise selten Thema war und noch heute unterschätzt wird. „Es war eine sehr männerdominierte Szene“, erinnert sich Müller an die Hamburger Schule. „Man möchte nicht die Geschichte verfälschen oder umschreiben – in dem Sinne, dass es jetzt in den Neunziger Jahren von „Vorglühen“ ganz anders war. Aber wir haben schon versucht, einen Spot darauf zu setzen, dass es etwas jenseits dieser männlichen Welt gab. Ich glaube, das war für uns auch echt nicht so leicht, die Frauenfiguren zu konstruieren, weil wir selber Männer sind.“

„Vorglühen“ ist kein Doku-Roman über die Hamburger Schule. Aber man spürt etwas vom Spirit, der Anfang der Neunziger in Hamburg wehte. Das geschieht allerdings in Form ganz profaner Szenen: Bands probieren sich aus und helfen sich untereinander, ohne dabei an die große Karriere zu denken. „Wir haben uns gar nicht gefragt, ob die Figuren sich das fragen. Das stand überhaupt nicht zur Debatte. Das bildet auch ab, was man damals gefühlt hat“, sagt Engler. „Finanzielle Fragen werden eigentlich gar nicht gestellt!“ Der Prolog in „Vorglühen“ spielt im Frühsommer 2000 und vermittelt den Eindruck, als ob der talentierte Albert Bremer kein Berufsmusiker geworden ist. Müller, der mit Engler in den Bands Dirty Dishes und Das Bierbeben zusammenspielt, meint: „Das finde ich oft blöd in Filmen oder Büchern, in denen es um eine Band geht. Da merkt man oft, dass das Leute geschrieben haben, die selber keine Musik machen, weil es nur darum geht, erfolgreich oder Popstar zu werden. Ich glaube, dass es darum fast nie bei Leuten geht, die Musik machen.“

Die Geschichte spielt in einer Zeit, in der es noch keine Handys gab. Die Figuren sind nicht permanent erreichbar, was ihre Kommunikation untereinander vielleicht nicht leichter, aber etwas spannender macht. „Vorglühen“ hat phasenweise eine nostalgische Note. Dennoch hat das Buch etwas ungemein Aktuelles. Ob intendiert oder nicht, es geht auch um Live-Kultur und Orte, an denen junge Bands ihr Ding durchziehen können: Günstige Proberäume und für Subkultur offene Clubs. Die Pandemie führt(e) uns wieder vor Augen, wie wichtig diese Räume sind, auch wenn gentrifizierte Städte wie Hamburg heute anders aussehen als 1994. Engler, der im Gegensatz zu Müller noch heute in Hamburg lebt, kann das bezeugen: „Dass man in irgendwelchen leerstehenden Kellerwohnungen einfach Konzerte geben konnte, das gibt es heute alles nicht mehr. Es gibt auch nicht mehr zum Abriss freigegebene Häuser, wo dann für sechs Monate oder drei Jahre noch ein Club drinnen ist und dergleichen,“ so Engler. Kleinere Konzerte hätten es schwerer. „Es gibt keine Off-Galerien mehr. Die Keller werden jetzt auch alle bewohnt und sind lichtdurchflutet nach der großen Renovierung.“ Auch Müller erinnert sich an alte Baulücken und an die Buttstraße, wo früher Die Goldenen Zitronen lebten sowie den Fischmarkt, der damals noch anders aussah. Ein Ort, der auch im Buch vorkommt, wie das Stadtviertel Barmbek und die Parkanlage Planten un Blomen. Doch der Kern von „Vorglühen“ könnte auch an einem anderen Ort und in einer anderen Zeit spielen. „Ich denke, die Geschichte ließe sich auch in einer anderen Zeit erzählen“, überlegt Jan Müller – auch wenn man dafür viel am Setting ändern müsste. „Es ist hoffentlich eine universelle Geschichte über Freundschaft und Liebe.“

Jan Müller und Rasmus Engler „Vorglühen“
Ullstein Verlag
2022
384 Seiten.

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