Najib Ben* Belgacem: „Ich bin ein Produkt von verschiedenen Kulturen“
Najib Ben* Belgacem kennen Kölner:innen und Düsseldorfer:innen als umtriebigen Dj und Partyveranstalter (Turntable JAZZ). Aber auch über die Grenzen von NRW ist er schon länger bekannt, nicht zuletzt durch seine Dj-Tätigkeit für Yasiin Bey (ehemals MOS Def). Vor vielen Jahren hat Ben* von seinem Vater Olivenbaumfelder in Tunesien geerbt, während der Pandemie reifte in ihm der Plan neben der Musik ein zweites DIY-Business aufzubauen. Kaput wurde neugierig.
Thomas Venker traf Najib Ben* Belgacem an einem Samstag im April in Köln zum Gespräch, Leverkusen war noch nicht ganz Meister, aber es war schon absehbar, dass die Werkself diesmal ihr ewiges Ziel erreichen würde.
Alle Fotos: Copyright Najib Ben* Belgacem.
Ben*, du bist DJ, Promoter und Olivenölfabrikant. Hat das alles die gleiche Bedeutung für dich?
Ben*: Platten kaufen und auflegen ist das Zentrale bei mir. Alles andere kam danach oder als Mittel zum Zweck.
Was heißt als Mittel zum Zweck?
Viele von den Sachen, die mich interessieren, gab es in der Form nicht. Also schafft man Rahmen für einen musikalischen Freiraum. Ich war immer zwischen den Stühlen – viele Bögen, die ich spannen wollte, haben die Clubs noch nicht gekannt. Deswegen macht man die Sachen dann halt selber oder lädt andere Künstler:innen noch dazu ein. Man möchte einen Ort schaffen, um die Musik stattfinden zu lassen.
Was denkst du, woran liegt es, dass du dich zwischen den Dingen positioniert gefühlt hast?
Ich glaube, dass es keine bewusste Entscheidung war, sondern es wahrscheinlich was mit meiner Herkunft zu tun hat. Mein Vater Tunesier, meine Mutter Deutsche. Ich bin in Deutschland geboren, in Deutschland großgeworden, habe mich hier aber nie so richtig zu Hause gefühlt. Gleichzeitig waren wir immer wieder in Tunesien im Urlaub, wo ich mich auf einer gewissen Ebene sehr zu Hause gefühlt: ich hab aber halt nie da gelebt. Ich bin ein Produkt von verschiedenen Kulturen. Dadurch ist es in mir angelegt, dass ich verschiedene Aspekte gerne versuche zusammenzubringen, und oft mich gewisse Sachen mit der Zeit langweilen und ich dann halt wieder eine andere Seite von mir ausleben möchte. Das hat meine Hörgewohnheiten, mein Art Platten zu sammeln, meinen musikalischen Horizont geprägt.
Heißt das, dass dein Sound zu vielschichtig war, zu viele verschiedene Elemente zusammengebracht hat – und deswegen das deutsche (vielleicht aber auch außerhalb von Deutschland) Publikum irritiert hat?
Nee. Erstens hab ich schon immer eine totale Entdeckungslust gehabt, die weiter geht, was die Leute vielleicht gerade kennengelernt haben. Ein Beispiel: Als Drum´n´Bass groß geworden ist, gab’s es Phasen, wo Jungle kam, dann wurde es elektronisch, dann kamen diese ganzen sphärischen Good-Looking-Sachen – es gab aber nie Abende, wo zwischen den verschiedenen Stimmungen gependelt wurde, sondern es war sehr oft entweder sehr harter Drum & Bass oder halt eine Jungle-Party. Aber das – wie in anderen Ländern, beispielsweise in England – zwischen den Stilen manövriert wurde, das war relativ selten in Deutschland. Das war nicht nur bei Drum´n´Bass so, ebenso bei HipHop, bei House, generell bei elektronischer Musik – jeder Ort hatte immer sein eigenes, klar definiertes Genre, seine eigene Stimmungsfarbe. Ich hab nicht tendenziell was gegen Minimalismus oder gegen spezielle Sound-Ebenen, aber mir hat dann einfach manchmal ein Taktwechsel oder ein Stimmungswechsel gefehlt.
Das kann ich gut nachvollziehen. Mit Drum´n´Bass hast du nun die 90er Jahre angesprochen, wobei diese Beschreibung auch noch für die frühen Nullerjahre passt, die ja von Minimal geprägt waren. Danach kamen aber dann ja anderthalb Jahrzehnte, wo es mit der Offenheit geklappt hat, wo die Djs plötzlich wilder die Genres mit einander vermengten. Ich würde sagen bis kurz vor der Pandemie. Aktuell lässt sich aber weder ein gewisser Soundkonservatismus attestieren – oder aber es wird einfach nur gaga, wie der ganze Trance-Wahnsinn.
