Nika Breithaupt – Interview

Nika Son: “Um es jetzt ganz platt zu sagen…die Apokalypse beginnt und ich bewerbe mein Album – das war ein unangenehmes Gefühl”

Nika Breithaupt (Photo: Pelle Buys)


Nika Breithaupt aka Nika Son aka Nikae gehört zu den umtriebigsten und feinfühligsten Künstler_innen Hamburgs. Ihre vielseitigen und vielschichtigen Arbeiten sind geprägt von der Fähigkeit, die Dinge lange wirken zu lassen und sehr gut zuzuhören und hinzuschauen, bevor sie sich anmaßt, sie als künstlerisch verarbeitet zu fühlen und in die eigenen Werke einzubringen.

Ganz aktuell hat Nika “To Eeyore” veröffentlicht, eine ganz spezielle Kartographie von Momenten und Gefühlen.  Thomas Venker und sie haben ein paar Gedanken und Fragen aus diesem Anlass per Email ausgetauscht. Die Photos zum Beitrag entstammen alle dem Archiv von Nika Breithaupt und sind größtenteils von ihr gemacht worden. 

Nika, was hat es mit dem Chris Marker Zitat „Cat listening to music“ auf sich, das sich auf deiner Website findet? Bist du die Katze?
Allon (Kaye) von Entr’acte hatte mich gebeten, ein paar Worte über das Album zu schreiben. Über die eigene Musik zu schreiben fällt mir überhaupt nicht leicht und ich überlasse das gerne anderen. Daher hab ich nach einem Zitat gesucht. Ich hatte mir vor kurzem wieder “Sans Soleil” von Chris Marker angesehen, bin schon lange großer Fan. Sein Umgang mit Musik, Geräusch und Sprache neben seinen Bilderessays ist sehr besonders und für mich eine große Inspiration. Was mich mit ihm auch verbindet ist seine Liebe zu Katzen, es gibt einen Kurzfilm von ihm der heißt: „Chat écoutant la musique“ (Cat listening to music)“ von 1988, dort liegt eine Katze schlafend auf einem Yamaha DX7 Keyboard und man hört eine einfache Piano-Melodie. So schlicht dieser Film auch ist, ich finde ihn wunderschön und auch bezeichnend für Marker‘s Art und Weise zu „dokumentieren“.
Auf jeden Fall ist mein Album nicht nur dem depressiven, misanthropischen Esel Eeyore sondern auch meinem verstorbenen Kater Pnin gewidmet, daher passte dieses Zitat gut. Das verrückteste nun: Jetzt im Nachhinein fand ich heraus, dass Chris Marker diesen Kurzfilm tatsächlich als „Entr‘acte“ bezeichnete, da er damals Teil einer Trilogie namens Bestiaire war. Solche „Zufälle“ sind zu schön um wahr zu sein.

Still aus “Sans Soleil” von Chris Marker

Ich frage das, weil du dich auf eben jener Webseite nicht nur als Musikerin, Künstlerin, Sounddesignerin für Film und DJ bezeichnest, sondern auch als Eule. Du bist also eine Formwandlerin und kannst multiple Tierformen einnehmen? Und die Eule weil du bevorzugt nachts künstlerisch arbeitest?
Ziemlich lustig wie jetzt dieses Zitat von Marker für mich noch mehr Sinn macht. Der zweite Teil seines Video-Tryptichons heißt: “An owl is an owl is an owl…” Er sprach von Eulen auch als „Katze mit Flügeln“.
Ja, Eulen mag ich auch sehr und wenn ich ein Tier wäre, wäre ich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eine Eule. Ich war schon als Kind ein Nachtmensch. Oft musste ich mich quälend in die Schule schleppen, weil ich wieder bis tief in die Nacht gelesen hatte aber auch immer wieder aufwachte und der knarzenden Holztreppe zuhörte. Die Schlafstörungen sind leider bis heute geblieben, aber eben auch die Vorliebe für die Nachtstunden. Meine kreativste Phase ist meist zwischen 22 und 4 Uhr, manchmal auch bis 8 Uhr morgens, wobei ich dann schon in einen seltsamen Zustand gelange, der fast süchtig macht aber nicht unbedingt gesund ist. Vor allem für jemanden wie mich, die nicht gut schläft. Das Thema Schlaf und Schlaflosigkeit beschäftigt mich schon so lange, das wird sich wahrscheinlich auch nicht mehr ändern. Ich kämpfe da auch immer wieder sehr mit mir, weil unser gesellschaftliches Leben auf einen klaren Tag-Nacht-Rhythmus gepolt ist und meine Nachtvorliebe sich mit vielerlei Aktivitäten am Tage nicht vereinen lässt. Eine richtige Eule lässt das natürlich kalt. Soweit bin ich anscheinend noch nicht.

