“Der Mainstream interessiert uns nicht”
Vom 4. bis 7. März findet das Papiripar 2021 – Festival+Radio statt. Nika Son, Florian Bräunlich und Felix Kubin waren so freundlich uns ein paar Fragen zu beantworten.
Felix Kubin, Nika Son, Florian Bräunlich, Euer Festival + Radio trägt den schönen Untertitel „Pop, Kunst, Rotation“, die beiden ersten Begriffe erwartet man so, das Rotation aber lässt sofort aufhören. Welche kulturelle Rotation hat Euch denn jeweils in der eigenen künstlerischen Sozialisation geprägt?
Felix Kubin: Ich wurde sehr geprägt durch den ROTOR auf dem Hamburger Dom. Das war ein großer rotierender Zylinder mit einer Gummi-Innenwand. Man konnte diesen Zylinder betreten, und wenn er sich langsam in Bewegung setzte, blieb man durch die Zentrifugalkräfte an der Gummiwand kleben, während der Boden unter den Füßen wegsackte. Das war eine erste Erfahrung von Schwerelosigkeit, die mich ja schon immer fasziniert hat.
Nika Son: Im Zusammenhang mit unserem Festival ist die Rotation aber auch eine Art Mixer, der verschiedene, voneinander getrennte kulturelle Szenen und Disziplinen durcheinander wirbelt und zerschneidet, vor allem Kunst, Musik und Performance.
Ähnlich ansprechend verhält es sich mit dem rumpelnde Poltergeist, der mit Euch rumspukt. Handelt es sich dabei denn um ein weiteres member of the PAPIRIPAR team oder hat man sich den Poltergeist als Melange-Wesen aus Euch vorzustellen?
Florian Bräunlich: Ich nehme an, der Poltergeist ist dieser unstete Zeit- und Alltags-Geist, der uns ständig mit neuen bescheuerten Überraschungen nervt. Und was tut man dann? Zurücknerven.
Felix: Dafür haben wir eine Melange von guten Nervensägen eingeladen, man braucht bloß mal in die Tracks unten reinzuhören, der Mainstream interessiert uns nicht, auch wenn er sich schon überall in die sich immer noch independent nennende Festivalszene eingeschlichen hat. Früher war es noch ein Grund, Freundschaften zu kündigen, wenn jemand Mainstream hört oder produziert, jetzt wird gerne gekuschelt, der große Ozean der Gefühle macht sich breit, und in dem wird der gute Geschmack und die noble Strenge versenkt.
Nika: Musiker wie Beau Wanzer oder die in New York lebende deutsche Künstlerin No Bra haben eine gewisse Verweigerungsästhetik, sperrig und roh, dabei trotzdem Pop, nach solch einer „Rotation“ suchen wir bei Papiripar. Sehr schade, dass sie nicht anreisen können.
Die Frage nach den persönlichen Highlights kommt meistens nichts so produktiv bei den Teams hinter einem Festival an. Deswegen lasst es mich so formulieren: Welche Axiome habt ihr Euch denn selbst für die Auswahl der Künstler:innen gesetzt?
Felix: Ich glaube, in diesem Jahr interessieren mich persönlich vor allem ungewöhnliche Formate, und da kann ich sofort ein Highlight nennen: unser „Forum für Entladung“, den sogenannten „Polter-Abend“, bei dem Leute im Radio anrufen und über das Telefon einen Gegenstand zerstören. Zeitgleich lassen wir in einer ehemaligen KfZ-Werkstatt im Gröninger Hof ebenfalls Gegenstände zertrümmern, live übers Radio kommentiert wie ein Pferderennen, das kann man sich dann von außen durchs Fenster anschauen. Geplant ist dieses Spektakel für Freitag, den 5.3. um 19 Uhr, und wir würden uns freuen, wenn es jetzt viele lesen und mitmachen! Haut Eure Buden in Stücke!
