Ibiza war ein notwendiges Übel
Mit dem Solar Moon Soundsystem und an der Seite von Produzenten wie Klaus Schulze (Tangerine Dream), Razoof oder George Evelyn (Nightmares on Wax) und Kollaborateuren wie Tricky hat sich der Kölner Georg Boskamp den Ruf als Downbeat- und Dub-Experte erspielt. Seit zehn Jahren hat er das nass-kalte Rhein-Delta gegen die Balearen eingetauscht sowie seinen Geburtsnamen gegen das Pseudonym George Solar.
George, kennengelernt habe ich dich als Fernseh- und Print-Journalisten in Köln. Dort hast du lange für Medien wie VIVA, Jazzthing und Intro gearbeitet. Was hat dich bewegt nach Ibiza zu ziehen?
Insolvenz und Popkultur – auf Indie-Niveau. Ernsthaft: Letztlich gab die Musik den Ausschlag, mein Bedürfnis auf die andere Seite des Mikrofons zurück zu kehren. Ich habe vorher ein paar sehr gechillte und abgeschottete Jahre auf der kleinen Nachbarinsel Formentera verbracht: auflegen am Strand im Sommer und kreative Ruhe im Winter. Ibiza war für mich ein viel zu wuseliger Transit-Ort, von dem aus man per Boot in das eigentliche Paradies gelangt, weil Formentera keinen Flughafen hat. Ibiza war ein notwendiges Übel und als Wohnort eigentlich nie ein Thema, weil die Klischees und Stereotypen einfach zu krass waren.
Den Ausschlag nach Ibiza umzusiedeln hat George (DJ Ease / Nightmares On Wax) gegeben, mit dem ich damals schon gut befreundet war. Als er aus Leeds nach Ibiza gezogen ist, zeigte er mir Facetten, die mir vorher gar nicht klar waren – der Norden der Insel zum Beispiel, dort sieht es aus wie im Hobbitland aus “Herr der Ringe”, The Shire. Unfassbar schön. Er bot mir an für sein Label zu arbeiten, und so hab ich die himmlische Ruhe in Formentera gegen die cranky-buzzy Insel der Extreme getauscht. Immer wenn es mir zu viel wird, flüchte ich mich per Boot in einer halben Stunde nach Formentera, das ist mein eigentlicher Happy Place. Aber Ibiza hat auch jede Menge tolle Seiten und Orte, die Energie ist halt ein bisschen heftig, das muss man schon aushalten können. Formentera ist das krasse Gegenteil, total gechillt rund um die Uhr.
Wie verhält sich das Bild, das du heute von Ibiza hast zu dem Bild, das du früher von der Insel hattest.
Mittlerweile ist es mein Zuhause. Es war lustig rauszufinden, dass dieser ganze peinlich verruchte Großraum-Bumm-Bumm-Partyquatsch über den die ganze Welt immer redet, sich eigentlich nur auf einen winzigen, ein paar Quadratkilometer kleinen Kreis im Inselsüden (plus einen langen zentralen Strand namens Playa D’en Bossa nahe der Inselhauptstadt und des Flughafens sowie das berühmt-berüchtigte Städtchen San Antonio an der Westküste) beschränkt. Der Rest der Insel ist fast schon majestätisch anmutig und meistens sogar echt tranquilo.
Würdest du sagen, dass die Bevölkerung der Insel dem Tourismus positiv gegenübersteht? Zumindest kam mir das so vor, als ich gerade da war.
Kommt drauf an. Sie leben halt davon. Man mag hier Touristen, die der Insel ein bisschen Respekt und Achtung entgegenbringen – und Geld. Viele Party-Touristen und “Ex-Pats” haben sich hier im Laufe der Jahrzehnte ordentlich danebenbenommen, eben weil die Insel so frontal als der Ballermann der Hippie- und Rave-Generation promotet wurde. Da sind die entsprechenden Hools natürlich in Legionen eingefallen und haben sich festgebissen, in Symbiose mit der dazugehörigen Blutegel-Industrie auf allen erdenklichen Levels. Das ist ein (wahrscheinlich selbst verschuldetes) Image, das nur schwer zu bereinigen ist. Wir reden von acht Millionen Gästen pro Saison – und das auf einer Insel, die gerade mal 147.000 Einwohner hat. Wie soll das gutgehen?
