c/o pop

Das Trüffelschweinfestival

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Beatbox Boys: Ralph Christoph & Norbert Oberhaus

Als die Popkomm 2004 Köln gen Berlin verließ, trauerte ihr keiner nach. Zu offensichtlich war der Regress der in den 90ern so vital agierenden Musikmesse zuletzt gewesen. Es schien, als ob die immer schneller und internationaler werdenden Kommunikations- und Vertriebswege von Musik kausal zum Ende eines solch dröge gewordenen Branchentreffens führen müssten. Eine Ansicht, die in den Folgejahren die schmerzvoll anzusehenden letzten Popkomm-Zuckungen in Berlin zu bestätigen schienen.

Doch die 2004 in Köln neu entstandene c/o pop sowie eine Reihe weiterer neuer Internationaler Festivals wie Unsound in Krakau oder Les Nuits Sonores in Lyon signalisierten überraschenderweise das Gegenteil: wenn man nicht in verkrusteten Strukturen gefangen ist und sich kreativen Spielraum erhält, dann besteht durchaus Bedarf an neuen Institutionen, die in sich die Pole Kongress und Festival vereinen, um die Vielzahl neuer Perspektiven innerhalb der Branche zu diskutieren und das immer umfangreichere Feld neuer Künstler_innen für das Publikum aufzubereiten. Doch schnell mussten nicht wenige dieser neuen Festivals bitter erkennen, dass es nicht einfach und schon gar nicht günstig ist, beide Felder kompetent zu bespielen.

Ein Klagelied, bei dem auch Norbert Oberhaus und Ralph Christoph von der c/o pop mitsingen können. Thomas Venker traf die beiden im Vorfeld der vierzehnten Auflage der c/o pop in Köln zum Gespräch über aktuelle Entwicklungen und den Diskurs der Zukunft.

Norbert, Ralph, die c/o pop findet in diesem Jahr zum vierzehnten Mal statt. Man kann also sagen, dass eure Idee, den Abgang der Popkomm für einen Neuanfang in der Stadt zu nutzen, aufgegangen ist. Leicht war es aber nicht immer – gab es denn über die Jahre Momente des Zweifels?
Norbert Oberhaus: Auf jeden Fall. Die c/o pop entstand ja als Trotzreaktion auf den Weggang der Popkomm nach Berlin, da wir eben nicht auch nach Berlin wollten – und so versammelten wir alle Willigen aus unserem Umfeld und der Musikbranche Kölns für ein 17-tägiges Festival. Ich bin ja BWLer und mein Businessplan, den ich damals vor 15 Jahren gemacht habe, umfasste eine halbe Seite Papier . Die Erstausgabe war beim Publikum ein Erfolg, aber wir haben im ersten Jahr über 100.000€ verloren und waren danach finanziell bereits so gut wie tot.
Zweifel ob der Richtigkeit kamen also schnell auf. Dass wir es danach geschafft haben, weiterzumachen, war ein Wunder. Apropos: Als wir damals im Kölner Stadtanzeiger den Leitartikel von Christian Bos mit der Überschrift „Ein Wunder ist geschehen“ sahen, in dem er davon sprach, dass Köln doch noch lebe und es eben nicht zwingend mit dem Wegzug aus Köln und dem Ausbluten einfach weitergehen muss, fühlten wir uns plötzlich auch von außerhalb der Szene verstanden.

Ralph Christoph: Die Idee war ja simpel: eine Veranstaltung geht weg und es wird ein Termin in diesem vollen und eng getakteten Festivalsommerzirkus frei. Um den Augusttermin der Popkomm hatten bis dahin alle einen Bogen gemacht, da war also nichts. Da sie aber ja nicht nur weggingen, sondern in Berlin dann auch auf einen September-Termin, musste man den freien Termin sofort besetzen, denn sonst wären ja andere gekommen.
Es gab damals eine undichte Stelle in unserem Netzwerk und so wurde es sofort dem SPIEGEL gesteckt, der es umgehend als „Krieg der Pophauptstädte“ auf der ersten Seite des Kulturteils publizierte. Unser Telefon stand nicht mehr still an dem Tag: WDR, Zeitungsredaktionen, Radio, da mussten wir dann liefern. Bei der ersten offiziellen Präsentation fühlten wir uns wie drei Gallier, die nach Rom gingen. Keiner nahm uns ernst, aber es stand eben im SPIEGEL.

