Geschichten bei den Anderen: Merril Beth Nisker im Interview für den Musikexpress 2015 – Long Edit

Peaches: „Es ist eine gute Zeit, um Peaches zu sein.“

Merril Beth Nisker aka Peaches (Photo:Courtesy of the artist, taken from the website: https://www.teachesofpeaches.com/live )


Wir befinden uns in einem Hinterhof in Berlin Wedding. Merril Beth Nisker, die die Popwelt als Peaches kennt, hat eigentlich gerade die Fotosession für die KollegInnen vom deutschen Rolling Stone beendet, doch die hartnäckige Fotografin kommt plötzlich doch noch mal an unser Sofa geschlichen und begehrt weitere Bilder. Die grüne Lederjacke, die sich Peaches übergezogen hat, erregt ihre Aufmerksamkeit, und so wird sie mit einem markanten „leg dich hin“ aufgefordert, sich auf dem Sofa ganz auszustrecken. Es fallen von Künstlerinnenseite humorvoll gemeinte Worte wie „Sklaventreiberin“ und „Nazi“ sowie ein kokettes „Du kannst mich Eva nennen!“ als Antwort – beendet wird der charmante Dialog selbstredend von Peaches: „Fuck Rolling Stone, Musiexpress now! I am playing the game!“

Wer will da widersprechen. Zumal es viel zu bereden gibt. Es sind zwar bereits sechs Jahre vergangen, seitdem Peaches ihr letztes Album „I Feel Cream“ veröffentlicht hat, aber man kann nun wirklich nicht sagen, dass die Kanadierin dazwischen faul gewesen wäre. Zunächst ging es zwei Jahre lange mit den Songs um die Welt, und dann lockte die Theaterbühne: erst inszenierte Peaches ihr eigenes Leben als „Peaches Christ Superstar“ am Hebbel am Ufer, im Anschluss sang sie dort in der Monteverdi-Oper „L Orfeo“, adaptierte ihr Musical als Film („Peaches does herself“) und zog schließlich nach Los Angeles um, wo umgehend die Aufnahmen für das neue Album „Rub“ begannen.

 


Jetzt sitzt sie einige Monate später in 2015 leicht angeschlagen vor mir, Magenprobleme – was sie aber nicht davon abhalten wird, die nächste Stunde eine eloquente Gesprächspartnerin zu sein. Aber kaum habe ich meine letzte Frage beantwortet bekommen, wird sie vor meinen Augen einschlafen. So etwas nennt man wohl Vollprofi.

Peaches (flüsternd): Sie wollen einfach nicht gehen, typisch Fotografen.

Sie hofft noch ein weiteres Motiv erhaschen zu können.

Ich weiß. Aber ich werde meinen Kopf nicht noch einmal für sie ablegen.

Schön, dich wieder zu sehen. Es ist ein paar Jahre her. Geht es dir gut?

Ja, wobei ich heute ein bisschen durchhänge.

Nun, dein Zeitplan die letzten Wochen scheint sehr hart gewesen zu sein. Wobei, du solltest es mittlerweile gewohnt sein. Auf der Fahrt zu unserem Treffen habe ich mir „What Else Is In The Teaches Of Peaches“ angeschaut, das Fotobuch von Holger Talinski, in dem dieser deine letzten sechs Jahre dokumentiert. Musst du dich machmal selbst zwicken, wenn du es durchblätterst?

Da ich mich frage, ob das alles wirklich passiert ist? Oh ja. Wobei es in dem Buch ja nicht nur um die krasse Peaches auf der Bühne geht, die immer einen Gangbang will, sondern auch um die private Person dahinter, die verletztliche und verspielte Peaches. Deswegen war es so wichtig, dass er auch bei den Treffen mit meinen Eltern und meiner Schwester dabei war.

Willkommen zurück in Berlin. Wie fühlt es sich an wieder in der Stadt zu sein, in der du so lange gelebt hast?

