Julian Stetter – Interview

Julian Stetter: “Jeder macht mal, der andere kommentiert solange, surft im Internet oder liegt auf dem Sofa”

Julian Stetter (Photo: Frederike Wetzels)


Der Kölner Produzent Julian Stetter ist ein musikalischer Tausendsassa, dessen Klanguniversum kaum Grenzen kennt. Aktuell erscheinen von ihm Platten mit Casey Spooner, Vide Obscur und Dumbo Tracks. Thomas Venker tauschte sich mit Stetter über seine Arbeitsuniversum aus.

Julian, man kennt dich bislang als die eine Hälfte des Kölner Elektronik-Pop-Duos Vimes und als Soloproduzent, nun trittst du aber gleich mit mehreren Kollaborationsprojekten in Erscheinung. Das zumindest auf dem Papier auffälligste: deine Produzententätigkeit für Casey Spooner, dessen kommendes Soloalbum „With Love From Death Beach“ du mitverantwortest. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Julian Stetter: Ich hatte bereits 2020 mit Casey Spooner gearbeitet. Damals war ich auf der Suche nach jemandem, der als Gast auf einem Track singen könnte, den ich für Jennifer Cardinis Correspondant Records produziert habe. Über einen gemeinsamen Bekannten entstand der Kontakt zu Casey, der damals für einige Zeit in Berlin lebte und sowohl Fan vom Label und auch von meiner Musik war. Zwar ist aus dem ursprünglich geplanten Stück nichts geworden, dafür war ich danach Executive Producer der Musik, die unter dem Namen Casey Spooner erscheinen sollte.

Casey Spooner kennt man ja als eine Hälfte des Electroclash-Duos Fisherspooner. Inwieweit hat man bei so einem glamorösen Pop-Character mit Erfogsgeschichte denn die Möglichkeiten die Reset-Taste zu drücken? Oder anders gefragt: Hast du die Zusammenarbeit als freies Feld empfunden?

Ironischerweise war der Tag, an dem wir uns das allererste mal trafen, genau der Tag, an dem sich Fisherspooner aufgelöst haben. Das war zwar alles aufreibend, zeitgleich hatte ich nie das Gefühl, dass meine Rolle damit im Zusammenhang stehe. Der Kontakt zwischen ihm und mir kam zustande, weil er meine Musik schätzte. In den ersten zwei Jahren waren auch noch andere Produzenten am Prozess beteiligt, am Ende waren es aber nur noch er und ich, weil wir die einzigen waren, die sich inhaltlich einigen konnten.
Diese Electroclash-Welt kenne ich als musikhistorisches Phänomen – erlebt habe ich das selbst nicht wirklich. Ich glaube, das hat der Zusammenarbeit gut getan, weil gar nicht die Gefahr bestand sich zu sehr an seine Geschichte anzulehnen. Stattdessen habe ich meine Sozialisation mit in die Kooperation gebracht und es war klar, dass wir uns eher Richtung Panorama Bar Sound und weniger an großen Festivalbühnen orientieren.

Was würdest du sagen, konntest du seinem Sound-Universum hinzufügen?

Für Casey geht es in seiner Kunst sehr stark um seinen thematischen Überbau, das ist, was er mitbringt: ein Thema, eine Attitude. Da gibt es keine Demos, keine Grundlagen für Tracks, sondern Textzeilen und eine Idee wie der jeweilige Text vermittelt werden soll, eine Energie – und das war es. Die ganze Entwicklung der Stücke – die Sounds, Melodien und Arrangements –, das entsteht alles während der Produktion. Somit kann ich mit Gewissheit sagen, dass ich meinen Sound hinzufügen konnte!
Ich habe zu der Zeit, als wir angefangen haben, zusammenzuarbeiten nahezu jedes Wochenende irgendwo aufgelegt und meine musikalische Welt war sehr geprägt von Nachtleben und DJ Kultur. Und das war genau das, woran Casey zu der Zeit interessiert war.

Mit „Instantaneously”, „Unavailable” und „Wet“ sind drei der Stücke des Albums bereits erschienen – wie waren denn die Reaktionen bis dato?

Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Wir hatten 2020 schon einige Songs veröffentlicht (“Team 2 Jet Set Fun”, “Blood Is Blood”, “The Most American Thing”, “Victor” & “Love My Problems”). So konnten wir beide ganz gut einordnen wozu die Zusammenarbeit führen wird.
Schön ist, dass wir Zuspruch von einigen Personen bekommen, deren Meinung mir viel bedeutet. Wolfgang Tilmanns ist beispielsweise Fan von unserer Kooperation, Klaus Biesenbach auch. Positives Feedback aus solchen Richtungen zu bekommen finde ich toll! Auch dass Casey mit unserer Arbeit live in der neuen Nationalgalerie in Berlin, bei Horse Meat Disco in New York oder im Tamayo Museum in Mexico City auftritt, bestätigt, dass wir irgendwas richtig gemacht haben.
Spooners musikalische Geschichte ist geprägt von Produktions- und Publishingbudgets, die man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Plötzlich sind da nur er und ich; unsere Zeitfenster, in denen wir zusammenarbeiten können, sind aufgrund unterschiedlicher Faktoren begrenzt. Da ist man mit Sicherheit nicht gut beraten, sich an der Aufmerksamkeit, die seine frühere Band erhalten hat, zu messen.

Vide Obscur (Photo: Frederike Wetzels)

Zudem hast du zusammen mit Jakob Lebsanft eine Platte unter dem Projektnamen Vide Obscur produziert, die auf dem Stuttgarter Label Treibender Teppich Ende November erscheinen wird, das Kölner Releasekonzert findet am 25.11. im Klub Scheiße statt. Jakob ist in letzter Zeit ähnlich umtriebig wie du, wie hat man sich das denn im Studio vorzustellen, wenn zwei Produzenten im eigenen Recht zusammenarbeiten?

Bei Vide Obscur war von Anfang an klar, dass das eine Art Nebenprojekt ist und wir keine Kapazitäten haben so viel Zeit damit zu verbringen, wie wir es mit unseren eigenen Projekten tun. Wir hatten fünf Tage lang Instrumente aufgenommen ohne davor irgendwas von der Musik geschrieben zu haben, dabei aber keinerlei Zeit auf perfekte Takes verschwendet, sondern vielmehr im Geiste der Producer, die wir sind, die Signale zig mal durch alle möglichen Geräte, die wir so angesammelt haben, geschickt und versucht eine Klangwelt zu erschaffen und das Material direkt zu Songs zu arrangieren.
Das lief ziemlich Konkurrenzbefreit ab. Jeder macht mal, der andere kommentiert solange, surft im Internet oder liegt auf dem Sofa. Durch diese Gelassenheit ist etwas ganz eigenes entstanden.

Auch hier die Frage: wie kam es zur Zusammenarbeit?

Ich habe aus einer Art Dogma heraus viele Jahre kein akustisches Instrument angefasst. Irgendwann kam plötzlich mein Interesse an Musik im Bandkontext zurück. Ich hatte bis dato gefühlt eine halbe Lebenszeit vor Computern und Synthesizern verbracht und Jakob, der vielmehr mein Freund und nicht mein Arbeitspartner war, hatte mich dazu bewegt den Gedanken weiterzuverfolgen. Er nahm mich dann mit in seinen Proberaum und brachte mich dazu mir eine Gitarre umzuschnallen. Interessanterweise wurde uns beiden schnell klar, dass unsere teilweise sehr unterschiedlichen Einflüsse und unsere Denkweise als Produzenten eine irgendwie interessante Mischung ergeben und wir eine gemeinsame EP machen wollen.

Gab es am Anfang so etwas wie ein angedachtes Sound Paradigma, oder habt ihr erstmal frei experimentiert?

Es gab schon Referenzen aber von denen haben wir uns auch immer wieder bewusst distanziert. Wir haben uns während des Prozesses immer wieder gefragt: “Warum sollten wir das jetzt noch weiter in die Richtung von Künstler:in XYZ entwickeln – das machen die doch schon. Lass uns daher doch lieber ne andere Abzweigung nehmen.” Wir hatten auch bereits alle Instrumentals aufgenommen, als wir uns zum ersten Mal darüber unterhielten auf welcher Sprache der Gesang überhaupt sein soll.