Norbert Oberhaus: Bei der Pressekonferenz in den Rheinterassen saßen wir vor einem vollen Saal mit TV-Kameras, sogar die Bild-Zeitung war da – und das ohne jegliche Erfahrung. Wir mussten dann gestellte Fotos am DJ Pult und am Rhein mit Ghettoblaster machen.

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Whitest Boy Alive

Nach dem turbulenten Start sollte der Alltag nicht ruhiger werden. Wie sieht denn eure persönliche Wahrnehmung der Verlaufkurve aus?
Norbert Oberhaus: Das erste Jahr war eine Katastrophe, die wir nur mit Müh und Not überstanden haben. 2005 und 2006 kämpften wir uns dann langsam raus, um schließlich 2008 und 2009 unsere besten Jahre zu haben. Damals fand die c/o pop am Offenbachplatz stand und wir fühlten uns in der Stadt angekommen, hatten ausverkaufte Philharmonie-Shows mit Notwist und Beirut und ein legendäres The Whitest Boy Alive Konzert am Offenbachplatz.
2010 kam es dann zum Bruch. Wir machten damals den Fehler, dass wir wegen der Gamescom den Termin in den Juni verlegt haben und zudem wegen des bevorstehenden Umbaus des Opernhauses den Offenbachplatz verlassen mussten.

Ralph Christoph: Ein kennzeichnendes Merkmal und zugleich unser Problem ist es, dass wir uns jedes Jahr neu erfinden mussten. Ein Festival baut ja auf Kontinuität auf – Venues erschließen, Orte erschließen –, aber bei uns wechselte die Festivalzentrale acht mal in dreizehn Jahren, so dass wir immer wieder bei null anfangen mussten: zwei Jahre Panoramahaus, drei Jahre Bundesbahndirektion, zwei Jahre Offenbachplatz, Messe, IHK zum ersten Mal, Kunstverein, wieder IHK… das sorgte für Reibungsverluste. Hinzu kam der stete personelle Aderlass. c/o pop war ja immer ein Karrieredurchlauferhitzer für alle möglichen Leute, sei es spätere Spotify-Manager, die Modeselektor-Managerin oder Kölner Gastronomen – Philip Treudt, Mitbesitzer der Bar Zum Scheuen Reh war mein erster Praktikant und der heutige Gloria-Booker Benjamin Schweizer hat bei uns seine Ausbildung gemacht. Uns fehlte immer das Geld, um länger als ein Jahr im voraus zu planen und solchen Leuten eine Perspektive zu bieten.
Wir haben ein Programm gemacht, das wir selbst sehen wollten, das aber nicht so viele Tickets verkauft hat. Was nutzt es einem, wenn man 2004 das erste The Whitet Boy Alive Konzert überhaupt veranstaltet hat, wenn damals nur 400 Leute in den Tanzbrunnen kamen. Das gleiche gilt für International Pony oder…

Norbert Oberhaus: … Maximo Park, Arcade Fire, Jan Delay, Phoenix. Sie alle haben alle bei uns gespielt, bevor sie dann durch die Decke gegangen sind.

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Ralph Christoph & Norbert Oberhaus

Hättet ihr besser mal sofort immer Deals über zwei Jahre gemacht.
Stichwort: „fehlende Kohle“. Das Defizit kann man aber auch als Motor für eure Agilität sehen, da es so zum zweiten Festival Cologne Music Week, der popNRW-Initiative oder auch der Klubkomm kam.
Norbert Oberhaus: Das stimmt, es war unser Erfindungssinn gefragt. Sei es über Ausstellungsprojekte wie den Synthesizerpark oder das VJ-Festival, die von dir angesprochenen Institutionen, das Medienclusterhaus 4711 oder eben auch in unserem Selbstverständnis als Trüfelschweinfestival, bei dem deutsche Bands und die kommenden Stars spielen.
Uns war bewusst, dass wir weitergehende Strukturen prägen müssen, wenn wir ein funktionierendes Festival haben wollen. Pop NRW war der Versuch – dem HipHop aus Stuttgart oder der Hamburger Schule folgend – auch in NRW mehr als immer nur BAP oder Die Toten Hosen zu entgegnen. Mit Künstlern wie Roosevelt oder AnnenMayKantereit, die natürlich nicht nur auf unserem Mist gewachsenen sind, ist seitdem etwas entstanden.