Es fühlt sich mehr denn je so an, als ob ich hier lebe. Wenn ich dieser Tage nach Berlin komme, dann meistens für einen oder zwei Monate, also mit viel Zeit um Freunde zu treffen. Man kann also sagen: Es ist ein totaler Spaß, da ich jetzt in Berlin lebe ohne den Nachtteil aka das Wetter. Los Angeles ist schon sehr anders – ich bin da ja genau deswegen auch hingezogen, da ich Berlin als zu anregend empfand und mich freischauffeln musste für die Arbeit an einem neuen Album. Ich hatte keine Probleme mit Berlin, ich wollt nur nicht mehr so sehr in die Leben von so vielen anderen verwickelt sein.

Wenn das der Hauptgrund war, dann gibt es aber noch ruhigere Städte als Los Angeles zum arbeiten.

Ja, das stimmt, aber ich mag es, dass ich dort noch immer nah dran bin an Leuten, denen ich mich verbunden fühle. Außerdem schätze ich die kleinen Häuschen mit Garten, das gute Wetter – nur das Autofahren macht mich verrückt.

Fährst du denn selbst?

Das habe ich getan, bis ich mein Auto kaputt gefahren habe. Natürlich wurde ich danach immer wieder gefragt, ob ich betrunken gewesen sei – aber ich würde nie auch nur einen Schluck trinken und fahren. Genaugenommen bin ich wie eine Oma gefahren, und das auch nur zwischen 10 Uhr morgens und 3 Uhr nachmittags, in den hektischeren Zeiten habe ich schon immer Uber genutzt. Ich hatte so ein cooles Auto, einen VW Rabbit Cabrio, einen Golf aus dem Jahr 1982.

Hast du den Unfall denn auf einem Highway gebaut?

Nein, die habe ich nie genommen. Gar nicht wegen mir, so gut kann ich schon fahren, ich bin das ja aus Kanada, wo man ohne Auto wegen der Distanzen aufgeschmissen ist, auch gewohnt. Nein, wegen der anderen Leute: „Oh, you fucker.“ Die Leute sind so verrückt, aus normalen Straßenverkehr wird so leicht ein Rennen. Nein, der Unfall ist bei einer ganz entspannten Fahrt durch einen Park passiert. Ich hörte den Anweisungen meines Navi zu, aber sie kamen mir seltsam vor, so das ich auf das Handy schaute – und wenn man das macht, dann stoppt die Zeit und man vergisst, dass man fährt, man verliert sich im digitalen Dasein. Ich fuhr also in ein parkendes Auto – das einem Richter gehörte! Aber es lief alles ganz glimpflich ab, er war nett und ich versichert.

Was die wenigsten ja wissen: unter den Highways von Los Angeles gibt es immer auch noch die „Old Roads“, und wenn man die fährt, bekommt man einen Eindruck des alten L.A. wie man es aus Chandler Romane und so kennt.

Oh ja, dort bekommt man viel mehr von der Stadt mit. Ich bin genau durch solche Fahrten ein Fan von den Vierteln Burbank und Glendale geworden. Es gibt dort herrlich seltsame Straßen.

Wo lebst du denn?

In Silverlake, nahe Los Feliz und Atwater Village, wo die Beastie Boys ihr Studio hatten.

Ist „Rub“ wirklich komplett in deinem Garagen-Studio enstanden? Dann hatte ja der Unfall wirklich sein gutes.

(muss lachen) Niemand in Los Angeles benutzt seine Garage für sein Auto. Es ist zwar illegal, aber jeder zweckentfremdet sie für ein Studio oder was auch immer. Wir haben meiner Garage also ein höheres Dach verpasst, so dass der Klang gut wurde. Wir haben praktisch nur mit einem Computer gearbeitet.

Was ich kaum glauben kann, da es so gut klingt – und so hetorogen, wobei die unterschiedlichen Soundästhetiken, (Trap, HipHop, Electro) sehr fließend ineinander greifen. Ich nehme mal an, dass dein Mitproduzent Vice Cooler dabei eine wichtige Rolle spielte.

Ja. Kennst du ihn? Er ist ein Kid aus Alabama, das zwei Chancen hatte, dort wegzukommen: Meth oder Musiker – er hat zum Glück die Musik gewählt. Deerhoof und Sonic Youth haben ihn am Anfang mit auf Tour genommen, ich lernte ihn kennen, als er mit 15 zu einer meiner Shows in Texas kam. Später tourte er dann zweimal mit mir, er ist ein ganz toller Performer. Als ich vor drei Jahren nach Los Angeles zog, hingen wir viel zusammen rum und hörten Musik. Wir kommen beide vom Rock´n´Roll und Postpunk, mögen aber auch elektronische Sounds und HipHop-Beats, insofern ist er der perfekte Kooperationspartner für mich. Er kennt meine Musik sehr gut, teilt mit mir ästhetische Vorlieben und produziert coole Sounds.

