Jay-Z - Revisited

“Hast du die Schnauze voll von mir?”

Jay-Z (Collage: Sarah Szczesny)

Jay-Z (Collage: Sarah Szczesny)

Ein Sommerabend 2010. Shawn Carter stolpert direkt von Stefan Raabs Fernsehcouch zu Thomas Venker in die Künstlerkabine. Die ihm von seinem Manager angebotene kurze Verschnaufpause verneint er lachend. Er müsse ja nur reden, das ginge doch immer.

Du bist in letzter Zeit viel im Fernsehen zu sehen …
Hast du die Schnauze voll von mir?

Oh nein, eher im Gegenteil. Ich muss sagen, du machst das gut: sehr eloquent, sehr cool, sehr humorvoll – zumindest, wenn es der Showmaster zulässt. Aber lass mich dich doch lieber für das neue Album abfeiern: Well done. Dein Album „Blueprint 3“ und „The Ecstatic“ von Mos Def haben mir den Glauben an HipHop zurückgegeben. Womit wir auch gleich beim ersten Song des Albums wären: „What We Talkin’ About“. Da stellst du dir die Frage nach dem Sinn des Lebens, was bei dir dann gleichzeitig meint, wie es mit HipHop weitergehen soll.
Ich versuch immer am Ball zu bleiben. Nur wenn man weiß, was sonst so passiert, kann man Akzente setzen. Wir reden schließlich von „Blueprint 3“. Natürlich könnte ich auch über die alten Sachen sprechen, aber ich wähle den Fortschritt – und da fällt mir so viel ein, dass wir den ganzen Tag sprechen könnten.

Dann tun wir das doch. Wo siehst du die Fortschritte? Was sind die neuen Themen, die verhandelt werden
Das ist ja das Problem. Die Rapper der nachwachsenden Generation schwächeln da etwas. Weißt du, ich rappe schon so lange, bin dem Genre so verbunden, dass ich es nicht mit ansehen kann, wie es sich aktuell zusammenzieht. Dafür gibt es doch auch keinen Grund. Eigentlich ist es doch so, dass alle Rap hören. Warum dann also die Abkehr? Rap sollte dagegenhalten und seine Zuhörerschaft wieder vergrößern. Stattdessen sieht es so aus, als würde Rock wieder wichtiger. Bei allem Respekt für die guten Bands, die es da gibt, das kann ich so nicht akzeptieren.

Muss Rap also seine Themen verändern?
Nein. Es geht nur um einen anderen Blickwinkel auf die alten Themen. Man sieht die gleichen Dinge mit 23 anders als mit 16, man nimmt eher die Komplexität wahr. Und man weiß, was passieren kann, wenn man sich für den falschen Weg entscheidet, falsche Dinge tut.

Das war jetzt eher auf dich bezogen als auf die anderen. Aber wenn ich das mal aufgreife: Was würde der Teenager Shawn Carter wohl Jay-Z sagen, wenn er ihn auf der Straße treffen würde?
Er würde mich fragen, wie ich all das geschafft habe. Und mir sagen, wie „amazing“ das alles ist.

Und was würdest du ihm als Rat erwidern?
Scheu dich nicht davor, Fragen zu stellen. Sei neugierig auf das Leben – und die Frauen –, mach eine Millionen Fehler, denn jeder macht sie. Und halt dich im Generellen an meinen Weg.

Okay, lass uns über „D.O.A. (Death Of Auto-Tune)“ sprechen. Tolles Stück. Gut, da humorvoll formulierte Kritik an den Zuständen. Ich mag den Stadiongesang, der kommt schön debil.
Es ist doch wirklich nicht zu fassen, dass das alle machen – und dass es auch noch den Weg ins Radio findet. Das musste mal jemand sagen.

Da es so gut passt zu dem Stück: Sag doch mal was zu deinen Enttäuschungen/Highlights der Dekade.
Hm, schwierig. Ich verbinde mit HipHop vor allem frühere Ereignisse. Ich bin ein Oldschooler. Es ist der Jahrgang 1988, Leute wie Rakim, Public Enemy, die mich geprägt haben, später Nas, Biggy und 2Pac, die Fugees, Lauryn Hill … Wenn wir von diesem Jahrzehnt sprechen, dann müssen wir von KanYe West reden. Er hat einen neuen Weg eingeschlagen, der dringend notwendig war. Er führte den Nerd als Protagonisten ein, brachte ein neues Thema ein – das ist das, was ich vorher meinte.

