Laibach „Alamut” / Throbbing Gristle „Live at the Volksbühne“ / Swans „Birthing”

Laibach (Credit: Valter_Leban_Alamut)
Laibach
„Alamut”
(Mute/PIAS/Rough Trade)
Throbbing Gristle
„Live at the Volksbühne, Berlin, New Year’s Eve”
(Mute/PIAS/Rough Trade)
Swans
„Birthing”
(Mute/PIAS/Rough Trade)
Persönliche, vorübergehende, partielle Retromanie: Alle drei Acts und neuen Alben haben ästhetisch sehr viel gemeinsam, nicht nur Farben (der Coverdesigns) und Färbungen (der Images) im optischen und akustischen Sinn, nicht nur jahrzehntelange Popmusikgeschichten zwischen Industrial, Experiment, dunklem Wave und purem Krach, sondern vor allem ein (Klang)Bild des Eckigen, Verwinkelten, Widersprüchlichen, Irritierenden und für viele auch mitunter Unangenehmen bis Skandalösen – Klage(n) in allen Lesarten treffen auf Widersprüche. Andreas Borcholte schrieb bezüglich der Swans vor zwei Jahren von ‘Todessehnsüchten eines Toxikers’.
In meinem Plattenregalen standen zuallererst Laibach, als sie Anfang, Mitte der 1980er für mich aus dem Nichts, in Realität aus Slowenien, auch in deutsche Clubs und auf Tanzböden rauschten und schnell zu Diskussionen und Konzertabbrüchen zwischen Antifa, Kunst, Provokation und (sehr wohl kontextualisierten) umstrittenen, mannigfaltigen Symbolik-Anspielungen führten. Ein seltsames Gefühl, zu meinen, diese künstlerische Gruppierung mit ihren bitterhumoresken, mehrfachbödigen Drehungen von Stalinismus, Kommunismus, Nationalsozialismus, Künsten, Architekturen, Gestaltungen und allen möglichen Ismen zu verstehen. Oder auch nicht.
Die US-amerikanischen Swans hingegen schlichen sich ebenso wie Throbbing Gristle eher auf einer anderen Ebene fast gleichzeitig bei mir ein, beide zunächst (und bis heute) eher nicht im Plattenregal. Swans, weil die Neubauten und Sonic Youth mit ihnen arbeiteten und sie als Bezugspunkt nannten und weil Swans‘ Zentrum Michael Gira u.a. Devendra Benhart und Lisa Germano unterstützte. Die für Laibach und Swans in gewisser Hinsicht Vorläufer und Opinion Leader TG aus GB waren auch in der Ecke und gleichzeitig aber allgegenwärtig unterwegs, grundlegend, mir irgendwie aber zu heftig und okkultistisch, eher bei Freunden ganz weit oben in der morbiden Heavy Rotation des Dark Wave. Ich selbst hörte da eher Red Lorry Yellow Lorry, March Violets oder die erste Variante der Sisters of Mercy und stieß erst über TGs Nachläufer Psychic TV und Coil auf den TG-Kosmos. Alles schien in ihren ‘Band’-, Album- oder Song-Namen oftmals damals irgendwie in einem gegenkulturellen ‘Gegen Hippies’ und ‘Gegen Groß- und Bildungsbürgertum’ nicht unsympathisch inkorrekt und damit gegengesellschaftstauglich im progressiven Sinn, also nicht regressiv-rechtspopulistisch-dagegen, sondern De(kon)struktion als Konstruktion eben.