Er produziert dich also nicht nur, ihr macht richtig gehend zusammen Musik – und teilt euch auch die Songwriting-Credits?

Wir teilen alles. Es fühlte sich organisch an, ich traue ihm total und sage alles vor ihm. Es gibt keine Egoprobleme, keine sexuelle Anspannung, wir sind einfach zwei Freunde, die gut miteinander können. Manche sagen ja, dass es Spannungen bedarf, um Großes zu schaffen, aber ich hatte schon genug persönlichen Scheiß zuletzt. Wobei die konkrete Zusammenarbeit eher ein Zufall war. 2011 begann ich mich mit diversen Produzenten zu treffen, ich dachte, es sei vielleicht eine Option. Vice kam immer mit, da mir das alles so unangenehm war – ich bin dann auch mit keinem richtig warm geworden, aber plötzlich wurde mir klar: mein Produzent ist schon die ganze Zeit an meiner Seite.

Ich mag, wie das Album sich gar nicht erst mit Wiederannäherung aufhält, sondern sofort zum „Close Up“ ansetzt, Kim Gordon klingt hier natürlich sehr wie einst im flirty Sonic Youth / Public Enemy Stück „Kool Thing“.

Ich mag, dass sie mein Chuck D ist!

Der zweite Song, „Rub“, macht, was diese Direktheit angeht, konsequent weiter: „Feel free, come with me / Come with me, peachy / This chick’s dick is in my mouth”.
Das ist der typischte Peaches Song, den man sich vorstellen kann.
Hast du mal überlegt, ob dieser Duktus noch zeitgemäß ist?

Wir schreiben das Jahr 2015 – und wenn du mich fragst, dann hat sich alles zu meinen Gunsten entwickelt. Es ist eine gute Zeit, um Peaches zu sein. Man findet viel von meiner minimalen, direkten Art in einem zeitgemäßen Sound wie Trap, und auch textlich liegt mir der aktuelle Zeitgeist. 
In gewisser Weise bin ich vor dem Album all meine anderen Ideen losgeworden. Ich mag es zu singen – also sang ich viel in „Peaches Christ Superstar“. Mit „Peaches Does Herself“ trieb ich das, was ich auf der Bühne mache, auf die Spitze: mehr Sets, mehr Licht, mehr Effekte, mehr Leute. Und mit der Oper tobte ich mich in fremden Sprachgefilden aus. Insofern fühlte es sich super an, wieder ich selbst zu sein,

Du stehst als Peaches ja für sexuelle Freiheit. So könnte man zumindest grob das Credo deines Werkes lesen. Wie gehst du denn mit der Regression da draußen in den Clubs und der Welt um? Es hat ja in den letzten Jahren, abseits letzter Bastionen der Freiheit wie dem Berghain, ein merklicher Backclash Einzug gehalten: die Jugend von heute ist wieder deutlich braver als noch vor zehn Jahren. Was denkst du, woran das liegt?

Ich bin mir da nicht so sicher, ob man das so sagen kann, zumindest nicht für Berlin, in Los Angeles sieht es schon anders aus. Es lassen sich aktuell zwerlei Entwicklungen fesstellen: ein Rückschritt zum Braven und ein Ausleben des Wilden. Meine Theorie ist es ja, dass wir derzeit ein exponentielles Wachstum in alle Richtungen erleben: Einerseits wird es in der einen Ecke sexuell viel offener, aber in der anderen dafür viel restriktiver. Das gilt auch für alle anderen Felder, plötzlich gibt es Nazi-Hipster und vegane Kochshows, die Codes der Offenheit werden also für fucked Up Sachen genutzt.

Der deutsche Popkultur-Theoretiker Diedrich Diederichsen schrieb schon 1992 in seinem Essay „The Kids are not alright“, dass es nicht mehr möglich sei, von einer Malcolm X Baseball Cap per se auf einen Linken zu schließen, diese würden im Post-Wende-Deutschland auch von, zum Beispiel, Nazis getragen.

