Yeşim Duman: „Musik ist für mich dabei kein Zusatz, sondern eine Sprache, die Menschen verbindet.“

WAU / HAU Hebbel am Ufer (Photo: Naima Maleika)
Yeşim Duman ist seit Jahren eine prägende Stimme der Berliner Musik- und Clubkultur – als DJ, Kuratorin und Community-Vernetzerin zwischen Pop, Diskurs und Aktivismus. Kaput-Leser:innen kennen sie vor allem als Mitkuratorin des Pop-Kultur Festivals. Nun verantwortet sie auch das Musikprogramm des HAU Hebbel am Ufer – ein Schritt, der sich für sie wie eine organische Weiterentwicklung und zugleich wie ein Neubeginn anfühlt.
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Yeşim, die Kaput-Leser:innen kennen dich bis dato vor allem als Mitkuratorin des Pop-Kultur-Festivals. Nun kuratierst du das auch das Musikprogramms für das HAU Hebbel am Ufer. Wie fühlt sich dieser neue Schritt für dich an?

Yeşim Duman (Photo: Dorothea Tuch)
Yeşim Duman: Es fühlt sich wie eine organische Weiterentwicklung an – aber auch wie ein Neubeginn.
Ich komme ja aus einer Praxis, in der Musik, Diskurs und Community immer zusammen gedacht werden. Ob bei der Çaystube, Queer Ping Pong oder früher in Netzwerken wie female:pressure und Erdogay – es ging mir immer darum, Räume zu schaffen, in denen Musik ein sozialer, intergenerationeller und politischer Moment ist. Viele meiner Formate wurzeln in der Clubkultur, weil dort Begegnung, Körper und Gespräch auf ganz eigene Weise zusammenkommen.
Ich glaube, dass Musik in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen wird – gerade in Institutionen. Sie muss stärker mitgedacht werden, als ästhetisches und auch als gesellschaftliches Medium. Genau das reizt mich am HAU Hebbel am Ufer: Es ist eine Institution, die seit Jahren gesellschaftliche und politische Fragen über Kunst verhandelt. Musik dort weiterzudenken, jenseits von Genregrenzen, performativ, kollektiv und zugänglich, ist für mich eine spannende Aufgabe.
Meine kuratorische Haltung ist immer auch eine vermittelnde. Ich möchte Brücken schlagen – zwischen Künstler*innen, Szenen und Publika, zwischen Pop, Performance und Diskurs.
Bedeutet das eigentlich, dass du beim Pop-Kultur nicht mehr dabei bist?
Nein. Ich bin weiterhin im Programmteam des Pop-Kultur Festivals. Festivalarbeit macht mir Spaß und ist eine wichtige Arbeit – besonders das Kuratieren des Musikprogramms, der Commissioned Works und Talks. Diese Formate sind für mich ein Spiegel unserer Zeit. Ich finde es spannend, aktuelle Strömungen, Codes und Themen aufzugreifen und sie in einen musikalischen, performativen oder diskursiven Kontext zu bringen. Ich sehe mich dabei oft wie eine Art Antenne. Das spiegelt sich auch in meiner Arbeit im Musikbeirat des Goethe-Instituts oder in verschiedenen Jurys wider, wo ich Strukturen mitdenken und Vernetzungen stärken möchte und so Synergien schaffen.
Das Pop-Kultur Festival ist eine der wichtigsten Plattformen für Pop, Diskurs und Gegenwart – und ich finde, das hat man dieses Jahr besonders gemerkt. 2025 war eines der stärksten Jahre des Festivals: Das Programm war vielfältig, relevant und inhaltlich sehr präzise. Und das hat man auch an den Besucherzahlen gesehen. Gleichzeitig spürt man natürlich die Auswirkungen der aktuellen Kulturkürzungen. Wie es im nächsten Jahr finanziell weitergeht, ist noch nicht ganz klar. Umso wichtiger ist es für mich, Teil des Teams zu bleiben – um weiterhin Räume zu schaffen, in denen Musik, Diskurs und gesellschaftliche Themen aufeinander treffen.
Und mit Queer Ping Pong geht es auch weiter?

Yeşim Duman (Photo: Dorothea Tuch)
Ja, das Format entwickelt sich weiter – und das freut mich total. Nach den Veranstaltungen im Gropius Bau geht Queer Ping Pong jetzt sogar auf eine kleine Südamerika-Tour. Das ist eine Einladung vom Goethe-Institut, worüber ich mich riesig freue. Ich darf sogar eine DJ mitnehmen – FRZNTE, mit der ich schon öfter gearbeitet habe. Wir reisen nach Asunción (Paraguay), Córdoba (Argentinien), Montevideo (Uruguay) und Buenos Aires (Argentinien).
