Neue Maxis für den Dance Floor

Just go and throw your little hands up: Dance Yrself Clean

Hodge „Sub 100“ (Two Moons)
„Night Journeys II – Jessy Lanza Remix“ (Kulør)
Little Dragon „Frisco“ (Ninja Tune)
Rhyw „Honey Badger“ (Voam)
Gold Panda „I’ve Felt Better (Daniel Avery Remix)“ (City Slang)
James Hoff „Inverted Birds and Other Sirens“ (PAL)

Eklektizismus kann die Pest sein, künstlerisch gesprochen. Der Grat zwischen Vielseitigkeit und Beliebigkeit ist nunmal ein schmaler. Wenn aber zuletzt ein DJ und Produzent gut darin war, mit jeder 12-Inch eine andere Facette seines Talents in den Vordergrund zu rücken und trotzdem dabei sein Profil zu schärfen, dann Jake Martin aka Hodge. Sein im April 2020 gut getaktet zum Pandemiebeginn veröffentlichtes Album „Shadows In Blue“ collagierte diverse Stile und Stimmungen als ob es die leichteste Übung der Clubkultur sei, Klangforschung, Chill-Habitus und Club-Eskapaden miteinander zu verwegen – und überzeugte zudem auch noch mit schön aufgeladenen und natürlich zu diesem Zeitpunkt wilde Assoziationen auslösenden Tracktiteln wie „The World is new again“ und „One last Dance“.
Die 2-Track-Ep „Sub 100“ erscheint nun auf seinem eigenen Label Two Moons. Während das Titelstück irgendwo zwischen Ragga-Rave und UK-Bass an einem zupft, weckt „Where I wanna be“ Erinnerungen an spät (oder besser früh) endende Raves auf offener Wiese, wenn die Sonne sich immer höher drückt und die Bässe einen noch nicht los lassen wollen.

Wir berichten vor einigen Monaten über die Veröffentlichung von „Night Journeys“, nun hat Courtesy auf ihrem Label Kulør einen Remix von Jessy Lanza nachgereicht, der die emotionale Tiefe der Original-Ep für den Club federnd-euphorisch gen Dance Floor führt. Wobei der Remix (sicherlich nicht nur mich) an „Zero Zero“ von Console erinnert, einen Track, der 1999 das neue Jahrzehnt in den Clubs so verspielt catchy einleitete. Sven Väth würde rufen: „Gute Laune“. Wobei Jessy Lanza den Cheesyness-Faktor dann nicht ganz so mächtig reindreht, so dass man am Ende auch einfach nur glücklich auf das Sofa in der Ecke sacken kann und nicht auf Teufel komm raus weiter tanzen muss.

Die Schwedische Pop-Band Little Dragon lässt einen Regenbogen über dem Dance Floor erscheinen. Mit „Frisco“, der ersten Auskopplung aus ihrer bald erscheinenden EP „Opening the Door“, erinnern uns Little Dragon daran, dass Dance Music einst vor allem ein großes Freiheitsversprechen war. „Frisco“ ist gleichermaßen ein einfühlsam erzählter Popsong, ein verführerischer R´n´B-Track in bester 90er-Jahre-Tradition und auch ein bisschen dreckiger Jersey Club.

Gerade noch mit Shumi, dem Booker und Resident-Dj vom Gewölbe zu Mittag gegessen. Er erzählte, dass die Parties derzeit alle sensationell gut laufen, wohl auch da das Gewölbe die Pandemiezeit und das Neustart Kultur Geld gut angelegt hat und in eine Klimaanlage investiert hat, die alle acht Minuten die komplette Luft austauscht im Laden. Was ich aber eigentlich berichten wollte: Shumi meinte, dass die jüngeren Djs sich nicht mehr groß mit Aufwärmen aufhalten, sondern sofort um 23.05 Uhr zur Sache kommen.
Womit wir bei Rhyw (ausgesprochen Roo) wären, dessen 4-Track-Ep „Honey Badger“ mit dem Titelstück sofort ordentlich los scheppert: schnell, wild, energetisch, schleifender Techno, der seine Vierviertel Noten auch gerne mal stolpern lässt. Mit „Sharknado“, „Kirkhusa“ und „Foamcore“ zerschneidet der Walisisch-Griechische Produzent im Anschluss die Luft so trocken wie ein Samurai Schwert die Kehle der Angreifer.

Derwin Dicker aka Gold Panda ist ein Magier des Electronica Sounds, wo andere beim zuckrigen Spiel mit elektronischen Stilmitteln und Indie-Haltung zumeist näher am Bedroom Producertum bleiben, zeichneten sich seine Produktionen schon immer dadurch aus, dass sie sich auch einem größere Hörzusammenhang nicht schüchtern verwehrten – auch wenn der Künstler selbst eher scheu ist und lieber im Schatten bleibt.
Daniel Avery und Derwin Dicker kennen sich seit mehr als fünfzehn Jahren, das mal als Information, einfach weil es schön ist, wenn Zusammenarbeiten nicht am Reißbrett der Promostrategien entstehen sondern auf Freundschaften basieren. Avery´s Remix ist jedenfalls schlichtweg der Hammer. Die Stimme wird von ihm in ekstatische Höhen geschoben, im Kopf ne E, im Kehlkopf Helium. Dazu ein von Anfang an kompromisslos rüttelnder und schiebender Bass. Ein Banger, wie Derwin es ausdrückt. Und damit alle Clublichter an, Feierabend für diesen Monat.

Die Möglichkeit eines Unfall in einem Kernkraftwerk ist so präsent wie lange nicht mehr, seit das AKW Saporischschja zum Spielball zwischen den Fronten des Russisch-Ukrainischen Krieges geworden ist. 11 Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima und 36 Jahre nach jener von Chernobyl – letztere zuletzt eindrucksvoll künstlerisch aufgearbeitet mit der HBO Serie „Chernobyl“, für deren Soundtrack die isländische Komponistin Hildur Guðnadóttir u.a. mit einem Golden Globe und einem Oscar ausgezeichnet wurde. 
Im Gegensatz zu Guðnadóttir, deren Soundtrack ohne Field Recordings aus dem Sperrgebiet auskam, arbeitet James Hoff für sein aus zwei Stücken bestehendes Werk mit 2018 in Chernobyl aufgezeichneten GPS Signalen, die er in ein orchestrales Set-Up aus Holz- und Blechbläsern und Streichern einwebt. Wobei er die eigentlich intendierte konzeptionelle Stränge der Musik aufgrund der vor Ort gemachten emotionalen Erfahrungen aufgab. Denn so beeindruckenden die Ruinen des Kernkraftwerks und die leerstehenden Behausungen und von (lebenden) Menschen verlassenen Territorien für Hoff waren, am meisten verwirrte ihn die spürbare Präsenz der Geister vor Ort. Hört man „Inverted Birds and Other Sirens“ fühlt und versteht man, wovon Hoff spricht, ihm gelingt es eine unwirkliche Atmosphäre zu erschaffen, die gleichzeitig ängstlich frösteln lässt als auch einen melancholischen Zustand der Sehnsucht nach Zärtlichkeit auslöst.

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