PAPIRIPAR – festival for recalcitrant trend waves interference for interval alarms during somnambulist periods of inaction

PAPIRIPAR Festival: “Forschung im Sumpflabor des Lebens”

Nika Son, Florian Bräunlich und Felix Kubin (v. li. nach re.) (Photo: Claudia Höhne)


Zwischen dem 18. und 21 Mai findet in Hamburg das PAPIRIPAR Festival statt. “Die erste Post-Corona-Ausgabe steht im Zeichen des großen Bewegungsspielraums”, geben die drei Veranstalter:innen Nika Son, Felix Kubin und Florian Bräunlich als Maxime vor, um so “ästhetische Funkenüberschläge herbeizuführen, die die eingedöste Kulturboheme wieder auf 180 bringt.”


Thomas Venker hat bei Nika, Felix und Florian nachgehakt, was man sich darunter en Detail vorzustellen hat.

Nika, Felix, Florian, ihr kehrt mit der diesjährigen Ausgabe zurück in den geteilten Festivalraum. Wie bewertet ihr rückblickend die Pandemieausgaben?

Nika: Die Augenringe und ausgefallenen Haare zählend war 2021 schon ein enormer Kraftakt, aber am Ende definitiv ein lohnenswerter. Entstanden ist ein sehr originelles Radio-Kunst-Festival mit vielen großartigen Beteiligten, lokal wie auch international, eine von aussen einsehbare Ausstellung aus Licht, Laser, Spiegel und Äthersignalen, sowie eine nachtaktive Festival-Schallplatte. Ganz ohne öde Streaming-Konzerte, dafür mit neuen und ungewöhnlichen Konzepten, die höchstwahrscheinlich ohne die Einschränkungen gar nicht erst entstanden wären. Die „Pandemie-Ausgabe“ hat definitiv unsere Improvisationsfähigkeiten weiter gestählt.

Felix: Gefühlt war es so, als hätten wir zwei Festivals auf einmal organisiert. Erst das physische Programm, dann das psychoaktive Radioprogramm, für das wir einen ganzen Haufen lokaler Kulturakteure und Radiomacherinnen davon überzeugen mussten, für uns bitte schön umsonst eine einstündige Show auf Top-Niveau zu produzieren. Dafür hatten wir kein Extrabudget parat. Da die meisten aber froh waren, dass überhaupt etwas passiert, war die Solidarität groß. Durch die Zuschaltung zweier internationaler Radiosender (Resonance Extra in London, π-Node in Paris) hatten wir auch gleich ein großes internationales Publikum – inklusive Fluchverbot, denn Fluchen vor 22 Uhr ist in England tabu.

Florian: Geflucht wurde trotzdem, und Menschen aus der ganzen Welt haben uns dabei teilweise über vier Tage am Stück rund um die Uhr zugehört. Das hat einen starken Sog entwickelt und die Imagination herausgefordert. Nach dem Festival haben wir einige unglaubliche Zuschriften erhalten: Ein Fan schrieb, unser Radio-Programm sei eine intensivere Live-Erfahrung gewesen als ein „richtiges“ Festival. Ein anderer hat die unzähligen Stunden Live-Material (heimlich) mitgeschnitten und daraus (auf eigene Faust) ein einstündiges Papiripar-Best-Off collagiert. Das war wirklich der Beweis, dass unser Plan aufgegangen ist, über die Welt verstreute Menschen ins Festivalgeschehen einzuspannen. Ein tolles Feedback und zugleich eine Art Ritterschlag aus dem Publikum heraus.

Felix: Eines der für uns umsonst produzierten Hörspiele hat sogar später beim Berliner Hörspielfestival einen Preis gewonnen. Und aus der Not geborene interaktive Programme wie das zerstörungsfreudige „Forum für Entladung“ (Anrufende zertrümmern Gegenstände am Telefon) war so erfolgreich, dass es auf ein weiteres Festival in Frankfurt eingeladen wurde.

Wie leicht / schwer fällt der Re-Start insofern? Und warum?