Womit wir wieder mitten in den klassischen Popkulturdiskursen wären. Faszination für vor allem deren Zu- und Überspitzungen, (Ent-)Politisierungen und Geschlechterspiele und -übertreibungen entwickelte ich letztlich für alle drei Acts – da war ich freilich noch zwischen Teenie und Twen. Dann war Jahr(zehnt)e mehr oder minder Ruhe und Post Punk, Minimal Dub/Techno, Drum’n’Bass, TwoStep, Hauntology, Noise, Grunge und Diskursrock wichtiger. Bevor ich über Hendrik Otrembas Artikel zu Gira und seinen Swans in der Spex sowie ein fulminantes Konzert in der Volksbühne in Berlin, während sich draußen die Erde auftat und Helene Fischers Open-Air-Mega-Konzert abgebrochen werden musste, wieder bei ihnen landete. Im Falle von Laibach plötzlich wieder über weniger Electronic Body Music- oder Doof-/Plastik-Wave-Anleihen, als vielmehr über eine große Ausstellung in – nomen est omen – Ljubljana und dann jetzt die aktuelle, vertrackte ‘Symphonie’ „Alamut”. Und bei TG über einen begeisterten Künstlerfreund, der vor Jahren mit Genesis P-Orridge in New York in Kontakt kam und geflasht von der Neugierde und Liebenswürdigkeit dieser Person war, sowie nunmehr den über posthum veröffentlichten Konzertmitschnitt aus eben jener Volksbühne aus dem Jahr 2005.
Laibach haben den Roman „Alamut” des slowenischen Schriftstellers Vladimir Bartol aus 1938 gewissermaßen vertont, akustisch bearbeitet und dabei vor allem die dort vorkommende computerspielprägende Miliz der Assassinen und ihrer politischen Nihilismen abgetastet. Laibach selbst sowie vor allem ihre orchestralen und choralen Erweiterungen zum Klang- und Kunstkollektiv, hier mit dem Teheraner Human-Voice-Ensemble und den beiden iranischen Komponisten Nima A. Rowshan und Idin Samimi Mofakham, beeindrucken mich denn doch wieder. Diese experimentelle, sperrigere Seite war mir bei aller Freude an ihren unglaublichen Verarbeitungen von Opus, Queen oder den Beatles, die spannenderen Laibach, so stieg ich mit „Nova Akropola” auch 1987 ein in die Neue Slowenische Kunst. Dem könnte ein nur scheinbar kakophonisch-überblasenes Stück wie „Feydayeen” direkt entnommen worden sein. Diese nervöse und gleichzeitig antihymnische Seite der Slowen*innen bleibt.
Trotz aller Gewöhnung haben sie mich jedenfalls hier nochmal neugierig gemacht, nachdem sie mittlerweile als Nordkorea-Performende 2015 oder gar im Zuge der Frankfurter Buchmesse 2023 endgültig im Feuilleton der Qualitätsjournalismen thematisiert wurden. Fußnote: Sehr unterschiedlich bereits versucht wurden akademische Analysen zu Laibach etwa von Reinhard Kopanski mit „Bezugnahmen auf den Nationalsozialismus in der populären Musik“ in 2022 oder von Alenka Barber-Kersovan in 2005: „Vom ‚Punk-Frühling‘ zum ‚Slowenischen Frühling‘: Der Beitrag des slowenischen Punk zur Demontage des sozialistischen Wertesystems“.

Throbbing Gristle – Live, Volksbuhne (Photo: Paul Heart Field)
Throbbing Gristle 2005 nochmal zu erhören und -leben war sicherlich in der Volksbühne ein Erlebnis – leider ohne mich. Zunächst neben zahlreichen Reissues Ende 2024 in der opulenten „TG Berlin”-Box erschienen (inklusive Fotos von Paul Heartfield, Sleevenotes von Lucy McKenzie und einem bislang unveröffentlichten, 48-minütigen Stück der damaligen Berlin-Sessions), gibt es diesen Konzertmitschnitt nun als Einzel-Album. Und das lohnt sich. Spät nochmal einzusteigen. Zwischen dunkler Nostalgia, luzidem Silvester- und also Schwellen-Feeling und irgendwie retrofuturistischem Apokalypsetum. Damals neue Songs seit 27 Jahren sowie alte ‘Hits’ wie „Hamburger Lady“, wenn man/frau/divers bei TG kajalaugenzwinkernd überhaupt davon reden kann. Die für mich unerreichte Anti-Hymne des morbiden Synthie Pop „United“ ist hier leider nicht vertreten. Dafür aber absolute Zerstörungsgelüste wie das ultimativ-krachige Horrording „PA Destroyer“.
