WE BETTER TALK THIS OVER #7: „HUMAN AFTER ALL“ VON DAFT PUNK (2005)

Daft Punk im TechnoLand
WE BETTER TALK THIS OVER #7: „HUMAN AFTER ALL“ VON DAFT PUNK (2005)
von Lennart Brauwers
„WE BETTER TALK THIS OVER” IST DIE KAPUT-KOLUMNE VON LENNART BRAUWERS, IN DER UNTERBEWERTETE, OFT ÜBERSEHENE (ODER GAR VERHASSTE) ALBEN GEFEIERTER BERÜHMTHEITEN BESPROCHEN UND NEU EINGEORDNET WERDEN. SCHLIESSLICH KANN SICH DER BLICK AUF MUSIK VERÄNDERN, JE ÄLTER SIE WIRD. ALSO: EXTREM VIEL GROSSARTIGES FINDET ZU UNRECHT KAUM BEACHTUNG – DARÜBER SOLLTEN WIR NOCHMAL REDEN.
Vermutlich – nein, sicherlich – stehen wir erst am Anfang des Ganzen, können sämtliche Zukunftsumbrüche technischer Art gar nicht vorhersagen und uns dementsprechend nur bedingt Meinungen bilden, aber: Ich kann das Thema KI schon jetzt nicht mehr hören.
Nervt mich. Will dem gar nicht so viel Raum geben.
Selbstverständlich ist das ein wichtiges Thema, die scheinbar unendliche Anzahl an Diskussionen und Artikeln ist durchaus berechtigt, schließlich will man anstehende Veränderungen nicht verschlafen… doch irgendwas in mir sträubt sich dagegen. Muss jedes Gespräch zur Zukunft des Journalismus auf KI-Debatten hinauslaufen? Könnten wir unsere Energie nicht auf akutere Probleme fokussieren? Nur mal laut gedacht, aber sollten wir den KI-Bumms nicht lieber verbieten? Und so weiter. Blödsinnige Gedanken, die man nunmal hat – und die, klar, mit Angst zusammenhängen.
Hab letztens ein dämliches Instagram-Reel aufgetischt bekommen, in dem ein paar Trottel von den Antworten begeistert/schockiert/was-auch-immer sind, die ChatGPT bei der Frage ausgespuckt hat, wie es als Künstliche Intelligenz beim Erobern der Welt vorgehen würde. Die KI würde sich unentbehrlich, uns von ihr abhängig machen, psychologischen Einfluss auf die Menschheit nehmen und letztendlich die Macht an sich reißen. Blablabla.
Ziemlicher Quatsch – oder? –, der mich erschreckend schnell an den Song „Technologic“ (2005) von Daft Punk erinnert hat: „Buy it, use it, break it, fix it, trash it, change it, mail – upgrade it/Charge it, point it, zoom it, press it, snap it, work it, quick – erase it“, befiehlt uns die eindringliche Roboterstimme darin. Es sind pointierte Kommandos, aus denen „Technologic“ besteht; der psychologische Einfluss bösartiger Roboter, von denen wir uns abhängig gemacht haben. In dem dazugehörigen Musikvideo wird diese geradezu faschistische Form von Technik überdeutlich, hier wird ein Baby-ähnlicher Maschinenmensch mit jenen Befehlen zugeballert und kann im Anschluss nicht anders, als sie durchgehend wiederzugeben. Immer und immer wieder. Die absolute Gehirnwäsche.
Wenige Jahre zuvor wollten Daft Punk uns verklickern, der angemessene Einsatz von Technik würde uns „Harder, Better, Faster, Stronger“ machen, doch diese Illusion schien in „Technologic“ – und auf dem gesamten Album „Human After All“ – gestorben zu sein. Wir werden hier nicht besser, schneller oder stärker gemacht, sondern rumkommandiert: Kauf dies! Drück das! Lösch jenes! Es ist der Technik doch völlig egal, ob du sie magst oder nicht, ob dir das gefällt oder du eigentlich was anderes tun wolltest. Mit „Human After All“ wurde das unüberhörbar.