Ja, genau. Ziemlich gut auf den Punkt gebracht.
Du legst ja nicht nur auf, sondern produzierst auch. Wie gehst du da mit so Zeitgeistphänomenen um? Lässt du dich auf diese auch ein oder versuchst du deine eigene Linie durchzuziehen und setzt darauf dass sich der Zeitgeist auch wieder ändert?
100% eigene Linie. Beim Auflegen ist es nochmal was anderes als beim Produzieren. Beim Auflegen habe ich das Gefühl, dass ich immer ein bisschen der Zeit voraus bin. Gerade als plötzlich alles ein bisschen aufgebrochen ist, wurde es mir dann zu wild an manchen Stellen, das ist dann schnell alles bei Hits und bekannteren Songs geendet. Es gab natürlich Ausnahmen wie den Salon des Amateurs in Düsseldorf – da ist es relativ gut geglückt, dass komplett unterschiedliche Sachen zusammen funktioniert haben. Beim Auflegen ist es für mich normaler gewesen. Beim Produzieren, auch da ich das sowieso viel selektiver mache, geht es mehr um meinen eigenen Wachstum und nicht um irgendeine Form von Unterhaltung. Dementsprechend ist das Produzieren viel enger mit der eigenen Entwicklung und dem Status verbunden, wo man musikalisch angekommen ist. Ein Spiegelbild.
Du hast vorhin gesagt, dass du hier nie so ganz richtig angekommen bist. Denkst du, das liegt am Naturell der Deutschen?
Das hat damit zu tun, dass ich in einer Zeit groß geworden bin, wo institutioneller Rassismus und Anders sein viel problematischer oder viel subtiler funktioniert hat. Es war den meisten Leuten gar nicht bewusst, dass sie vielleicht andere vor den Kopf stoßen.
Ein einfaches Beispiel: ich war einer der Ersten, die keinen Religionsunterricht in der Schule hatten. Mein Vater war Moslem, er wollte nicht, dass wir den katholischen oder evangelischen Unterrichten, auf den sich das Angebot beschränkte, besuchen. Und so hatte ich mit zwei, drei anderen Schülern immer frei während die anderen in Religion sassen, wir mussten uns alleine als Kinder, selbst unbeaufsichtigt in der Schule vergnügen
Es gab gar keinen Ethikunterricht?
Es gab gar nichts zu dem Zeitpunkt. Irgendwann kam Philosophie ab der siebten Klasse, aber ich hatte im Prinzip immer ab der ersten Klasse zwei, drei, vier Stunden frei, wo wir die Schule auf den Kopf gestellt haben.
Was erstmal positiv ist, aber was irgendwann auch kippt in der Wahrnehmung.
Man ist einfach auf sich allein gestellt. Irgendwann fällt einem nichts mehr ein Produktives und man fängt an diese Zeit anders zu füllen. Das ist so ein Ausdruck von “Wir wissen nichts mit den Kids anzufangen“ / „Wir haben jetzt erstmal keine Lösung“.
Das ist im Prinzip ein Spiegelbild dessen, wie man sich manchmal so im Land fühlt. So war es bei mir auf jeden Fall. Das bietet natürlich viel Freiraum – aber auch viele verschlossene Türen. Und gleichzeitig hat es mich halt immer dazu gebracht, Selbst Sachen anzugehen.
Da steckt ja viel von diesem problematische Begriff Integration drin. Also diese Idee von die anderen Personen müssen sich in unser System integrieren anstatt dass wir „gemeinsam ein System modulieren, wo beide Seiten sich integrieren, zusammen etwas .Neues erschaffen.
Ja. Das ist der Schluss aus den Jahren, wo es eben nicht geklappt – die Leute haben es jetzt verstanden, dass Integration keine Einbahnstraße ist. Wobei das Problem vorher den meisten Leuten gar nicht bewusst war. Sie haben die anderen Lebensrealitäten nicht wahrgenommen, weil sie halt gar keinen Bezug dazu haben. Das ist natürlich – genauso wie bei der Musik – durch die Jahre, durch die Zeit, durch Vermischungen viel größer aufgebrochen. Ich würde jetzt nicht sagen, dass die Musik eine Folge davon ist, aber es hat definitiv auch damit zu tun, dass Leute viel mehr unterschiedliche Sachen gehört haben, weil es auch viel mehr kulturelle Bezugspunkte gab, die sie vorher gar nicht kannten. Gerade in der Schule, gerade bei Jugendlichen ist das der Fall, Subkulturen sind in den 2000er Jahren auch in so einer gemischten Welt.