Auf der anderen Seite hat es auch eine gigantische Menge an Kohle auf die Insel gespült. Von den Immobilienpreisen über die immer krasser wuchernde VIP-Plage samt Gastro-Preisgefüge bis hin zum ordinären Wohnungsmarkt ist alles sehr extrem. Ein komplexer, komplizierter und manchmal auch frustrierender Mikrokosmos, der Scheinriesenmäßig von weitem sicher größer und wichtiger wirkt als wenn man ganz nah dran ist. Vor Ort unter der Lupe ist das alles schon ziemlich amöbenmäßig und bizarr. Weit chaotischer als man annehmen könnte.
Allgemein ist man hier neuerdings an einem neuen Tourismus interessiert, also weg vom Bumm-Bumm-Feier-Image und hin zum Erlebnisurlaub, mit Naturaktivitäten – Stichworte: Foodies, Fine Dining, Farm to Table, Walking, Kayaking, Sustainability. Es gibt sogar schon erste Events und Initiativen zum Thema “sustainable clubbing” sowie von der Dance-Szene organisierte “beach clean-ups”. Höchste Zeit für ein Umdenken.
Kannst du in aller Kürze mal die Dancemusic-Szene der Insel vorstellen, also die Hauptakteure und Orte und das Verhältnis untereinander.
Dazu bedürfte es einer Kaput-Enzyklopädie, um der Komplexität zumindest halbwegs gerecht zu werden. Generell kann man sagen, dass “Balearic”, also die Kunstform des ”alles ist erlaubt solange es chillt-und man ein bisschen dazu tanzen kann (am besten mit ein bisschen spanischer Flamenco-Gitarre)” wieder deutlich auf dem Vormarsch ist. Das hat viele Gründe. Zumal genreprägende Protagonisten wie Alfredo, DJ Pippi oder Cesar de Melero nach wie vor sehr aktiv sind und von der jungen Generation balearischer DJs sehr verehrt werden.
Dann gibt es die großen Clubs, in denen im Main Room die “usual suspects” aufspielen, die hier nur im Sommer hinkommen, um den Sahneschaum von oben abzusaugen. Das ist seit Äonen immer dasselbe und für mich persönlich sehr sehr langweilig. Ich würde gefühlsmäßig sagen, dass sich das ein bisschen tot läuft, egal wieviele Marketing-Millionen dafür verpulvert werden. EDM, Richie Hawtin, Carl Cox, Techy-Housey hin oder her, igendwann sind die Leute diese total austauschbaren Line-ups und auch die Abzocke mit den unfassbaren Eintritts- und Trinkpreisen leid. Aber die big clubs haben trotzdem noch viel zu sagen und mischen sich sogar gerne mal in die höhere Politik ein, man weiß hier nie so ganz genau, wer mit wem und warum nicht. Da stehen irgendwann mal ein paar Paradigmenwechsel und Ansagen an. Um mal ein besseres da gutes Beispiel zu nennen: Cocoon. Kredibel verankert geben die der Insel auch mal was zurück. Bei “Black Coffee” im Hi! (ehemals Space) bin ich mir da noch nicht so sicher. Ansonsten ist Vampirismus in allen erdenklichen Formen hier sehr verbreitet – und zumeist gut getarnt.
Die DJs, die hier die wirkliche Arbeit verrichten rund ums Jahr, die sich des Privilegs (no pun inttended) bewusst sind, was es bedeutet hier vor Ort von Musik leben zu können, die in den kleinen Clubs große Sets spielen und in den großen Läden für die Dons den Warm-Up machen für einen Bruchteil der Heuschrecken-Gagen, das sind die wahren Helden. Sie schieben im Sommer 60 Stunden pro Woche brav Dienst in all dem Wahnsinn und feiern trotzdem jeden Gig. Sie geben der Insel die Energie. Davon gibt es unfassbar viele, und sie sind meist unfassbar schlecht bezahlt. Ganz einfach weil die Konkurrenz so groß ist und so mancher VIP-Typ hier in einem Beach Club aufläuft, um sich als DJ anzubiedern, der für nen halben Mojito 8-Stunden-Sets spielt oder gar faked. Es geht das Gerücht um, dass im Schnitt jeder zweite Kellner auf Ibiza ursprünglich als DJ auf die Insel kam.
