Records of the Week

These Immortal Souls – Mehr Schleudern, Zucken und Schwingen als Laufen.

These Immortal Souls
„Get Lost (Don’t Lie!)”
„I’m Never Gonna Die Again”
„Extra”
(Mute/PIAS/Rough Trade)

„We’re struck by what a strange band we were“, kommentieren Harry Howard und Genevieve McGuckin aktuell anlässlich der Wiederveröffentlichung der beiden einzigen regulären Studioalben ihrer ehemaligen Band und eines „Extra“-Albums mit Raritäten und Live-Aufnahmen. Allesamt sind kuratiert von den beiden und von Lindsay Gravina „remastered from original tapes“.

These Immortal Souls sind leider – trotz ihrem Entrückt- und Übersehenseins – auf ganz irdische Art eben doch sterblich gewesen, verließen uns doch tragischerweise bereits 1997 deren Schlagzeuger Epic Soundtracks (Swell Maps, Jacobites, Red Krayola, Crime & The City Solution) und ihr Nukleus, der Sänger, Gründer, Songwriter und vor allem Gitarrist Rowland S. Howard dann 2009. Howards Einschreiben in die Popmusik – und hier vor allem Post Punk- und Swamp Blues-Geschichte – geht tief: NNicht nur wegen seiner Bands (Young Charlatans, Boys Next Door, The Birthday Party), unzähligen Kooperationen (unter anderen mit Lydia Lunch, Nikki Sudden, HTRK, Devastations, Magic Dirt) und seiner unzähligen Bewunderer:innen (unter anderem Yeah Yeah Yeahs), sondern vor allem, weil dieser im wahrsten Sinn „Typ“ in jeder Hinsicht einmalig war.

Henry Rollins beschrieb Howards Gitarrenspiel mal als irre gewordene Surf-Gitarre, Nick Cave konstatierte ergriffen angesichts Howards Tod, dass dieser nicht Arschloch genug gewesen sei, um als Ex-Junkie zu überleben. Immer wieder wurde Rowland entdeckt und angesprochen von jüngeren Bands.

These Immortal Souls waren tatsächlich sehr seltsam leuchtend, merkwürdig funkelnd und immer sehr, sehr verzweifelt und dunkel, dabei aber absolut kraftvoll. Mehr Schleudern, Zucken und Schwingen als Laufen; schön zu hören auf  ihren beiden Indie-Hits „Marry Me (Lie! Lie!)“ vom ersten und „King of California“ vom zweiten Album.

 

Auf Tribute Shows sieht man bis heute Menschen, die Rowlands verwirrte Frisur tragen, seine wippenden Bühnenbewegungen nachmachen und und – das geht mittlerweile ‚on stage‘ ja nicht mehr, ostentativ unbeteiligt die Zigarette so charakteristisch aus dem Mund hängen lassen. Rowland ohne Zippe im Mund, unvorstellbar, Rock’n’Roll ist ungesund und oft sogar tödlich, hey, das ist das Spiel. Reinhard Kleist hat auch diese Seite von Rowland in seinem Nick Cave-Comics aus 2017 aus wunderbar getroffen.

Neben den wunderbaren beiden späten Soloalben von Rowland S. Howard erklären These Immortal Souls die Befreiung Rowlands von diversen schillernden Schatten. „Get Lost (Don’t Lie!)“ 1987 hat uns regelrecht verwaschen weggeschubst zwischen Nick Cave, Sonic Youth, Galaxie 500 und Sylvia Juncosa. Mülltonnenblues hat mal irgendwer geschrieben. Aber sie waren (und sind) weicher, prätentiöser, königinnenlicher, das Fest im Abgrund. Inklusive einiger unglaublicher Cover-Versionen. Howard hatte dieses Faible schon immer. Auf den Solo-Alben unter anderem mit Billy Idol und Talk Talk. Bei TIS etwa „Hey! Little Child“ von Alex Chilton, der für ihn und auch Epic Soundtracks sowieso eine große Rolle spielte. Nur während Epic die Beach Boys, Nick Drake und Laura Nyro hinzuzog, waren das dann bei Howard eher die Stooges. Und alles wurde getragen von McGuckin und Harry Howard, dem Jüngeren. Der Song zum Bandnamen bleibt für mich einer der traurig-schönsten Songs der Popmusikgeschichte. Uffz. Schluck.  Aus diesem gutturalen Moment machte Rowland ein Spektakel. Und es ist verdammt nochmal einfach scheiße, dass er nicht mehr lebt. Der ebenfalls mittlerweile verstorbene Nikki Sudden erzählte mir mal, wieso eigentlich genau: Ex-Junkies stehen in Australien ganz hinten auf der Transplantationsliste.

