Record(s) of the Week

Karate „Make It Fit” & Porridge Radio „Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me”

Karate
„Make It Fit”
(Numero Group/Cargo)

Postrock war für uns nicht instrumentaler Metal oder doofer Gniedel-Rock ohne Gesang. Postrock haben wir in unserem damaligen Fanzine Sunset unter anderem in Anspielung auf Acts auf Raik Hölzels und Patrick Wagners wunderbares Label Kitty Yo. (damals neben den Stars Gonzales, Raz Ohara und Peaches waren für Postrocky wichtiger etwa Couch, Kante, Tarwater, To Rococo Rot, Rechenzentrum, Surrogat) einfach ‚Postrocky‘ genannt. Weil da unseres Erachtens eben immer auch eine Verspieltheit, eine angebrachte Unernsthaftigkeit stattfand. Weil da ziemlich ‚rocky‘, wie es Ende der neunziger sehr Gang und Gäbe war, mit Konventionen gebrochen und mit den Augen gezwinkert wurde. Musiker*innen wie Steve Albini, Epic Soundtracks, Jim O’Rourke, Thalia Zedek, John McEntire, David Grubbs, Kim Gordon oder auch Geoff Farina kamen oftmals aus Hardcore, Post Punk, D.I.Y. oder Noise Rock und entdeckten (wahrscheinlich gar nicht so) plötzlich Slowcore, Jazz, Blues, Soul, No Wave oder elektronische Musik, jeweils, ganz wichtig, die in Subkulturen krediblen Seiten. Bands oder manchmal vielleicht besser Projekte wie Red Krayola, Tortoise, UI, Don Caballero oder die für mich herausforderndsten Gastr Del Sol (ich habe Jahre gebraucht, um sie besser zu verstehen oder mich auf sie einzulassen; cool waren sie neben ihrer Indie-Prominenz vielleicht eben genau wegen ihrer Sperrigkeit und Abstraktion).

Irgendwo in diesem Raum waberten auch die phantastischen Karate aus Boston herum. Seltsamerweise seinerzeit etwas wenig beachtet im Indie Club des Vertrauens beispielsweise. So veranstalteten Freund:innen gleich selbst ein Konzert mit ihnen in Münster. Das war vor mindestens zwei(einhalb) Jahrzehnten. Unter anderem wegen gesundheitlicher Probleme, Schicksalsschlägen und aus Karrieregründen lösten sich Karate 2005 auf. Ende 2022 fand sich die Band nicht zuletzt wegen einer Reihe von angestrebten Rereleases und Box Sets (ihre Original-Alben erzielten vor allem auf Vinyl Sammlerpreise) wieder, mit Gavin McCarthy und Jeff Goddard, gleichwohl weiterhin stark von Geoff Farina geprägt. Der versierte Gitarrist Farina hat an diversen Universitäten vor allem Lyrics- und Songwriting gelehrt und neben Karate zahlreiche andere Projekte wie Exit Verse oder Glorytellers sowie Solo-Alben und Koops unter anderen mit Chris Brokaw (Codeine, Come, Dirtmusic) verantwortet.

„Make It Fit“ klingt ca. 20 Jahre nach dem letzten Karate-Album ähnlich trocken produziert und doch neu, als wäre nicht viel Zeit ins Musikland gegangen und hätten die unter anderen wegen Wohnorten zwischen den USA und Belgien variierenden hybriden Sessions nicht stattgefunden. Also nicht gestrig, sondern eher beinahe zeitlos. Da darf auch mal auf „Rattle In The Pipes“ oder „Three Dollar Bill“ Reggae weit hallend durchklingen und pulsieren – Breaks inklusive. Als wären Bands wie frühe Fischer-Z, frühe Police oder auch die Pop Group gerade wieder around. Dabei sind Karate zwar unglaublich gute Musiker, manchmal fast etwas zu viele Soli, die punkig-bluesigen Dinger wie „People Ain’t Folk“ gefallen mir besser, bleiben gleichwohl im typischen US-Indie-, College- und Alternativ-Gestus.

Porridge Radio
„Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me”
(Secretly Canadian/Cargo)

Deutlich jünger, in der Attitüde aber ähnlich engagiert-lässig sind für mich die britischen Porridge Radio aus Brighton mit ihrem neuen Album; ihr drittes auf „Secretly Canadian“ innerhalb von vier Jahren, aufgenommen in Somerset von Dom Monks, Tontechniker unter anderen für Laura Marling und Big Thief. Dana Margolins Stimme überschlägt sich, fordert, erinnert in Zügen an Daughters Elena Tonra, Sylvia Juncosa, Black Sea Dahu, Polly Jean Harvey oder auf der männlichen Seite an die Modest Mouse Isaac Brock. Schon „Anybody“ und „A Hole In The Ground“ klingen herrlich harmonisch-kaputt. Es leiert und stolpert nämlich nur scheinbar. Porridge Radio haben einen Plan. Gleiten nach plötzlichem Ende in einen eher schleichenden Leise-Laut-Song wie „Lavender Raspberries“ über unsterbliche menschliche Einbahnstraßen – mit Geschrei. Jeder Song extrem unterschiedlich, freilich in der Porridge Radio-Welt und immer voller (Selbst-)Zweifel, Burnout-Erfahrung, Identitätssuche, Traurigkeit, Workaholism, Kunst, Verlust und Beziehungs- und Kommunikationsprobleme.

Entscheidend bleibt neben der klanglichen Haltung (mir liegen die schnellen Enden) die Rezeption von Margolins Stimme. Da werden sich die Geister wohl scheiden. „You Will Come Home“ steht für mich sogar in einer Reihe mit ganz großen, leicht angekränkelt-hymnischen, lebensrettenden Trost- und Heul-Songs von Galaxie 500, Jacobites (Nikki Sudden/Dave Kusworth) oder Beth Gibbons. Im Dezember touren Porridge Radio und im April/Mai Karate in Deutschland.

Der zeitgleiche Release ist wahrscheinlich Zufall, aber diese beiden Alben stimmen i.S.v. passen zusammen. Auch wenn Geoff Farina und Dana Margolin gänzlich unterschiedlich(e) Songs zu schreiben scheinen, so höre ich doch diverse (auch kulturkritische und selbstreflexive) Ähnlichkeiten und würde ich beide Bands jetzt am Liebsten gemeinsam live erleben. Denn Karate sind enorm spannend auch für Jüngere (U30), Porridge Radio auch für Ältere (Ü40). Pop ist keine Jugendkultur mehr. Wie schön ist das denn bitte?! Denn dadurch hat sie an gesellschaftlicher Wucht eher noch gewonnen. Die Kids können uns viel besser etwa mit ständig neuen Medien- und Musik-Technologien ärgern. Hauptsache, Heimat gefunden. Alles wird gut, ‘waiting for the end’ auf „God Of Everything Else“ (Porridge Radio) bzw. „Silence, Sound“ (Karate). Bauchgefühl rules very OK.

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