Danielle de Picciotto & Friends in Conversation – Natasja Alers

Natasja Alers: “Kunst ist eine Möglichkeit für mich, Frustration und Trauer leidenschaftlich, obsessiv und mit Dringlichkeit auszudrücken”

Alers_Natasja Alers portrait - courtesy by Maarten Nauw

Natasja Alers (Photo by Maarten Nauw)

Mick Harvey, legendäres Gründungsmitglied von The Birthday Party, Nick Cave & The Bad Seeds und Gitarrist von PJ Harvey machte mich 2015 bei einem Mittagessen auf Natasja Alers aufmerksam: “Ich habe diese Frau getroffen. Sie organisiert ein großes Festival und ist selbst eine beeindruckende Künstlerin. Du solltest Dir mal Ihre ihre Arbeit anschauen.”

Micks Geschmack ist ziemlich tadellos, also folgte ich seinem Rat und recherchierte ihre Skulpturen und das Festival. Wie erwartet war ich beeindruckt. Das Grauzone Festival existiert seit 2013 und präsentiert ein vielfältiges und innovatives Programm aus jungen Talenten sowie etablierte Künstler_innen, die in der Underground-Musikszene verwurzelt oder von ihr beeinflusst sind. So spielten in der Vergangenheit unter anderem Jehnny Beth von Savages, Michael Gira von Swans, Anna von Hauswolf oder auch Cabaret Volitaire – und letztes Jahr haben sie uns (hackedepicciotto) eingeladen, unser neues Album “Menetekel” dort zu präsentieren. Das Festival ist unglaublich professionell organisiert und repräsentiert einen exzellenten Musikgeschmack. Es ist kaum zu glauben, dass Natasja Alers und Marc Emmerik das ganze Festival selbst organisieren, zumal zu diesem in jedem Jahr auch noch eine von Natasja kuratierte Ausstellung gehör – in dem Jahr, wo wir spielten war sie selbst in dieser mit einigen ihrer großen Keramikobjekte vertreten. Ich weiß, wie viel Arbeit es bedeutet eine Veranstaltung zu organisieren, so viel, dass man normalerweise  monatelang keine Zeit für etwas anderes hat. Es war aber offensichtlich kein Problem für Natasja, drei verschiedene Vollzeitbeschäftigungen gleichzeitig zu machen.

Gleich nach unserer Ankunft in Den Haag schaute ich mir die Ausstellung an. Die Skulpturen gefielen mir wirklich gut. Was ich an ihnen mag ist, dass sie roh und schwerfällig sind. Natasja gibt Ton die Schwere und Masse, den es verdient.

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Natasja Aler in her studio.

Nachdem dieses Material in den letzten Jahrhunderten beinah ausschließlich zu kleinen, zarten Keramiken gepresst wurde, zeiht sich ein anderes Verständnis vom Potential dieses Materials. Unsere Erde besteht aus Ton – und diese inhaltliche Tiefe ist in ihrer Arbeit zu spüren. Ihre riesigen Objekte wirken stur, unbeweglich oder bedrohlich, wenn man sie in der Nähe sieht. Von weitem jedoch wirken sie wie massive, ruhige Wesen. Sie ließen mich an Wale oder an ein dunkles, erdiges Echo denken, das man in mexikanischen Höhlen oder möglicherweise im Weltraum hört.

Die Organisation eines Festivals und die Arbeit als Bildhauerin könnte wie zwei nicht verwandte Bereiche erscheinen, aber die Kraft von Natasjas Objekten spiegelt sich in den Musiker_innen wider, die sie zu ihrem Festival einlädt. Eine unreflektierte Stärke und das Durchbrechen von Beschränkungen ist der gemeinsame Nenner. Die Tatsache, dass sie eine junge Frau ist (sie wurde 1987 in Den Haag geboren) , macht es umso schöner. Hier bricht jemand alle Regeln. Festivaldirektoren sind normalerweise Männer und ein Macho vom Rodin-Typ wäre der Klischee Künstler ihrer Objekte. Aber hier ist ein schlankes, hübsches, junges Mädchen, das nicht davor zurückschreckt, Stärke zu zeigen und eine Kraft auszudrücken, die mit Lydia Lunchs (die auch bei ihrem Festival aufgetreten ist) Schreien vergleichbar wäre.
Wir brauchen mehr Frauen wie sie, und ich bin sehr glücklich, Natasja Alers heute hier vorstellen zu können.