Man fühlt sich an ein anderes Album erinnert, das bereits als Teil dieser Kolumne besprochen wurde: „Everything Now“ von Arcade Fire – eine Platte, an der Thomas Bangalter von Daft Punk sogar als Co-Produzent beteiligt war. Auch darauf geht’s um dystopische Szenarien, die von technischem Konsum geprägt werden, ähnlich wie Daft Punk betrieben Arcade Fire darauf Medienkritik der direktesten Art.
„Television Rules the Nation“ heißt also ein bekannter Song auf „Human After All“, alles darin ist verzerrt und kaputt und leicht schmerzhaft. Passt für mich, denn durchaus schmerzhaft ist auch meine Panik vor der Rolle, die gewisse Technologien in Zukunft einnehmen werden (und bereits eingenommen haben). Es ist diese gruselige Seite von Technik sowie die damit einhergehende Paranoia, die Daft Punk hier beleuchten; Medien nicht als Entertainment, sondern als bedrückende Belastung. Einer der Haupteinflüsse auf „Human After All“ ist der selbe wie bei Arcade Fire und ihren Endzeit-Lyrics: George Orwell, vor allem sein dystopischer Roman „1984“.
Wie bereits angedeutet, bewarben Daft Punk zuvor einen anderen Blickwinkel auf Technologie. Nachdem das Debütalbum „Homework“ (1997) eine großartige Destillation ihres eigentlichen, ultraknackigen und ploppenden French-House-Sounds darstellte, hielt der Nachfolger „Discovery“ (2001) das Versprechen im Albumtitel ein: Mit extrem kleinteiliger Sample-Produktion werden hier sämtliche Klangmöglichkeiten erkundet, jeder Hördurchgang deckt neue Feinheiten auf. Die digitalen Grooves in Highlights wie „Face to Face“ wurden so detailliert zusammengeklebt, dass man beim Hören das Gefühl bekommt, man würde die Limitierungen des Menschseins hinter sich lassen. „Music’s got me feeling so free“, heißt es im Überhit „One More Time“. Mit „Discovery“ haben Daft Punk diese Aussage auf 60 spaßige Minuten ausgedehnt.
Im Zuge dessen wurden Daft Punk zu androiden Superstars und großflächig beliebt. „I was the first guy playing Daft Punk to the rock kids“, sang James Murphy von LCD Soundsystem in seiner knurrigen Durchbruchsnummer „Losing My Edge“ (2002) und veröffentlichte später den Dance-Punk-Banger „Daft Punk Is Playing at My House“ (2005), um zu verdeutlichen, was für ein cooler Musikkenner er doch ist. Soll heißen, dass Daft Punk auch in nerdigen Hipster/Rockrevival-Kreisen populär wurden. Auch ich als Indie-Kid fand Daft Punk immer schon toll – und komm mir oft doof vor, wenn ich selten mal auflege und dann nur eine elektronische Dance-Platte dabei habe: „Discovery“ von Daft Punk. Funktioniert halt für alle.
Die Frage, ob Daft Punk mit „Human After All“ wohl endgültig zu den besagten „rock kids“ gehören wollten und im Zuge dessen selbst ihre „edge“ verloren haben, scheint berechtigt – das wird im Laufe dieses Textes noch deutlich. James Murphy hatte zumindest eine klare Meinung dazu, inwiefern das dritte Daft-Punk-Album einen Fehltritt darstellte: „I don’t know, I think they made [Human After All] too quickly“, erzählte er 2005 im Interview mit Pitchfork.
