Record of the Week

Marika Hackman “Any Human Friend” (Caroline International)

Marika Hackman
“Any Human Friend”
(Caroline International)

Als Tocotronic 1995 befanden, „Über Sex kann man nur auf Englisch singen“ konnten sie natürlich nicht ahnen, wie toll man knapp 25 Jahre später auf Englisch über Sex singen wird beziehungsweise wie lässig und klar die britische Singer-/Songwriterin Marika Hackman über lesbischen Sex singt, ohne schlüpfrige Altherrenphantasien zu bedienen.

„Any Human Friend“, auf dessen Cover sie sich im Stil von Rineke Dijkstras Post-Geburts-Fotos inszeniert, allerdings nicht mit neugeborenem Menschenbaby auf dem Arm, sondern mit einem kleinen Schwein, ist Coming-of-Age und Coming out in einem – wobei Hackman ihre Sexualität noch nie unter den Tisch kehrte (siehe/höre ihre letzte Platte „I’m Not Your Man“), allerdings auch noch nie so konsequent thematisierte.

Die Polarität aus unverbrämtem Geilsein und trostloser Einsamkeit, Drang zur Selbstdarstellung bei gleichzeitiger Unsicherheit bildet den Rahmen für die elf Songs; die eigene Queerness ist Voraussetzung des Verlangens und Spielwiese zugleich. Auch musikalisch lotet Marika Hackman neue Möglichkeiten aus: poppig ausschweifende Synthiepassagen und Dance-Grooves in Kombination mit verzerrter Rockgitarre lassen das einst bestellte Folk-Feld weit hinter sich. Der vorsichtig-zarte Opener „Wanderlust“ und das sehnsüchtige „Send My Love“ sind die letzten Verweise auf Hackmans Anfangszeiten. In „All Night“ schichtet sie zum Gitarre-Synthie-Battle ihre dunkle Stimme in vielen jubilierenden Schichten übereinander.

Die Single „I’m Not Where You Are“ glitzert und funkelt glamourös, ist ein Ohrwurm ohne Mainstream-Verdacht. Dafür sind Hackmans Lyrics sowieso zu explizit: „Hand Solo“ ist eine Ode ans Masturbieren, in „Come Undone“ („… and I never come undone…“) und „Conventional Ride“ wird sie so deutlich wie sonst nur Peaches und erreicht eine Selbstverständlichkeit im Singen über Sex, die Héloise Letissier alias Chris (-tine and the Queens) auf ihrem letzten Album (noch) nicht erreicht hat.
Dass bei solcher Deutlichkeit auch mal eine Formulierung oder ein Bild danebengehen kann, zeigt sich in „The One“, wenn Hackman ihre Fans als „Fucker“ bezeichnet, die ihren Schwanz wollen – als wäre die Vulva halt doch nicht so begehrenswert, respektive Stärke nur durch den Phallus repräsentierbar. Aber das ist nur ein Irritationsmoment auf dieser ansonsten so offenen wie befreienden Platte.

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