Wie verhält sich denn die Dj-Szene an den Stränden zu jener in den Clubs? Sind das zwei getrennte Welten?
Meistens ja. Die paar coolen Club-Residents, die auch mal am Strand auflegen, machen das eher aus Therapiegründen – man arbeitet tagsüber am Strand und kann vorher und nachher im Meer schwimmen gehen.
Den Strand DJs geht es darum, den Leuten eine vernünftige und vor allem zeitgemaesse Alternative zum übertätowierten Hands-up-in-the-air-Vollhorst oder dem nerdigen, meist komplett rabenschwarz tragenden Laptopbeschwörern mit Rap-Käppi zu bieten. Sie wollen lässige und credibile Sets spielen – und sie können noch ohne Sync-Button mixen.
Viele der hiesigen Club-DJs sind ein bisschen abgestumpft für unclubbige Situationen im Laufe der Zeit (und je nach Substanzgewohnheiten wahrscheinlich). Die haben das Gefühl für Dynamik verloren und rücken schon mittags mit Großraum-Geballer am Beach an. Das ist natürlich sehr kontraproduktiv, insbesondere mit den neuen Lärmschutzgesetzen hier (da lange die Verhältnismäßigkeiten verloren gegangen sind, wird nun auf 65dB zurückgerudert).
Deshalb ist es an der Zeit für ein bisschen Selbstregulierung. Techno und mindestens 90% aller Housetracks gehören in den Club und nicht an den Strand morgens um 10 oder zum Lunch-Nachtisch im Farm-to-table-Landrestaurant. Dieses dreist selbstverständliche Berechtigungsgefühl, Leute erstmal wegzuballern weil ja alles Fiesta ist, das gehört adressiert und wegerklärt. Wenn ich Samstagsnachts um 3 ein Ambient-Set im Main Room des Amnesia spielen würde, dann würden sie mich ja auch sofort wegbuhen.
Aber wie gesagt, es tut sich da grad einiges. Tastemaker-Venues wie Hostal La Torre, La Granja oder El Chiringuito arbeiten ausschließlich mit namhafteren lokalen DJs, die wissen was “Kuratieren” bedeutet. Die Wahrnehmung der Leute für die richtige Musik zur richtigen Zeit und zum richtigen Anlass hat sich deutlich zum Positiven verändert. DJ Harvey im Pikes hat viel bewegt, George von Nightmares On Wax mit seiner “Wax Da Jam”-Reihe ebenfalls, oder auch die “Woomoon”-Events, die so schamanisch back-to-nature-mäßig angelegt sind. Auf einmal merken die Leute, dass clubbing ja ohne Selfies, Plastik und Bling auskommen kann. Das hat viel in der öffentlichen Wahrnehmung verändert. Ein weiteres gutes Beispiel ist das Ibiza Reggae-Festival mit seinen Bass Culture-Events.
Die plastikmäßige Bumm-Tschak-Monokultur ist glücklicherweise so gut wie am Ende und dabei in ihrer verkniffenen Selbstherrlichkeit fast schon irrwitzig lustig antiquiert. Aber es gibt noch viel zu tun.
Du hast im Vorgespräch erwähnt, dass du mit anderen Beach Djs eine Art Gewerkschaft ins Leben gerufen hast. Wie kam es dazu und was sind eure Hauptforderungen?
Oh, das sine nicht nur Beach DJs, eher so die professionelleren der langjährigen lokalen Residents der Insel, vom Underground-Technoclub-Veteran über Event-DJs und Großraum-Warmupper bis hin zum 5-Sterne-Hotel-Dachterrassen-Beschaller sind alle dabei. Es geht uns um Erfahrungsaustausch und Wiedererlangung eines Gemeinsamkeitsgefühls … das ist wichtig bei all den großen Egos. Wir wollen Minimal-Gagen definieren, faire Verträge durchsetzen und gute arbeitsrechtlichen Bedingungen schaffen sowie Tips für den insulanischen beziehungsweise spanischen Behördendschungel geben. Ein gemeinsames Sprachrohr in Richtung Politik und bestimmten anderen Interessensgemeinschaften ist sinnvoll, als Mediator und Realitätserklärer. Aber erstmal muss man alle am gleichen Seilzug hängen haben, das wird wahrscheinlich was dauern. Wir arbeiten aber dran.