Exakt, das trifft es. Dazu passt auch, dass die Leute sich in ihren Social Media Feeds gerne wild inszenieren, doch oft sind das Schummelpackungen und die waren nur fünf Minuten da und sind dann Heim zum schlafen gegangen.

Hat nicht auch David Bowie das immer so gemacht? 
Da hast du es. Viele berühmte Leute machen das so. Das andere Phänomen ist das Policing, ich spreche dabei gerne von der Facebook-Stasi, der Fun-Stasi. Man muss es den Leuten nur als großen Spaß inszenieren, dann erzählen sie uns alles, und wir müssen sie gar nicht mehr ausspionieren.
Was mich ja so nervt, ist diese anmaßende Verhalten, andere maßregeln zu wollen. Ich würde nie in einem Club jemand anderen sagen, wie er sich zu benehmen hat – aber es ist mittlerweile normal, dass jemand einen um 4 Uhr morgens das rauchen untersagen will.

Absolut, gerade auf Festivals merkt man, dass unterschiedliche Ideen von Ausgehen existieren, da wird einem schon mal gesagt, dass man es nicht mag, wie man redet… aber was den Aspekt des sexuellen angeht, so finde ich die jüngeren Leute viel offener als früher. Da ich neuerdings Single bin, stelle ich erfreut fest, dass Alter heute ein viel kleiners Problem zwischen den Jüngeren und mir ist.

Wo du es schon ansprichst: Auf dem Album sind diesmal ja auch zwei sehr persönliche Songs, die sich mit dem Ende deiner letzten, langen Beziehung beschäftigen: „Free Drink Ticket“ und „Dumb Fuck“. War das eine leichte Entscheidung – und war die Genese der Stücke schwieriger als die von Songs, die nicht so nah an der Privatperson Merrill Beth Nisker gebaut sind? Gerade „Free Drink Ticket“ ist ein super heftiger Song, allein schon textlich: „I gave and you pretended / Who the fuck are you /
I have no idea
/ You were shitting on me / How could I not smell it / Fuck you / … I’m in so much fucking pain right now
/ I want you to feel it
/ I wanna rip you apart with my bare hands / I wanna crush your bones
 / I want to cut you”.

Jeder kennt das Gefühl, dass man, wenn man jemand geliebt hat, einen sehr großen Schmerz spürt, wenn es zu Ende geht. Wie es sich anhört, wenn man sich sehr verletzt fühlt, kann man auf dem letzten Björk Album hören. Und jemand wie Nicki Minaj entdeckt in diesem Moment neue Facetten an sich. Aber mir ging es darum, mich mit jenem Monat oder halben Jahr auseinanderzusetzen, wo man den anderen so richtig hasst. Jeder kennt diesen Zustand doch, oder? Ich habe also diesen Moment eingefangen. Es hat gerade mal zehn Minuten gedauert, „Free Drink Ticket“ zu schreiben.

Das glaube ich dir sofort. 
Der Song hat für mich aber trotzdem etwas poetisches, es ist keineswegs ein reiner Abreagier-Song. Er besitzt auch eine didaktische Seite, in dem er davor warnt, was das Nachtleben mit einem anstellen kann. Man sollte nie vergessen, dass es einen Morgen danach gibt, ein normales Leben, das man zu leben hat.
Erleichert es dir diese Mehrfachcodierung, die du offensichtlich in dem Song siehst, ihn bald immer wieder aufzuführen. Denn das stelle ich mir schon schwer vor.

Das werden wir sehen, wie sich das anfühlen wird. Ich schätze es immer sehr an Performerinnen wie Karen Finley und Lydia Lunch, dass sie so wütend agieren, auch wenn ich selbst bislang immer den Spaßfaktor vor die feministische Botschaft gestellt habe. Insofern fühlte es sich schon sehr gut an, mich auch mal in derart dunkle Gefilde zu wagen.

