John Stanier: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieser Interpretation zustimmen kann“
Köln an einem Hochsommertag im Juli. John Stanier, der Schlagzeuger der amerikanischen Experimental-Elektronik-Band Battles, ist eigentlich in der Stadt, um mit der Kölner Metal-Band ZON die zweite gemeinsamen Platte einzuspielen und an einer Teamsitzung des Kollektiv-Projekts Cologne Tape teilzunehmen. Aber warum bei der Gelegenheit nicht auch die „Familienbande“ besuchen, die aktuelle Ausstellung im Museum Ludwig mit Arbeiten von unter anderem Kai Althoff, Cosima von Bonin, Lucy McKenzie, Isa Genzken und Dan Graham, und dabei auch noch gleich ein Interview zum neuen, vierten Battles Album „Juice B Crypts“ geben? Für Stanier, der Funktionalität und Effizienz sehr schätzt und zudem ein Freund der Bildenden Künste ist, ein überzeugender Vorschlag.
Dass es ein neues Battles Album geben würde, das war einige Zeit gar nicht so klar. Immerhin stieg mit Gitarrist/Bassist Dave Konopka nach dem letzten Album „La Di Da Di“ und der wie immer sehr ausgiebigen Tournee nach dessen Veröfffentlichung ein Gründungsmitglied aus, das bis dato sehr bedeutend für den Songwritingprozess der Band war. Sein Abschied sei allerdings so schnell und überrachend gekommen, dass die beiden anderen sofort in den „Autopilotmodus“ geschaltet hätten, erzählt John Stanier. „Zu keinem Zeitpunkt sind Ian Williams und ich in den Krise-Modus verfallen. Ich glaube, wenn wir eine Auszeit genommen und ernsthaft über die Situation nachdacht hätten, dann wären auch andere Entwicklungen möglich gewesen. So aber haben wir den Stier einfach beim Horn gepackt und weitergemacht.“
Waren Battles Alben in der Vergangenheit immer auch gekennzeichnet von einem längeren Diskursprozess der erst vier und später drei Bandmitlieder, so wirkte sich die neue Duo-Konstellelation in dieser Hinsicht die Dinge vereinfachend aus. „Seltsamerweise fühlte es sich leichter an, das Album zu entwickeln“, gewährt John Stanier Einblicke in die neuen Battles Abläufe. „Es gab nicht viel mehr an Prozess als dass Ian (der bei Battles Keyboards, Gitarre und Electronics verantwortet; Anm. d. Verf.) mit jeder Menge Ideen ankam und ich ihnen einen Twist verpasst habe, in dem ich sie manipulierte und rhythmisch veränderte.“
So wenig Ian Wiliams und John Stanier einen großen Masterplan für „Juice B Crypts“ mit sich rumschleppten, gab es strategische Überlegungen was die Gäste angeht. Xenia Rubinos, Jon Anderson, Prairie WWWW, Sal Principato, Shabazz Palaces und Tune-Yards, die alle eine tragende Rolle auf einem Song des neuen Battles Album spielen, sind einfach eine nach dem anderen im Studio vorbeigekommen, und so sind dann eben auch plötzlich wieder Stimmen auf nicht wenigen der neuen Battles Songs gelandet, erstaunlich viele für eine Band, die noch immer von vielen als primär instrumental wahrgenommen wird.