Man hatte natürlich plötzlich viel schneller Zugriff auf andere Subkulturen. Nicht nur die Indie- und Ravemusik, die es bei einem vor der Tür gab, sondern eben die ganze Palette, was da draußen existiert.
Wir reden ja jetzt über die deutsche Kultur. In anderen Ländern in Europa ist es definitiv anders, weil es schon immer mehr interkulturelle Musik gab als in Deutschland. Die Länder rund um das Mittelmeer und auch andere Länder in Europa sind generell kulturell durchmischter.
Deutschland hat aufgrund der Nachkriegsgeschichte viel weniger natürlichen Bezugsrahmen. In Holland gab es schon immer noch diese ganze karibische und surinamische Connection, dadurch war viel mehr Reggae und schwarze Musik präsent. Generell HipHop und elektronische Musik ist viel schneller rübergekommen als in Deutschland. England hatte Bezugspunkte aufgrund der Sprache. Jamaika, Reggae und der ganze Einfluss, das gab es ja hier alles bei uns nicht – und somit war auch die Musik nicht präsent. Sondern halt sehr viel Rock- und Popmusik-
Wobei selbst heute es so ist, dass aufgrund der marktspezifischen Wahrnehmungssteuerung noch immer die USA und UK neben Deutschland selbst im Mittelpunkt stehen und nur sehr ausgewählt andere Regionen und ihre Künstler:innen Zugang finden.
Auf jeden Fall. Weil man weniger Zugriff auf den Markt hat. Weswegen es auch weniger Interesse daran gibt, dementsprechend Künstler:innen aufzubauen.
Ich bin relativ früh mit HipHop groß geworden, aber es gab für mich relativ wenig HipHop, den ich als meinen begriffen habe aus Deutschland. Das waren einzelne Sachen, generell war schon sehr studentisch und sehr deutsch.
Es gab viele deutsche HipHop-Produktionen, die das kulturelle Geschehen im Land nicht so reflektiert haben, wie man das vom amerikanischen oder auch französischen HipHop kennt. Dort gibt es viel mehr Erzählungen von Lebenssituationen, es werden Einflüsse des Alltags in den Banlieues oder den Ghettos verarbeitet, oder andere Lebensperspektiven. Diese Sicht der Dinge hat gefehlt in Deutschland – und tut es immer noch.
Du hast eben angesprochen, dass sich deine Lebensgeschichte in deiner Musik widerspiegelt. Du siehst also auf der Längsachse deiner Produktion eine Entwicklungsgeschichte, die sehr stark mit deiner eigenen Entwicklungsgeschichte zusammenhängt?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe mir viel Zeit genommen, verschiedene Musikrichtungen wirklich tief zu verstehen.
Wenn man kein gelernter Musiker in dem Sinn ist, werden einem Sachen erst viel später bewusst. Ich habe jetzt ein ganz anderes musikalisches Verständnis und nicht nur ein theoretisches Verständnis von den Zusammenhängen. Ob irgendwelche Synthiesounds oder Breaks, ich kann die Ursprünge und Verbindungen zu den einzelnen Musikrichtungen heute viel besser hören und fühlen und auch auf einer intellektuellen Ebene zuordnen.
Ein Beispiel: Ich habe neulich nochmal die „Hidden Cameras“ von Photek gehört und das Album noch mal ganz anders verstanden. Früher habe ich es aufgrund der Stimmung geliebt, jetzt bekomme ich dank meiner anderen musikalischen Reife viel mehr mit.
Es gibt ja zwei sehr grobe Zuordnungen für Musiker:innen – die Produktionen sind am besten am Anfang der Karriere wenn sie noch total roh sind, oder eben wenn später in der Karriere wenn man die Skills hat, sie total detailliert anzulegen. Wie siehst du das bei dir?
Irgendwo dazwischen. In der Improvisation, in dem Unbewussten liegt eine Menge Ehrlichkeit und Mut, Sachen neu zu entdecken. Gleichzeitig ist aber so ein „Ich weiß genau, wo ich jetzt lang muss“-Gefühl auch manchmal genau das Richtige, tut einem Stück gut. Beide Seiten sind essentiell wichtig.
War es dich als Jugendlicher eigentlich leicht mit Musik anzufangen?