Die Kritiken zum Album „Human After All“, das in diesem Jahr sein 20. Jubiläum feiert, hätten viel schlechter nicht ausfallen können – auch in meinem Privatumfeld scheint es das eine der vier Daft-Punk-Alben zu sein, das fast niemand wirklich hört. Es würde sich wie ein fauler Kompromiss anfühlen, hört man oft, und dass es der Platte an „joy“ und „wonder“ fehlen würde. Das schrieb Pitchfork in einer vernichtenden 4,9/10-Rezension, die den anderen Reviews nicht unähnlich war: Der Popjournalist Simon Reynolds meinte, dass die glückselige und offenherzige Musik auf dem Vorgänger „Discovery“ durch kaum ernstgemeinten Dance-Rock ausgetauscht wurde, der sich planlos, betäubt und sogar autistisch anfühle. Auch Robert Christgau bezeichnete „Human After All“ als schlechtes Album ohne spannende Details, der Rolling Stone hielt die roboterhaften Tendenzen von „Human After All“ für ungroovy, die britische Zeitung The Guardian nannte die Platte „a joyless collection of average ideas stretched desperately thin“. Fans waren sogar derart enttäuscht, dass sie nach der Veröffentlichung dachten, dass das ein Witz sein und das wirkliche Drittwerk von Daft Punk erst noch kommen würde. Falsch gedacht…
Ja, die rockigen, gemeint sind damit: geradlinigen Ansätze von „Human After All“ sorgen allemal dafür, dass die Platte weniger lebendig als „Discovery“ wirkt. Sie fühlt sich – darauf weist der Titel des schwer erträglichen Songs „The Brainwasher“ hin – wie ein Gebläse an, das dir den Kopf leer fegt; hat was vom synthigen Noise-Electropunk der ikonischen NYC-Band Suicide, übersteigt dessen qualvolle Intensität aber um Längen. Der zweite Song des Albums, „The Prime Time of Your Life“ klingt wiederum gar nicht so wie das, was der Titel andeutet. Wenn sich die beste Zeit deines Lebens so angefühlt hat, dann SORRY. Es fällt schwer, das Ganze überhaupt als Song oder geschweige denn als Tanzmusik zu bezeichnen, trotzdem wurde „The Prime Time of Your Life“ als gottverdammte Single veröffentlicht. Weil Daft Punk ganz genau wussten, was sie mit „Human After All“ machten! Das ist zum Beispiel auch der grundlegende Unterschied zu „Be Here Now“ von Oasis, einem ähnlich auslaugenden Album, das ebenfalls als Teil dieser Kolumne besprochen wurde, aber nicht bewusst, sondern aufgrund äußerer Umstände so geworden ist. (Kokain, dies das.)
„Human After All“ hingegen war ganz und gar kein Unfall; es ist ja nicht so, als hätten Daft Punk die raffinierte Feinproduktion von „Discovery“ plötzlich verlernt. Sie kreierten ihr Drittwerk nicht „too quickly“, wie James Murphy damals meinte, sondern formten „Human After All“ genau so, wie ihre Vision es vorgab: Stumpf, laut, anstrengend. Wer sagt, dass die Musik von Daft Punk immer Spaß machen muss? Es schwirrt die Frage durch den Raum, ob man sich das Ganze mit solchen Aussagen nicht zu leicht macht, doch als erschöpfendes Statement ist „Human After All“ perfekt.
Es existieren verschiedene Typen/Formen von Alben, und „Human After All“ gehört zur sogenannten Reaktion-auf-Erfolg-Kategorie. Das Ziel: Fans und Kritiker abschrecken. (Prominente Beispiele aus der Popgeschichte sind zum Beispiel „In Utero“ von Nirvana, „Kid A“ von Radiohead oder „Yeezus“ von Kanye West). Daft Punk wollten das genaue Gegenteil ihres vorherigen Albums machen. „Maybe our next LP might be very hard – as long as there is the surprise“, erklärte Thomas Bangalter damals und verglich die Platte an anderer Stelle mit einem unbearbeiteten Stein. Während die Produktion von „Discovery“ ganze zwei Jahre dauerte, entstand „Human After All“ in anderthalb Monaten, wovon nur zwei Wochen für die tatsächliche Komposition verwendet wurden. Wobei Komposition eigentlich das falsche Wort ist, denn Daft Punk rockten „Human After All“ einfach runter, ohne die Musik groß zu überdenken. Man fühlt sich an den radikalen Limitierungsdrang von Jack White erinnert, einer anderen Legende der späten 1990er und frühen 2000er Jahre. Den ursprünglichen Gedanken bewahren, indem man sich bewusst Grenzen setzt – das hat was angenehm Puristisches.
