Record of the Week

Mount Kimbie „The Sunset Violent”

Mount Kimbie
„The Sunset Violent”
(Warp/Rough Trade)

Einst flashte der Münsteraner DJ, Musiker, Grafik-Designer und gute Freund Thomas Bücker (aka Jean-Michel, Bersarin Quartett) bei seinen Sets mit den monströs tanzbaren und doch verqueren Hits des phantastischen Debütalbums „Crooks & Lovers“ (2010) des britischen Duos Mount Kimbie.

In der Generation nach Aphex Twin, Autechre oder Squarepusher waren die Briten so etwas wie die Pop-Ausgabe zwischen dunklem Post-Dubstep, bunter Electronica und schrägem Experiment auf dem Kult-Label Warp. Dort erschienen weitere Alben und tut dies nunmehr auch ihr neues, viertes reguläres Studioalbum (zählt man die Zusammenstellung „MK 3.5“ mit Solo-Recordings aus 2022 nicht mit), welches Kai Campos und Dominic Maker aus London nunmehr noch deutlicher als Band erklingen lässt inklusive Lyrics und Gesang.

Nicht zuletzt durch die offizielle Inklusion von Andrea Balency-Béarn and Marc Pell. Mal klingt das kühl, dann wieder nach sympathisch-niedlichem Distortion Bubblegum. Ganz viel Indie mischt sich mit Synthie Pop, leichtem Noise, Anleihen zu schwingendem Shoegaze à la Lush, Ride, Stereolab. Immer wieder höre ich sehr klare Referenzen zu einstigen Too Pure-Künstler:innen (noch so ein Kult-Label) wie Long Fin Killie, deren Nachfolger Bows, Laika oder Pram – höre etwa die Vorab-Single „Dumb Guitar“, das tolle „Boxing“ oder das entrückte „Empty and Silent“ (beide letzteren mit King Krule). Und sogar die etwas vergessenen A.R. Kane sind wieder da in meinem Kopf, Bauch und Herz.

Dazu passt auch, dass Mount Kimbie 2018 einen der schönsten Teile der legendären DJ-Kicks-Reihe unter anderen mit zwei Songs der australischen Electronic-Band Severed Heads bestückt haben. Die waren Indie-groß in den 1980ern und sind dann ebenfalls etwas weggerutscht. Anyway. Der Mix macht es. Denn Mount Kimbies Indietronics – so nannten wir das mal zur Jahrtausendwende mit Blick auf Lali Puna, Barbara Morgenstern oder The Notwist – winken den Label-Mates Yves Tumor und Broadcast gleichzeitig.


Mount Kimbies leuchtende, leicht krachige Pop-Flächen werden nicht verleugnet, verschwinden nicht gänzlich, transformieren eher zu teilweise fast schon New/Cold/Dark Wave, Arts School oder postpunkigem Feedback. Wenn es so etwas wie Easy Synthie Shoegaze gäbe, Mount Kimbie wären mittlerweile im Positiven zu den Superstars dieses Genres mutiert. Die Lyrics voller doppelter Böden, die Drum Machine zwischen L.A. und London vor allem durch den Produktionsort irgendwo mysteriös-abgelegen im chaotisch-zauberhaften Kalifornien doch auch sonnig. Naturüberwältigung und Tech Riesen marschieren nebenher und begeistern sowie verängstigen. „Fishbrain“ oder „The Trail“ können doch direkt nach Beach House, Slowdive und vor den Pale Blue Eyes aufgelegt werden, garniert von einem Oneohtrix Point Never-Intermezzo.

Ist es nicht ein großes Lob, wenn in dieser unübersichtlichen Welt ein auch schon 15 Jahre alter Act einen/eine mit seinem neuen Album wieder in den analogen und digitalen Regalen kramen lässt?

Ich freue mich schon unbändig auf den Record Store Day Release „Daga Daga Daga“ von Jowe Head und Epic Soundtracks. Bis dahin höre ich Mount Kimbie weiter und sinniere tagträumend über die Sonnenuntergangsgewalttätigen.

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