Ich bin relativ früh aus meinem Umfeld ausgebrochen. Es gab so mit 16 Phasen, wo ich relativ viel in besetzten Häusern in Deutschland gelebt habe. Ich war relativ politisch. Ich habe angefangen, Konzerte, Veranstaltungen zu machen.Ich hatte viel mit linksradikaler Kultur zu tun – es gab damals viele Solikonzerte –, aber auch mit so einem internationalen Anspruch. Wir haben uns ein Umfeld geschaffen. Wir reden jetzt von den early Berlin Tagen, nach der Wende so 1990/1991, aber auch die anderen deutschen Musikstädte: Hamburg, Köln (damals das Rhenania), München (Ultraschall, das Flughafengelände). Ich habe sehr viel von der Club-Musikkultur mitbekommen, die ja sehr wild war, bin da komplett eingestiegen.
Vermisst du die Zeit?
Ja. Also ja und nein. ich vermisse die Zeit total. Auf der anderen Ebene hat sich das mir nicht verändert. ich habe das jetzt nicht mehr so wild wie früher, aber ich tauche immer wieder in Städte oder Orte. In Tunesien erlebe ich in den letzten zehn Jahren in der Nachkriegs- / Nachrevolutionszeit wieder so ein Momentum, da gibt es eine ganz neue Clubkultur, die sich ähnlich neu und wild und aufbruchsmäßig anfühlt wie damals. Aber ja gerade die Zeit in Berlin, in Köln und Hamburg, was da an politischem Bewusstsein vorhanden war: anders leben, anders träumen, Orte selber schaffen, Gemeinschaften schaffen. So Sachen wie Safe Spaces, was jetzt so ein großes Thema ist, das war damals normal. Für uns war es damals selbstverständlich – bis wir lernen mussten, dass es für viele Leute eben nicht so war. Diese Orte boten eine ganz andere Geborgenheit sich auszuleben, was ich vielen Jugendlichen mehr gönnen würde und weniger dieses Marketing-orientierte, ja Social Media-affine Ausleben von Stimmung, weil man sich halt viel besser früher entdecken und entfalten konnte.
Die Entwicklung der letzten Jahre wird ja dynamisiert, da die jüngeren Künstler:innen so schnell ihren Markt sehen und das erfüllen zu müssen denken. Damals gab es zwar auch Karrieren aber nicht so mit kausalen Instrumenten verbunden.
Da stehe ich zu. Wobei es einen Markt in den Subgenres so richtig auch erst ab 2000 gab – vorher konnte man da nicht mal von träumen davon zu leben.
Die Zeit von der ich eben sprach, die Jahre zwischen 1990 und 2000, da konnten vielleicht amerikanischen DJs oder englische DJs davon leben. Wir bauten da Clubs und Abende auf. Natürlich gab es Ausnahmeleute wie Sven Väth oder so. Wir aber hatten andere Idole – und da waren nur wenige auf dem internationalen Markt unterwegs, das ging erst nach 2005 los.
Wobei es lokal durchaus so funktioniert hat, dass man davon leben kann. Zum Beispiel hier in Köln im Studio 672 Umfeld Leute wie Michael Mayer, Tobias Thomas, Superpitcher, die eine wöchentliche Nacht hatten. Wie lange das gedauert hat bis selbst sie dann international konstant unterwegs waren. Heute hingegen tauchen neue Leute auf und man weiß genau, wo sie die nächsten 12 Monate touren, alle werden zumindest einmal durch die etwaigen Clubs in Asien, Südamerika und USA etc durchgebucht. Und da alle Angst haben sich diese (vielleicht einmalige) Chance zu verbauen, gehen sie halt auf Nummer sicher und spielen das Social Media Game mit.
Ja. Wobei man halt auch relativ schnell auf einen funktionierenden Markt eingegrenzt wird und sich dementsprechend musikalisch verhält, um in dem Markt zu funktionieren. Das ist ja schon eine marketingstrategische Entscheidung: wie weit will ich mich auf Sachen einlassen. Aber was ich meinte: Ich vermisse die Zeit, wo man sich so musikalisch ausleben konnte. Es ging nicht um eine berufliche Entscheidung, sondern es ging vielmehr um sich selbst. Um das, was in der Stadt passierte, was im eigenen Leben vor sich ging. Ich habe jetzt das Gefühl, dass es immer mehr um einen Job geht und halt nicht mehr um sich selbst.
Was damit zusammen hängt, dass das Drumherum viel wichtiger worden ist. Heute hast du einen PR-Job als Musiker:in. Früher hat man nach dem Gig mit dem Promoter gefrühstückt, heute muss man eine „Presseerklärung“ abgeben.
Genau.
Es gibt heute wenig Platz, dass ich Sachen rumsprechen.