Ralph Christoph: Köln ist zwar eine große Studentenstadt, aber keine coole, was an den Studiengängen liegt, die hier größtenteils belegt werden: wenig Kultur- und Geisteswissenschaften, sondern eher BWL, Jura und Sport mit Studierenden, die sich oftmals für eine andere Kultur interessieren als jene, die von c/o pop angeboten wird.

Empfindet ihr denn die Satelittengeschäfte als notwendige Übel oder haben sie für euch eine gleichgestellte Wertigkeit?
Norbert Oberhaus: Das ist für mich eine 50/50-Angelegenheit. Gerade jetzt, wo wir über die Bundesförderung wieder in etwas ruhigeres Fahrwasser kommen, fangen wir tatsächlich wieder mehr mit langfristiger Planung an und können mehr in die Tiefe gehen. Aber es ist ja auch nicht so, dass wir ein Festival des Festivals wegens machen wollten. Wir waren beseelt von der Idee hier in Köln etwas mit Wert und Strahlkraft machen wollten – und deswegen wollten wir hier gerne das Brett durchbohren. Wenn man sieht, welchen Stellenwert Popkultur vor 15 Jahren in der Stadt hatte und welchen heute, wo es eben so Sachen wie den Spielstättenprogrammpreis gibt, den popNRW-Preis oder ein Festival wie das unsrige, das Bundesförderung bekommt, das hilft, dass eine neue Bandszene entstehen kann.
Aber ja, es besteht die Gefahr zum Verheddern, weil man mit jedem neuen Projekt auch neue Probleme schafft und erstmal nur reininvestiert. Nichts ist bei uns so erfolgreich, dass es den Rest mitträgt. Wir mussten immer kämpfen.

Es ist ja eher so, dass der Kostenapparat eben auf die vielen Projekte verrechnet wird. Aber dementsprechend mehr hat man dann auch auf der Agenda.
Ralph Christoph: Es ist wie ein Monster, das gefüttert werden muss (lacht). Man muss seinen Mitarbeitern Arbeit besorgen, und das geht nur über Aufträge und Projekte. Das war von Anfang an so bei uns. Wir sind ja mit dem Untertitel „Festival für elektronische Popkultur“ angetreten, der klar gemacht hat, dass andere Aspekte mitreinkommen sollten: Synthesizer, Lesungen, Pophistorie.
Man darf auch nicht vergessen, dass Projekte wie Sound of Cologne oder das CC 4711-Medienhaus immer nur zeitlich begrenzt gefördert wurden. Wenn solche Anliegen auslaufen und man keine Anschlussförderung hinbekommt, setzt das große Learning ein.

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Yeah Yeah Yeahs

Aktuell dürfte die Stimmung bei eurem Team und euch aber sehr gut sein, denn ihr habt neben dem Reeperbahnfestival in Hamburg und dem Popkultur Festival in Berlin eine dreijährige Bundesförderung erhalten. Eine lange fällige Anerkennung eurer Basisarbeit?
Norbert Oberhaus: Anerkennung und Verpflichtung. Wobei sie auf drei Jahre politisch ausgesprochen ist, faktisch ist sie nur für dieses Jahr bewilligt sicher, danach besteht lediglich eine Absichtserklärung.

Ralph Christoph: 2009 waren wir ja, wie Norbert vorhin ausgeführt hat, schon mal viel,viel weiter und sind dann mit einem Popkomm-artigen Fehler falsch abgebogen, so dass uns das Reeperbahnfestival überholen konnte. Die hatten ja zunächst in den ersten Jahren noch viel mehr Geld als wir verloren, und sind auch erst 2010 richtig durchgestartet. Wir waren damals schon im Halbfinale und dann…

Norbert Oberhaus: Köln war damals in einer Umfrage mit weitem Abstand vor Hamburg der wichtigste Musikstandort Deutschlands. Ein Hauch von alter Popkomm in puncto Wahrnehmumg und Sichtbarkeit lag damals in der Luft – und genau da haben wir einen strategischen Fehler gemacht. Hamburg ist allerdings auch deshalb vorbeigezogen, weil sie die besseren politischen Verbindungen nach Berlin hatten und bereits damals die ersten 150.000€ vom Bund bekamen. Damit besassen sie das Spielgeld, um sich internationale Gäste einzuladen und auf der Branchenebene eine Relevanz zu erspielen.

