Chris Imler „The Internet Will Break My Heart“
Chris Imler
„The Internet Will Break My Heart“
(Fun In The Church)
Es sind außergewöhnlich schwere Zeiten gerade, muss man nicht weiter ausführen, oder? Popaffine Scherzbolde behaupten ja, dass seit David Bowies Tod alles den Bach runterging – schon allein die Idee dieser „Erklärung“ steht für Eskapismus und Verdrängung der eigentlichen Probleme, weshalb man sich ja so oft im Internet aufhält.
Selbst auf die heilende Wirkung von Katzenvideos kann nicht mehr gebaut werden, weil man berechtigterweise vermuten muss, dass die niedlichen Miezen in Pappkartons von der KI erschaffene Pixelmonster sind. Kein Wunder also, dass selbst der unerschütterlichste Dandy von allen – wir meinen natürlich Chris Imler – dunklere Töne anschlägt als sonst. „I hug strangers / I lose my friends“, sprechsingt Imler im Titeltrack seines neuen Albums, dem die britische Zeitung The Guardian Ehre erwies und es zum „Experimental album of the month“ erkor: Eine seltene, praktisch unmögliche Auszeichnung für deutsche Künstler:innen. Aber wer Imlers Weg auch nur am Rande mitverfolgt, weiß, dass der Augsburg-Berliner durch seine Auftritte in ganz Europa von Porto bis London, Paris bis Prag die polyglotteste Persönlichkeit ist, die Pop-Deutschland zu bieten hat. Und dass seine Rezeption in internationalen Medien ziemlich naheliegend ist.
Imlers One-Man-Music-Show* an Schlagzeug, Laptop und Trompete fasziniert durch scheinbares Chaos, bei dem am Ende alle glücklich tanzen, egal welcher Track gespielt wird. Diesen hedonistisch-destabilisierten Zustand auf Platte oder überhaupt in eine Konserve zu pressen ist schwierig und funktioniert doch; auch „The Internet Will Break My Heart“ ist die Ausgangsbasis für das, was auf der Bühne passieren wird. Diesmal besorgter und schwermütiger als gewohnt: „Let’s Not Talk About The War“ thematisiert unser aller Vermeidungsverhalten in punkto globaler und lokaler Bedrohungen, die Musik dazu erinnert an eine Depeche Mode-Maxi auf 33 RPM, schlingernd und düster, trotzdem zwingend tanzbar.
Die Single „Agoraphobie“ mit Gaststar Naomie Klaus irrlichtert zwischen Dub und fiepender Elektronik, Ping-Pong in Hallräumen ohne Ausgang; auch durch „Liturgy Of Litter“ geistert das Gefühl der Vergeblichkeit, während in „Un Solo Corpo“ Momente früheren Haudrauf-Irrsinns durchbrechen – das fällt auf Italienisch offenbar leichter. Die zitternden Breakbeats von „Volatile“ führen nicht zum Jungle-Rave sondern zur fatalistischen Bestandsaufnahme, „it’s not enough“, wiederholt Imler mit brüchiger Stimme, während er im Schlusstrack „Boundless Love“ eine wacklige Utopie aufmacht: „Vielleicht sollten wir unsere eignen Arten züchten / einen Staat errichten / und vernichten.“ Wenn wir dann nicht längst von KI-Kätzchen regiert werden.
* Imlers Involviertsein in zahlreiche andere Bands wie Die Türen, bei Jens Friebe und anderen setzen wir als bekannt voraus.