Nika: Eine weitere aus der Not geborene Besonderheit dieses Jahr ist die speziell zum Festival kompilierte und streng limitierte Schallplatte LA NOKTA FINO. Darauf versammeln sich zehn exklusive, insomnische Stücke von Aksak Maboul, EVOL, Meadow House, Beau Wanzer, No Bra, LAPS, Mentos Gulgendo, dieb13, Itty Michesta & Istari Lasterfahrer und Papierindustrie, also von allen Künstler*innen, die wir ursprünglich für unser Festival eingeladen hatten, live in Hamburg zu spielen. Diese Platte gibt es in Form eines Support-Tickets zu kaufen. Mehr Infos dazu findet man ganz bald auf unserer Webseite. Oder am besten gleich vormerken lassen unter info@papiripar.com
Habt ihr denn schon mal vorab zu allenKünstler:innen einen Lieblingstrack?
No Bra
Dieb13
Beau Wanzer
EVOL
Aksak Maboul
Daniel Wilson / Meadow House
https://miraculousagitations.com
LAPS
Itty Minchesta & Istari Lasterfahrer
http://atombusentransporte.de/ /
https://digital.sozialistischer-plattenbau.org/track/walls-cave-in
Mentos Gulgendo
Stichwort: Covid-19 & PAPIRIPAR – nur eine Beziehung, die nervt oder haben sich auch kreative Wege dadurch ergeben, die ihr sonst vielleicht nicht eingeschlagen hättet?
Felix: Mit Covid-19 gehe ich keine Beziehung ein, die ist bei mir auf Spam. Es wird ja zur Zeit viel von „kreativen Lösungen“ gesprochen, ich halte das größtenteils für Unsinn. Freiberufliche Künstlerinnen und Künstler müssen sowieso ständig flexibel sein, irgendwann reicht es mal mit der Flexibilität, nämlich wenn man quasi Berufsverbot erteilt bekommt. Wir haben schon früh beschlossen, dass wir einen Radiosender an unser Festival ankoppeln, weil wir dadurch im Lockdown mehr Leute erreichen können.
Florian: Wir haben das Radio von Anfang an als eine Funkstation verstanden, und jetzt wird es natürlich notgedrungen zum Mittelpunkt des Festivals. Ein klassisches „Wir-filmen-die-Bühne-ab“ war für uns von Anfang an uninteressant.
Nika: Auf jeden Fall mussten sich unsere Synapsen im Gehirn umstellen und diese Um- und Irrwege haben uns auf Ideen gebracht, die sich höchstwahrscheinlich nicht ergeben hätten, wäre diese Pandemie nicht dazwischengekommen. Jedoch finde ich es auch sehr schwierig, von einer „Beziehung“ zu sprechen, da der dadurch entstandene vielfache Arbeitsaufwand auf keine Kuhhaut passt und uns trotz aller ungewöhnlicher Ideen ein Festival mit vielen quasselnden, tanzenden, schwankend schwitzenden Menschen sehr sehr fehlen wird.
In Eurem Newsletter gebt ihr als Austragungsort nicht nur Eure Onlineseite www.papiripar.com an, sondern auch das Westwerk und weitere Splitterorte in Hamburg. Könnt ihr ein bisschen mehr verraten, was ihr da vorhabt?
Nika: Das Westwerk war schon bei den vorherigen und virenbefreiten Ausgaben von Papiripar der Mittelpunkt des Festivals. Dieses Mal fungiert der dortige Konzert- und Barraum als unsere Haupt-Radio-Funkzentrale, ebenso die Ausstellung von ALKU wird dort zu sehen sein. Dann gibt es das schon erwähnte Destruktions-Projekt „Polter-Abend – Forum für Entladung“ im Gröninger Hof. Außerdem wird es einen Soundwalk geben, bei dem eine kleine Anzahl an Testsignalläufern, angeführt von dem Künstler und Fährtenführer Günter Reznicek, durch Hamburgs industrielle Wildnis stromert. Diese akustische Landschaftserkundung wird live ins Radio übertragen.
Felix: Ein weiteres Experiment ist das Hofkonzert des polnischen Schwebegeister-Duos „Mentos Gulgendo“, bei dem das Bühnenkonzept erweitert wird. Die beiden werden im Ausstellungsraum des Künstlerhauses Wendenstraße eine Installation aus sechs Orgeln errichten und live ein Konzert spielen, das via Video in den Innenhof projiziert wird. Das können alle Atelierbewohner aus ihren Fenstern heraus verfolgen, der Sound wird via Internetradio ins Zimmer übertragen. Selbst im härtesten Lockdown ist diese Art der Aufführung machbar. Sie steht in der Tradition der singenden Barden im Mittelalter.