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Jay-Z (Collage: Sarah Szczesny)

Abseits von Erfolgsgeschichten wie der von KanYe und dir waren die 00er-Jahre der Musikindustrie vor allem jene, in denen das Downgrade des Biz nicht mehr zu übersehen war. Mittendrin du mit deinem Label Roc-A-Fella, das dann von Def Jam gekauft wurde, womit du zum CEO wurdest, und heute leitest du das Nachfolgelabel Roc Nation. Wie hast du das erlebt? Abseits deiner eigenen endlosen Erfolgsgeschichte musstest du mit deinen Künstlern ja sicherlich auch negative Momente diskutieren.
Im Musikbusiness geht es nur um den Hit – da hat sich nichts geändert im letzten Jahrzehnt. Musik ist und bleibt Musik, die Anforderungen an einen Hit sind dieselben, und ein guter A&R findet noch immer die guten Künstler – aber das Internet, das hat für das Biz eine sehr große neue Herausforderung aufgebracht.

Wie schwer war es denn für dich, der du auch Künstler bist, den anderen Künstlern diese Schwierigkeiten verständlich zu machen?
Das ist nicht leicht, wohl wahr. Aber meine Aufgabe in dieser Rolle war und ist es vor allem, dafür zu sorgen, dass gute Musik herauskommt im kreativen Prozess, sei es meine eigene oder die der Labelkünstler. Ich muss sicherstellen, dass alle Beteiligten 100 % geben – wenn es dann trotzdem nicht klappt, Sätze wie „Yo, ihr müsst mehr für mich machen“ fallen, dann ist das frustrierend. Für beide Seiten.

Das Stück „Thank You“ ist die Absage an falsche Arschleckerei, aber auch gleichzeitig das Zeigen der breiten Brust. Trotzdem mal dezent gefragt: Braucht ein Jay-Z keine Bestätigung mehr? Streicheleinheiten und „Das ist aber echt ein tolles Stück“-Bekundungen beim Abendessen von den Freunden?
Na ja, das stimmt nicht so ganz. Ich höre mir natürlich schon an, was die Leute aus meinem Umfeld zu sagen haben. Wenn ich produziere, zählt die Meinung von jedem im Raum, egal, ob es der Produzent ist oder der Typ, der die Gläser abräumt. Wenn zehn Leute für ein Stück voten, dann bring ich es früher auf dem Album, als wenn es nur drei gut finden.

Gab es diesmal denn Stücke, die du bringen wolltest, es dann aber wegen anderer nicht gemacht hast?
Also, so weit geht das dann auch nicht mit der Mitsprache. Wenn ich so ganz und gar an einen Track glaube, dann kann mir niemand reinreden.

Eins meiner Lieblingsstücke des Albums ist „Venus Vs. Mars“ – wir haben es ja seit zwei, drei Jahren mit einem Ethnotrend zu tun. Verfolgst du so was? Wobei ich bei deinem Stück eher an frühe Adepten wie die Talking Heads denken muss als an originär afrikanischen Sound. Schöner Text auch, hattest du da jemanden Bestimmtes im Kopf? Vielleicht Whitney Houston und ihren Macker Bobby Brown?
Die Idee zu dem Stück kam von Timbaland. Seine Musik speist sich aus Einflüssen aus der ganzen Welt, auch Regionen wie Osteuropa, von denen man sonst eher wenig mitbekommt – deswegen arbeite ich so gerne mit ihm zusammen. Er ist ein Produzent, der nicht nur technische Impulse setzt, sondern sich absolut in die Stück einzubringen vermag. Was den Text betrifft, das ist so ‘ne typische Beziehungskistennummer: Erst denkt man, dass man sich wie Yin und Yang ergänzt, und am Ende steht die Einsicht, dass man total verschieden ist.

Stichwort „Superproduzenten“. Es war das Jahrzehnt der Neptunes, von Timbaland und Dr. Dre – was aber folgt ihnen? Du hast für das Album ja wertkonservativ mit Timbaland, den Neptunes und KanYe West zusammengearbeitet, allerdings schon auch Kritik an ihnen übend.
Nun, es kommen viele junge Produzenten nach – aber noch geht es bei ihnen allen vor allem um einen Sound. Ich will kein Album, das auf einem Sound basiert, mir geht es um Emotionen, um das Bewegende in der Musik. Nimm einen Song wie das Stück mit Alicia Keys, „Empire States Of Mind“, das ist doch vor allem eins: kraftvoll. Und deswegen wirkt es so intensiv. Es ist das Stück selbst und nicht ein Produktionseffekt, was den Hit ausmacht.