Ralph Christoph: Wir haben in den letzten zwei Jahren nachjustiert, so dass wir das nun verdient auch bekommen. Hamburg ist Musikbranchentechnisch zwar anerkanntermaßen die Nummer 1, auch in Europa kurz davor die Nummer 1 zu sein, da sie wichtiger als das Eurosonic für bestimmte Bereiche der Musikindustrie sind, aber in der Nische besitzen wir die Ahead-of-the-Time-Position. Wenn man sich unsere Konferenz anschaut, dann bringen wir die Themen ein oder gar zwei Jahre vor den anderen. Die digitalen Themen spielen uns zu, gerade da wir die Konvergenzen zu anderen Branchen wie Film, TV und Werbung hinbekommen haben.

Norbert, Ralph, könnt ihr ein bisschen etwas dazu sagen, wie sich die Förderung gestaltet und welche neue Möglichkeiten sich für euch dadurch ergeben. Auffällig ist ja schon ein mal das deutlich umfangreichere und hochwertigere Booking, das so ein Etat auf dem hoch erhitzten Festivalmarkt ermöglicht.
Norbert Oberhaus: Die Förderung ermöglicht uns die Konsolidierung des Festivals. Wir sehen uns als das wichtigste Festival für upcoming Bands. Es geht nicht nur darum, noch möglichst viel mehr Bands einzuladen, sondern auch internationale Booker, Blogger und Journalisten nach Köln zu holen, damit sie sich diese neuen, jungen Bands, die wir in Kooperation mit Kollegen aus anderen Bundesländern buchen, bei den Showcases anschauen.

Ralph Christoph: Die kleinen Bands bekommen ja, obwohl sie umsonst spielen, eine Aufwandsentschädigung und ordentliche Produktion; hinzukommen die Kosten für die vielfältigen öffentlichen Auflagen. Man hat einen hohen Kostenapparat – und das ohne Gegenfinanzierung durch Ticketeinnahmen. Und genau da greift die Förderung. So kann man es bestimmten Bands ermöglichen, sich professionell vor Bookern wie zum Beispiel der SXSW zu präsentieren.

Norbert Oberhaus: Man muss trommeln, damit Publikum und Presse kommt. Rückblickend auf die letzten fünf Jahre kann ich sagen, dass wir so viele Bands entdeckt haben, die uns und anderen vielleicht sonst entgangen wären. Als wir den popNRW-Preis erstmalig mit ausgerufen hatten, waren wir selbst skeptisch, ob wir so viele spannende Bands in NRW haben – und waren dann überrascht, wieviel Qualtität dann tatsächlich vorhanden ist.

Und wenn dann jemand so erfolgreich wie Roosevelt ist, geht davon eine Anziehungskraft und Motivation für die nächste Generation an Musiker_innen aus.
Ralph Christoph: Genau um die Förderung von Künstlern wie Roosevelt, Stabile Elite oder Von Spar geht es uns. Das ist ein klares Statement.

So schön und wichtig der Aspekt der Nachwuchsförderung ist, so bedeutend sind aber die etablierten Künstler im Lineup als Gratmesser für ein Festival wie c/o pop. Während zuletzt die Headliner knapp waren, habt ihr für dieses Jahr mit Moderat, Motor City Drum Ensemble, Roman Flügel, Cologne Tape, Faber und Pearson Sound schon einige vielversprechende Namen im Programm, und es stehen ja noch dank der Förderung weitere Ankündigungswellen bevor.
Ralph Christoph: Man kann jetzt zweigleisig fahren. Die Förderung hilft ein bisschen dabei, den Druck von unseren Schreibtischen zu nehmen, sodass sich jeder auf das eigentliche Arbeitsfeld konzentrieren kann.

Norbert Oberhaus: Wir können es uns nun wieder leisten, dass die Programmabeteilung das ganze jahr durcharbeitet – was ja auch zwingend notwendig ist. Wobei wir noch ein, zwei Jahre brauchen, damit das Profil noch deutlicher wird. Aber die Liga an Bands und Künstlern, die du genannt hast, ist das, was uns vorschwebt. Bands, die das Gloria oder den Stadtgarten voll machen. Hinzu kommt übrigens noch eine Open-Air-Show von AnnenMayKantereit.