Pnin liest Pnin

Wo wir uns schon in der Tierwelt bewegen. Auf deinem neuen Album „To Eeyore“ findet sich auch „Esel und Gespenst“, eine Art naturalistisches Kammermusikstück, bei dem man zugleich das Gefühl bekommt in einem geschlossen Raum zu sein als auch in einer seltsam kalten Außenwelt. Die nicht wirklich verständliche und metallisch verfremdete Stimme tut ihr übriges. Was hat es mit dem Esel und dem Gespenst auf sich?
Ja du hast recht, jetzt wo du es erwähnst… es kommen tatsächlich so einige Tiere vor. Liegt wahrscheinlich an meiner Beziehung zu Tieren, fühle mich ihnen oftmals mehr verbunden als zu Menschen.
„Esel und Gespenst“ als Titel kam erst nachdem ich mit dem Stück fertig war. Zu der Zeit hatte ich des öfteren Gespräche über Esel im Film und über Gespenster mit dem Filmkritiker und Freund Olaf Möller, mit ihm teile ich die Meinung dass diese beiden Wesen (und deren Wesen) unbedingt mehr Aufmerksamkeit erhalten sollten. Hinzukommt meine große Liebe für Worte. Esel und Gespenst sind zwei wunderschöne Worte wie ich finde. Sobald ein Titel steht, kann ich ihn auch in der Musik hören, ob er nun davor oder danach gefunden wird. Das erstaunt mich immer wieder selbst.

 

Und vielleicht kannst du von dem Stück kommend ein paar Worte zu deiner Arbeitsweise für das Album verlieren? Wie ist „To Eeyore“ entstanden?
Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, weil die Stücke in sehr unterschiedlichen Phasen entstanden sind. Es ist kein Konzeptalbum das in einem Rutsch passierte. Ein paar der Stücke Beziehungsweise die ursprünglichen Versionen sind schon über zwei Jahre alt, an diesen habe ich nachträglich auch meist nochmal gearbeitet. Einige der Stücke sind in einer Session entstanden und ich musste kaum arrangieren aber bei anderen wie zum Beispiel “Esel und Gespenst” hab ich viel an der Komposition gebastelt, mehrere Sequenzen immer wieder eingespielt, gekürzt, verändert, einzelne Sounds und Schichten hinzugefügt. Die Stimmen zum Beispiel baue ich oftmals im Vorfeld als einzelne Fragmente zusammen bevor ich sie dann in die Stücke einflechte. Es ist ein etwas aufwendigeres Verfahren in dem ich Computerstimmen mit unterschiedlichen Akzenten mehrmals in unterschiedliche Sprachen vor und zurück übersetzte Texte sprechen lasse. Dabei entsteht eine ganz eigene seltsame Fantasiesprache. Bei diesen Stücken sehe ich mich auch mehr wie eine Soundalchemistin die verschiedene Elemente zusammenrührt bis die richtige Farbe entsteht. Oder bis es genug brodelt und qualmt. Das macht mir meist genauso viel Spaß, jedoch wird es anstrengend wenn ich zu lange an einem Track sitze. Da kommt mir dann mein Perfektionismus in die Quere und geht mir selbst auf die Nerven.

