FRONT – „Sie waren so modern wie Palais Schaumburg oder DAF. Und dabei doch völlig eigen.“

Front (Photo: Ilse Ruppert)
Front, 1980 von Mitgliedern der Hamburger Punkband Coroners gegründet um verblüffend moderne Musik zu produzieren. Zur Zeit ihres Bestehens veröffentlichten Joern Zimmermann (Gesang), Godehard Buschkühl (Gitarre), Ralf Hertwig (Schlagzeug) und Jürgen Keller (Bass) damals beim Hamburger Label ZickZack eine Single („Alternativ – City West“), eine EP („Georg“) und einen Sampler-Beitrag, das Stück „Blech und Liebe“, das den legendären „Lieber Zuviel Als Zu Wenig (ZickZack Sommerhits81)“)-Sampler eröffnete.
Insgesamt sieben Songs, auf denen sie mit Funk, Dub und New Wave jonglierten, was weniger hanseatisch klang, sondern nach weiter Welt und an die Clubs von Manchester und New York erinnerte: Eine Musik die tanzbar und frisch und glamourös daherkam und eine neue Art mit Texten und Gesang umzugehen einführte. Das Studio wurde zum Instrument und die Rhythmen raffinierter. Kein Wunder, dass der BBC-DJ John Peel Fan der Band war.
Im Frühsommer ’81 verließ Gitarrist Buschkühl die Band, die sich danach entschloss, als Trio weiterzumachen. Ihr Debut-Album war für den Herbst 1981 angekündigt, wie damals den Linernotes des Samplers „Lieber Zuviel Als Zu Wenig“ zu entnehmen war. Aber dann kam – nichts. Front verflüchtigten sich so geheimnisvoll, wie sie mal aufgetaucht waren. Kein Abschied, keine Erklärung. Die Geschichte von Front war zu Ende bevor sie überhaupt so richtig begonnen hatte.

Front, Joern Zimmermann (Photo: Peter Koerner)
Doch manchmal geschehen noch Zeichen und Wunder: Fronthatten damals einige ihrer Proben für die geplante Studio-Session auf Tonband aufgenommen. Auch dank modernster Studio-Technologie und good old Cut&Paste ist es ihnen nun gelungen, das ursprünglich geplante Album auf Basis der Original Proberaum-Aufnahmen endlich fertig zu stellen, zu mischen und zu mastern. Und das kann nur als großer Glücksfall begriffen werden, denn tatsächlich stellen Front mit diesem Album mehr als 45 Jahre später unter Beweis, dass die Postpunk-Erzählung in Deutschland noch einmal neu geschrieben werden muss. So klang in Deutschland zu der Zeit tatsächlich keine andere Band. Ein deutscher, aber irgendwie auch britisch anmutender, wahnsinnig gut groovender Funk-Dub-Punk-Kraut-Hybrid mit dadaistischen Durchhalteparolen für alle Ewigkeit.
Das schlicht „Album“ betitelte Front-Album erscheint am 28.05. inklusive aller in den 80ern veröffentlichter Songs bei Staatsakt/Bertus. Für Kaput haben sich Christoph Dallach und Andreas Dorau über die Band unterhalten:
Christoph Dallach: Das Album von Front war 1981 angekündigt, kam dann aber nie. Gut vier Jahrzehnte später erscheint das mythenumrankte Werk doch noch. Warum?
Andreas Dorau: Vor zwei Jahren gab es ein Abendessen bei Joern Zimmermann, dem damaligen Front-Sänger, weil ihr Gitarrist Godehard Buschkühl kurz vorher verstorben war. Ralf Hertwig, der Drummer, und Bassist Jürgen Keller waren dafür aus München und Heidelberg angereist. Ich war eingeladen, weil ich mit allen seit langer Zeit befreundet bin. Während wir da also beisammen saßen, brach es im Laufe das Abends aus mir heraus, nun bitte endlich doch noch das Front-Album zu veröffentlichen.
Christoph Dallach: Warum nach so langer Zeit?
Andreas Dorau: Weil ich kurz davor ein Buch über die Hamburger Szene in die Hände bekommen hatte, in dem Front mal wieder nicht erwähnt worden waren – was mich total geärgert hat. Von dieser Art Bücher gibt es mittlerweile Dutzende, und Front tauchen da nie auf.
Christoph Dallach: Warum ärgert Dich das so?
Andreas Dorau: Weil Front für mich eine sehr wichtige Band war. Die waren damals sehr modern und ihren Sound gab es 1981 hier noch nicht. Front klangen wie eine Band des legendären englischen Labels Factory, heute gilt so was als Post-Punk. Front waren aus den Coroners hervorgegangen, einer typischen Punkband, aber sie klangen ganz anders.
Christoph Dallach: Was genau war denn anders?
Andreas Dorau: Bei Front hörst du Dub und Funk, und eine neue frische Art mit Texten und Gesang umzugehen. Als Fünfzehnjähriger, der wie Front auf dem Zickzack Label war, schaute ich beeindruckt auf zu dieser Band. Sie waren so modern wie Palais Schaumburg oder DAF. Und dabei doch völlig eigen. Nicht so minimalistisch und konzeptionell wie DAF und auch nicht so surrealistisch wie Palais Schaumburg. Sondern irgendwie zwischen allen diesen Einflüssen. Das fand ich gut, und es hat mich beeinflusst.
Christoph Dallach: Und es war tanzbar.
Andreas Dorau: Ja, auf einmal standen damals alle auf Dance-Sachen. Auf Funk, Disco und alles Mögliche. Alle fanden Chic gut. Und A Certain Ratio und die Pop Group. Dub tauchte auf. Das alles veränderte hier das Musikmachen. Dazu kam die Erkenntnis, dass das Studio als Instrument genutzt werden konnte. Man arbeitete an den Geräten im Studio, veränderte die Stücke. Also ganz anders als früher im Übungsraum. Diesen Spirit haben wir auf dem nun erscheinenden Album fortgesetzt.
Christoph Dallach: Also ganz anders als Punk.
Andreas Dorau: Genau.