Es gilt an der allgemeinen Wahrnehmung zu schrauben. In diesen trumpigen Zeiten spült es hier jedes Jahr viele Faker, Pseudo-Models und Influencer rein, die sich schamlos als DJs ausgeben obwohl sie keine Ahnung haben. Und weil die Zeiten sind wie sie eben sind, geht hier mit der richtigen Mische aus Blenderei, Dreistigkeit und Scharlatanerie so einiges, bis hin zu mittelgroßen Gigs und breiter Social-Media-Aufmerksamkeit. Da gibt es die dollsten Stories. Wir arbeiten an einer “Blacklist” für Booker, Promoter und Eventplaner, damit hier eben nicht eines Tages nur noch lauter geklonte Paris Hiltons hinter den Plattentellern stehen. Das klingt vielleicht seltsam, ist uns aber sehr ernst. Es geht um die Bewahrung der Artform in Amt und Würden. Ein Chirurg ist ja auch ein Chirurg, weil er drauf hingearbeitet hat und es wirklich kann – und nicht nur weil er will.
Man hört ja viele Geschichten über das Nachtleben von Ibiza. Was ist denn persönlich schönste? Deine wildeste? Deine unangenehmste?
Ich mach es kurz: Ich habe mich aus dem Nachtleben von Ibiza schon lange verabschiedet. Dieses ganze Bohemienmäßig verruchte und lachhaft verdrogte “die-ganze-Insel-ist-ein-Freiluft-Studio54”-Klischee mit After- und After-After-Hours, das ist mittlerweile sehr antiquiert, geradezu bemitleidenswert 80ies.
Nach einem 6- oder 8-Stunden-Set am Strand tagsüber, und das sechsmal die Woche, da gehst du abends nicht mehr wirklich raus zum Feiern. Eher lieber mit Freunden und Familie essen am Meer. Gerne auch einfach zuhause chillen. Da redet man dann allerfings schon manchmal über krasse Ibiza-by-night-Stories. Die gehören aber nicht gedruckt, die muss man dann schon selber erleben. Ich habe in der Vergangenheit viel Krassheit mitbekommen, so viel, dass ich mich lieber auf die Gegenwart konzentriere – und in der gibt es eigentlich nur schöne Nachtgeschichten, weil ich entweder am Strand sitze und den Wellen zuhöre oder zu Hause auf der Terrasse mit meiner Signora und den Katzen sitze und die Sterne vom Schaukelstuhl aus anschaue. Das sind die schönsten Momente, jene, für die ich Ibiza immer lieben werde.
Ich hatte das auch gar nicht so sehr auf dich bezogen, sondern mehr auf den talk der street.
Och, es ist schon ein raues Pflaster hier generell. Die Party- und Luxuswelt im Mikrokosmos, da geht alles. Sind ja auch alle hier im Sommer, von der A-List mit ihren Riesenyachten bis hin zu den ganzen Fußballern und TV-Sternchen aus aller Herren Ländern. Und so mancher davon lebt auch hier. Die erste Beach Bar in der ich aufgelegt habe, gehört einer Ex von Mick Jagger, und einer der Gitarristen von Judas Priest war Stammgast. Dietmar Schoenherr hat um die Ecke gewohnt und seinen Hund immer bei mir in der DJ-Box abgegeben vor dem Mittagessen am Strand.
Das ist dann schon bizarr in Sachen Kultur- und Realitätsclash – da stehst du in deiner Box und legst in Ibiza am Strand auf, in der Bucht liegt das Schlachtschiff von Abramovicz und es kommt halb Judas Priest in Badehose rein und isst zu Mittag, während Julia Siegel in der Ecke sitzt und daneben dann Villalobos samt Familie. Eine merkwürdige Dynamik, bei der alles passieren kann. Vielleicht schreib ich mal ein Buch irgendwann. Stoff genug gäbe es auf jeden Fall.