Ralph Christoph: Es war klar, dass Moderat auf dieser Tour eine der letzten Deutschland-Shows bei uns spielen müssen, da wir eine enge Beziehung zu ihnen haben: Modeselektor (2005), Moderat (2009) und Apparat (2007 und 2011) traten alle schon bei der c/o pop auf. Ohne die persönlichen Kontakte wäre das aber nicht zustande gekommen. Das Festivalgeschäft ist so hart, oft dauert es drei Jahre, bis man eine Bands bekommt und man muss viel Staub fressen und andere Sachen buchen bis man dahin kommt.

Norbert Oberhaus: Womit du Recht hast, das Geld ist nicht dazu da, um big names zu suchen und jemand zu buchen, wo wir nicht dahinter stehen.

Ralph Christoph: Es macht auch keinen Sinn. Selbst wenn wir jetzt Arcade Fire bekommen hätten, wir könnten die doch gar nicht wieder einspielen, da wir nicht die Infrastruktur haben, um eine Band aus dieser Preisklasse zu recoupen. Da musst du Primavera oder Sziget sein und ein Set Up für die notwendige Mischkalkulaktion besitzen, allein schon weil wir keinen Biersponsor haben, der das trägt. Wir können nur versuchen, die nächsten Arcade Fire zu bekommen.

Womit wir wieder beim Nachwuchs wären.
Als sehr schön empfinde ich seit Jahren, wie ihr diesen Aspekt der Nachwuchsförderung in der Stadt selbst ankommen lasst durch eine Aktion wie das Chic Belgique, bei dem jedes mal mehr als 40 Bands umsonst in Geschäften des Belgischen Viertels, also im Herzen von Köln auftreten. Bekommt ihr hierauf viel Feedback aus der Stadt?
Norbert Oberhaus: Ja – und um diese Interaktion mit dem Publikum geht es uns. Wir haben mit dem Chic Belgique die Möglichkeit guten, aber noch unbekannten Bands Auftritte vor vielen Leuten zu bescheren.

Ralph Christoph: Wobei man sagen muss, dass mittlerweile gefühlt jedes Wochenende etwas im Belgischen Viertel stattfindet. Was zur Folge hat, dass es nicht einfacher wird. Viele Sachen dürfen wir gar nicht mehr machen. So ist es beispielsweise mittlerweile untersagt, dass die Band drinnen spielt und die Leute schauen von Außen zu. Man darf generell keine Boxen mehr draußen aufstellen, die Türen müssen geschlossen sein während des Konzertes, ja es darf nicht mal draußen getrunken werden. Sagen wir es mal so, angesichts der Liste der Restriktionen gäbe es genug Gründe zu sagen, wir lassen es bleiben. Aber es ist uns ein Anliegen, das Projekt nicht aufzugeben.

Für die Bands ist es ja sehr dankbar, da sie als noch unbekannte Newcomer so ein großes Publikum finden.
Norbert Oberhaus: Deswegen wollen wir diese Idee von in der Stadt verteilten Bühnen auch noch ausbauen – es wird in diesem Jahr circa ein Drittel mehr werden, unter anderem im Stadtgarten.
Außerdem wird es eine Programmstrecke für 30 bis 40 ausgewählte Booker geben, wo wir ganz gezielt halbstündige Showcases für die Profis anbieten. Das haben wir letztes Jahr auch schon mit fünf Stationen ausprobiert, wo immer ein Künstler aufgetreten ist.

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Ralph Christoph, Norbert Oberhaus und ein Fisch im Rhein

Habt ihr da Erfahrungswerte aus dem letzten Jahr, was das gebracht hat?
Norbert Oberhaus: Erstaunlich viel, da kam es zu etlichen Bookings im Nachgang.

Ralph Christoph: Wir hatten ja nicht nur Festivalleute dabei, sondern auch ein paar Synch-Supervisoren – und die haben sich interessanterweise eher für die Sachen begeistert, wo auf deutsch gesungen oder gerappt wurde. Es ist einfach recht unwahrscheinlich, dass eine englisch singende Band aus Deuschland in den USA Karriere machen wird, da es dort ungefähr noch 2000 andere Bands in der Art gibt – aber Drangsal hat eher Chancen. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo original german content wieder auf deutsch sein kann, es besteht nicht zwingend die Notwendigkeit das zu verstehen, was da gesungen wird. Da hat sich in den letzten Jahren schon einiges getan, auch beim Bookingverhalten. Wo es früher bei einer Band wie Blumfeld hieß, „vergiss es, das kannst du nicht exportieren“, kann man jetzt spüren, dass die internationalen Gäste auf deutsche Sachen anspringen.