Nika: Nach einem Jahr dringend benötigter Pause (abgesehen vom PAPIRIPAR LABOR, unserem kleinen Satelliten) war der Enthusiasmus bei uns dreien für ein erneutes Festival mit real anreisenden Künstler:innen, Live-Publikum und neu gesammeltem Input wieder da. Aber der Weg war auf jeden Fall steinig. Trotz aller Bemühungen und der großen Resonanz auf die vorherigen Ausgaben ist es in Hamburg immer wieder schwer, diese Tatkraft, die Euphorie und das Füttern des unbändigen Zeitfressers aufrecht zu erhalten. Für die freie Musikszene gibt es einen nur sehr kleinen Projektfördertopf, aus dem auch langjährige Festivals immer wieder aufs Neue beantragen müssen, ohne Zusicherung einer Regelförderung. Es ist langweilig und frustrierend, immer wieder auf dieses Thema hinzuweisen, wenn man eigentlich voller Vorfreude auf das kommende Festival ist. Insofern…leicht und schwer zugleich.

Florian: Am Ende siegt immer wieder unsere Hitzköpfigkeit, unsere Hyper-Aktivität und unser Wunsch, dem Hamburger Mainstream etwas entgegenzusetzen.

Felix: Eine gewisse Verunsicherung ist auch die Zurückhaltung des Publikums, es gibt immer noch viele Ausgehmuffel. Allerdings wurde unsere Teaser-Veranstaltung, das zweite PAPIRIPAR LABOR am 1. Mai im Golden Pudel Club mit Phew, DJ Die Soon und der „Überwachungskünstlerin“ Tanita Olbrich, sehr euphorisch aufgenommen.

Die Sprache, mit der ihr das Festival nach Außen kommuniziert, unterscheidet sich in ihrem künstlerischen Duktus sehr von der anderer Festival, wo oft Standardformulierungen und Floskeln vorherrschen. Ich zitiere zunächst Eure Festivalbeschreibung: “PAPIRIPAR – festival for recalcitrant trend waves interference for interval alarms during somnambulist periods of inaction“; und dann noch den nennen wir es Mission Call fürs Booking, der auch gleich einige der Namen aus dem Lineup einbringt: “This time, the palette of acts set to tantalise eyes and ears ranges all the way from larger-than-life, breathing sound machines (Victoria Shen & Ivana Dama) and Dadaist monologues in clothing-free space (Sigtryggur Berg Sigmarsson), afro- futurist syncopated industrial rhythms (Nihi-loxica), otherworldly pop complexe (Lolina) and digitally deconstructed sound poetry (Jennifer Walshe & Thomas Lehn) to electro- acoustic concerts in the raw sound funnel of a Hamburg courtyard (Mazen Kerbaj & JD Zazie).“
Ist es übertrieben zu sagen, dass Euer Anspruch ist PAPIRIPAR als Gesamtklangkörper zu präsentieren im Sinne eines Gesamtkunstwerks?

Felix: Das hast Du schön ausgedrückt. Tatsächlich achten wir sehr auf die Mischung, die Dramaturgie – und auch die Störung derselben. Es darf nicht zu gemütlich werden. Nerven auf hohem Niveau, Forschung im Sumpflabor des Lebens, das ist unser Motto. Kuratieren heißt für uns auch, eigene Formatideen zu entwickeln, den Rahmen der Veranstaltung als Kunstwerk mitzudenken. Besonders Florian bringt oft Leute mit rein, die sich sehr am Rande des Akustischen bewegen.

Nika: Wir alle drei haben einen starken ästhetischen, formalen Anspruch und wollen auch dabei aus genormten Rahmen ausbrechen. Zum Beispiel werden unsere Artist-Texte stets neu „fabuliert“…dieses Jahr wieder von dem Künstler Thomas Baldischwyler, der regelrecht kleine Kurzgeschichten über jeden Artist verfasst. Auch unser visuelles Erscheinungsbild wird für jede Ausgabe vom Grafiker Laurens Bauer neu erfunden. Die jetzt schon sichtbaren Funken und hörbaren Stalaktiten, wie das frischgedruckte Programmheft oder die neue rotierend tönende Website, machen die Vorfreude auch für uns noch größer und belohnen die anstrengenden Wochen (und unseren teils pedantischen Eifer) vor dem Festival.

