Jens Balzer über Scooter auf Sylt im Juli 2023

„Techno is back“ prangt als Schriftzug über der Bühne.

Jens Balzer (Credit: Sven Marquardt)

Jens Balzer über einen Auftritt der Band Scooter am 28.07.2023, ursprünglich entstanden für Printausgabe von Die Zeit (aufgrund der aktuellen Themenlage kam es nicht zur Publikation). Kaput bedankt sich herzlich beim Autor für die digitalen Ausspielrechte.


Zu einem Höhepunkt des Konzert- und Festivalsommers ist es am vergangenen Freitag auf dem Gelände des Flughafens Westerland auf der Insel Sylt gekommen; hier bot der ostfriesische Texter und Komponist Hans Peter Geerdes eine umfassende Werkretrospektive dar.

Geerdes, der auch unter dem Namen H.P. Baxxter auftritt, spielte sich mit seiner Gruppe Scooter durch sein dreißigjähriges Schaffen, von frühen Erfolgen wie „Hyper Hyper“ über Klassiker wie „Maria (I like it loud)“ oder „How Much is the Fish“ bis zu seiner sprachgewaltigen Aufarbeitung des ersten Corona-Jahrs aus dem Jahr 2020 mit dem Titel „FCK 2020“. Der Flughafen Westerland war zuletzt Anfang Juni in den Schlagzeilen, als Angehörige der Öko-Bewegung „Letzte Generation“ dort parkende Privatflugzeuge mit oranger Farbe bekleckerten. Wenig später landete dann auch noch der ehemalige Rockstar Jon Bon Jovi, aus Hamburg kommend, mit seinem Privatflugzeug, um im Sylter Restaurant Sansibar seinen neu kreierten Roséwein „Hampton Water“ zu präsentieren.

Die „Letzte Generation“ und Jon Bon Jovi haben die Insel inzwischen wieder verlassen. Dafür sind die Punks zurück, die im vergangenen Jahr für Aufsehen sorgten, als sie in der Fußgängerzone von Westerland ein wildes Zeltlager aufschlugen. Diesmal kampieren sie in ihren Zelten auf Plätzen, die ihnen von der Kurverwaltung zugewiesen worden sind: und zwar in Tinnum, dem schäbigsten Ort auf der Insel, in dem sogar ein Aldi Markt steht. Die Shuttle-Busse, die das Scooter-Publikum zum Konzertgelände bringen, fahren direkt an den Zelten vorbei. Die davor sitzenden Punks winken den Scooter-Fans freundlich zu. Die Scooter-Fans winken aus den Bussen freundlich zurück.

„Waste Your Youth“ heißt ein Titel von Scooter, der auch an diesem Abend aufgeführt wird; das lässt sich natürlich als Hommage an die Punk-Bewegung begreifen. Beim Konzert fällt das jugendliche Alter der Hörerinnen und Hörer ins Auge. Die meisten von ihnen sind um die 20, während Hans Peter Geerdes in diesem Jahr 60 wird; seine Fans könnten sich also im Alter seiner Enkelkinder befinden oder seiner aktuellen Lebensgefährtin. „Techno is back“ prangt als Schriftzug über der Bühne. Tatsächlich erfreuen sich die von Scooter in den Neunzigerjahren etablierten musikalischen Mittel beim nachwachsenden Pop-Publikum generell wieder großer Beliebtheit: die elektronisch erzeugten Hau-drauf-und-Schluss-Rhythmen und die darüber gehupten Fanfaren; die imperativisch vorgetragenen Texte („Always Hardcore!“) und die dahinter hochgeschwind piependen Chöre, wie Backenhörnchen auf Speed. Nachfrage bei einem neben mir stehenden Teenager-Mädchen: Klingt diese Musik nicht ganz schön retro für dich? Antwort: Der Typ ist natürlich retro, weil er so alt ist, aber die Musik finde ich mega now!

Auch ein paar ältere Fans sind natürlich zugegen. In der VIP-Lounge trifft man zudem das Sylter Stammpublikum und kann darüber staunen, wieviele Gunter-Sachs-Lookalikes es immer noch gibt und wieviele misslungene Schönheitsoperationen. Vor der Bühne hüpfen 7500 Zuschauerinnen und Zuschauer zwei Stunden lang herauf und herunter, werfen die Arme ruckartig in die Luft und zeigen der Band ihre steif nach vorn gerichteten Handflächen, ein wundervolles Bild des Friedens und der Harmonie, oder wie es in dem Scooter-Stück „FCK 2020“ heißt: „First we save the rave / then we save the world“.

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