Queer Ping Pong ist ja ein Format, das Spiel, Musik und Begegnung miteinander verbindet – eine Mischung aus Clubkultur, sozialem Raum und Community. Die Idee ist, mit Ping Pong sich zu begegnen, Teilhabe zu ermöglichen und queere Räume erlebbar zu machen. In Südamerika wird das sicher nochmal eine ganz andere Dynamik bekommen – andere Kontexte, andere Energien. Ich wollte ja schon immer Ping Pong Ambassador werden. : )
Wir planen auch eine Queer Ping Pong Veranstaltung im HAU im neuen Jahr.
Zurück zum HAU: Mit “Break @WAU” hast du ein eigenes Format entwickelt. Der Titel gefällt mir sehr gut. Kannst du zum Konzept ein paar Worte verlieren?
Das WAU hat seit August endlich wieder geöffnet – und die Freude darüber ist groß. Endlich gibt es – nach einer renovierungsbedingten Schließung seit Anfang 2025 – wieder diesen Ort, an dem man nach Vorstellungen oder Premieren zusammenkommt, sich austauscht und den Abend ausklingen lässt. Am Anfang ging es mir darum, mit “Break @ WAU” – wie auch in meinen anderen Formaten – einen Raum zu schaffen, in dem Begegnung und Austausch möglich sind. Der Musikfaktor ist dabei natürlich zentral, aber ich wollte gleichzeitig über das Thema ‚Break‘ nachdenken. Wir leben in einer Zeit, in der Pausen, Unterbrechungen und Freiräume immer wichtiger werden – dieses Give me a break-Gefühl. Das Wort Break trägt so viele Bedeutungen in sich: break a leg, break down, break up, break beat – es kann für Pause stehen, aber auch für Aufbruch, für Rhythmus, für Energie.
Für mich passt es deshalb perfekt zu diesem Format. “Break @ WAU” lädt dazu ein, nach einer Vorstellung einfach zu bleiben, zu tanzen, ins Gespräch zu kommen oder auch mal innezuhalten. Es ist ein Ort, der zwischen Bühne und Publikum vermittelt – manchmal laut, manchmal leise, aber immer mit einem musikalischen Impuls.
Gerade das WAU ist für das HAU ein besonderer Ort – ein Raum, der lange gefehlt hat und jetzt wieder als sozialer und musikalischer Treffpunkt zurück ist. Ich möchte diesen Ort aktivieren: mit DJ-Sets, Listening Sessions. Musik ist für mich dabei das verbindende Element – sie schafft Begegnung, Resonanz und kleine Pausen.
Ich nehme mal an, dass die DJ`s und Musiker:innen der ersten Abende die inhaltliche Linie vorgeben, ja?
Ja, die DJs und Musiker*innen der ersten Abende – MINQ, DJ YASO, ROOF & Unfug Abla sowie DENA, FRZNTE, IZZY MENT und CHIRO – prägen die inhaltliche Linie des Formats und spiegeln, worum es mir geht: um Vielfalt, Community und musikalische Perspektiven, die zwischen Club, Pop und Performance verhandelt werden.
ROOF & Unfug Abla gehören zum Bangerfabrique-Kollektiv, das im HAU mit einem Konzert vertreten ist und anschließend im Rahmen von “Break @ WAU” weitermacht – so entsteht eine direkte Verbindung zwischen Bühne, Publikum und Clubraum.
Auch DENA und Izzy Ment stehen exemplarisch für die künstlerische Offenheit des Formats. DENA ist Musikerin und Produzentin, deren Sound zwischen elektronischem Pop und experimenteller Clubmusik changiert – sie legt eigentlich aus purer Freude an der Musik auf und bewegt sich zwischen Bühnenperformance und Dancefloor, etwa mit Produktionen wie ihrem gemeinsamen Track mit Lauer. Izzy Ment wiederum arbeitet als Multiinstrumentalistin und Producerin an der Schnittstelle von Pop, Ambient und Performance – ihre DJ-Sets sind nie bloß Übergänge zwischen Tracks, sondern erzählen eigene musikalische Geschichten.
Diese Verbindung von Musik und Diskurs zieht sich auch durch die Abende: So wird etwa im Rahmen der Buchpremiere von Sonja Eismann im HAU anschließend Izzy Ment auflegen, während DENA im Kontext der Premiere von Christiane Rösinger spielt. Dadurch entstehen organische Übergänge zwischen Lesung, Konzert, Performance und Club – und genau diese Übergänge interessieren mich.
Mir ist wichtig, dass “Break @ WAU” diese Vielfalt abbildet und den Raum für unterschiedliche Ausdrucksformen öffnet – mit freiem Eintritt und der Einladung, einfach dazuzukommen. Es geht um Zugänglichkeit, Begegnung und darum, Musik als gemeinsame Erfahrung zu feiern.
