Record of the Week

Gastr Del Sol „We Have Dozens of Titles”

Gastr Del Sol
„We Have Dozens of Titles”
(Drag City/Indigo)

Wahnsinn, Gastr Del Sol schenken uns ein ausgedehntes Wiederhören! Diese seltsame, nun ja, ‚Band‘ hat mich in etwa so ratlos und naiv erscheinen lassen wie Red Krayola. Etwas zu alt für Hardcore, etwas zu jung für Art School Punk der ersten Stunden oder Free Jazz, waren für mich immer Personen so etwas wie Aufmerksamkeitsanker: Bei Letzteren, dass Leute wie Epic Soundtracks/Swell Maps) oder aus dem Sonic Youth-Umfeld mit dem Mastermind Mayo Thompson kooperierten. Bei Gastr Del Sol, dass Jim O’Rourke ebenfalls aus diesen Umfeldern kam. Aber über allem erstrahlte geräuschvoll David Grubbs. Denn den hatte ich mit Bastro (u.a. auch John McEntire, Bundy K. Brown von später Tortoise) live und auf Tonträger erfahren. Oder besser hatte er mich angenehm noise-rockig und also anti-rockistisch überfahren. Bastro hatten mich weggeblasen wie sonst nur Steve Albinis Bands, der ja auch gleich in Verbindung mit ihnen waren.

Chicago School eben. Strukturierter Krach. Irgendeine seltsame Offenheit für Provokationen einerseits und elektronische Musik, Minimal Music, Filmmusik bzw. Jazz andererseits. Weniger Offenheit für Frauen. Ausnahme Come mit Thalia Zedek und Codeines Chris Brokaw. Dies sollte sich später erfreulicherweise ändern und bis in deutsche Kombos wie die tollen Candelilla hineinwirken.

David Grubbs sah ich tatsächlich dann nochmal in Toronto live als Support der unglaublichen The For Carnation (Brian McMahan, ex-Slint). No Noise, solo, seltsam beinahe-entrückt und auch sehr, sehr cool, weil gleichzeitig weg und da. Dazwischen, im Kern 1993-1998 und über vier Alben und einige EPs, lagen eben seine und O’Rourkes Gastr Del Sol-Veröffentlichungen, die mich ein bisschen bis heute faszinierend ratlos machen und die nun als 3-LP-Boxset voller bisher unveröffentlichter (Live-)Aufnahmen, rarer B-Seiten und Extras wie der letzten Live-Show kompiliert und komprimiert wieder in Erinnerung gerufen werden.

Ich verstehe Gastr Del Sol heute besser, sie haben Bastro ‚einfach’ in Richtung Drone, Akustischem, Weird Folk, Brüche, Haken, Field Recordings, Laptop/Multitracks und Experimentellem weiter umgegossen. So dass es schon für naive Noise Rock-Fans schwierig wurde. Eigentlich haben dann erst Acts wie die frühen Tortoise diese Phase besser erklären geholfen und diese Verständnislücke geschlossen. Das ist ähnlich dem (immer wieder) Schauen eines Greenaway-Films, immer etwas Neues, Anderes entdecken. Im durchaus Repetitiven. Durch ihre Open-Mindedness und ihre Unvorhersehbarkeit sind Gastr Del Sol bei aller Referenzfreude doch eher positiv zusammenhanglos für mich. Das könnte auch ‚einzigartig‘ genannt werden.

Und das schreibe ich dreißig Jahre später, während mich „Quietly Approaching“ oder „Dead Cats in a Foghorn“ zwischen Flughafen-Eno, Spoken Word, 1990er-Jahre-Postrock-Feeling, Arthouse Cinema Horror sowie gegenwärtiger großer Liebe und wilder Welt in ihrer ganzen Komplexität mäandern lässt. Andere Bands werden trashig, abgelegt, neu entdeckt (wie für mich auf „We Have Dozen of Titles“ insbesondere die Live-Versionen), vergessen oder sogar als mittlerweile in Teilen oder prinzipiell unhörbar gehalten. Einige wenige bleiben konstant: Entweder aus absolutem Fantum. Oder, wie Gastr Del Sol, aus einer dauerhaften Frage und Herausforderung. Bunte, blubbernd-stoische Avantgarde des Pop.

Ein vertrackter Rausch.

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