L.F.T. / Rosaceae (Photo: Claudia Höhne)

Und daran anknüpfend: Wie wichtig ist es für das Festival, dass ihr selbst künstlerisch aktiv seid? Was macht ihr deswegen vielleicht anders als die anderen?

Nika: Ich denke schon, man merkt, dass wir alle drei, zwischen Musik und Bildender Kunst wandelnd, beide Seiten gut kennen. Die der Kunstschaffenden und die des Veranstaltenden, auf der Bühne und hinter der Bühne. Das hilft ungemein, beide Welten besser zu verstehen und auch zu wissen, was man will; und besonders, was man auf keinen Fall will.

Florian: Das stimmt, wir wissen eigentlich immer eher, was wir nicht wollen! Durch unsere eigene künstlerische Praxis – sei es im Hörspiel, im Film-Ton, Film, der Klangkunst, Skulptur oder Installation – fahren wir ja permanent unsere Antennen aus und befinden uns im Abgleich mit der Welt. Wir stellen unsere Radar-Fallen auf und schlagen immer dann zu, wenn uns etwas Neues vor den Kühler läuft.

Felix: Wir haben einen hohen Anspruch an die Künstler:innen und Musiker:innen, die wir einladen. Bei uns gilt die Faustregel: eine/r von uns muss es selbst einmal live gesehen haben. Irgendwelche Hypes oder Klickzahlen interessieren uns nicht. Manche Musiker sind gut im Studio, aber nicht auf der Bühne. Zum anderen können wir uns gut in die Sichtweise und Wünsche unserer Gäste hineindenken, weil wir ja selbst auch schon oft aufgetreten sind. Wir wissen, was ihnen wichtig ist, wann sie zum Beispiel Hunger haben. So wie Sven-Åke Johansson, der plötzlich um Mitternacht Gelüste auf Käse verspürte. Gleich wurde ihm eine Platte gereicht und er hatte blendende Laune.

Ihr kuratiert das Festival zu dritt, wie diskursiv hat man sich diesen Prozess vorzustellen?

Felix: Wir sind keine großen Diskutierer. Jeder von uns hat seinen Freiraum, aber es gibt auch ein Vetorecht. Wenn die Meinungen zu stark auseinandergehen und geschickte Manipulation nichts fruchtet, wird der Artist nicht eingeladen. Oft begeistern wir uns aber für die gleiche Sache, oder lassen uns von guten Argumenten schnell überzeugen. Ich finde es extrem wichtig, dass es dieses Korrektiv der Gruppe gibt, damit man nicht in Routinen verfällt. Jedem wird natürlich ein gewisser Spleen zugestanden, den pflegen wir auch. Nika hat durch ihre selbsorganisierten Konzertreihen im Pudel Club und ihre internationalen Konzerte einen sehr guten Überblick über die experimentelle Szene, Florian ist ein unermüdlicher Besucher entlegener Kunst- und Musikfestivals und schleppt immer Unmengen von obskuren Büchern und Schallplatten an, und ich habe Kontakte durch meine Festivalauftritte, mein Label und meine über dreißigjährige Erfahrung im Bereich zeitgenössischer und elektronischer Musik.

Nika: Wir drei sind schon recht unterschiedliche Charaktere, das macht es beizeiten anstrengend, aber natürlich auch sehr bereichernd. Beim Entwickeln des Programms sind wir uns tatsächlich relativ schnell einig bzw. lassen uns gegenseitig fruchtbar begeistern und überzeugen. Beim Organisieren und bei der Umsetzung während der Vorbereitungszeit ist sehr viel Kommunikation nötig, das zerrt manchmal schon an den Nerven und ist zwangsläufig auch ein größerer Zeitfresser, als wenn man alleine entscheiden würde. Aber genau dieses Triptychon macht das Festival auch zu dem was es ist, denke ich.

