Crime & The City Solution / Hope
Crime & The City Solution
„The Killer”
(Mute/PIAS/Rough Trade)
Auf Crime & The City Solution stieß ich Mitte der 1980er Jahre durch meinen verstorbenen guten Freund Jörg, einen lokalen Plattenladen, ein Konzert in Bielefeld, dazu nochmals durch den poetischen Berlin-Engel-Film „Himmel über Berlin“ von Wim Wenders, wegen dessen ich zum ersten Mal allein ins Kino ging, und die popmusikalische Liebe zu Nick Cave, Nikki Sudden, Lydia Lunch, Hugo Race und Co., also Post Punk Swamp Blues.
Hope
„Navel”
(Haldern Pop/Rough Trade)
Auf die Band Hope stieß ich letztes Jahr durch einen Post von Patrick Wagner, über dessen Gewalt ich hier ja auch schon berichtete und den ich noch aus Kitty-Yo- und Surrogat-Tagen kenne und schätze. Patrick schrieb an anderer Stelle über gemeinsames Touren in den USA. Daraufhin kaufte ich mir direkt bei der Band Hope deren erstes Album. So viel zur immer wieder aufscheinenden Meinung, Gatekeeping sei egal. In meiner ungefilterten Imagination haben Hope ganz viel Simon Bonney und Crime & The City Solution gehört und haben letztere bei den Aufnahmen zu ihrem neuen Album in Berlin Hope kennen gelernt. In meinen Vorstellungen gastsingt Simon Bonney bei Hope und Christine Börsch-Supan bei Crime. Weit gefehlt, beide kannten einander nicht und wollen jetzt mal gegenseitig ineinander reinhören, der Reality Check sieht anders aus, wie die Kurz-Interviews mit Simon Bonney/Crime und Phillip Staffa/Hope zeigen. Meine Imagination wabert dennoch weiter, da beide Bands so einen ähnlichen Gestus und Ansatz zwischen Art Rock, Post Punk, Noise Rock und irgendwo auch swampy Blues haben.
„The Killer“ ist gewissermaßen Teil 2 des Neustarts der australischen, von Sydney über Berlin, Detroit, London und wieder Berlin globetrottenden Band Crime & The City Solution um das Ehepaar Simon Bonney und Bronwyn Adams und doch wieder ganz neu. Der Vorgänger „American Twilight“ brauchte gar 23 Jahre, nunmehr waren es ‚nur‘ zehn. Bonney bleibt der große Geschichtenerzähler, Crooner und Performer, wenn auch nicht mehr so verzweifelt und angekränkelt wie früher auf diversen ‚Inselalben‘ wie z.B. mit Crime auf dem ultraverzweifelt-krachigen „Room of Lights“ von 1986 oder solo auf dem grandios-countryesken „Forever“ von 1992. Diese ‚Gesundung‘ ist gut so, denn zu viele auch von Bonneys Weggefährten wie Epic Soundtracks, Chrislo Haas, Bruno Adams u.v.m. sind nicht mehr unter uns. Zuletzt traf es ihren großen Fan und Mentor Mark Lanegan. Kultur wird zu Natur.
Simon Bonney: Von Igeln und Füchsen
Kaput: If you could describe the different versions of Crime & The City Solution with one word, how would you call Sydney, London, Berlin 1, Detroit, Berlin 2?
Simon Bonney: The name of the city is how I remember them and the location I’m in always impacts and colours the music.
What exactly is the connection for you between music and politics, especially in times of crises and “Rivers of Blood” (Songtitel des neuen Albums)?
My interest is always at the local level, project oriented, personal relationships, even if those stories sit within a larger geo-political context. So while the big picture politics of a situation maybe of interest to me on some level, any success I’ve had, has always been at the micro-level, a best outcomes in the available circumstances approach, which I guess makes me a moral relativist or a realist. In lyrics, I’m interested in how people see the world and not if that worldview accords with my own. For me this approach brings a sense of connection. So when I listen to Ronnie Van Zandt’s lyrics I get to see his world through his eyes. It’s not a polemic, it’s not a debate, it’s a resource, an oral history that I can pick-up and sit with.
How is life as a key person between being a musician, songwriter, political activist and journalist?
I’ve been a songwriter and an aid worker in the law and justice sector, but never a political activist and though one of my degrees is in journalism I’ve never practiced (though I did try once, briefly).
As I am working as an academic in Popular Music and Media Studies and read that you compared your PhD thesis to writing/producing/realising an album: In how far? Could you explain that comparison?