Für mich ist eins dieser alten Beispiele DJ Koze. In Hamburg haben damals Leute aus der Gitarrenmusikszene und auch aus der politischen Bewegung der Stadt elektronische Musik für sich entdeckt: Egoexpress, Koze. Das sprach sich dann so ein bisschen hier rum, aber eben noch nicht diese Marketingmaschine. Wenn man die Jungs dann damals auflegen hörte, verstanden man, worüber die Leute reden. Dieser Spannungsbogen wird heute nur noch künstlich erzeugt – mit dem Effekt, dass man kaum Interesse hat, Sachen zu erkennen, weil alles so übervermarktet ist.
Wie gehst du damit um? Muss du das neue Spiel auch manchmal mitspielen? Oder kann man das abstellen und sagen, “I’m a different age”?
Ja. Es gibt ja immer so Phasen, wo man denkt: „jetzt kommt die Zeit“ – aber dann kommt es doch anders. Ich habe nie das Gefühl, dass ich irgendwas gemacht habe, um irgendwo hinzukommen.Das funktioniert auch nicht. Also das mag bei anderen Leuten funktionieren, bei mir funktioniert es nicht. Bis jetzt habe ich aufgrund meiner eigenen Neugier oder eben früh genug eben nicht mitzugehen, immer wieder eine andere Tür geöffnet bekommen vom Universum, wo ich auf einmal festgestellt habe, ah, okay, hier geht’s lang. Mit Gregor Schwellenbach habe ich das zum Beispiel erlebt, da ging die Musik plötzlich in eine ganz andere Richtung. Wir haben über einen Geburtstagsgig zusammen einen Faden gefunden und beschlossen aus einem Can-Tribute-Konzert heraus musikalisch etwas zu entwickeln. Plötzlich kamen meine 25 Jahre Musikgeschichte in ein Korsett, ich sah den roten Faden.
Ab wann würdest du sagen, konntest du von deiner Musik leben?
Im Prinzip seit 25 Jahren. Ich habe relativ früh für ein Musiklabel gearbeitet, zunächst als Praktikant, bin aber dann eingestellt worden und habe ein Sublabel schon gegründet, meine ersten Drum-Bass-Compilations rausgebracht, viele Veranstaltungen betreut. Das war mein erstes eigenes Einkommen. Ich habe mich dann selbstständig gemacht als Veranstalter, DJ und Labelbetreiber.
Du hast vorhin beschrieben, dass du relativ früh von zu Hause weggegangen bist. Was haben deine Eltern dazu gesagt?
Mein Vater ist in diesem Prozess relativ früh gestorben, da war ich 18. Er fand das natürlich überhaupt nicht gut, dass ich von der Schule gegangen bin. Meine Mutter hat es sozusagen an dem Morgen von der 12 erfahren, hat dann aber auch relativ schnell gesagt, „ich sehe, du hast deine Meinung gefällt und da werde ich jetzt nichts dran machen können.“ Und dann war das auch so Ab da war ich unterwegs. Mein Vater fand es überhaupt nicht gut, wir hatten dann auch relativ langes und schwieriges Verhältnis, was sich dann aber mehr oder weniger geklärt hat. Er ist dann relativ früh gestorben – und ich bin dann halt mit meinem Erbe ins Clubleben eingestiegen. Dann war das Erbe natürlich auch relativ schnell weg, das waren wilde Zeiten.
Ein gutes Stichwort zu meiner letzten Frage zum Komplex Clubleben. Nachdem du schwärmerisch über die 90er und Nullerjahre gesprochen hast, hast du das Gefühl, dass es angesichts von Teuerung und immer weniger verfügbaren Objekten heute viel schwieriger ist, neue Orte zu finden und entwickeln?
Es geht noch immer um die richtigen Leute an den richtigen Orten mit der richtigen Idee.
Wir waren ja gerade noch bei der Frage des davon leben könnens. Das war immer so ein zickzack, eng verknüpft mit den Orten, an denen ich lebte. In den 90er Jahren war das Essen, das Ruhrgebiet, mit Ausflügen nach Hamburg, Berlin, München und Köln. Egal wo ich hingezogen bin, es gab immer Clubs, die ich mit betreut habe, wo ich für gelebt habe.