Wenn wir gerade von jüngeren Produzenten sprechen: Justice haben Beats für „On To The Next One“ beigesteuert. Was kann HipHop denn von den ganzen Elektronikkids lernen, die zuletzt so frisch rumexperimentiert haben?
Die Idee hierzu kam von Swizz Beatz, mit dem zusammen ich das Stück gemacht habe. Er schickte den Beat an mich – ein fantastischer Beat. Als ich den fertigen Song dann ein paar Leuten vorgespielt habe, tobte der ganze Raum – sie reagierten genauso wie ich, als ich den Beat das erste Mal hörte. Uns ist es also gelungen, dieses Gefühl der Überraschung auf das ganze Stück zu übertragen. Das ist unser Job: diese kreativen Vorlagen, die in der Tat frisch sind, weiterzutragen.

Kanntest du die Platte von Justice?
Nicht das Album, aber ich kenne den Clip zu „Stress“, in dem sie durch die Pariser Banlieues marschieren. Kraftvoll.

Hörst du eigentlich viel Musik?
Klar. Ich liebe Musik, das geht von Gangster-HipHop bis Gitarrenmusik – also versuche ich, so viel wie möglich mitzukriegen, so wie es mein Zeitplan halt zulässt.

Wie verhält es sich denn mit diesen neuen amerikanischen Rapperinnen wie Amanda Blank oder Kid Sister – hast du zu denen eine Meinung?
Bei Kid Sister war ich am Anfang sehr interessiert – sie hat sehr gut losgelegt –, aber irgendwie ist da das Tempo abhandengekommen, das Album einfach nie erschienen.

Es soll nun endlich kommen. Ich bin ziemlich gespannt. Die neue Single „Right Hand Hi“ ist ja super. Ich kann das schon nachvollziehen, dass das dauert – ein Debüt muss heutzutage zwingend gut sein, sonst bist du sofort wieder weg. Und du weißt ja selbst, wie schwer das ist. Wie gehst du eigentlich an das Albumschreiben ran? Beginnst du erst mit der Musik, oder kann es auch vom Text her beginnen?
Am Anfang suche ich mein Leitthema für das Album. Für das erste „Blueprint“-Album war das damals der Souleinfluss, die Musik, die ich gehört habe, als ich noch ein Kid war. „Blueprint 2“ widmete sich der Musik, die in meinen Teenagerjahren wichtig war, deswegen die Heterogenität und so unterschiedliche Gäste wie Sean Paul, Lenny Kravitz sowie Frank-Sinatra-Samples. Diesmal sollte es ein Klassiker in seinem eigenen Reich werden. Deswegen so viel Selbstreferenzielles in HipHop, aber auch für New York und mein Leben.

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Jay-Z (Collage: Sarah Szczesny)

Wie reagieren denn die anderen Rapper?
„D.O.A. (Death Of Auto-Tune)“ hat heftige Diskussionen ausgelöst. Was mich dabei irritiert hat, war, dass die Leute so taten, als sei Auto-Tune eine Bewegung. Das ist es aber nicht, es ist ein Scherz, nicht mehr.

Was hat denn KanYe gesagt?
[lacht] Es war seine Idee. Na ja, vielleicht nicht so … Er hat im Studio immer wieder zu mir gesagt, ich solle radikaler sein. Tja, und dann habe ich es laufen lassen – und plötzlich schrie er von hinten, das sei zu krass. [lacht] Ich konnte ihn damals nicht davon abhalten, ein ganzes Album mit Auto-Tune zu machen. Warum sollte er mich aufhalten können, eines dagegen zu machen?

Wenn wir auf den Zeitraum seit Mitte der 90er zurückblicken, so konnte man lange Zeit ein intensives Ausbreiten von HipHop beobachten: Es gab türkischen, deutschen, skandinavischen HipHop, eigentlich tauchten plötzlich aus allen Regionen der Welt Acts auf. Hast du das damals verfolgt? Und was denkst du, warum ist dieser Trend seit einigen Jahren rückläufig?
Ich komme natürlich nicht dazu, all diese regionalen Spielarten zu verfolgen, aber um die wesentlichere Frage zu beantworten: Es macht doch Sinn, dass sie sich abwenden. Und weißt du, warum? HipHop war zuletzt einfach nicht aufregend genug. Das Genre wurde viel zu eng angepackt. Und wenn ich Genre sage, spreche ich bereits das Problem an: Es geht hier doch nicht um ein Genre, es geht um Musik.