Both are construction projects: collect primary and secondary source material, analyse, present.
If you could start a study program called “Crime & The City Solution Studies” what should be taught and what not?
The Hedgehog knows one big thing, the Fox knows many little things. The fox who desires to be a hedgehog will know no peace until they accept that they are a fox.
Concerning your new album “The Killer”: If the album before, “American Twilight”, was something like ‘comfort in apocalyptic times’, is “The Killer” ‘comfort in post-apocalyptic times’?
The post-apocalypse record is yet to come. “American Twilight” is about ebbing, “The Killer” about accepting.
“The Killer” seems to me very focused, more reduced and less bombastic than “American Twilight”: A kind of answer or resilience to all those different ways of uncertainty today?
Treasure the day, appreciate shelter and the food in the fridge.
Personal question: No peace in our times (“Peace in my Time” ist der finale Songtitel des neuen Albums) today?
No, but that doesn’t mean I don’t have deep gratitude for what I have and for the people I’ve travelled with and the rabbit holes I’ve been down.
Auch die Berliner Band Hope hat für mich diesen Gestus des kraftvollen, sehnsüchtigen Suchens. Dieser spannungsgeladenen und gleichzeitig sehr fundamentalen, ruhigen Ungelassenheit. Christine Börsch-Supan erzählt ebenso, setzt gleichermaßen ihre gesamte Aura ein und ist im weiten Sinne auch eine Croonerin. Fast meine ich, die Songs und auch die Cover-Artworks der Alben untereinander legen zu können. Dafür allerdings sind sie dann wieder zu profiliert und konturiert. „Brave Hearted Woman“ (Crime) und „Klavierskizze“ (Hope) würden in meinem Nachtradio aufeinander folgen. Und Trost und auch eine gewisse Art von Zeitlosigkeit und zentnerschwerem Schwebezustand spenden. Danach dann das skelettierte „Shame“ (Hope) und das ausgedehnt-monumentale „The Killer“ (Crime) im umgekehrten Anschluss. So kann es weitergehen auf dem Weg von „Navel“ zur Insel. Natur wird zu Kultur.
Philip Staffa: Weglassen ist schwieriger als Hinzufügen
Kaput: Mich erinnern die Songs des neuen Albums „Navel“ in Stimmung, Reduktion, Nachdenklichkeit und Instrumentierung, vor allem aber in ihrer Mischung aus Fragilität und lawinenhafter Überwältigung sehr stark an die mittlere und auch wieder ganz aktuelle Phase von Crime & The City Solution und die frühen Soloalben von Simon Bonney. Faszinierend. Zufall?
Philip Staffa: Ehrliche Antwort: Vor diesem Interview habe ich noch nie von Crime & The City Solution gehört. Ich höre jetzt auch extra nicht kurz rein, um eine halbgare Antwort zu geben, sondern werde das nach dem Interview in Ruhe tun, und mich damit zu beschäftigten, was du sagst. Ich finde das sehr interessant, welche Querbezüge hergestellt werden können, wenn unsere Musik rezipiert wird – manchmal, nicht immer natürlich, kann ich diese hörenderweise hundertprozentig nachvollziehen – aber von denen wir als Band im Moment des Schreibens oder Spielens gar nichts wissen. Für mich ein Zeichen dafür, dass Musik, Inspiration und Kunst größer sind als wir Individuen – und verschiedene Künstler in verschiedenen Teilen der Welt zu verschiedenen Zeiten in Kommunikation mit diesem Organismus sind, diesen Ideen zuhören und ihre Kunst daraus machen.
Ich habe das Gefühl, dass die Songs von „Navel“, Euer Gesamtzusammenspiel, die Produktion von Olaf Opal sehr (und auch die Musikclips etwa zu „Osmosis“, „Klavierskizze“ und dem Titelsong „Navel“) auf Reduktion, auf auch das Nichtspielen, das Zurückhalten, das Andeuten, das Nicht-Ausleben aus und genau deswegen besonders fulminant sind?