Drangsal kann ich mir als obskures Momentum in der Tat sehr gut in einer US-Serie vorstellen.
Ralph Christoph: Genau! Da wollen wir uns in Zukunft dementsprechend auch mehr trauen. Wie Norbert es schon sagte, es wird mehr – und deswegen auch teurer. Ohne die Förderung geht das gar nicht, denn beim Chic Belgique und dem „Super Samstag“ machen wir etwas betriebswirtschaftlich absurdes – wir bieten ein exzellentes Umsonstprogramm an. An einem Samstag kann ich mir zwischen 12 und 24 Uhr dutzende Bands umsonst anschauen? Das ist betriebswirtschaftlich Harakiri und geht nur durch die Förderungsabfederung.

Ich gastierte neulich in Belgrad, wo das Resonate Festival stattfand, das mit euch und den Festivals Elevate, Insomnia, Nuits sonores, Reworks, Sónar und TodaysArt den Festivalverbund We Are Europe bildet. Könnt ihr ein paar Worte zur Genese und Ausgestaltung des Netzwerks sagen?
Ralph Christoph: We Are Europe geht ja zurück auf den früheren c/o pop Programmpunkt Europareise, für die wir ähnlich gelagerte urbane Festivals zum Austausch eingeladen haben.
Das We Are Europe Netzwerk ist, im Gegensatz zu anderen Projekten, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, sehr eng gestrickt. Man trifft sich dreimal im Jahr abseits der Festivalkontexte, um über jeweils zwei Tage sehr tief über verschiedenste Themen zu sprechen – von der europäischen Weltlage bis hin zu finanziellen Belangen. Es geht darum, sich so gut kennenzulernen, um eine richtige Kooperation hinzubekommen und zu verstehen, was man den anderen bieten und was man von ihnen gebrauchen kann.
Eine Forschungsgruppe von der Uni Barcelona begleitet das Projekt und führt dafür dutzende von Interviews mit uns. Gleichzeitig sind wir sehr nah an der Abteilung der Kommission bei der Europäischen Union dran, die das Programm betreut. So ein EU-Förderzyklus ist ja immer auf sechs oder sieben Jahre angelegt – man muss also sehen, dass das auch weitergeht und dafür gilt es Lobbyarbeit zu machen. Man darf nicht vergessen, dass Kultur im EU-Budget nur ein kleiner Posten von 1,2%, ist, das meiste fließt in Infrastrukturmaßnahmen für den Verkehr oder Landwirtschaft. Also werden in der Verwaltung Programme kreiert, für die man sich bewerben muss. Creative Europe zum Beispiel – so der EU-Sprech. Und da fragt man sich: das soll mein Programm sein? Ja! Im letzten Call konnte man sich als Festival bewerben, damit wussten die aber angesichts von hunderten von Bewerbungen nicht umzugehen und verteilten das nach dem Gießkannenprinzip. Da wurden wir auch mal für ein Jahr gefördert – wobei die Hälfte des Geldes für Administration draufging. Das hat die EU dann auch bemerkt, dass das so nicht geht, sondern kooperative Projekte gefragt sind – immer mit einem Projektleiter. Nuits sonores aus Lyon ist dann in den nächsten Call mit mit sieben Partnern und dem Projekt We Are Europe reingegangen. Das ist ein Vorzeigeprojekt, bei dem sich alle größte Mühe mit geben, um zu zeigen, dass wir das gut können, damit die Fortsetzung klappt.

Wie wichtig ist es euch, dass eure Definition von We Are Europe sich nicht an der Zugehörigkeit zur EU ausmacht, sondern die Idee weiter gefasst wird.
Ralph Christoph: Grundsätzlich gilt: Das ist erlaubt – aber nur bis zu einem bestimmten Prozentsatz. Es gibt Quoten für Nicht-EU-Festivals, man könnte also auch ein amerikanisches mit reinnehmen. In der EU ist alles bis in den letzten Winkel geregelt, da gibt es nichts, was dehnbar wäre.