Was hat dich denn abseits von HipHop zuletzt gekickt? Ich hörte, Beyoncé und du wart auf einem Konzert der Warp-Band Grizzly Bear.
Ja, die sind toll. Ich mag einiges aus dieser Richtung. Super Musik – aber ich nehm das nicht einfach so hin, dass mich das interessiert, das spornt mich auch an, ich will doch nicht, dass Rock uns wieder ablöst. HipHop soll das wichtigste Genre bleiben – das heißt aber auch, dass sich alle wieder mehr reinhängen müssen.

Wer soll es richten? Du? Nun wirst du aber bald 40 und hast ja schon mal Schluss gemacht. Wie fühlt es sich derzeit an? Man redet ja viel darüber, dass Rock ab einem gewissen Alter lächerlich wirke. Wie ist das mit HipHop? Wo du in einem Stück des Albums schon Sinatra fallen lässt: Kann es einen HipHop-Crooner geben?
Ich denke, ich habe mit „Blueprint 3“ gezeigt, dass ich noch immer die Akzente setze. Ich bin ein sehr großer Fan von Sinatra – und es gibt da ja auch Parallelen: Sinatra hat einst Hendrix gesignt, mein Hendrix ist KanYe West; Sinatra hatte Beziehungen zum US-Präsidenten, ich kenne Obama ganz gut, habe ihn ja auch im Wahlkampf unterstützt, emotional und monetär.

Wie zufrieden bist du denn mit Obamas bisheriger Performance?
Man merkt, dass er langsam das Tempo anzieht für seine Ideen – allerdings ist es natürlich nicht leicht. Wenn man weiß, wie schwer es oft schon im Showbiz ist, seine Ideen umsetzen zu können, kann man erahnen, wie es sich in der Politik auf diesem Level anfühlen muss.

Wie kommt es eigentlich, dass erfolgreiche HipHopper viel eher als die Kollegen aus anderen Genres auch gleich noch so aktiv in anderen Wirtschaftszweigen sind? Du betreibst ja Roc-A-Wear, hast eine Schuhkollektion mit Reebok (die du auf dem Album ganz schön smart vermarktest) und bist Mitbesitzer der NBA-Basketballmannschaft New Jersey Nets.
Künstler zu sein ist meine Leidenschaft. Ich sehe das Künstler-Sein aber nicht so eng gesteckt: Alles, in das ich involviert bin, ist Teil meines künstlerischen Ausdrucks. Wenn ich Klamotten mache, dann bin ich da sehr involviert, gebe nicht nur meinen Namen her. Klar, das geht nicht so tief wie bei der Musik, da geht es eher um die groben Vorgaben … Und ich gehe auch so weit zu sagen, dass man diese künstlerische Handschrift in der Art, wie ich Business mache, lesen kann.

Oh, wir müssen aufhören, es wird schon gewunken. Natürlich etwas unschön, mit Kritik zu enden, aber ich muss dich doch fragen: Warum die Coverversion von Alphavilles „Forever Young“? Wolltest du am Ende des Jahrzehnts auch das letzte Statement zum 80er-Revival raushauen?
Ich mag deine Ehrlichkeit. Wirklich. Aber für mich ist das eines der besten Stücke des Albums. Ich mag es so richtig – und das ist das Einzige, was am Ende des Tages zählt. Ich will Musik machen, die Generationen überdauert.

Okay, okay. Now we are talkin: Du beziehst das „Forever Young“ also auf die Musik und meinst es nicht in so einem regressiven Berufsjugendlichen-Sinn?
Ja, genau. Aber noch mal zum Stück. Ich liebe die Drums. Ach, ich liebe den ganzen Song. Mal ehrlich: Die Idee ist sooo kraftvoll. Wir haben nur ein Leben – und es liegt an uns, was wir daraus machen.

Da bist du der beste Beweis: aus dem Ghetto an die Spitze. Seit gestern ja auch mit mehr Nummer-1-Hits als Elvis.
Das stimmt. Irre, nicht? Und weißt du, warum? Je mehr man mit der Musik wagt, je weiter man sich rauswagt, desto langlebiger wird sie. Das macht meinen Sound so relevant.

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