Das war uns total wichtig, diesen Punkt zu treffen – an dem die Intensität voll spürbar ist, aber wir sie eben nicht explodieren lassen, durch die Wand damit rennen, sie ausleben. Es gibt ein Gefühl von Gedeckelt-Sein für mich, das ich z.B. bei „Untied“ und „Fractals“ empfinde. Eine Energie, die stark ist und kontinuierlich ist, aber nach oben ein Limit aufgesetzt bekommt. Dadurch entsteht eine starke innere Spannung in den Kompositionen, ein Raum, der das für mich alles zusammenhält – die Präsenz der Stimme, die Kontinuität in den Drums. Olaf Opal hat das mit uns herausgearbeitet. Wir haben im Lauf der Produktion viel mehr weggelassen als hinzugefügt, und es wurde dadurch stärker. Ähnlich mit Emma Critchleys Videos, die haben für mich auch diese unglaubliche Kraft, weil sie so kompromisslos langsam sind, und etwas ganz Offensichtliches eben nicht ausleben.
Wie kam der Gewalt-Kontakt auf der US-Tour dieses Jahr?
Patrick Wagner haben wir ziemlich direkt kennengelernt, als wir hier in Berlin ankamen, so 2013/2014 rum. Da waren gerade zwei Bands im Entstehen: Gewalt, und Hope. Irgendwie ist die eine sehr stark mit der anderen verbunden, und vielleicht mussten diese beiden Bands gleichzeitig entstehen – sie beleuchten für mich zwar sehr unterschiedliche, aber auch sehr verwandte Pole von Emotion, Dringlichkeit. Patrick hat uns in seiner Patrick-Art richtig aufgeschüttelt am Anfang und uns stark unterstützt, zu uns selbst zu finden. Dann war er ein paar Jahre unser Manager. Wir lieben uns sehr, fürchten uns vielleicht auch ein wenig und gehen bewusst und unbewusst seitdem nebeneinander in diesem Weg.
Wie ergab sich und lief der Depeche Mode-Support? Gibt es seit der Tour diesen Sommer so etwas für euch wie die Depeche Mode-Erfahrung?
Wir haben uns einfach beworben, nachdem wir an einem Plakat für die Berlinshows von DM vorbeigefahren sind, wusste ich dass ich das machen will. Dann wurden wir zu den Konzerten eingeladen. Die Erfahrung kann ich nicht anders als gigantisch beschreiben. Alle Dimensionen sind riesig, und die Menschen bei den Konzerten waren so aufmerksam, offen und euphorisch mit unserer Musik, das hätten wir nicht für möglich gehalten. Am inspirierendsten wahrscheinlich: Martin Gore und Dave Gahan zu erleben, wie sie einfach Musik machen. Ohne Pyrotechnik. Und dass sie das genießen, jeden Abend, immer wieder ein Detail anders machen. Das finde ich wunderschön, und öffnet uns eine Perspektive darauf, dass so etwas möglich ist. Ob in Stadien oder nicht, aber diese Kontinuität und Entwicklung über so viele Jahre, zusammen als Band.
Hoffnung ist nicht das Schlechteste heutzutage…
Hope hat mit einem Foto in Patrick Pulsingers Studio zu tun, und unserer Intuition, dem Verlangen nach einem Namen, der uns einen Rahmen und eine Richtung gibt, eine Maxime ist, etwas um das wir nicht herumkommen, uns nicht drumrum schummeln können. Das uns oft sogar weiterträgt, anschiebt, hochzieht.
Nun also laufen diese beiden energetischen, dunklen und doch absolut zum Weitermachen motivierenden tollen Alben ständig über meine Musikabspielgeräte. Und schleifen sich ruckelnd und doch geschmeidig immer tiefer ein in die für sie wohlwollend vorgeprägten wachen Ohren, entzündeten Gehörgänge und erfahrenen Synapsen. Da haben Crime & The City Solution Jahrzehnte vorgearbeitet. Und in diese Adern stoßen Hope gewaltig weiter vor. Mehr felsenhafter TripHop als dramatische Orchestralität. Auch wenn manch ein vokaler oder geigender Schwurbel bei Crime vielleicht ein ganz klein bisschen zu viel ist und beide Acts eben (noch) nichts voneinander wussten, so klingen alle Songs dieser beiden Alben monolithisch und verwoben. Da liegen Welten zwischen Komfort und Trost. Ruhe bedeutet hier fokussierte Gelassenheit. Nicht Teilnahmslosigkeit. Kein akathisisch-nervöses Füßetrippeln und -zappeln. Sondern ein bedrohlich in sich ruhendes Wippen. Hope sind für mich im positiven Sinn alt und Crime sind dementsprechend jung. Da treffen sie sich, ohne sich zu kennen. In meinem Kopf und Herzen. Wo sich Kriege, Krisen, Sorgen, Sicherheiten und die große Liebe auch treffen. Jörg würde sie sehr gemocht haben. Auf dem Weg ins schillernde Nichts.