Bei einem Namen muss man aber schon nochmal nachfragen: Jon Anderson, der Sänger der Progrock Band Yes? Wie um Gottes Willen – im Schatten des Kölner Doms darf diese Wortwahl auch einem Atheisten mal erlaubt sein – ist er auf „Sugar Foot“ gelandet (an dem dem zudem der koreanische Musiker Prairie WWWW mitwirkte), dieser langsam hochköchelnden Ursuppe von einem Battles Song? „Vor acht Jahren hat das Management von Anderson mir eine Mail geschickt und angefragt, ob ich interessiert sei, auf einem Stück seines neuen Albums Schlagzeug zu spielen“, erinnert sich John Stanier. „Damals kam es aus irgendeinem Grund nicht dazu. Aber trotz der Absage bot er später an, mal bei uns zu singen, wenn es passen würde. Tja, und plötzlich stieß ich wieder auf die alte Mail und habe ihn geschrieben – der Rest ist Geschichte.“
So trocken wie Stanier die Fragen und Geschehnisse kommentiert, ist es an der Zeit, deutlich zu machen, was für ein beachtliches Album Ian Williams und ihm gelungen ist. Nicht weniger als ein kleiner Paradigmenwechsel für die Battles stellt „Juice B Crypts“ dar, und zwar da sich die beiden freigeschwommen haben von den oft einengenden Erwartungshaltungen des klassischen Battles-Set-up aus Synthie-Loops, signifikanten Riffs und Drum-Infernos der puritstischen Fans und gleichermaßen ein beachtliches Maß an externen Einflüssen über die Gäste zugelassen haben. Das kann man sofort auf den beiden instrumentalen Eröffnungsstücken „Ambulance“, und „A Loop So Nice“ hören, jedes für sich ein Aha-Erlebnis. „Ambulance“ klingt wie von zwei Teenagern produziert, für die die Welt ein großer Spielplatz ist, der Song platzt geradezu vor Energie und Dynamik. Auf „A Loop So Nice“ zerbröseln sie eine Keyboard-Melodie so unglaublich jazzig cool, eine Geste, die weniger später auf „Fort Greene Park“ in weniger heller Soundsignatur und inspiriert von Krautrock-Einflüssen zu einem ganz anderen Ergebnis führt, aber nicht weniger mitreißend.
Überhaupt kommt einem dauernd irgendwas mit Jazz in den Kopf beim Eintauchen in „Juice B Crypts“. „Titanium 2 Step“ etwa, die Kollaboration mit der New Yorker No-Wave-Legende Sal Principato (Liquid Liquid) besticht mit einem unwirklichen Bebop Habitus, bei dem Miles Davis mitzujammen scheint. Beim Jazz-Wording reagiert John Stanier allerdings erst einmal skeptisch: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieser Interpretation zustimmen kann“, merkt er seriös an. „Natürlich sind wir Jazz-Fans, aber ich denke nicht, dass die Musik von uns viel mit Jazz zu tun hat.“
Nun, vielleicht sollte er es sich noch mal anders überlegen, immerhin wäre es endlich ein Weg weg von der No Grata Begrifflichkeit Math Rock, die noch immer unerbittlich an den Battles klebt, wie die ersten Internet-Besprechung des neuen Albums zeigen – und das doch letztlich nur, da Williams alte Band Don Caballero dem Genre unfreiwillig Geburtshilfe leistete. Staniers markiger Kommentar: „Wir hassen beiden den Begriff Math Rock! Das ist doch ein langweiliger 90er Jahre Begriff!“
Aber mit Wahrnehmungen und Zuschreibungen ist das ja sowieso immer so eine Sache. Während ich „Izm“, das Stück mit Shabazz Palaces für den wohl eingänglichsten Battles Song bisher halte und dem Hiphop-Track echte Hitqualitäten zuschreibe, ist es für Stanier „einer der seltsamsten Songs des Albums.“ Aber wer sagt auch, dass Musiker und Rezipienten das gleiche fühlen müssen, solange sie die gleichen Räume teilen, ist doch alles gut.
Noch genannt werden sollten „They Played It Twice”, auf dem die in New York lebende Puerto Ricanerin Xenia Rubinos zu hören ist, deren Gesang den Titel negiert und ihn sogar in Endlosschleife versetzt, und „The Last Supper On Shasta”, die Zusammenarbeit mit Tune-Yards, ein würdig zappelndes Schlussmomentum des Albums.
Bleibt nur noch eine Frage: Was bedeutet „Juice B Crypts“? Ein Kommentar zur Cryptowährungeshype der letzten Jahre? Die verblüffende Antwort von John Stanier: „Da musst du schon die Kinder von Ian fragen, die zwei haben sich das ausgedacht.“
Thomas Venker
Der Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe des Magazins Stadtrevue erschienen.