Das Unique in Düsseldorf, im Ruhrgebiet gab es die Schleifmühle und so ein paar andere Läden. In Köln war es dann irgendwann das Stecken, wo ich halt regelmäßig aufgelegt habe, wo ich regelmäßig veranstalten konnte, wo ich regelmäßig Einnahmen hatte und wo ich das Glück hatte, einfach so eine Stadt mitzuprägen. Ich aber aber auch jeweils mitbekomme, was das bedeuten kann, wenn so ein Freiraum weg ist. Am Ende des Tages kann ich zu jeder von diesen Städten und zu jedem von diesen Orten, dass es immer um ein, zwei Leute ging, die das Risiko erst mal getragen haben, also die Besitzer waren, aber die eigentlich einen offenen Zirkel um sich herum aufgebaut haben, die das ganze Ding als Gemeinschaft geprägt haben. Diese Orte gab es immer wieder und überall, wenn Leute mutig genug waren. Das war im Ruhrgebiet so, das war natürlich in den 90er Jahren in Berlin so, das war in Frankfurt so, das war in München so.
Der Salon des Amateurs in Düsseldorf ist auch so ein Beispiel. Wir dachten damals, dass mit dem Ende des Unique alles vorbei ist. Beim letzten Abend, an dem Moodyman aufgelegt hat, waren dann Detlef und der Aaron da, die dann den Salon aufgemacht und mich mitgeschleppt haben; da kamen dann Vladimir und Lena und so dazu. Danach ging es erst so richtig los in Düsseldorf, obwohl wir es schon abgeschrieben hatten
Ich bin der Meinung, dass diese Orte egal wo stattfinden können. Mietpreise, die Entwicklungen in Deutschland generell sind alles andere als förderlich. Andererseits mussten wir uns früher auch neue Orte erkämpfen oder finden. Ich glaube, dass es weniger ambitionierte Leute gibt, aber dann doch immer wieder Überraschungen, wo Leute zusammenkommen. Das Casablanca in Jena zum Beispiel ist auch so ein Laden, wo aus dem Nichts eine ganze Kultur in Jena entstanden ist. Die gibt es immer wieder, wenn die richtigen Leute am richtigen Ort zusammenkommen.
Wir sprechen jetzt schon über eine halbe Stunde. Zeit zum eigentlichen Anlass unseres Gesprächs zu kommen. Du hast seit einiger Zeit neben Köln und Berlin noch einen dritten Lebensmittelpunkt: Tunesien. Dort produzierst du Olivenöl. Als du mir davon erzählt hast, war ich sofort interessiert, weil ich es immer spannend finde, wenn Leute sich nicht abkehren von Kulturarbeit ( von wegen „das waren gute Jahre, aber jetzt bin ich zu alt“, oder warum auch immer), sondern eben ein anderes Arbeitsfeld hinzufügen. Du integrierst das Olivenöl quasi organisch in dein Leben als DJ und Musikproduzent. Wie kam es dazu?
Im Prinzip träume ich seit Kindertagen davon, irgendwann Babylon hinter mir zu lassen und nach Tunesien zu ziehen, um auf dem Feld zu meditieren und glücklich zu sein. Dann wird man ein bisschen weiser und stellt fest, dass das Land, wo man denkt, dass man seinen Mund aufmachen kann, auch nur deshalb so ist, weil alle ein Auge zudrücken und wissen, der ist bald wieder weg. Dann habe ich verstanden, ich wäre mit meinem politischen Bewusstsein und meiner offenen Schnauze da relativ schnell auch im Knast gelandet. Somit war dieses Aussteiger-Ding irgendwann Anfang 20 gegessen. Dann wurde mir klar, ich muss schon auch irgendwie von irgendwas leben. Es hat mit dem Auflegen ganz gut funktioniert – in Verbindung mit dem Arbeiten im Club und beim Label –, aber ich konnte mich mit dem Leben im kapitalistischen System nie wirklich anfreunden. 2010 saß ich auch genau lustigerweise hier im Hallmackenreuther mit dem Walter Dahn draußen. Wir unterhielten uns darüber, dass es mal wieder Zeit wäre, dass Leute sagen, wir haben genug von diesem ganzen System. Das war bevor es wirklich so gekommen ist.
In Tunesien haben sich dann die Leute aus einem unterdrückerischen System mit offenem Herzen aufgelehnt. Es gab eine Revolution, wo man einfach nur mit dem Herzen dabei sein konnte, weil sie so, wie sie geführt wurde, grundehrlich war. ich bin zu diesem Zeitpunkt relativ viel nach Tunesien gereist, auch mit meiner Mutter. Ich hatte fünf zehn Jahre zuvor von meinem Vater Oliven- und Mandelfelder geerbt. Durch die Revolution hatte ich auf einmal eine ganz andere Perspektive vor Augen – diese Diktatur, die das Leben für dich hätte unmöglich machen können, war wie aus dem Nichts weg und ein neuer Horizont da. Das war befreiend. Dass ich in diesem Land, das man immer geliebt hat, wo man Familie hat, aber die eigene Sprache nicht spricht – ich kann kein Arabisch, ich bin mit Französisch großgezogen worden – plötzlich wirklich leben konnte. Ich wollte das Land kennen, bin auf Festivals gefahren, habe unter anderen Kool & The Gang in Tabarca gesehen.