Zum Stück „Fake News“ gibt es einen sehr schönen Videoclip von Helena Wittmann, der sich – analog zur Musik – sehr langsam hochschwingt. Zunächst schwirrt alles noch scheinbar auf der Stelle, doch dann breiten sich Narrative und Klänge aus. Was hat dich zu diesem Stück inspiriert?
“Fake News” ist ein Stück, das sich über eine längere Zeit durchs live spielen entwickelt hat. Es gab eine frühere Version, die sich dann aber nochmals stark verändert hat. Ich arbeite wenig mit meiner eigenen Stimme, aber bei diesem Stück setze ich sie bewusst ein. Genauso wie bei den Computerstimmen interessiert mich das Experimentieren mit existenter Sprache, mit Worten die durch Manipulation zu einer Fantasiesprache, zu einem unkontrollierten Instrument werden. Aus welcher Quelle der ursprüngliche Text stammt, ob selbst geschrieben, collagiert, gefunden oder gesucht…das weiß nur ich. Encrypted sozusagen.

Nika Son (Photo: Helena Wittmann)

Wer ist Helena Wittmann? Wie kam es zur Zusammenarbeit?
Helena Wittmann ist eine Filmemacherin, Künstlerin und langjährige Freundin. Wir kennen uns aus der Studienzeit und teilen seit über zehn Jahre schon ein Atelier beziehungsweise eine Ateliergemeinschaft. Acht Jahre davon waren wir in einem Raum zusammen, in dieser Zeit begann auch unsere enge
Zusammenarbeit und hält bis heute an.
Mit der Vertonung ihrer Filme fing im Grunde auch meine Arbeit als Sound-Designerin und Filmkomponistin an. Wir beide teilen ein sehr ähnliches Verständnis von der besonderen Beziehung zwischen Bild und Ton. Mehrere Kurzfilme, ihr Debut Langfilm “DRIFT” sowie gemeinsame Video-Sound-Installationen sind über die Jahre entstanden.

C, mit F#X (Photo: Phil Struck)

Nika, wieso hast du den Clip nicht selbst produziert, du bist ja wie angesprochen nicht nur Musikerin, sondern auch Bildende Künstlerin und hast in der Vergangenheit diverse Videoarbeiten wie „No You“, „Song For Tristesse“ und „Eule sein“ (da ist sie wieder, die Eule!) produziert.
Darüber habe ich mir ehrlichgesagt nicht wirklich Gedanken gemacht, da ich von Anfang an den Wunsch hatte dass jemand anderes ein Video zum Stück macht. Und Helena war da die erste Person auf meiner Wunschliste. Finde es viel spannender, wenn jemand dessen künstlerische Arbeit man schätzt die eigene Musik in eine Bildsprache übersetzt. Darüberhinaus hab ich schon länger keine visuelle Kunst mehr gemacht, das vermisse auch und ist eigentlich kein Argument dafür ein Video nicht selbst zu produzieren, aber momentan arbeite ich doch am liebsten musikalisch.

Wo wir gerade schon von deinen anderen künstlerischen Feldern sprechen, wie positionierst du diese zusammen? Gibt es so eine Art Jahresplan immer, den du für dich aufstellst im Sinne von, „die erste Jahreshälfte gehe ich musikalische Projekte an, danach eine Ausstellung, dann eine Videoarbeit…“?
Nein, überhaupt nicht, meine künstlerische Arbeit kann ich schlecht planen. Das Planen weit im Voraus liegt mir nicht besonders. Ich arbeite von Projekt zu Projekt und dazwischen mache ich Musik. Das klingt jetzt so einfach, das ist es leider oftmals überhaupt nicht. Ich tendiere dazu zu viele Dinge gleichzeitig zu machen oder machen zu wollen und bin dann unzufrieden dass das eine oder andere wieder zu kurz kommt. Ich bin kein besonders gut strukturierter Mensch, eigentlich überhaupt nicht, darunter leide ich auch oft. Zumal ich bei einigen Projekten gezwungen werde weit im Voraus zu planen. Ich bin ein chaotischer Mensch aber Perfektionistin. Sehr anstrengend bei Zeiten!