Ralf Hertwig (Photo: Peter Koerner)
Christoph Dallach: Gibt es eigentlich ein Album der Front-Vorgänger-Band Coroners?
Andreas Dorau: Nein… Interessant, oder? Dass beide kein Album veröffentlicht haben, verbindet Front und Coroners. Ich ärgerte mich jedenfalls darüber, dass Front nie in Büchern über diese Zeit auftauchen. Damals sind eine Single, eine EP und ein Sampler-Beitrag mit insgesamt sieben Songs erschienen … Ich saß also bei diesem Abendessen mit der Band und fragte sie, ob es nicht noch irgendwo ein paar unveröffentlichte Stücke gibt, so dass wir genug Musik für eine Art posthumes Album hätten. Die Idee fanden sie gut. Joern entdeckte dann ein vergessenes Tonband im Keller. Keine Cassette, sondern ein klassisches altes Tonband, dass auf einem Multiplay-Tonbandgerät, einem Grundig TK 845, aufgenommen worden war.
Christoph Dallach: Was ist Multiplay?
Andreas Dorau: Eine Technik, mit der auch die ersten Beatles-Aufnahmen entstanden sind. Man kann auf die jeweiligen Spuren mehrmals aufnehmen, was beim Gesang zum Beispiel zu einem Choreffekt führt.
Christoph Dallach: Und dieses Tonband hatte Front vergessen?
Andreas Dorau: Genau, das waren Demo-Aufnahmen, die zur Vorbereitung auf ein geplantes Album entstanden waren. Auf dem Zickzack-Sampler „Lieber zu viel als zu wenig“ war dieses Album ja für den Herbst 1981 angekündigt worden. Das Tonband haben die Band und ich dann gemeinsam aufbereitet. Weil ich sie gedrängt hatte, da nochmal ranzugehen, fühlte ich mich irgendwie verpflichtet, sie zu unterstützen.
Ich erinnere mich, dass ich irgendwann mit Joern im Auto saß auf dem Weg ins Studio, als im Radio ein Bericht über David Guetta lief, der mit Künstlicher Intelligenz bei einem seiner Stücke gearbeitet hatte. Diese Idee änderte für uns alles, denn mit dieser Technik konnten wir die alten Tonbandspuren noch viel besser trennen. Für die Restauration war das eine gewaltige Hilfe. Wir haben schließlich zwei Jahre daran gearbeitet.
Christoph Dallach: Warum haben sich Front damals eigentlich aufgelöst?
Andreas Dorau: Wahrscheinlich bin ich nicht unschuldig daran, dass sie sich getrennt haben. Denn ich war nach meinem ersten Album auf der Suche nach Musikern. Damals war es üblich, dass man in zwei bis drei Bands spielte. Das war ganz normal. Jürgen Keller wurde dann Bassist bei mir. Ralf spielte neben Front ja auch schon bei Palais Schaumburg. Und durch die NDW-Explosion hatten Palais Schaumburg und ich immer mehr Termine und Verpflichtungen, so dass allen Musikern immer weniger Zeit für andere Projekte blieb. Irgendwie ist Front dabei auf der Strecke geblieben. Ein stiller Tod, wenn man so will.
Christoph Dallach: Wirklich erstaunlich, denn Front hatte damals ja einige Fans. Sogar der britische BBC-DJ John Peel war begeistert und spielte sie in seiner Show, oder?
Andreas Dorau: Ja, Peel fand Front ziemlich gut. Und in Gesprächen habe ich immer wieder bemerkt, wie vielen Leuten die Band bis heute etwas bedeutet. Was mich natürlich freut. Und was John Peel angeht, war ich eifersüchtig, dass er sie immer wieder gespielt hat, denn mich mochte Peel nicht.

Front, Joern Zimmermann (Photo: Peter Koerner)
Christoph Dallach: Interessant an Front fand ich immer, dass man eigentlich nichts über sie wusste. Sie waren von Beginn an ein Mysterium. War das der Plan?
Andreas Dorau: Ja, das ist ihnen wichtig gewesen. Deshalb sind sie ja auch auf beiden Singles nicht abgebildet gewesen. Und auch jetzt sitzen wir beide hier und keiner von der Band.
Christoph Dallach: Eine letzte Frage: Was bedeuten eigentlich diese seltsamen, roten Punkte auf dem Cover ihrer zweiten Single „Georg“, die nun auch auf dem Album wieder auftauchen?
Andreas Dorau: Was diese Punkte angeht, gibt es verschiedene Legenden. Meine Lieblingsgeschichte ist, dass Jürgen, der damals das Single-Cover entworfen hat, dafür in einem Fotokopierladen war. An einem der Kopierer hatten kurz zuvor ein paar Mädchen mit einer Folie und Nagellack experimentiert und eine Folie liegengelassen. Jürgen gefiel diese Folie mit den roten Punkten und hat sie für das Cover der „Georg“ EP verwendet. Es gibt noch andere Geschichten dazu, aber diese gefällt mir am besten. Aber am meisten freut mich, dass es nun doch noch dieses Album gibt…