Stichwort Zusammenarbeiten: die Liste deiner Kollaborationen ist über die Jahre sehr lang geworden und reicht von Iggy Pop, Diplo, Yoko Ono, Le Tigre, Michael Stipes, Joan Jett, Beth Ditto zu Josh Homme – was eint diese Leute für dich? Von Außen mutet es ja primär wie eine Ballung an Alpha-Tierchen an, geht das denn immer leicht zusammen was den Energieaustausch angeht?

Es sind meine Freunde. Ich will doch niemanden nur anwesend haben, nur damit er da ist. Es muss etwas bedeuten. Aber ich habe auch mit Feist zusammengearbeitet, sie ist zarter. Wobei sie schon sehr viel Power hat – ihr Power ist es aber, dass sie so verletztlich und leise singen kann.

Kannst du sagen, nach was du bei anderen Künstlern suchst?

Bei Kim Gordon war es schon so, dass ich es wollte, wie du vorhin festgestellt hast, dass sie mein Chuck D oder mein KRS-1 sein sollte. Ich wusste damals noch gar nichts von ihrem Buch, sie war zu der Zeit wegen ihrer künstlerischen Arbeit in Los Angeles und schaute spontan vorbei. Sie hat nur einen Take gebraucht, sie ist so erfahren. Man denkt oft, es sei nur Talent, aber die Erfahrung spielte da auch eine große Rolle.

Kim Gordon hat ja wie du eine heftige Trennung durchlebt. Gab es kurz den Gedanken, hier inhaltlich zusammen zu kommen?

Nein. Aber es fühlte sich für uns beide gut an, dass wir uns durch die Musik stark fühlen konnten.

Hast du ihr Buch gelesen?

Ja.

Mochtest du es?

Ja. Es ist ein schroffs Buch, aber so ist sie nunmal. Wenn du „Clothes, Clothes, Clothes. Music, Music, Music. Boys, Boys,”, das Buch von Viv Albertine von den Slits liest, dann verfolgt es einen anderen Ansatz, du kannst es ja mit dem mal versuchen.

Ich habe den Videoclip zu deinem neuen Song „Light In Places“ gesehen, den ersten von wieder einer Vielzahl an Clips zum Album, bei denen du selbst Regie geführt hast. Für diesen hast du mit der britischen Performance Künstlerin Empress Stah zusammengearbeitet. Wie bist du auf sie gekommen?

Wir teilen einen gemeinsamen Freundskreis aus Tänzern und Performancekünstlern in Berlin, London und Australien. Da sie an einem neuen Programm arbeitete, rief sie mich an und fragte an, ob ich den Song dafür schreiben könne. Was für eine tolle Anfrage – ich mag es, wie sie von Orten aus, an die man selbst so nie gedacht hat, politisch positive Aussagen trifft. Ihre Performances sind so hoffnungsvoll.

Du sprichst von dem Laser-But-Plug, also den Laser-Dildo, den sie im Clip und den Performances trägt und der das Licht der Hoffnung an Orte trägt, wo es bislang nicht hinschien: “I’ve got light in places
 / You didn’t know it could shine / I’m an everlasting iconoclast
/ I came to destroy the past
/ My stargasm makes the blast / Shake the system then surpass / Liberate en masse
/ Eliminate the class
 / All humans free at last
/ So much beauty comin outta my ass”.

Es ist in ihr, also sehr kontrovers, und zugleich so schön. 
Ich sollte also den Song für sie schreiben als Grundlage für ohr Programm – aber ich empfand das, was sie machte, als so schön, dass ich einfach ein Video von ihr drehen wollte. Es ging darum, sie zu highlighten.

Für deine „DJ Extravaganzen“-Auftritte hast du zuletzt ja mit vielen Tänzern zusammengeabreitet. Ich hatte bislang leider nicht das Glück, eines der Sets zu sehen. Wie kann man sich das vorstellen?
Wie meine neue Show. Aber dies wird dann natürlich mit meinen eigenen Songs sein und nicht mit fremden, die ich remixe und über die ich singe. Man könnte sagen es waren Generalproben dessen, was ich mit der neuen Show vorhabe, das gilt auch für das Musical, die Oper und den Film, all diese Projektre haben mir dabei geholfen, Dinge auszuprobieren.

