Die Realität “Bubblegum Noir” (Trikont)
Die Realität
“Bubblegum Noir”
(Trikont / Indigo)
Die Realität lebt in Köln und besteht aus Eric Pfeil, Alfred Jansen und Felix Hedderich, und den meisten dürfte, sofern sie sich für Musik, Medien und/oder Universität interessieren, einer der Namen schon mal untergekommen sein. „Bubblegum Noir“ ist das erste Album der Band, und es ist sehr gut geworden.
Wer aus derselben Stadt wie Can kommt, fühlt sich vielleicht schon aus regionalen Gründen dazu berufen, sich im Umfeld samtiger Weltallgrooves zu situieren (natürlich kommt Bap auch aus Köln, aber lassen wir das). Eine Vielzahl der vorliegenden Stücke scheint auf dem Prinzip aufzubauen, eine Schnittstelle zwischen abgezirkeltem Song und mäandernder Ausuferung markieren zu wollen. Als Pendant zu Can lassen sich vor diesem Hintergrund die auch zu Songtitelehren kommenden „Robert Forster / Grant McLennan“ sowie der durch das Wort „Klapperschlangen“ aufgerufene Lloyd Cole („Rattlesnakes“) ausmachen. Die Verzahnung von Struktur und Abstraktion zeigt sich nicht zuletzt darin, dass die Stücke nach der Hälfte der Spielzeit häufig eine Entwicklung nehmen, die auf ein infinit scheinendes, zeitdehnendes Outro hinausläuft. Dabei gelingt es der Realität, einen hypnotischen Spannungsbogen aufrecht zu erhalten, der an keiner Stelle Gefahr läuft, in Langeweile zu münden.
Obwohl den Songs in struktureller Hinsicht die Tendenz zu eigen ist, als potenzielles Material für Fußgängerzonenaufführungen zu taugen, trägt die Vielschichtigkeit der hier zur Schau gestellten Formensprache dazu bei, die Musik auf eine höhere, sublimere Ebene zu heben. Ein gleichzeitig transparentes (hinsichtlich Klangbild) wie auch undurchsichtiges (bezüglich Quelle / Ursprung) Geflecht aus scheinbaren Orgeln, Vibraphonen und körperlosem Blubbern konfrontiert die grundsätzliche Nachvollziehbarkeit / den Popfaktor der Musik mit einer grandios abseitigen Fremdheit.
Die Realität erbringt den Beweis, dass alles sein Gegenteil braucht, um sich als Erscheinung abzuzeichnen (ok, leicht abgedreht vielleicht, aber das gilt für dieses Album ebenso – im positiven Sinn). Natürlich ist „Bubblegum Noir“ in spiralenartiger Manier um psychedelische Momente zentriert, die per Hall und Echo eine irrlichternde Verlorenheit in Zeit und Raum hervorrufen. Dazu passen die Texte voller Brüche, Absurditäten und Anti-Symmetrien sowie die distinguiert-entrückte Stimme Eric Pfeils, der immer mal wieder wie ein als Crooner verkleideter, unironischer Jacques Palminger klingt.
Als möglicher kohärenzstiftender, den Ansatz des Albums zusammenfassender Begriff, der in den Texten auch explizit auftaucht, bietet sich „Romantik“ an, in dem Sinne, dass sich darunter alles fassen lässt, was einer vermeintlich als maßgeblich gesetzten Wirklichkeit flirrend und schillernd entgegensteht.
Mario Lasar