SO36 – 1978 bis heute.
Das SO36 in Berlin – hier wurde Geschichte gemacht, und trotz heftigster Krisen und Konflikte ging es am Ende irgendwie immer voran – bis heute: Ein neu aufgelegter Bildband aus dem Ventil Verlag erzählt nun die Geschichte des legendären Ladens aus Berlin-Kreuzberg. Und wagt trotz aller gegenwärtigen Widrigkeiten einen vorsichtig optimistischen Ausblick.
Bereits bevor es richtig begonnen hatte, schien schon alles wieder vorbei zu sein: Nachdem das SO36 kurz nach der Gründung 1978 vom damaligen Konzeptkünstler Martin Kippenberger und zwei weiteren Mitstreitern übernommen wurde, eskalierte der ohnehin schon seit geraumer Zeit schwelende Konflikt zwischen Kunst- und Straßenpunks. Letztere warfen ersteren vor, den Club in eine „Kulturschickeria“ verwandeln zu wollen – ein Vorwurf, der in Punk-Kreisen schnell mal zum Todesurteil mutieren kann. Schließlich wurde das Konzert der legendären Londoner Post-Punk-Band „Wire“ gestürmt und die Konzertkasse geplündert. Der Grund waren angeblich wuchernde Konzertpreise, die damals im Durchschnitt 5-8 Mark betrugen. Kippenberger warf im Anschluss entnervt das Handtuch.
Dies stellte die erste existenzielle Krise des SO36 dar, beileibe aber nicht die letzte. Immer wieder stand das Projekt auf der Kippe. Mal wegen kaum zu erfüllender behördlicher Anordnungen, mal wegen lärmempfindlicher Nachbarn, die den Kiez bei Tag zwar als kunstvolle und aufregende Kulisse schätzten, sich aber nicht mit dessen impulsivem Nachtleben als notwendiger Begleiterscheinung arrangieren wollten. Dass es am Ende doch immer irgendwie weiter ging, war letztlich stets engagierten Menschen zu verdanken, die um die kulturelle Bedeutung dieses Ortes für Punks und Hippies, Aktivist:innen und Hedonist:innen, Homos und Heteros wussten. Man ahnte wohl insgeheim, dass das „Esso“ mitsamt seiner mythologischen Geschichte nicht so reibungslos zu ersetzen sein würde wie, sagen wir, ein x-beliebiger Schreibwarenhandel oder eine durchschnittliche Muckibude.
Der vor kurzem im Mainzer Ventil Verlag wieder aufgelegte Bildband „SO36 – 1978 bis heute“ zeichnet nun die die absonderliche, von vielen Tiefen und noch mehr Höhen geprägte Geschichte des Kreuzberger Clubs nach. Erstmals im Jahr 2016 erschienen, war der Band bereits nach kurzer Zeit vergriffen und wurde auf einschlägigen Plattformen zu teils horrenden Preisen gehandelt. Eine Neuauflage musste also her, und mit der nun vorliegenden Ausgabe wurde zugleich die Chance ergriffen, die seit der Ersterscheinung des Bandes vollzogenen Ereignisse inkl. Lockdown-Schock und Corona-Management mit einem eigenen Kapitel zu würdigen. Neben dutzenden großformatigen Bildern warten die in verschiedene Zeitabschnitte unterteilten Kapitel zudem mit überaus lesenswerten Essays von (ehemaligen) Weggefährt:innen wie Lith Bahlmann, Wolfgang Müller, Robin Jahnke oder Mark Reeder auf.
Und so werden nun alle chronischen Nörgler:innen und Zweifler:innen, alle ewigen Kritiker:innen und Defätist:innen für einen kurzen Moment verstummen müssen. Denn beim besten Willen: Hier gibt es nun ausnahmsweise wirklich gar nichts zu nörgeln und zu beanstanden. Schon irgendwie traurig, oder?
Text: Luca Glenzer