Photo: Claudia Höhne

Wie hat man sich die Komposition des Lineups vorzustellen? Repräsentieren die Künstler:innen für Euch auch gewisse Positionen, die sich additiv ergänzen? Oder denkt ihr gar nicht in solchen Genre-Schubladen etc?

Felix: Brightness & Contrast! Es darf nicht zu blass und homogen werden. Meistens hat sich über die Jahre schon ein heimlicher Pool an Lieblingskünstlern gebildet, die man immer mal einladen wollte. Die zieht man dann wie Häschen aus dem Hut. Beim Zusammensetzen des Line-Ups gibt es aber oft Einwürfe wie „da fehlt noch was Poppiges“ oder „da fehlt noch der Wurm im Apfel“. Unser Begriff von Pop geht vielen schon zu weit.

Florian: Exakt! Papiripar ist kein Festival der Headliner und Lückenfüller. Wir denken auch nicht in Genres. Wir wollen die unbekannte Masse des Publikums und uns selbst mit einem Programm konfrontieren, das keine Schonkost ist. Papiripar gleicht dem Betreten einer Eisfläche. Es ist immer am schönsten, wenn man ins Schlingern gerät – Wir lieben diese wachen Momente zwischen Halt und Fall!

Nika: Und jedes Mal wieder: „Mehr Kunst in die Musik, mehr Musik in die Kunst.“

Das PAPIRIPAR findet im Westwerk, der Fabrique, Die Werkstatt und dem Fleet-Hof statt. Wieso gerade da? Wie wichtig sind die Orte für den Festival Flow?

Felix: Das Westwerk hat einen wunderschönen Ausstellungsraum, direkt anschließend an den eher kleinen Konzertraum. Räume haben unterschiedliche Akustik, eignen sich für verschiedene Besetzungen, prägen die Stimmung des Abends. Darum ist es reizvoll, sie nicht nur ökonomisch, sondern auch künstlerisch zu betrachten. Es fehlt aber in Hamburg seit langem ein mittelgroßer Veranstaltungsraum für 300 Leute. Ohne Besetzung und Häuserkampf sind solche Räume auch schwer zu kriegen in dieser Händlerstadt, siehe Gängeviertel. Die ganzen Zwischennutzungen, die gerade in der aussterbenden Innenstadt angeboten werden, haben wenig Zukunftsperspektive.

Florian: Über die letzten Jahre hat sich eine innige Freundschaft und ein großes Vertrauen zwischen uns und all den kleinen selbstverwalteten Orten entwickelt. Wir haben immer wieder gemerkt, dass wir kein Festival sind, dass an einem großen (Theater-)Haus funktioniert, wo alles schwer entflammbar sein muss! Ein Beispiel: Im Jahr 2019 tauchte unverhofft Faust-Gründer Jean-Hervé Peron während des Konzerts von Jac Berrocal auf. Er zückte eine Flex, malträtierte ein Ölfass und heiße Funken sprühten gefährlich ins Publikum. Solche Spontaneitäten können nur im Untergrund stattfinden und darum praktizieren wir weiter in den „Räuberhöhlen“ der Stadt, wie Jacques Palminger sie einmal so schön nannte.

Abschlußset La Nokta / Fino (Photo: Claudia Höhne)

Zum Schluss noch die Frage nach Eurem aktuellen Lieblingsstücken – eigentlich würde ich ja gerne nach dem Lieblingstrack jeweils aus dem Lineup fragen, aber sowas beantworten Festivalmacher:innen ja so ungern, oder?

Nika:
Nihiloxica „Bwola“
Lolina „Fast Fashion“
Mazen Kerbaj „Ringtones“
Phew „The Void“

Florian:
Jennifer Walshe „In Glorious Mono“
PLF „Pop(e) Lost Faith“
Sigtryggur Berg Sigmarsson „Purple Raindrops I Drink Up“
Le Diable Degoutant „La Fille Brulée“

Felix:
Dali Muru & the Polyphonic Swarm „Danube Dwellers“
France Sauvage „Naufraga Vesce“
Steve Moore „A quiet gathering“

 

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