Wie kommt es zu diesem besonderen Interesse an TänzerInnen. Die Liste der Kollaborationen in dem Feld ist ja mittlerweile sehr lang: Louise de Ville, Clea Cutthroat, Jess Daly, Agent Cleave, Jess Daly und nicht zuletzt Ginger Synne und Frau Pepper.

Ich suche nicht nach perfekten, besonders gut ausgebildeten TänzerInnen, sondern nach Energie und dem Speziellen. Ich bin mit Frau Pepepr und Ginger Synne, die beide in Ostberlin aufgewachden sind, rund um die Welt getourt. Aktuell arbeite ich mit zwei Australischen Tänzerinnen, in deren Heimat ich vor fünf Jahren bereits mal mit ihnen zusammengeabreitet habe. Mich ziehen in der Tat Performance-KünstlerInnen mehr an, mehr als MusikerInnen.

Das heißt für die kommenden Clips können wir…

… es kommen fantastische Clips auf euch zu, aber ich verrate noch nicht mehr.

PEACHES – Light in Places from Peaches on Vimeo.

Was ich am Clip zu „Light In Places“ so mochte, war diese interessante Doppelstimmung: einerseits verschwimmen die Bilder in einem sehr Discoesken Rausch, andererseits sieht man aber den Laser so direkt und unmittelbar aus dem Po herausstechen. Bist du jemand, der sich beim Ausgehen sehr gut gehen lassen kann?

Manchmal. Wenn ich mich sicher fühle unter den Leuten, mit denen ich unterwegs bin. Aber es ist ein Privileg, man hat viel Glück, wenn man das machen kann.
In dem Fotoband „What Else Is In The Teaches Of Peaches“ findet sich ein Bild von dir, wo du völlig nackt auf der Bühne bist. Du wirkst generell völlig entspannt im Umgang mit der eigenen Körperlichkeit. Alter spielt in deinen Reflektionen keine Rolle trotz des Jugendwahns, der gerade in der Popkulturindustrie besteht?

Das stimmt, es ist eine sehr auf Jugend konzentrierte Industrie, aber ich war ja schon als ich anfing nicht mehr jung. Natürlich denke ich viel über das Altern nach, und ich spreche auch darüber – das Album sollte erst „Post-Gender-Post-Ageism-Celebration“ heißen. Aber nein, ich habe kein Problem damit. Warum fragst du, weil ich nackt war? Kennst du den Kontext des Projekts?

Nein, ich habe nur das eine Bild vorhin bei der Erstansicht des Buchs entdeckt

Yoko Ono hat vor 50 Jahren ein Projekt umgesetzt, bei dem sie – und sie hatte damals kein Geld – ihre teuersten Klamotten in einer Galerie trug und die Leute aufforderte, ihr diese mit einer Schere vom Körper zu schneiden. Sie bat mich, das Projekt zu wiederholen. Aber gut, dass ich noch immer deine Aufmerksamkeit mit einem Nacktbild von mir bekomme – in meinem Alter.
Das sage ich doch gar nicht. 
Das weiß ich doch. Im Ernst: Ich will meinen Körper heute mehr denn je zeigen, und ich weiß, dass die Leute schon denken, dass ich das doch eh die ganze Zeit mache. Mich tangiert das nicht, was die anderen denken. Es hat etwas wunderbares, wenn ältere Leute sich wohl in ihrem Körper fühlen und fotografieren lassen. Das strahlt eine ganz besonders schöne Stimmung aus.

Hast du „Wolke 9“ gesehen, den Film von Andreas Dresen, der sich mit Liebe und Sex im Alter sehr explizit auseinandersetzt?

Nein. Das muss ich mir notieren. Unsere Gesellschaften werden älter, da wir nicht mehr so jung sterben. Wir sollten also an die Extrajahre denken, die wir haben und uns ohne Ängste in die Abenteuer wagen, die dies mit sich bringt. Wenn es manche Leute eklig finden, dann ist es ihr Problem.

Viele Musiker berichten einem ja von Abnutzungserscheinungen mit ihren Songs. Kennst du das Phänomen?
Um ganz ehrlich zu sein, und ich kann dir das auch beschwören: Ich liebe es jedes Mal, wenn ich zum Beispiel „Fuck The Pain Away“ singe und dabei die Freude in den Gesichtern der Leute sehe. Für mich ist es einfach nur unglaublich, dass der Song immer wieder neue junge Hörer findet. Es ist ein Privileg, einen Song geschrieben zu haben, auf den die Leute sich so einigen können.