Du sprachst gerade von 6- bis 8-Stunden-Sets, die du sechsmal die Woche spielst. Wirklich? Sieht so für dich der Sommer aus? Und wie verhält sich der Winter im Kontrast dazu?
Na ja, so ist das halt in Gebieten, die vom Tourismus leben: Saisonarbeit. Man hat jeden Sommer zwischen vier und fünf Monaten Zeit das Jahr zumindest einigermaßen abzusichern. Mit etwas Elan und Nachhaltigkeit geht sogar noch mehr, ich kenne Kollegen, die spielen dann nach dem Tag-am-Meer-Set nachts oft noch ein Set im Club hinterher. Aber a) soll man ja auch nicht übertreiben im Alter und b) ist es auf Dauer dann doch schon ziemlich anstrengend. Aber diese “joy-in-repetition”-Routine trainiert auch ungemein und hat etwas sehr Zen-artiges, vor allem in der Hitze. Man lernt viel über die Details von Musik und die Energien von Crowds zu bestimmten Tageszeiten – und ganz sicher auch über sich selbst.
Ich selbst habe das Glück, auf die Nachtschichten komplett verzichten zu können. Spätestens um Mitternacht bin ich auf dem Weg nach Hause – da steht so mancher Kollege dann gerade erst auf.
In meinen ersten zwei Ibiza-Sommern habe ich sogar sieben Tage die Woche gespielt, immer am selben Strand. Zwei Mal vier Stunden am Tag üeber 7 Monate. Mit Vertrag und Sozialversicherung als Resident-DJ und allem drum & dran. Wenn so eine Gelegenheit kommt, sagt man ja nicht wirklich nein, zumal es obendrein noch um’s Kuratieren von Playlists in einer sehr coolen neuen Beach Bar ging. Es reizte mich auszuprobieren, wie weit man gehen kann. Denn letztenendes ist es ja ein toller Job, noch dazu an einem (meistens zumindest) ziemlich schönen Ort. Es ist ein Privileg über das ich mir sehr bewusst bin. Aber das gibt es nicht umsonst, da muss man schon was für tun. Wie das halt so ist, wenn man etwas professionell macht.
Inzwischen tun es für mich allerdings vier bis fünf Tage die Woche, mit jeweils einem Set und an drei oder vier verschiedenen Orten. So bleibt es spannend und hat man ein bisschen Luft für Regeneration, neue Musik und andere Dinge. Zumal ich auch noch eine regelmäßige Radioshow produziere, ab & an mal Privatparties beschalle oder Ambient-Soundbäder für Yogaretreats zusammenstelle. Außerdem gibt es ein eigenes regelmäßiges Event mit meinem neuen DUBTROPICAL Soundsystem, inklusive Live-Band. Also ein bisschen verrückt muss man schon sein, das Pensum ist sicher nicht ohne.
Im Winter wird dann allerdings komplett gechillt, Musik angehäuft und Content produziert sowie immer ausgeschlafen und spazierengegangen, bevorzugterweise am Meer. Keine Ahnung warum, aber davon werde ich nie genug bekommen. Auch weil es so ein angenehmer Gegensatz zum superbusy Sommerdasein ist: die totale Ruhe. Andere Kollegen reisen oder touren im Winter, aber ich brauche eher den big chill und eine harmonische Basis.
Wir sprachen ja gerade schon über die gewerkschaftlichen Ambitionen. Darf ich mal direkt fragen: was bekommt man denn als Strand-Dj für so ein langes Set?