Ich habe das Releasekonzert bereits angesprochen. Das heißt: Vide Obscur ist eine richtige Band, die man öfters live erleben kann in Zukunft?

Das Leben als Band ist ja bekanntermaßen eher schwierig, solange man keine großen Venues ausverkauft. Das mit dem Releasekonzert hatte sich angeboten, weil wir dem Klub nahestehen und wir dachten, dass das gut zur Attitude der Musik passt.
Als vierköpfige Band aufzutreten kann sich heutzutage ja schlichtweg niemand mehr leisten, der Musik als seinen Beruf begreift – daher wird es sich auf eine Hand voll Konzerte beschränken, die man daher aber nicht verpassen sollte.

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Wie ist das denn bei der Zusammenarbeit mit Casey Spooner angedacht, war deine Rolle da auf das Studio beschränkt, oder kann man dich in naher Zukunft auch mal mit ihm auf der Bühne erleben?

Hier war von Anfang an klar, dass er der Performer auf der Bühne ist, ich mich hingegen auf die Arbeit im Studio beschränke.

Und als ob das noch nicht genug Projekte wären, arbeitest du neuerdings auch mit Philipp Janzen am zweiten Dumbo Tracks Album (an dem diverse Kölner Musiker:innen beteiligt sind), das auf Bureau B / Tapete erscheinen soll. Was ist deine genaue Rolle im bisher von Janzen allein bespielten Dumbo Universum?

Philipp ist in erster Linie einer meiner engen Freunde und wir hatten uns oft über die Arbeit an Musik ausgetauscht. Mein Fokus war ja immer sehr elektronisch, seine Arbeitsweise hat Aufnahmen mit Bands viel mehr eingebunden. Es erschien uns interessant, das zu verbinden und zusammen Musik zu schreiben, aufzunehmen und zu produzieren. So kam die Idee eine Produktion zusammen zu machen ¬ und da seine neue Dumbo Tracks-Platte anstand, war das der Anlass.
Die Idee hinter der Platte war: wir machen an unseren Modularsystemen Entwürfe von Stücken, die dann als eine Art Grundlage dienen, auf der wiederum Instrumentalist:innen improvisieren und aus diesen Jams, deren Grundstimmung wir vorgegeben hatten, bauen wir Stücke für Gastsänger:innen. Das hat bis zum letzten Schritt überraschend gut funktioniert und wir freuen uns darauf bald alles dem Label einreichen zu können.

Kannst du schon ein paar Namen der beteiligten Musiker:innen nennen?

Es gibt unter anderem Gesangsbeiträge von Rubee, der Sängerin der Kölner Band Smile, von Chris Cummings, Portable und Bobby Conn.
Die Liveband waren Joshua Gottmanns, Nils Herzogenrath, Phillip Tielsch, Leo Alan, Christopher Molto Martin, Christopher Marquezz, Emily Wittbrot, Mario Katz, Philipp Janzen und ich.

Ach so, eine Solo-Ep ist von dir auf Chorus Records, dem Label von Marcus Worgull auch noch erschienen? Verlierst du manchmal eigentlich selbst den Überblick, an was du gerade arbeitest?

Ich glaube das sieht nach außen nach viel mehr aus, als es sich nach innen anfühlt. Ich arbeite nahezu jeden Tag an Musik. Wäre das über Jahre hinweg das immer gleiche Projekt, wären die Ergebnisse künstlerisch wahrscheinlich nicht allzu interessant. Ich kann das schon ganz gut differenzieren und habe das Gefühl, dass es der jeweiligen Arbeit auch gut tut, sich zwischendurch mal die ein oder andere Woche auf etwas anderes konzentrieren zu können. Den Überblick verliere ich also nicht, wenn sich Produktionszeiträume aber stark überschneiden, kann es schon mal anstrengend werden.

Der Beitrag ist in modifizierter Form ursprünglich in der Print-Ausgabe der Stadtrevue Köln publiziert worden, wir danken der Stadtrevue für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung.

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