In der Folge bin ich öfter da gewesen, wollte Teil davon sein – aber mich was politisches Engagement und eigene Prägung des Landes komplett raushalten. Ich wollte keine Veranstaltung machen, ich wollte das Land sich erst mal entwickeln lassen und es selbst kennenlernen, nicht mit so einem “Ich zeig dir jetzt mal, wo es lang geht“. So habe ich erst mal ganz viel neues gelernt, was das Leben an sich betrifft, die Kultur der Menschen vor Ort, aber auch über mich. Ich habe da unten auch ein neues Nachtleben kennengelernt. Das war anders als alles, was ich vorher erlebt habe. Statt dunkler Clubs – wie größtenteils in Deutschland – gab es plötzlich Open-Air-Swimming-Pool-Palmen-bepflanzte Venues in irgendwelchen Hotel-Resorts, wo die abgefahrendste elektronische Musik aus Detroit lief. Miami-Vibes statt industrial und dunkel, wie in Deutschland, wenn es um Techno und elektronische Musik geht. Ich kam dann zum Entschluss, mehr Zeit da verbringen zu wollen und wirklich da zu leben. Und bin dann mit dem Sammy von Analog Africa zusammengezogen, der auch in Tunesien gelebt hat, und hab mich immer mehr um die Olivenfelder und Mandelfelder von meiner Familie gekümmert.
Bedingt durch die Klimaentwicklung, dass man da mehr Zeit investieren. Ich hatte, als ich Anfang 20 war, in Griechenland dieses Drop-by-Drop-Wassersystem kennengelernt. Kannte in Tunesien damals keiner, brauchte auch keiner. 20 Jahre später war es das neue Ding, was halt gerade alle machen, und einfach auch nötig ist, weil es generell heißer geworden ist.
Was hat es damit genau auf sich?
Früher war die Saison im Prinzip davon geprägt, ob und wie gut es zum richtigen Zeitpunkt geregnet hat. Es gab gute Jahre, es gab schlechte Jahre – und es war Gott gegeben, wann es geregnet hat.
Im Prinzip alle zwei Jahre konnte man eine gute Ernte haben. Mit dem ausbleibenden Regen und der steigenden Temperatur hat das für viele Leute nicht mehr funktioniert. Bei den meisten, so wie bei mir, hat es die Mandelbäume als erstes erwischt, da sie die Temperaturen und die Dürre nicht mehr durchgehalten haben. Es wurde eine andere Bewässerung nötig.
Beim Drop-by-Drop-System, das in Israel entwickelt wurde und über Griechenland nach Europa gekommen ist, wird den Bäumen über einen Brunnen per Schlauch kontinuierlich mit einzelnen Tropfen Wasser zugeführt und so eine regelmäßige Bewässerung garantiert. Das ist für viele, gerade in Tunesien, die einzigste Möglichkeit, die Bäume zu retten.
Die letzten 15 Jahre sind geprägt von Brunnen bauen, Wasser finden, Wasser zu verlegen und wenn man den Luxus hat, dass man Wasser gefunden hat und die Bewässerung der Bäume bewerkstelligen kann, dann kann man auch näher die Bäume pflanzen. Das hat zu einer anderen Produktivität geführt.
Die generelle Entwicklung ist so, dass der Markt für Olivenöl gerade explodiert. Ich habe mich vor fünf Jahren dazu entschlossen, mein eigenes Olivenöl zu pressen – und mit dem Wissen um die Entwicklung mich biozertifizieren lassen. Ich pflanze nur bedingt wie im alten Stil, versuche die Ausbeutung der Erde und der Wasserkontingente in einem gesunden Rahmen stattfinden zu lassen.
Für mein Verständnis: Früher hast du quasi nur abgeerntet und verkauft?
Genau, wir waren nur Großgrundbesitzer.
Wir haben die Oliven großgezogen – dann kamen die Großhändler zum bieten und abernten. Der Preis ist mit den Jahren so gefallen, dass sich das nicht mehr gelohnt hat, oder die Angebote waren so gut, dass wir es dann doch noch gemacht haben. Aber irgendwann habe ich dann entschlossen, mein eigenes Olivenöl zu pressen. Das hat auch gut funktioniert. Ich habe dann dieses ganze Bio-Zertifizierungssystem kennengelernt und durchlaufen – und dann kam Corona. Dann war erst mal wieder Pause. Ich hatte relativ viel sehr, sehr gutes Olivenöl, aber es war nicht die Zeit, irgendein Business aufzubauen.