Und dann kam das grandios indie-bombastische „I’m Never Gonna Die Again“ 1992. Nikki spielte auf Tour im Van das Demo, und ich hatte eines meiner größten Poperweckungserlebnisse (‚Indeed! Don’t lie!‘), wollt nur noch dieses Album und Rowland endlich persönlich kennenlernen (was bis auf Small Talk, den er hasste, so wirklich nie geschah). Stattdessen durchschlug der Kalifornienkönig mein Indie-Spießertum.
Auf „So The Story Goes” textet und singt Rowland „…everybody knows that I’ve been self-destructive” und „…everybody knows that I’ve fucked up badly”, Authentizitätszuschreibungen leicht gemacht. Wenn auch ungesund. Oder „An avalanche of stars falls on me…“ auf „Hyperspace” – Doppeldeutigkeiten galore. Und dann noch mein absolutes Inselalbum mit eben den Brüdern Nikki und Epic – lese auch Harry Howards hiesige Liner Notes auf „Extra“: „Kiss You Kidnapped Charabanc“ (Creation Records, von wegen Oasis…) auch aus 1987, mehrfach wiederveröffentlicht und genauso desaströs-desolat-kathartisch für mich mit 55 wie mit 19…

Die kurz und knapp passend benannte Raritäten-Sammlung „Extra“ beinhaltet verschollene B-Seiten, Compilation-Beiträge, Covers (Alice Cooper, Iggy Pop and The Stooges), ihr phantastisches „You Can’t Unring a Bell“ vom Tom Waits-Tribute fehlt leider.

Dieser Rowland sprang in meinen Imaginationen immer jammerlos und hintergründig grinsend auf Messers Schneide herum („…this house is a bad house…“ auf „One in Shadow, One in Sun“). Als er dann zerschnitten wurde („I Ate The Knife…“ – „…and the knife won“), war das doch ein Schock und irgendwie unwirklich (‚Lie! Lie!‘). Umso schöner, wichtiger und angebrachter, dass seine Musik weiter und wieder entdeckt wird. In mancherlei Hinsicht wirkt sie aktueller denn je in ihrem düsteren, energischen Trost.

Und um das Eingangszitat aufzulösen, erklärt mir Harry Howard: „I think we were a strange band in many ways. It’s not for me to say perhaps but I don’t think there were any other bands that sounded like TIS. We had all these great songs but then there was this real emphasis on each member being self expressive so there was a lot of embellishment and everyone really pushed what they were allowed to do, hopefully without wrecking ‘the song’. Some parts were very tightly arranged by Rowland and then he’d say something like ‘I don’t know how the next bit goes’ and we would just go for it until it worked. I guess ‘I’m Never Gonna Die Again’ is more recognisable as a rock album, but the first one especially, it’s something different and I’m not quite sure what that is ~ there were so many elements at play. Genevieve and I laughed a lot going back through it all. We think the band is weird, weird and wonderful. Rowland was always brilliant.”

Aus dem Australo-Berlin-globalisierten Umfeld des Swamp Blues kam ja zuletzt einiges  und erscheinen dieser Tage auch noch neue Alben von Mick Harvey und The Wreckery (Hugo Race) sowie einige Wiederveröffentlichungen von Crime & The City Solutions frühen Werken inklusive der Howard-Brüder und Epic Soundtracks. Die Überlebenden bleiben zudem aktiv. Harry u.a. mit Near Death Experience (NDE). Auf Genevieves Solo-Debüt warten wir allerdings weiterhin.

PS:
Ganz frisch erschienen anlässlich des Record Store Day ist das Album “Daga Daga Daga” von Epic Soundtracks und Jowe Head (Glass Modern Records, Teaser), auf dem sich phantastische, bisher verschüttete Stücke der beiden experimentellen Ex-Swell Maps finden, liebevoll von Jowe zusammengestellt und kommentiert. Nicht nur Tobias Levin und ich sind Fans, so denke ich.

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!