Memory 346

Beim Hören von „To Eeyore“ kam es mir so vor, als ob die Anordnung der Stücke noch von einer Vinyl-Dramaturgie her kommt, dass also die ersten vier Stücke „pnin a chartres“, „Fake News“, „Rhubarb“ und „Matsutake“, sich näher stehen in ihrem zwischen Field Recordings und Abstraker Improvisation wandelnden Gestus und ebenso „Esel und Gespenst“, „Indefinite cupboard“, „Insektenmagnetband“ und „Sonntag“, die für mich durch eine flirrende Bewegungssehnsucht zusammen gehalten werden. Ist dem so?
Das ist interessant wie du das siehst. Da das Album wie schon erwähnt nicht aus einem Fluss entstanden ist, war die Anordnung eine kleine Herausforderung. Ich hab mir da schon Gedanken gemacht, aber am Ende war das eine totale Gefühlsentscheidung. Ein paar mal hin und hergeschoben und plötzlich hat es irgendwie für mich gepasst. Da gibt es jetzt keine tiefgründigen
Gründe, warum das eine am Anfang und das andere am Ende steht.

Genesis, Zeichnung von Alex Solman

Nika, das Timing für dein Album „To Eeyore“ könnte nicht ungünstiger sein. Der offizielle Releasedate war der 20. März. Einziger, minimaler Lichtblick: Bandcamp hat an dem Tag auf seine Marge an Verkäufen verzichtet und alle Einnahmen bei den Künstler_innen und Labels ankommen lassen.
Ich frag mal ganz konkret: hast du das bemerkt, dass da verhältnismäßig viel von den Leuten eingekauft wurde?
Die Aktion von Bandcamp war ein kleines Geschenk, das stimmt, als hätte ich es als genialen Promo-Schachzug im Vorfeld geplant. Ein Glück im Unglück sozusagen. Ich hatte definitiv das Gefühl dass viele Leute besonders gerne an diesem Tag Musik kauften, weil sie wussten dass alles bei den Künstlern ankommt und in der jetzt so schwierigen Zeit damit ihre Unterstützung zeigen
wollten. Ich hab mich vor allem auch über die vielen schönen Rückmeldungen von Leuten auf meine Mail gefreut. Jedoch hatte ich den ganzen Tag Kopfschmerzen und bin zunächst mal in ein digitales Shut-down, da ich mit der ganzen Situation nicht wirklich klar kam. Um es jetzt ganz platt zu sagen…die Apokalypse beginnt und ich bewerbe mein Album – as war ein unangenehmes Gefühl, vor allem mit Blick auf Lesbos in Griechenland und Italien. Wenn es darum geht die eigene Sache zu promoten krieg ich sowieso schon Bauchkrämpfe, in dem Moment war es noch schwieriger…das nenne ich mal Erste Welt Probleme.

Der Golden Pudel Club, wo du Resident DJ bist und wo du im vergangenen Jahr das „Eruption“-Festival im Geiste von Conrad Schnitzler veranstaltet hast, ist für dich auch künstlerisch ein wichtiger sozialer Knotenpunkt. In wie weit besteht denn da aktuell ein besonderes Krisennetzwerk?
Es gibt in Hamburg zum Glück eine sehr gute Clubvernetzung und eine große Solidarität unter den Veranstaltungsorten. Es wurden viele unterschiedliche Initiativen gestartet, um sich gegenseitig zu unterstützen, allen voran eine große Spendenaktion der Hamburger Clubstiftung und dem Clubkombinat. Aber ich stecke da selbst nicht drin, momentan weiß ich nicht mehr als in den
Medien berichtet wird. Darüberhinaus gibt es ja nun überall Ideen wie man die Kulturorte aus der Not heraus virtuell “öffnen” kann, auch im Pudel wird das besprochen, aber ob wie was wo ist noch unklar. Dj-Sets als Videostream wird es aber auf jeden Fall nicht geben.