PS: Als ich dieses Interview mit ihr gemacht hatte, schuf Natasja einen holzgetäfelten Boden mit einem komplizierten Muster und Layout für ihre Wohnung. Sie hat ihn nicht nur entworfen, sondern auch komplett platziert und installiert und mir in regelmäßigen Abständen Bilder vom Fortschritt geschickt, zu denen sie anmerkte, dass sie sich nur eine kleine Freizeitpause von ihren anderen Projekten nehmen würde!

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“Object”

Danielle de Picciotto: Natasja, du bist eine sehr talentierte Frau. Wie hast du mit der Skulptur angefangen und warum?
Natasja Alers: Ich habe mit neun Jahren Keramik entdeckt und angefangen Kurse zu belegen. Dies war sehr uncool in der Sekundärschule und High School, aber ich wusste, dass ich etwas damit machen musste und dass die Kunstschule die einzige Antwort für mich war. Ich wusste nicht, was genau ich suchte, also war alles sehr instinktiv.

Welche Materialien sind deine Favoriten?
Ton! Du kannst Ton so stark ausarbeiten wie du willst und jede Form hinbekommen, die du dir vorstellen kannst. Man kann das Material manipulieren oder es in seinem natürlichen Zustand belassen. Alles ist möglich. Ich genieße es auch sehr, mit Papier und Zeitungsbildern herumzuspielen, um Collagen zu erstellen. Ich benutze sie dann als Poster für Ausstellungen, die ich organisiere oder stelle sie als Kunstwerke aus.

Was suchst du generell in der Kunst?
Kunst ist eine Möglichkeit für mich, Frustration und Trauer leidenschaftlich, obsessiv und mit Dringlichkeit auszudrücken, sei es mit Collagen, Skulpturen, Grafikdesign, Ölfarben oder sogar beim DJing.  Ich kann mir mein Leben nicht vorstellen, ohne etwas zu erschaffen, was auch immer es ist. Kunst ist für mich die einzige Antwort und sie koexistiert mit allem, was ich tue.

Was möchtest du mit deinen Skulpturen ausdrücken? Gibt es ein allgemeines Thema?
Meine Kunst hat mit meinen inneren Gefühlen zu tun. Ich kann es nicht wirklich in Worten beschreiben, also versuche ich es in meinen Skulpturen zu erklären. Manchmal fühle ich mich sehr emotional und kann mein Gefühl nur mit einer Skulptur oder einer bestimmten Form ausdrücken. Ich werde auch sehr von architektonischen Gesetzen inspiriert. Etwas einfaches wie ein Rechteck kann mich bewegen, und so arbeite oft damit in meinen Skulpturen. Menschliche Körperteile wie eine Brustwarze sind eine weitere Inspiration, die Brustwarze ist ein Symbol für den weiblichen Körper, das seit der viktorianischen Zeit zensiert wird. Ich benutzte Nippel (aus Abgüssen von Brustwarzen von Freundinnen von mir), um neue Skulpturen zu schaffen. Aktuell produziere ich eine Serie von Nippelvasen, in denen man zum Beispiel Blumen präsentieren kann.

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“Accumulation” (Photo by Fabian Landewee)

Wer inspiriert dich in der Welt der Kunst?
Ich mochte immer die Arbeit von Francis Bacon, der Architektur und Fleisch in seinen intensiven dunklen Porträts kombinierte. Louise Bourgeois ist auch sehr inspirierend als Künstlerin und in der Art, wie sie die Dinge sah. Manchmal denke ich, dass die Art, wie ein Künstler lebt und denkt, interessanter sein kann als die eigentliche Arbeit, die er macht. Ein freier Mensch, der sich von der herkömmlichen Lebensweise lösen kann, ist immer inspirierend.