Also habe ich die Zeit genutzt, um in Tunesien zu leben, ganz viel Olivenöl zu verkosten und Musik zu machen.
So kam es zu der vom dir angesprochenen Verbindung von Olivenöl und Musik. Da es keine Veranstaltungen gab, haben wir öfters zu Hause gekocht, Musik gehört, Leute eingeladen – und schon war diese Verbindung von Musik und Essen geschaffen. Das entspricht mir. Ich bin mit dem Musik machen generell noch nicht fertig, aber die Oliven brauchen eben auch Hingabe.
Ist denn deine Feldmenge so groß, dass du das auch als Fulltime-Job machen konntest?
Für Tunesien schon. Ich könnte ohne weiteres in Tunesien davon leben, in Europa nicht. Wenn ich jetzt mit dem Verkauf anfangen würde, dann wahrscheinlich schon. Ich könnte auch anderes Olivenöl kaufen und vermarkten, aber ich sehe mich halt noch gar nicht als den großen Ölhändler, sondern eher als Ambassador. Ich versuche da gerade Qualität und Dedication zusammenzubringen, um das Ganze auch erstmal richtig kennenzulernen, bevor ich mich da in größere Sphären auftun möchte.
Das heißt du verkaufst aktuell lediglich lokal in Tunesien und ein bisschen über dein eigenes Netzwerk in Deutschland?
Wegen Corona war es nicht wirklich möglich in Tunesien ein richtiges Business aufzubauen, aber ja, ich verkaufe immer mal wieder was dort, nach Deutschland nehme ich auf jedem Flug 20, 30, 40, 50 Liter Olivenöl mit, um es Freunde zu verteilen und einen Namen aufzubauen. So richtig groß verkauft habe ich noch nicht.
Der weltweite Verkauf geht nun, wo ich das Zertifikat habe, ab Mai los
Ich kann nun also in Tunesien bei dir bestellen?
Nein, man kann in Deutschland bestellen. Ich exportiere erstmal nur aus Deutschland heraus. Diese Saison war die Ernte gar nicht so groß. Ich kann dieses Jahr mit 1000, 2000 Litern anfangen.
Ich höre raus, dass du also circa ein Drittel deiner Zeit aktuell in Tunesien verbringst. Mit dem Effekt, dass du nicht mehr als Besucher wahrgenommen wirst, sondern als Einheimischer?
Schon etwas mehr als ein Drittel.
Tunesien ist höchst gebildet, es gibt eine sehr junge, hochgebildete Szene, aber alle haben Probleme Visas für Europa zu bekommen. Alle schauen nach Europa, in die Welt, können aber sehr oft nicht Teil davon sein. Das Land ist von Klassen geprägt. Diplomaten oder Menschen mit Verwandten im Ausland genießen Freiraum, Ausbildungsmöglichkeiten, haben Devisen und können Reisen.
Insofern bin ich privilegiert, da ich einen tunesischen und einen deutschen Pass habe. So werde ich auch gesehen. Gleichzeitig haben aber viele verstanden, dass ich das Land wirklich lieben gelernt habe und meine Zeit mit Hingabe dort verbringe und eben nicht aus “Jetzt hast du eine Chance, mal irgendwo was zu werden”, wie es halt viele andere machen.
Ich werde aufgrund meines anderen Jobs relativ gut respektiert – ich bin ja DJ von Yasiin Bey (ehemals Mos Def). Wir touren gemeinsam durch die Welt, sind auch schon in Tunesien aufgetreten. Er genießt als bekennender Moslem und Palästina-Aktivist in Tunesien einen hohen Stellenwert. Für mich bedeutet das, dass die Leute verstehen, dass ich keiner von den Poschi-Poschi-Paris-Jungs bin. Das gibt mir relativ viel Freiraum und Respekt.
Ich habe da unten jetzt auch einen eigenen Namen: Baba Ben*. Ich werde schon sehr tunesisch gelesen.
Sprichst du denn mittlerweile ein bisschen arabisch?
(lacht) Nee. Aber ich fange es jetzt an. Meine Freundin spricht besser arabisch als ich. Ich argumentiere mich immer damit raus, dass ich so im Restaurant nicht mitbekomme, was am Tisch neben an geredet wird. Das ist auch wirklich so und nicht nur ne Ausrede für die Faulheit.
Baba Ben*, vielen Dank für das Gespräch. Wir beenden es mit der sehr deutschen Bundesliga Uhrzeit 15.30.
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