Das Ergebnis ist kalt und, nach Angaben von Bangalter: „not something intended to make you feel good“. Selbst der bekannteste Track des Albums, „Robot Rock“, enthält über seine Laufzeit hinweg kaum Veränderungen. Das verwendete Sample aus Breakwaters „Release the Beast“ – es ist das einzige Samples auf „Human After All“, wohingegen „Discovery“ aus unzähligen bestand – wird nur dezent abgewandelt. Die Lyrics auf der gesamten Platte bestehen fast nur aus den jeweiligen Songtiteln. Diese Musik ist minimalistisch und vor allem unglamourös. Würde man einem Urmenschen das nötige Equipment geben, könnte er schnell etwas Ähnliches produzieren. Manche nennen das faul oder autistisch, andere nennen das Punkrock. Und bei Punk ging’s teilweise ja um das Gleiche wie bei „Human After All“, um ein bewusstes Runterbrechen zur Erforschung der „essence of rock“, wie Thomas Bangalter das gesamte Unterfangen beschrieb. Rock, nicht House oder Disco.
Es scheint, als hätten Daft Punk die lineare Musik auf „Human After All“ aus ihrem System kriegen müssen, um danach weitergehen zu können. Durch ihr radikales Versimpeln machten sie den Weg für weitere Projekte frei. Zuerst musste der Kern des Daft-Punk-Sounds einmal auf den Punkt gebracht werden. Die Arbeiten am glattpolierten Nachfolger „Random Access Memories“ (2013) dauerten wieder länger, ganze fünf Jahre. Im Gesamtkontext ihrer Diskographie lässt sich dieses ausgetüftelte Album als Rettung aus der Dystopie beschreiben. „Discovery“ zeigte die Möglichkeiten von Technologie auf, die letztendlich im beängstigenden Rauschen von „Human After All“ mündeten. Der Weg daraus? Ein Album wie „Random Access Memories“, das in erster Linie nostalgisch ist und sich nicht auf Digitales bezieht, sondern auf Live-Instrumentierung – beigesteuert von echten Menschen, die auch danach klingen.
In „Daft Punk’s Electroma“, einem kurz nach „Human After All“ veröffentlichten Avantgarde-Film (ohne jegliche Daft-Punk-Musik), geht es anders als in „Interstella 5555“ – dem zu „Discovery“ gehörenden Animefilm – nicht um die erlösende Power herausragender Musik, sondern um zwei stumme Roboter, die menschlich werden wollen. „We expected it to be less popular than ‚Discovery‘, of course. The film is experimental and inaccessible; however, it’s a movie that does not require your brain to function“. Genauso funktioniert auch „Human After All“ als Album: Es geht um die anstrengende Suche nach einer Ursprünglichkeit, die rein körperlich funktioniert; damit durch diese Verdummung eine Form von Menschlichkeit erreicht werden kann. Nicht durch Komplexität, wie auf „Random Access Memories“, sondern durch Einfachheit.
„We’re human, after all“, heißt es also im Opener – was paradox ist, weil der Satz mit der digitalsten Roboterstimme vorgetragen wird, die du je gehört hast. Der Closer „Emotion“ funktioniert ähnlich: Der Songtitel wird wiederholt, immer und immer wieder, über die selbe, wunderschöne Akkordfolge; und es klingt, als würden zwei Roboter sich am Ende eines betäubten Albums einreden wollen, dass sie Gefühle verspüren können. Das ist herzerwärmend, bis es das nicht mehr ist. Plötzlich wird’s bedrohlich. Warum? Weil es sich echt anfühlt.
Natürlich ist jede Technik auch menschengemacht und so weiter, Thomas Bangalter nennt das „the dance between humanity and technology“. Spannend wird’s beim Verhältnis zwischen Albumtitel und Klangästhetik von „Human After All“. Denn um Menschlichkeit zu beweisen, haben Daft Punk ein Album gemacht, das unterkomplex, geradezu stumpf daherkommt. Im Sinne von, dumm und hart und zynisch und freudlos, so sind wir Menschen halt. Wohlgeformte Feinheit à la „Discovery“ hingegen? Unmenschlich. Es ist ein tieftragisches Dilemma, das „Human After All“ aufzeigt: Technologie wird uns zerstören – Menschsein auch.