Musik spielt eine große Rolle in deinem Leben, du bist DJ , Veranstalter und Kurator des Grauzone Festivals. Hat das irgendeine Verbindung zu deinen Skulpturen oder ist es komplett getrennt?
Ja, es gibt tatsächlich viele Zusammenhänge. Das ist seit meiner Jugend so. In der Rietveld Academy (meine Kunstschule) organisierte ich Shows und Events mit DJs und Bands und begann selbst aufzulegen. Meine Lehrer haben mir immer gesagt, dass ich mich auf eine Sache konzentrieren sollte, aber ich konnte es nicht, und tatsächlich kann ich es immer noch nicht. Ich muss all diesen Beschäftigungen nachgehen, sonst werde ich zu unruhig oder gar gelangweilt. Aber als ich mit dem Grauzone Festival begann (gleich nachdem ich 2012 meine Kunstschule abgeschlossen hatte), war es so zeitaufwendig, dass ich mich kaum noch auf meine Kunst konzentrieren konnte. Es war wirklich frustrierend. Ich musste ein Gleichgewicht zwischen der Musik und Kunst finden. Ich habe daran gearbeitet und es wird besser. Einige meiner Collagen sind für meine Musikveranstaltungen gemacht, aber ich versuche meine Skulpturen und Musikaktivitäten normalerweise getrennt zu halten. Neben dem Grauzone Festival organisiere ich auch GRAUKUNST, die Ausstellung, die Teil des Festivals ist, weil ich denke, dass es eine enge Verbindung zwischen Kunst und Musik gibt. Viele Musiker drücken sich in anderen Kunstformen aus. Daher suchen wir immer nach Künstlern, die in beiden Bereichen arbeiten, wie zum Beispiel die Kunstwerke von Alan Vega.

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Idles (photo by: )


Nach was suchst du in der Musik?

Musik muss ehrlich und echt sein, es spielt keine Rolle, welche Art von Genre es ist. Integrität ist wichtig. Als Veranstalterin/Kuratorin eines “Dark-Underground-Festivals” suche ich nicht nach einer weiteren Post-Punk-Band, die nach Joy Division oder Siouxsie klingt.

Wie und warum hast du das Grauzone Festival begonnen?
Ich habe während meiner Kunststudiums viele kleine Shows in Amsterdam organisiert. als ich die Kunstschule beendet hatte, entschied ich, dass es besser wäre, alle unter einem Namen zu präsentieren und es zu einem Festival zu machen. Also fing ich an, mit meinem Partner Marc Emmerik zusammenzuarbeiten und kontaktierte den Melkweg. Weniger als ein Jahr später fand 2013 unser erstes Grauzone Festival statt, das sofort ausverkauft war.

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“Bodysquare 1” (Photo by Fabian Landewee)

Woran arbeitest du momentan?
Im Moment arbeite ich an einer neuen Art von Skulptur (große Wandteile), einem Gemälde (zum ersten Mal), einer Schallplattenhülle für eine ziemlich große Band und bearbeitete Kunstgegenstände wie skulpturale Blumentöpfe.
Und wir arbeiten am Grauzone Line-up für 2019 und der GRAUKUNST Ausstellung, auf die ich wirklich gespannt bin, weil wir nächstes Jahr einen ganz besonderen Künstler bekommen!
Die GRAUKUNST-Ausstellung aus 2017 wird vom 18.Mai  bis 8. Juni in der Galerie Neurotitan in Berlin nochmals stattfinden, wofür ich dir, Danielle, zu danken habe.

Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Ich möchte weiter an meiner Kunst arbeiten können und öfters ausstellen, aber auch Grauzone auf ein höheres Niveau bringen. Es gilt weiter das zu machen, was mich bewegt und keine Angst vor neuen Abenteuern zu haben.

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Natasja Alers in her studio.

 

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