Wir wollten nach dem Stück “Ocean Cage” von Tianzhuo Chen ein “Break @ WAU” veranstalten. Tianzhuo Chen hat CHIRO empfohlen – die beiden haben schon zusammengearbeitet. “Ocean Cage” ist ein intensives Stück, das Tanz, Installation und Musik verbindet. Es geht um Gemeinschaft, Natur, Spiritualität und Transformation – Themen, die sich auch in CHIROs Sound wiederfinden. CHIRO bringt eine besondere Energie mit, eine Klangsprache zwischen Club, Performance und Ritual.
Neben der “Break @WAU” stehen auch Konzerte von Babyjoy und Bangerfabrique an, beides Acts, mit denen du schon eine gewisse kuratorische Geschichte hast. Würdest du sagen, dass dich das auszeichnet, dass du gerne kontinuierlich mit Künstler:innen zusammen arbeitest?
Ich mache das ja schon länger, und es gibt ein paar Acts, die ich sehr gern in unterschiedlichen Kontexten wieder einlade. Es geht mir dabei nicht um Wiederholung, sondern um Beziehung – darum, künstlerischedarum künstlerische Entwicklungen zu begleiten , wenn es inhaltlich und künstlerisch Sinn ergibt. Gleichzeitig geht es mir auch darum, das HAU zu öffnen und neue Zielgruppen einzuladen.
Das Bangerfabrique-Kollektiv habe ich zum Beispiel schon in die Çaystube eingeladen – das war ein unvergesslicher Abend. Bangerfabrique verbindet Musik, Aktivismus und Community auf eine sehr direkte und empowernde Weise. Babyjoy wiederum ist eine Künstlerin, die mühelos zwischen Sprachen und Stilen wechselt – Rap, Gesang, Französisch, Englisch, Deutsch – und damit eine ganz eigene Energie in die Berliner Szene bringt.
Mit Perera Elsewhere habe ich ebenfalls schon öfter zusammengearbeitet. Sie veröffentlicht am 24. Oktober 2025 ihr neues Album „Just Wanna Live Some“, das sich mit den klimatischen und gesellschaftlichen Themen unserer Zeit auseinandersetzt. Deshalb wollte ich sie unbedingt im Rahmen von „On Planetary Justice“ einladen. In diesem Kontext verbindet sie neue Stücke ihres kommenden Albums mit Kompositionen. Ihre Musik bewegt sich zwischen elektronischer Clubkultur, Avant-Pop und experimentellen Klangräumen und trägt eine klare politische und poetische Haltung in sich.
Für mich ist das genau das Spannende: wenn Musik nicht isoliert steht, sondern Teil eines größeren Gesprächs ist – über Gegenwart, Haltung, Community und Transformation.
Das WAU hat selbst eine sehr spezielle Atmosphäre – Bar, Theater, Treffpunkt. Wie inspiriert dich dieser Raum, wenn du ans Kuratieren denkst? Und wie positionierst du ihn in Berlin?
Berlin hat die vielfältigste Musiklandschaft in Deutschland – wenn nicht sogar in Europa. Von Clubs über Off-Spaces bis zu großen Häusern passiert hier alles gleichzeitig. Genau das macht die Stadt so besonders: dass sie so viele Szenen, Energien und Perspektiven miteinander verbindet.
Und das ist ja nicht nur eine persönliche Einschätzung – Time Out hat Berlin 2025 zur zweitbesten Musikstadt der Welt gewählt, direkt nach London. Das zeigt, wie groß die Strahlkraft dieser Stadt nach wie vor ist, gerade weil hier Pop, Club, Avantgarde, Experiment und Community ineinandergreifen.
Das HAU ist mitten in Kreuzberg verortet – in einem Viertel, das von Migration, Vielfalt und kulturellem Austausch geprägt ist, aber auch von dem naheliegenden Potsdamer Platz und der stark gentrifizierten Bergmannstraße. Diese Lage spielt eine große Rolle und spiegelt sich auch in Projekten wie “Nachbarschaft feiern” wider, das im Oktober stattfindet und das Haus bewusst in Beziehung zu seiner Umgebung am nahegelegenen Mehringplatz setzt.
Was ich am HAU besonders schätze, ist die räumliche Vielfalt: Das HAU1 mit seinem wunderschönen Theaterraum schafft eine besondere Atmosphäre für Konzerte und Performances, während das HAU2 mit dem cube-Raum andere Formate ermöglicht. Und das WAU ergänzt diese Orte perfekt – offen, zugänglich, nahbar. Ein Raum, an dem man bleiben, tanzen, zuhören oder ins Gespräch kommen kann – ein Ort, an dem Institution und Clubkultur sich begegnen können.
Musik ist für mich dabei kein Zusatz, sondern eine Sprache, die Menschen verbindet. Und genau das macht Berlin – und das HAU – so besonders: Hier überschneiden sich künstlerische, gesellschaftliche und alltägliche Realitäten. Diese Durchlässigkeit ist das, was ich in meiner Arbeit immer wieder suche und stärken möchte.
Yeşim, vielen dank für das Interview. Ich freue mich schon sehr auf den ersten WAU Besuch.