Norbert Oberhaus: Komm ja nicht mit einer Abweichung von 1% an, das ist nicht erlaubt. (lacht)

In Belgrad war ich extrem positiv vom Umfang und der Qualität des Kongresses angetan. Sehr viele spannende Vorträge und Diskussionsrunden, einige davon auch aus dem We Are Europe Netzwerk gespeist. Ein Terrain, auf dem ihr mit der c/o pop schon lange sehr erfolgreich aktiv seid. Was können wir denn in diesem Jahr von der Convention erwarten?
Ralph Christoph: Das Thema „Musik & Tech“ ist nach wie vor der große Treiber, wobei wir aktuell genauer drauf schauen, was sich in der Virtual Reality tut und wo es da Projekte in der Musikindustrie gibt. Ein gutes Beispiel ist hier die Boiler Room Kooperation mit Google oder auch das Spiel, das Moderat mit einer Partnerfirma entwickeln. Außerdem wird auch wieder das Dauertthema Streaming stattfinden, ausgehend von der Frage, ob sich da Alternativen zu Apple, Deezer und Spotify auftun. Weitere wichtige Themen: Bewegtbildcontent und Livevideo, Music and Education, Festivals und Technologie. Als neues Thema wollen wir uns mit dem „New Talent Day“ dem DIY-Nachwuchs widmen und die Möglichkeiten zum Selbermachen hinterfragen und aufbereiten, was man dazu an Handwerkzeug (juristisch bis technisch) braucht. Den „Brands & Music Day“ bauen wir aus und widmen uns der Synch-Monetarisierungskette Film-TV-Werbung. Man sieht, es wird wieder eine weite Palette digitaler Themen geben, aber nicht im Medienkunstsinne oder philosophisch angegangen, sondern hands on praktisch mit Top-Leuten zum anfassen.

Ralph, gute Stichwort. Ich weiß ja, dass du zur Gewährleistung der hohen Qualität der Convention sehr viel international unterwegs bist – was sind denn die wichtigsten anderen Festivals, die es hier zu nennen gibt und wo kann man bei euch deren Einflüsse / Inspiration erkennen?
Ralph Christoph: Am interessantesten ist nach wie vor das South by Southwest (SXSW) in Austin, wobei ich da nicht mehr hingehe, da dir da der Kopf explodiert und die Ballance zwischen Einsatz der Mittel und dem, was man rausziehen kann, in keinem Verhältnis mehr steht – man kann dort einfach niemanden abgreifen, aber zur Inspiration ist es natürlich gut.
Das Slush-MusicFestival in Finnland ist gut. Ebenso das Tech-Open-Air (TOA) in Berlin. Hier findet man neue Impulse. Zur Midem, Reeperbahnfestival oder auch die ganzen Landeskonferenzen, da geht man eher hin, um die Leute aus dem jeweiligen Land zu treffen, aber hier findet man neue Themen und Zugänge, die eben nicht von der Musikseite kommen.

Abschlussfrage: Worauf freut ihr persönlich euch in diesem Jahr am meisten?
Norbert Oberhaus: Ich freue mich sehr, dass wir zwei tolle Musikfilme zeigen werden, einen davon gar als Premiere, nämlich „Conny Planck – The Potential of Noise“ , eine Dokumentation über den legendären Produzenten und Krautrock.Miterfunder Conny Plank; unddie neue Sven Regener Verfilmung “Magcial Mystery“.. Jetzt wo wir uns wieder rausgekämpft haben, wollen wir andere Felder auch wieder bespielen und experimentelles wagen, zum Beispiel auch auf dem Feld der Popliteratur. Von den Konzerten freue ich extrem auf Moderat.

Ralph Christoph: Ich finde super, dass wir mit Kompakt dieses Jahr als Teil des Transformationsprozesses keine Party, sondern einen Showcase veranstalten, bei dem mit Cologne Tape und Matias Aguyao zwei Bands aus deren Roster auftreten. Mein persönliches Festival-Highlight: Friends of Gas. Als weitere Highlights wird es noch eine Show der palästinensischen Hiphop Band 47Soul geben und ein Konzert der Thereminspielerin Dorit Chrysler.

Ralph, Norbert, vielen Dank für das lange Gespräch.

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