Hat sich denn die Art, wie du einen Song wie „Fuck The Pain Away“ fühlst, verändert? Ist es 2015 ein anderer Song für dich als im Jahr 2000?

Wenn ich ihn länger nicht gespielt habe, kommt er mir sehr Hardcore vor. Ich denke mir, „wow, was für ein toller Song.“ Oder nimm einen Song wie „Back it up“, da haut mich der großartige Beat jedesmal um. Wenn ich sie nicht mehr mögen würde, dann würde ich sie auch nicht mehr spielen.

Schön, dass dich deine eigenen Sachen noch so zu begeistern wissen. Am 10. Oktober wird an den Münchner Kammerspielen ja nochmals deine Oper „Peaches Christ Superstar“ aufgeführt , die so erfolgreich in Berlin im Hebbel am Ufer gelaufen ist. Für eine Person, die ich immer sehr im jetzt und heute wahrgenommen habe, muss es ein bisschen irritierend gewesen sein, dabei, wenn auch sehr humorvoll, das eigene Werk zu resümmieren, oder? Wie am Anfang auch hier die Frage: zwickt man sich da manchmal, was man schon alles geschaffen hat?

Oh ja. Das Beste daran war, dass ich entscheiden musste, ob ich die Sachen wieder so drastisch machen wollte – und ich entschied mich, sie noch mehr zu übersteigern. Ich halte nichts davon, wenn Künstler ihr eigenes Werk später anders anlegen wollen, das birgt viele Risiken und geht leicht schief.
Ich wollte ja am Anfang meiner Karriere Theaterregisseurin werden und kam nach der Highschool auch gleich in ein sehr gutes Ausbildungsprogramm. Ich war damals zwar noch keine Musikerin, aber mein Ziel war es ein cooles Musical zu produzieren. Aber nach einiger Zeit bin ich ausgestiegen, es war mir zuviel geworden mit all diesen Leuten zu arbeiten – und so fand ich organisch zur Musik, wo ich alles in einem vereinte: die Regisseurin und die Performerin. 20 Jahre später, 10 Jahre nachdem ich die Peaches in mir entdeckt hatte, fragte dann plötzlich das Theater bei mir an, ob ich nicht ein Programm für sie produzieren möchte – und plötzlich stellte ich fest, dass ich 15 Jahre lang recherchiert hatte für das Musical, das ich schon immer machen wollte.

Die alte Regel des Lebens…

… die Sachen kommen zurück zu dir, wenn du sie nur zuvor gehen lässt. Nun war ich erfahren genug, um all die Schauspieler in den Griff zu bekommen. Weißt du, Theaterleute sind so laut, und haben immer so viele Gefühle…

Noch mal kurz zurück zu „Fuck the Pain Away“. Bedingt durch das stets steigende Interesse an Genderdiskurs wurde der Song aber auch du als Protagonistin einverleibt. Wie ging es dir denn damit?

Ich möchte, dass die Leute sich in ihren Körpern wohlfühlen. Das ist, wenn man mal ehrlich ist, die schwierigste Sache auf der Welt. Wir Frauen haben unsere sexuelle Befreiung durch den Feminismus erfahren, doch Männer nicht.

Das stimmt. Deswegen können sich die meisten Männer nicht öffentlich fallen lassen.

Sie fühlen sich nicht wohl in ihrem Körper.

Hast du denn Judith Butler gelesen? Hat dich der Diskurs interessiert?

Ja, ich habe sie gelesen und auch andere Bücher über Gender.

Siehst du das reflektiert in deiner Musik?

The Knife haben auf ihrer letzten Tournee ihre Bücher am Merchandise-Stand verkauft, da ihr Album sich explizit mit ihrem Werk auseinandersetzte.

Haben sie sich denn gut verkauft?

Das kann ich dir nicht sagen. Aber ich mochte, dass sie es gemacht haben. Was deine Frage angeht: Ich versuche nicht so sehr, die Arbeit anderer in meine einfließen zu lassen. Vielleicht ist das falsch, aber ich versuche stattdessen mich selbst zu hinterfragen, zu suchen, was aus mir heraus zum vermitteln aufkommt.