Seltsam, je älter ich werde, desto melodischer empfinde ich Chris Carter, Cosey Fanni Tutti und die beiden leider verstorbenen Genesis Breyer P-Orridge (1950-2020) und Peter ‘Sleazy’ Christopherson (1955-2010). Damit kokettiere ich jetzt nicht. Ich meine das ernst. Könnte ja auch was mit meinen kaputten Ohren zu tun haben. Wobei ich ja nicht mit den Ohren höre. Sondern mit dem ganzen Körper und vor allem dem Hirn/Bauch/Herz. „Did your life change when the New Year begins? I doubt it! Would be nice if it did…”, ketzt P-Orridge zum Intro von „Slug Bait”.

Swans, 2025 (Photo: Josef Puleo, landscape)
Swans bleiben auf sieben Songs über 110 Minuten (!) zäh und langatmig, ausufernd, einholend, inolvierend, ausspuckend, episch, übertrieben, merkwürdig, unfreundlich, röhrend, immersiv, wenn du möchtest. „Birthing” ist in der xten (Re-)Inkarnation dieser Band, die doch im Wesentlichen auf Michael Giras Ideen und Direktion beruht, in sich ruhend und beunruhigend zugleich. Irgendwie in Giras Büro auf akustischer Gitarre entstandene Skelette von Songs, wie er selbst laut Info des Labels sagt, werden diese dürren Gestalten dann durch seine kongenialen Mitmusiker wie erneut Kristof Hahn, Christopher Pravdica oder Dana Schechter gewaltig aufgeblasen, zerdehnt (Hahns weiterhin bemerkenswerte Slide) und ausgestattet, höre schon das einleitende, 21-minütige „The Healers”. Wo von anderen Pathos- und Predigtgrenzen erreicht werden und auf ihnen getänzelt wird, wie bei Nick Cave, Sigur Rós, Hugo Race, Rowland S. Howard, Mazzy Star oder – jaha – Lana Del Rey, da schieben sich (und dich) die Swans einfach immer weiter und weit darüber hinaus. Immer, wenn das allzu schamanenhaft und rituell zu werden droht, ziehe ich mich gleichwohl etwas zurück. So sehr ich mich fallen lassen mag. Nun, es wird Gira nicht jucken, geschweige denn kratzen. Subtrahiere ich das, packt mich weiterhin am ehesten der bombastisch-repetitive Mülltonnenblues („I Am A Tower”, kurzzeitig fast in Bowies „Heroes“ kippend).
Alle drei Alben sind wirklich nichts fürs Nebenbeihören oder den Indie Disco-Coffeetable, nun wirklich nicht. Sie sind wie das Leben, ausladend, einladend, haben Substanz, fordern auf zur Auseinandersetzung, wollen keinesfalls geliebt, können auch, etwa ob ihrer vielen Maskulinitäten (und freilich teilweise v.a. bei TG und Laibach eben den Reflexionen und Transformationen dazu), abgelehnt werden. Als Journalist und Privatperson sehe ich die klaren Ambiguitäts-, Ambivalenz- und Kontroverse-Testmomente. Als Wissenschaftler würde ich mich diesen, freilich unterschiedlichen Projekten gerne nochmal genauer widmen, vielleicht eher Laibach und TG als den doch sehr stoischen Swans und den seit Jahren im Raum stehenden schweren Vorwürfen (siehe oben, Artikel Andreas Borcholte). Schwer verdauliche Brocken, im Falle der Swans mich sogar etwas ratlos hinterlassend. Discomfortable Listening, indeed.