Ozean

Überhaupt Hamburg. Ich lebe ja in Köln, einer Stadt, die bei allem dagegen halten doch durch die Berlinabzüge vieler lokaler Protagonist_innen und Institutionen gelitten hat. Wie empfindest du denn Hamburg in 2020 im Vergleich zu 2008, als du in die Stadt kamst?
Ja klar auch hier hat sich seitdem einiges verändert, da könnte man jetzt viel schreiben. Aber ich bin mir gar nicht sicher wieviel davon ich auch selbst bin, die sich verändert hat. Für mich persönlich ist so unfassbar viel passiert in diesen letzten zwölf Jahren. Wenn ich jetzt die Gentrifizierung nenne… die gab es natürlich auch schon lange davor, obwohl man immer denkt, dass es ein relativ “modernes” Phänomen sei. Es geht einfach nur schneller. Auf jeden Fall sind auch hier wichtige Orte verschwunden, die ich bis heute vermisse und die es möglicherweise in solch einer Form auch nicht mehr geben kann. Zum Beispiel das Kraniche bei den Elbbrücken, ein sehr einzigartig verschwurbelter
freigeistiger Konzert-Club-Kunstraum, der noch tun und lassen konnte, was er wollte. Leider, und insbesondere in Hamburg würde ich sagen, wird es immer schwerer solche Räume entstehen zu lassen. Es gibt zwar noch und immer wieder spannende Orte oder Festivals, die auch anfangs gefördert werden, aber langfristig keine Chance haben weiter zu bestehen.
Aber wer weiß, was jetzt nach Corona entsteht…wie Felix Kubin letztens in einer Mail schrieb…”wir gehen einfach alle wieder in den Untergrund.”

Nika, du bist Anfang der 1980er Jahre in Bad Berleburg geboren, einem Städtchen, das, ich musste das selbst erst mal nachschauen, zwischen Köln und Kassel gelegen ist. Wie waren denn die Teenagerjahre in der Provinz?
Ich hab keine Erinnerung mehr an Bad Berleburg, dort war ich nur bis ich zwei Jahre alt war. Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Dorf zwischen Augsburg und München, namens Schiltberg, also definitiv auch Provinz. Bayrisch-katholisch-braun-gefärbte Provinz. Meine Mutter ist Engländerin, also waren wir alleine deshalb schon eine merkwürdige Familie. Schwierige Zeit, aus unterschiedlichen Gründen bin ich dort schon mit fünfzehn geflüchtet. Zunächst nach Augsburg für ein knappes Jahr, danach nach England, was mir im nach hinein auch etwas verrückt vorkommt. Eigentlich wollte ich dort für immer bleiben und Meeresbiologin werden. Das war mein großer Traum, unter Wasser sein. Es kam dann doch alles anders, nach zwei Jahren, nach den A-levels (dem englischen Abitur) bin ich wieder nach Deutschland und über Umwege schließlich in Hamburg gelandet.

Glaubst du, dass dies zu einer anderen kulturellen Prägung geführt hat als bei Inner City Kids, die schon immer die Verführung direkt vor der Nase hatten?
A u f j e d e n F a l l !