Könnt ihr schon ein bisschen mehr über die Ausstellung mit dem tollen Titel “Something will happen“ verraten, für die sich ALKU (Barcelona), ANNA IRINA RUSSELL, ROC JIMÉNEZ DE CISNEROS, ALBERT TARRATS (Barcelona) und RENI HOFMÜLLER (Graz) mit dem Thema „Falten“ beschäftigt haben?
Felix: Wie das gesamte Festival, ist die Organisation dieser Ausstellung ein logistisches Planspiel, als Politiker würde man sagen: „eine Herausforderung“. Wir müssen uns die Kunst schon vorab schicken lassen, weil nur wenig Zeit zum Aufbau ist. Aber das Duo ALKU (Roc Jimenez und Anna Ramos) hat sich sehr schöne Konzepte überlegt, zum einen wird durch eine Licht-Laser-Spiegel-Installation von Anna Irina Russell gewissermaßen der Raum in sich gefaltet und verschachtelt, zum anderen schickt die Radiokünstlerin Reni Hofmüller eine in Stoff gewebte Falt-Antenne, mit der man Äthersignale empfangen kann.
Florian: Albert Tarrats hat ein faltbares Circuit-Bending-Instrument gebaut, das er vervielfältigen und dem Publikum zur Verfügung stellen möchte. Die Ausstellung kann man auch von außen durch ein Glasfenster betrachten, da wird sie nachts vermutlich wie ein wildgewordenes High-Tech-Schaufenster wirken.
Was die interaktiven Formate angeht (Polter-Abend, „Zerstören Sie ihren Lieblings-Hassgegenstand vor laufendem Mikro!“; Soundwalks, „Vertonen Sie dieses Brückengeländer!“), so kann man sich diese auch gut als singuläre Momente vorstellen abseits von gelebter Sozialität. Die Formulierung spricht dabei nur von Sound und nicht von Bildern – sind diese explizit ausgespart?, also als Reaktion auf die Entwicklung des letzten Jahres, das alles plötzlich so digital-filmisch hat werden lassen, dass man das Gefühl hat: Sound allein ist keine Option mehr.
Felix: Die Bilder sind für uns ans Leben gebunden, also vor allem an das Live-Erleben. Wenn das wie im Moment nicht möglich ist, müssen wir sie auslöschen. Wir können nicht eine Bühne zeigen, auf der eine Band spielt ohne Publikum und so tun, als ob das normal sei, das ist lächerlich, wir sind ja dann „Fernseh-Zuschauer“, die ihre Position nicht mehr verändern können im Raum, wir erleben oder erleiden nicht die entsprechende Lautstärke, den Geruch der anderen, den Zusammenbruch. Es wird ein paar ganz wenige Bilder (Filme) bei Papiripar geben, das sind speziell ausgesuchte Kunstfilme, die zum Teil live vertont werden. Das passt dann auch zum Fernsehformat.
Nika: Wir wollen Mentos Gulgendo in ihrem selbst gebauten Orgelstudio und in der Kirche zeigen, in der sie wohnen, sie schweben dort durch ihre eigene Welt, haben auch eine eigene Fantasiesprache entwickelt – sie leben also eh ohne Publikum. Ansonsten betonen wir den Sound, im Radio muss man sich die Bilder vorstellen, das ist befriedigender, zumal wir ungewöhnliche Formate haben.
Florian: Jan Holtmann, der Erfinder des KunstHasserStammTischs, will eine einstündige Sendung machen, in der ausschließlich mit Papier musiziert wird. Das wird sicherlich nicht sehr melodiös. Es hat etwas von einer Bastel-Sendung, „Zugeschaut-Mitgebaut“.