Auf der anderen Seite kann man die frühe Rezeption von deinen Auftritten und deiner Musik, die ja eng mit deinem kanadischen Weggenossen Gonzales stattfand, als eine auf das unterhaltende, humorvolle konzentrierte lesen. Wie ging es euch denn damit, die lustigen KanadierInnen zu sein?

Absolut. Für mich spielt Humor eine große Rolle. Er hilft dir dabei, dass die Leute dich schneller und besser verstehen, sich mit dir anfreunden können. Schau dir doch nur die vielen tollen Komikerinnen an, die es derzeit gibt, und wie sie die Dinge vorantreiben. Leute wie Amy Schumer oder auch Tina Fey und all die Mädchen aus der Broad City Serie. Manchmal kommt es mir vor, als ob sie alle mehr leisten als wir Musikerinnnen. Aber es geht natürlich nicht nur um Humor, sondern um die Tiefe dahinter, die soziale Kritik und all das, was im besten Fall mit drin steckt.

Um nochmals deinen alten Kameraden Gonzales mit einzubeziehen, euch beide eint ja genau das: einerseits diese humorvolle Seite, andererseits das große musikalische Talent.

Das ist richtig, und was ich auch noch bemerkenswert finde, unsere Musiken haben wenig miteinander zu tun.

Ist genau das der Grund, warum er in deinem Werk immer wieder auftaucht? Ihr habt ja auch für „Peaches Christ Superstar“ zusammengearbeitet.

Ja, das kam aber ganz zufällig. Wir telefonierten und ich berichtete ihm von der Anfrage und was ich vorhätte – und da erwiderte er sofort, dass er auch Musicals liebe und den Klavierspieler geben wolle. Mittlerweile spielt aber jemand anderes seinen Part, da er es nicht mehr machen wollte, da einfach zuviele Anfragen reinkamen. Aber das ist kein Konflikt.

Peaches, du kamst mir schon immer wie eine Workaholic vor.

Es ist nicht so, dass ich das so will, die Leute kommen eben oft auf mich zu mit Anfragen. Aber das ist schon okay so, ich mag es nicht rumzuhängen und mich zu langweilen.

Ich kann mir vorstellen, dass du immer auf ein paar Monate im vorraus verplant bist.

Zumindest wenn wie jetzt ein Album ansteht.

Wie geht man denn dann mit dem Bedürfnis nach Privatheit und Ruhe um, das du doch bestimmt auch mal fühlst.

Ohja, ich liebe es auch, die Tür hinter mir zu zumachen und mich ins Bett zu legen. Aber das mache ich dann auch.

Was ich dich schon immer fragen wollte, du hast deinen Künstlernamen doch wegen Nina Simone gewählt, oder? In ihrem Song „Aunt Sarah“ beschreibt sie vier Frauentypen – und der vierte, die verbitterste aber auch hartnäckigste heißt Peaches.

Hast du „What Happend, Miss Simone?, die neue Dokumentation über sie gesehen?

Nein.

Sie ist ganz toll, du solltest sie dir anschauen. Sie erzählt viel von dem, was Nina Simone versteckt gehalten hat, wie sie wirklich war.
Ich hatte ja keine Ahnung, dass ihre Songs aus dem Radio verbannt wurden, da sie für die damalige Radiolandschaft zu politisch waren. Es störte sie nicht, obwohl sie an einem Punkt in ihrer Karriere in Paris lebte und mit ihren Auftritten gerade mal 300$ die Woche in einer schrecklichen Bar machte. Sie hat es sich nicht einfach gemacht. Aber dann kam dieser Werbespot für Channel mit „My Baby Don´t Cares“, das hat ihr natürlich sehr geholfen. Man kann es ihr natürlich nicht vorwerfen, dasss sie es gemacht hat, aber natürlich schon seltsam: Nina Simone und eine Parfum-Werbung.

Peaches, vielen Dank für das Gespräch.

 

Peaches tritt am 13. Dezember im Rahmen von Lieblingsplatte mit Ihrem Album „The Teaches of Peaches“ im ZAKK in Düsseldorf auf.

 

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