Ich bin ja zum Glück im Laufe der Zeit ein bisschen die Leiter hochgefallen, sowohl was Venue-Qualität als auch was entsprechende Gagen anbetrifft. Aber die Rookies hier reißen sich um jeden 50-Euro-Job, das ist leider die Realität. Ich bin mir nicht sicher, ob dafür in Köln oder Berlin ein Amateur-Bar-DJ überhaupt die Wohnung verlassen würde. Es gibt sogar Gefahrensucher, die für einen Mojito oder ein warmes Essen spielen, damit sie den Jungs zu Hause erzählen können, dass sie’s in Ibiza geschafft haben als DJ. Was wiederum von Clubs und Veranstaltern sehr oft schamlos ausgenutzt wird, weil nach dem zweiten Schnäpschen 80% der Gäste den Unterschied gar nicht mehr merken… spart natürlich ohne Ende Budget.
Aber Paris Hilton kriegt 1,5 Millionen am Abend, wenn sie auf ihrer Schaumparty im Westend “auflegt”, Guetta soll im Pacha so an die 150 Riesen als Standard kassieren pro Nacht – aber der eigentliche lokale Pacha-Resident kann froh sein, wenn er einen Hunni bekommt. Ibiza ist ein Ort der Extreme, vor allem auf dieser Ebene. Es gibt im Prinzip nur noch oben und unten, kaum noch Mitte. Jetzt verstehst du sicher auch den Gewerkschaftsansatz besser.
George, zum Abschluss noch eine heikle Frage: Wie verhält es sich denn mit dem nachbarschaftlichen Geschäftsgebahren hier auf der Insel? Wie werden neue Akteure aufgenommen, die mit Elan und Ideen nach Ibiza kommen, um das kulturelle Leben hier zu ergänzen?
Das kommt ganz darauf an, was genau so ein Akteur zu bieten hat und wie die Präsentation und das Gesamtbild rüberkommen. Als Tech-House-DJ, Yogalehrer oder Privat-Koch zum Beispiel hast du es mit Sicherheit schwer, es gibt einfach schon zu viele deiner Art. Promoter ist ähnlich – wenn du hier nicht schon ein paar Jahre verbracht hast und die Umstände und Leute nicht genau kennst, kennst du ja auch deinen “Markt” und dein Spielfeld nicht. Da gab es schon ziemlich viele naive Versuche.
Es ist allerdings auch nicht leicht, Ibiza wirklich zu begreifen. Nische ist eigentlich immer gut, inhaltliche Qualität sowieso. Der Weg mag dann länger sein, aber das Adressieren irgendeines kleinsten gemeinsamen Nenners reicht schon lange nicht mehr. Am besten ist, es wirklich zu wollen, hartnäckig aber gleichzeitig respektvoll zu sein und dann auch in der Lage zu sein, entsprechend konstant abzuliefern. Wenn du das über ein paar Jahre hinkriegst, fällst du auf und bist herzlich willkommen. Ansonsten sollte man wahrscheinlich lieber nur als Urlauber herkommen. Ibiza ist toll, aber ganz sicher nicht einfach.
Letzte Frage, George, mir kam zu Ohren, dass demnächst ein neues Solar Moon Album erscheint, ist das wahr?
Ja. Schon ein bisschen aufregend: “Blackbook” ist unser erstes Album seit 15 Jahren. Und da wir seit zehn Jahren nicht alle drei gleichzeitig in einem Raum an einem Ort waren, ist es zudem ein kleines logistisches Wunder obendrein. Die Achse Westerwald-Balearen-Kampala hat dann erstaunlicherweise gut funktioniert, es ist sogar ordentlich Nachschlag geplant. Wir haben zum Anlass bei dem Label gesignt, das auch die aktuellen Klaus Schulze-Sachen veröffentlicht, zu dem haben wir ja schon lange eine ganz besondere Verbindung.
Nach der obligatorischen Studioregal-Entstaubung in Deutschland war so viel gutes Basismaterial vorhanden, dass wir uns interkontinental irgendwie zusammengerauft haben zu so einer Art Band-Gefühl. Solar Moon war schon immer eher so ein loses Gefüge zwischen allen Stühlen, speziell in Sachen Genres und Styles. Deshalb ist es schön zu merken, dass es unsere inhaltliche Basis ist, eine spirituelle Heimat nach gut 25 Jahren Bandgeschichte. Da schließen sich gerade so einige Kreise, das ist ein gutes Gefühl.
Und damit ab in die Winterpause mit dem ” “so klingt ibiza im winter irgendwie”-Mix von George Solar: