Karin Pott: “Der Kunstbetrieb ist ein Markt, er wird von Händlern beherrscht, ist ungerecht, wenn man nicht gerade hip ist”
Geschichtsschreibung beschäftigt mich sehr in den letzten Jahren. Ich arbeite seit drei Dekaden als interdisziplinäre Musikerin und sehe zahlreiche Künstler:innen kommen und gehen. Diejenigen, die bleiben, sind nicht unbedingt erfolgreich, haben aber die dafür nötige Ausdauer, trotz finanzieller Unsicherheit und immer größerer Konkurrenz, an ihrer Vision zu glauben. Aber auch von den Erfolgreichen werden nicht unbedingt alle in den Geschichtsbüchern landen. Eigentlich sogar nur eine Handvoll und diese sind immer noch, mit wenigen Ausnahmen, Männer.
Die überwiegend maskulinen Museumsdirektoren, Plattenlabelchefs oder Verlagsbosse haben heute, trotz jahrelangem Emanzipationskampf, nach wie vor die Entscheidungsmacht darüber, welche Kunst bedeutungsvoll ist und geschichtsträchtig sein soll. So fällt immer mehr auf, wie einseitig unsere Geschichte geschrieben wird. Ich kenne seit den 80ern genauso viele Frauen wie Männer, die herausragend gearbeitet haben. Viele davon sind jetzt schon vergessen. Das ist einer der Gründe, weswegen ich diese Interview Serie über beeindruckende Frauen für Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop nun mehr seit acht Jahren schreibe.
Unsere Kunstgeschichte könnte reichhaltiger und inspirierender sein, wenn alle die ignorierten Geschlechter und Kulturen mit einbezogen würden. Zum Glück bin ich nicht die Einzige, die sich mit diesem Mangel auseinandersetzt. Es gibt wunderbare Menschen, deren Lebenswerk es ist, andere zu unterstützen und sichtbar werden zu lassen; die ein gutes Auge für Kunst oder Musik haben und inklusiv sind.
Karin Pott ist eine solche Kuratorin. Ich lernte sie Mitte der 90er als die künstlerische Leitung des HaL in Berlin kennen. Damals hatte sie ein solch ungewöhnliches Konzept, das nicht einmal der Begriff „Avantgarde“ gegriffen hätte, so weit voraus war ihr Ansatz. Das Haus am Lützowplatz hat bis heute eine große Galerie im vorderen Teil des Gebäudes. Dort stellte Karin etablierte Künstler:innen wie Rebecca Horn; Emmett Williams, Elvira Bach, William N. Copley, Niki de Saint Phalle, Rosa von Praunheim, Stanley Kubrick, Dorothy Iannone, Christa Näher, Rainer Fetting, Cornelia Schleime, Hannah Höch, Marina Abramovic aus. Es gab außerdem eine kleine Studiogalerie im hinteren Hof. Dort präsentierte sie junge Undergroundkünstler innen, die sich im Bereich Club Kunst, Pop Art, U-Kunst oder Comics positionieren, so wie Jim Avignon, Tabea Blumenschein, Betty Stürmer, Bernhard Föll und meine Wenigkeit.
Einen solchen, vergleichbaren Clash unter einem Dach und Leitung gab und gibt es ansonsten bis heute nicht in Berlin. So konnten Kunstinteressenten gleichzeitig die Akademischen wie auch die experimentellen Ansätze der modernen Kunst kennenlernen. Es wurde dadurch eine Offenheit und Frechheit im Kunstbetrieb bewiesen, die es so leider selten gibt. Abgesehen von diesem mutigen Ansatz, hatte Karin einen Blick auf die Ungleichheit im Kunstbereich, und versuchte genauso so viele Künstlerinnen wie Künstler auszustellen, damals ein Unikum, welches teilweise auch ungerne beobachtet wurde. Sie liebte geselliges Beisammensein, immer im Kontext Kunst und organisierte einen regelmäßigen, außergewöhnlichen Abend „GASTGEBERIN IM HAUS AM LÜTZOWPLATZ” zu dem sie unterschiedliche Frauen aus Politik, Wirtschaft und Kunst dazu einlud sich miteinander zu unterhalten, unter anderen zum Beispiel Hanna-Renate Laurien: Präsidentin des Abgeordnetenhaus von Berlin, CDU, Ella Barowsky, Stadtälteste von Berlin, Prof. Dr. Jutta Limbach, Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, SPD, Bärbel Bohley, Malerin und Bürgerrechtlerin in der DDR, Freya Klier, Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin in der DDR, Claudia Skoda, Modedesignerin, Adrienne Goehler, Präsidentin der Udk Hamburg, Lotti Huber, Showbusiness, Dichterin, Michaele Schreyer, Abgeordnete von Berlin, Die Grünen, Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucherschutz und Antoinette Becker, Schriftstellerin.
Karin Pott und Ihre Arbeit sind Berliner Kunstgeschichte. Sie ist Teil der Gruppe, die dafür verantwortlich ist, dass Berlin bis heute als besonders kreativ und abenteuerlustig gilt, und ich versuche seit geraumer Zeit sie dazu zu überreden eine Biographie zu schreiben, denn ihr Wissen über Künstler, Politik und Berliner Geschichte ist unendlich. Obwohl sie sich vor einigen Jahren aus dem Haus am Lützow Platz zurückgezogen hat, ist sie immer noch unbeirrt dabei, Ausstellung zu besuchen und jungen Künstler innen weiterzuhelfen. Umringt von einer Schar begeisterten Menschen kann man sie bei jeder bedeutenden Ausstellung antreffen und es ist mir eine Ehre sie heute hier vorzustellen.
Danke Karin!
Danielle de Picciotto: Liebe Karin, Wie bist du dazu gekommen Kuratorin zu werden? Hast du studiert?
Karin Pott: Ich bin 1945 im Nachkriegs Berlin geboren. Mein Vater betrieb eine „Elektrobude“ in Kreuzberg, der Gegend, wo noch bis in die 70er Jahre Handwerkerbetriebe gearbeitet haben. Als diese kleinen Werkstätten keine Existenz mehr hatten, bezogen Künstler diese großen, leerstehenden Werkhallen und machten die Gegend zu einem beliebten Lebens-und Arbeitsort.
Ich bekam die beste Lehrerin, die ich mir wünschen konnte: Ella König, sie musste aus politischen Gründen schon 1933 aus Deutschland fliehen, kam 1949 aus französischem Exil zurück nach Berlin, Anfang 1950 wurde sie wieder Lehrerin in Kreuzberg. Sie wurde meine Mäzenin, sie war diejenige, die mich förderte. Mein Vater meinte einmal, wenn ich Ella nicht gehabt hätte, wäre aus mir eine ganz normale Hausfrau geworden. Ella König bestärkte mich in meinem Ehrgeiz zu studieren, zu lernen. Ich wollte Malerin werden, bewarb mich 1969 an der Hochschule der Künste in Berlin zum Studium und wurde zugelassen
Nach dem Studium habe ich als freischaffende Künstlerin gelebt.
Der Galerist Jes Petersen, bei dem ich meine ersten Werke, Zeichnungen, ausstellen konnte, war eine legendäre Persönlichkeit in der deutschen Kunstszene. „Zauber und Zuber“ zeugte er in seinem Dunstkreis, bei dem sich Fluxus-und Happeningkünstler trafen. Sie kamen nach Berlin und blieben, wie zum Beispiel der amerikanische Fluxuspionier Emmett Williams, oder Dorothy Iannone.
Dann habe ich einen Mann kennengelernt, der ein bedeutender Gewerkschaftsboss in Berlin war und ehrenamtlich seit 1963 im Vorstand des Vereins Haus am Lützowplatz, Fördererkreis Kulturzentrum Berlin e.V. tätig war. Diesen Kunstverein, das Haus am Lützowplatz, kannte ich natürlich. Der langjährige Leiter, Jule Hammer, war verstorben und nun brauchte der Kunstverein, nach Horst Wagners mutiger Meinung, „frisches Blut“: Ich verfasste ein Ausstellungskonzept für einen Neubeginn im Haus am Lützowplatz und bin von mir als Künstlerin ausgegangen, was ich im Öffentlichen Raum vermisst habe.
Was ist für dich das interessante daran Kuratorin zu sein? Wonach hast du gesucht?
Anfang 1991 war die Zeit günstig, der Verein reif für einen Neubeginn. Die Leitung dieses „Imperiums“ wurde für mich eine echte Herkulesaufgabe. Das Interessante an einem gemeinnützigen Kunstverein ist auch die Idee, Kenntnisse von Ungewöhnlichem zu vermitteln und Toleranz zu praktizieren. Den Künstlern eine Möglichkeit zu bieten, in einer Ausstellung das zu tun, was ihnen im normalen Kunstbetrieb nicht möglich ist, war ein wichtiges Motiv für die Gründungen der Kunstvereine in Deutschland vor über 150 Jahren.
Was ist für dich das Besondere am Haus am Lützow Platz?
Der Kunstverein Haus am Lützowplatz war einer der ältesten Institutionen West Berlins. Das Besondere und Einzigartige – jedenfalls zur Zeit der Gründung 1963 – war, dass sich 1959/60 Persönlichkeiten aus Politik, Kirche, Gewerkschaft, Kultur zusammentaten, einen gemeinnützigen FörderVerein gründeten, dessen Unabhängigkeit auch durch die Mieteinnahmen gesichert würde. Der Verein kaufte das Haus mit Einverständnis der ehemals jüdischen Besitzer, die 1938 von den Nationalsozialisten enteignet und aus Deutschland vertrieben wurden. Die Mahnung an diese Untat gehört zur DNA des Vereins, sowie die Freiheit zu verteidigen, für die Demokratie einzustehen, den Gemeinschaftsgedanken und das Individuum zu fördern. Es war dem damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, zu verdanken, dass es 1963 zur Gründung und Sicherung der Institution Haus am Lützowplatz kam.
Welche Kunstrichtung hat dich besonders interessiert?
Man konnte sich noch viele Jahre nach Krieg und Wiederbelebung nicht vorstellen, dass schöne Gemälde nötig und nützlich sind. Die Gesellschaft (wir) hatten die Orientierung verloren und die musste wieder aufgebaut werden, Vieles musste neu gedacht und ausprobiert werden. Das „Eins Gefühl“ jener Zeit war die Fluxus Bewegung, allen voran Joseph Beuys: „Wer nicht denken will, fliegt raus“.
Mein Interesse an den Künstlern und ihren Werken war breit aufgestellt. Was Künstler wollen und tun, das zu erfahren, ist grundsätzlich meine Motivation. Die zeitgenössische Malerei von Malerinnen wie Maria Lassnig, Elvira Bach, Leiko Ikemura, Christa Näher, Natalie Thomkins, die Zeichnungen von Louise Bourgeios, Dorothy Iannone haben meinen Horizont erweitert und mich die Freude an diversen Fantasien gelehrt. Ich bewundere die Malerei von Francis Bacon, Leon Kossoff, und Lucian Freud, von David Hockney, die Zeichnungen von Palermo und Beuys, da gibt es viele Säulenheilige!
Du hast als einer der ersten Kuratoren in Berlin den Fokus auf Frauen gerichtet und hast Ihre Werke ausgestellt und Frauenabende organisiert. Könntest Du erzählen, wie es dazu kam?
Ich wollte kluge, politisch gebildete Frauen, Vorreiterinnen aus unterschiedlichsten Herkünften ins Haus am Lützowplatz holen:
Auf gehämmertem Büttenpapier und in gefüttertem Briefumschlag luden wir zu dem Abend „Gastgeberin im Haus am Lützowplatz“ ein.
Die erste Gastgeberin war Hanna Renate Laurien, Präsidentin des Abgeordnetenhaus von Berlin, ihr folgten Ella Barowsky, Stadtälteste von Berlin, Jutta Limbach, Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Claudia Skoda, Modedesignerin, Freya Klier, Schriftstellerin, Bärbel Bohley, Künstlerin und DDR Bürgerrechtlerin, Lotti Huber, Adrienne Goehler, Michaele Schreyer u.v.a, die ihre Gäste, Freunde, Herren und Damen, in unser Haus einluden. Der Verein hat den Rahmen für die sehr individuell gestalteten Abende geliefert.
Dass auch Frauen, Künstlerinnen, mit ihren Werken in meiner Ausstellungsplanung
vorkamen, kommentierte einer der Herren des Vorstands: “Karin, man sagt, wir seien eine Frauengalerie.”
Wir waren bislang also eine Männergalerie.
Mir war aufgefallen, dass mir selbstverständlich sofort gute männliche Künstler in den Sinn kommen, wenn wir über das Ausstellungsprogramm diskutierten. Über weibliche Künstlerinnen hingegen musste ich gezielt nachdenken. Ich nahm mir vor, bewusst auf Künstlerinnen zu achten. Das war richtig ein Vorsatz und half, ein einigermaßen ausgewogenes Programm zustande zu bringen. Die Künstlerinnen Ulrike Bock und Brigitta Skier waren die beiden ersten Feministinnen, die ich kennenlernte. Sie richteten ihr Leben und Werk radikal feministisch aus. In ihrer Ausstellung in unserem Verein verdichteten sie Zeichnungen, Materialien, Performances, Gesang zu einer Lebensklage. 1983 habe ich dann die “primäre Tabubrecherin“,Helga Sophia Goetze, bei einer Friedensdemonstration auf der Straße kennengelernt. „Ficken ist Frieden, Geist und Körper!“ Ein weiteres Tabu, dass zu brechen galt.
Du hast Marina Abramovic, Leiko Ikemura, Elvira Bach ausgestellt und viele mehr. Welche Ausstellung und von wem hat dich am meisten berührt?
Ich glaube, ich kann diese Frage nicht wirklich beantworten. Es gab zu viele.
Natürlich war die Zeit mit Marina Abramovic und ihren Studenten wunderbar: Marina hatte ein Metall Gestell ausgestellt, welches die Ausmaße eines Bettes hatte, an einen alten Federkern erinnernd. Das Gestell lag flach auf dem Boden, die Besucher konnten sich darauflegen und sich festschnallen lassen. Entsprechende Vorrichtungen befanden sich am Kopf -und Fußende. Die aufgesetzten Kopfhörer ließen keinen Laut mehr von Draußen herein, die Besucher waren schalldicht isoliert. Es gab einen Herrn, der öfter kam, um sich vom Aufsichtspersonal fesseln zu lassen. Eine echte Marina Abramovic Lecture, heute wahrscheinlich undurchführbar.
Du hast die Kunstentwicklung Berlins seit den 70ern beobachten können. Was hat sich verändert?
Alles! Ich muss bemerken, dass ich aus der Perspektive eines Menschen schreibe, der in West Berlin sozialisiert ist. Künstler aus der DDR, aus Ost Berlin, haben ein anderes Narrativ. Dennoch, auch wir Künstler wollten keinen Markt, keinen Kommerz, keine Galerien, keine großen Kunstwerke, Garnichts. Wir misstrauten allem und jedem, die Studentenrevolte hatte alle angesteckt. Da wurde oft auch das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Es hat drei Jahrzehnte gebraucht, 30 Jahre nach Kriegsende, ehe sich wieder ein Kunstmarkt etablierte. Zuerst im wohlhabenden Rheinland, in Köln, etablierten sich Künstler und Galerien, dann kam mit den „jungen Wilden“ Malern aus West Berlin frischer Wind und Fahrt auf. Obwohl die Maler Baselitz, Lüpertz, Richter, Klapheck (um nur einige etwas ältere Künstler zu benennen) gute Bilder malten, in Museen ausstellten und verkauften, gaben erst die jungen Berliner Maler Fetting, Salome, Bach, in der Malerei den Ton an. Malerei wurde wieder hochbegehrt und teuer bezahlt. Die Sammler rissen sich um die Bilder, die an den Expressionismus der 1920 erinnerte. Joseph Beuys mit der Fluxus Begeisterung für das unmomumentale, unscheinbare Format kam in die Kammer.
Herrschte Anfang der 70er Jahre noch Nachkriegsdepression, so begann mit dem Wirtschaftsaufschwung eine Phase geistiger Freiheit und enorme künstlerische Produktivität. Die Arbeitsmaterialien für Maler, Fotografen, Performancekünstler, Videokünstler wurden vielfältig, die Reprotechniken wurden verführerisch, den Selbsttäuschungen vom eigenen Können ausgesetzt. Nötig wurden neue Maßstäbe für gute Kunst.
Gibt es Alters-Diskriminierung im Kunstbetrieb?
Die gibt es natürlich auch im Kunstbetrieb. Auffällig ist, wie unglaublich hübsch Kuratorinnen sind (sein müssen?).
Anders hingegen bei Marina Abramovic, in einer Performance, bei der sie sich ihre Haare mit zwei Bürsten, in jeder Hand eine, die Haare und Kopfhaut malträtiert und ruft: „artists must be beautiful“.
Der Kunstbetrieb ist ein Markt, er wird von Händlern beherrscht, ist ungerecht, wenn man nicht gerade hip ist.
Welche Ausstellung hat dich in den letzten Monaten begeistert? Gibt es eine junge Künstler*in die du besonders interessant findest?
Ja, im Sommer 2023 hat mir die Ausstellung von Isa Genzken in der Neuen Nationalgalerie gut gefallen, auch der Betrieb außerhalb: Eine riesengroße Rose, die auf dem Vorplatz installiert war, begrüßte die Besucher schon von Ferne.
Die Objekte im Inneren der sachlich gestalteten Nationalgalerie dagegen waren hässlich, abstoßend, nur auf den ersten Blick wie aus dem Müll geklaubt.
Isa Genzken zeigt gnadenlos die Realität, wie sie ist, nichts beschönigt sie.
Ein guter Ausstellungsbesuch!