Das von Sarah Washington und Knut Aufermann verantwortete Radio ist als zweite Achse von PAPIRIPAR auch ein reiner Klangort. Versteht ihr es denn als unabhängige künstlerisches Feld neben dem Festival, wäre es also auch ohne Festival denkbar, oder ist es elementär an dieses gekoppelt? Und wie wichtig sind dabei die beiden eingeladenen Protagonisten?
Felix: Sarah und Knut sind absolute Profis im experimentellen Radio, für uns ein Riesen-Glücksfall, dass sie unser Radio an die Leine genommen haben. Sie haben uns gleich mit Resonance Extra (London) und π-Node (Paris, Mulhouse) verlinkt, dadurch haben wir jetzt ein internationales Publikum. Sie können sehr gut improvisieren und sich Katastrophen zunutze machen, haben viel Erfahrung mit Live-Konzerten, die über Internet verschaltet werden, die Musikerinnen und Künstler, die an ihren Sessions teilnehmen, müssen wegen der Latenzzeiten in der Übertragung immer 10 Sekunden im Voraus denken, spontane Telepathie könnte man das nennen, sie nennen es CWCH (ein walisisches Wort, spricht sich KUCH aus).
Es sind ja auch jede Menge Radiokonzerte geplant. Anders als bei den klassischen Radiokonzerten großer Sender handelt es sich dabei nicht um Orchester-Mania, sondern wohl gerade konträr um intimere, experimentelle Settings. So meine These jedenfalls. Als Frage formuliert: Worin liegt für Euch der besondere Reiz von Radiokonzerten?
Florian: Radiokonzerte sind eigentlich ein schwacher Ersatz für Live-Konzerte. Der einzige Reiz liegt darin, dass man nicht sieht, was passiert. Bei einem Orchesterstück wäre das so lange uninteressant, bis zum Beispiel ein Telefon klingelt oder plötzlich alle loslachen an einer unpassenden Stelle.
Nika: Ab diesem Moment muss man sich etwas vorstellen, und mit dieser Unsicherheit wollen wir an einigen Stellen spielen, zum Beispiel beim Soundwalk, der durch unterschiedlich klingende urbane Räume führen und einige experimentierfreudige Elemente beinhalten wird. Am Ende ist der Soundwalk auch ein Radiokonzert. Und „live“ bedeutet immer, das etwas schief gehen kann, das macht für mich auch den Reiz aus. Ob mit Bild oder ohne.
Und noch eine geradezu weltbildliche Frage: Ihr ruft maskiert auf zu: “Mehr Kunst in die Musik, mehr Musik in die Kunst!“
Habt ihr denn das Gefühl, dass es da jeweils wirklich ein Defizit gibt?
Felix: Ja. Es gibt nur ganz selten Ausstellungen, in denen Musik eine wichtige Rolle spielt und nicht nur Dekoration ist, das gleiche gilt für Musikfestivals, in denen die Kunst oft eher aus Design oder unangenehmen Visuals besteht, manchmal auch etwas traurig herumstehender Maschinenkunst in einem zugigen Nebenraum. In der Musik gibt es eine echte gewachsene Independent-Szene, in der Bands auch finanziell überleben können, in der Kunstszene ist alles noch sehr autoritär und hierarchisch geregelt, natürlich gibt es Off-Galerien, aber von denen kann fast niemand leben, „Independent-Künstler“ werden kaum ernst genommen. Obwohl es sicher eine steigende Tendenz gibt, sich in Kollektiven zu organisieren. Umgekehrt habe ich bei Musikern oft das Gefühl, sie möchten unbedingt dem Publikum gefallen. Die Verweigerungshaltung oder sagen wir: das Einstehen für eine unpopuläre Ästhetik und konzeptuelles Denken sind stärker in der Kunst ausgeprägt. Davon würden wir uns mehr in der Musik wünschen.
PAPIRIPAR
Festival + Radio für Pop, Kunst, Rotation
4. bis 7. März 2021
Hamburg, Welt + All
Das Festivalprogramm ist in diesem Jahr kostenlos! Um das Festival zu unterstützen gibt es zwei Support-Tickets:
Support-Ticket I: 10 €
Support-Ticket II: 30 € (inkl. limitierter Schallplatte LA NOKTA FINO) – die Schallplatte versammelt zehn insomnische Stücke des Festivals 2021