Fog Azores

In der Bildenden Kunst ist es normal, dass man sich anschaut, wer wo bei wem studiert hat. Bei Musiker_innen ist das noch eher unüblich. Du hast bei Paco Knöller an der HfK Bremen und bei Michaela Melián sowie Asmus Tietchens an der HfbK Hamburg Kunst studiert, wobei letztere beide ja auch profilierte Musiker_innen sind. Inwieweit haben die zwei (oder gerne auch die drei) denn ihre Spuren bei dir hinterlassen?
Es gibt so vieles was bei mir Spuren hinterlassen hat. Was die Bildende Kunst angeht, komme ich ursprünglich aus der Malerei beziehungsweise Zeichnung, da hat mich Paco Knöller sicherlich geprägt, er war ein sehr guter Prof würde ich sagen, auch wenn mich nach zwei Jahren alles nach Hamburg zog. Zu Michaela Melián kam ich recht spät, da sie erst einhalb Jahre vor meinem Diplom ihre Professur an der HfbK anfing. Sie hat sich sehr dafür eingesetzt, dass Sound als Mittel zur Kunst eine größere Gewichtung an der Hochschule bekommt. Ich hab mich unglaublich gefreut als Asmus Tietchens als Lehrender von der HAW an die HfbK wechselte, seine Vorlesungen waren eine große Freude. Er ist ein großartiger Geschichtenerzähler und ich fühlte mich musikalisch sehr verbunden. Mit ihm habe ich nach wie vor guten Kontakt. Dann war da natürlich die intensive Golden Pudel Club Zeit…die hat bei mir musikalisch enorme Spuren hinterlassen. Aber schon an der HfK Bremen hatte ich angefangen mit Diaprojektoren und deren Klängen zu experimentieren. Wenn ich so darüber nachdenke…möglicherweise war der Kodak Carousel Diaprojektor mein heimlicher Trigger und Wegweiser. Für mich war er die erste Drum Machine ohne dass ich mich im besonderen mit Drumcomputern in der Zeit beschäftigt hätte. Er hat bei mir ganz sicher die Faszination für
industrielle Sounds geweckt, das Interesse an der Verbindung von Klang und Bild, ebenso das Entdecken der Musique Concrete die ich als großen Einfluss in meiner Musik nennen würde.

Hill Azores

Noch mal zum Ende zurück zur aktuellen Situation: In deinem Mailout zum Album hast du es angesprochen, sowohl die Releaseparty im Ausland in Berlin als auch die Tour sind aktuell wegen Corona abgesagt. Was bedeutet das ganz konkret für dich, ökonomisch aber auch emotional?
Ja, was soll ich sagen. Nun ist eine Woche seit dem Release vergangen und die Welt scheint mir immer surrealer. Klar, war oder bin ich sehr traurig, vor allem auch weil ich so lange auf die Veröffentlichung warten musste. Aber ich bin eine von so vielen Künstler_innen die in ähnlichen Situationen stecken, das relativiert alles aber macht es dadurch nicht weniger frustrierend.

Kraniche tschuess

Der Abend im Ausland in Berlin war für mich ein ganz spezieller und dessen Absage tat mir besonders weh. Die Veranstaltung war schon lange im Voraus geplant und ging einer Einladung vom Ausland voran, einen Abend künstlerisch und kuratorisch zu gestalten. Eingeladen hatte ich Beatriz Ferreyra, Container, Vernon & Burns, Franziska Windisch, Juditha Haeberlin mit einem Stück von Rebecca Saunders, Nina, Allon Kaye und Mika Taanila mit seinem Film “Tectonic Plate”. Ich erwähne sie nun alle, da ich so sehr hoffe, dass wir alle zu einem späteren Termin dieses Jahr doch noch zusammenkommen können. Die Hoffnung besteht, jedoch ist ja momentan alles in der Schwebe was die Zukunft angeht. Genau das Gleiche gilt natürlich für die Tour. We will see…
Ökonomisch….pfff.

Wie wichtig ist für dich als Künstlerin denn die soziale Vernetzung als Basis?
Soziale Vernetzung ist mir auf jeden Fall wichtig, sonst hätte ich auch nie Veranstaltungen gemacht schätze ich. Der künstlerische Austausch, Kollaborationen und Freundschaften, die über die Jahre dadurch entstanden sind, kann ich gar nicht genug aufwiegen. Auf der anderen Seite bin ich auch eine ziemliche Eigenbrötlerin und bin sehr anfällig für Sozialstress. Heutzutage findet ja die größte soziale Vernetzung im Internet statt. Der Druck als Künstlerin und Veranstalterin in sozialen Medien aktiv sein zu müssen empfinde ich meist nur als Last. Das ist einfach nicht meine Welt. Besonders auch jetzt in der Coronakrise, wo sich so gut wie alles ins virtuelle Äther verschiebt, sehne ich mich noch mehr nach der analogen Welt. Mal sehen was sich nach der Krise alles ändert…in jedem Fall werden wir erstmal alle mit komischen Frisuren da rausgehen.

Nika Son „To Eeyore“ ist auf Vinyl via Entr’acte und digital via Bandcamp erhältlich.

 

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