Lambchop – Kurt Wagner im Interview

Lambchop: Eingeschneit in einer entlegenen Hütte am Rande einer Kleinstadt

Kurt Wagner


„I’m not living in slow motion“, singt Kurt Wagner in „The News Isn’t so new anymore“, dem Eröffnungssong des neuen Lambchop-Albums „This (is what I wanted to tell you)“. Dabei scheint ein Großteil der Platte das Gegenteil nahezulegen: die Stimmung wirkt grundlegend kontemplativ, zeitverzögert und introvertiert. Die Musik ist insofern beweglich angelegt, als sie sich um die eigene Achse zu drehen scheint. Das macht sie in gleichem Maße statisch wie dynamisch. Beim (oberflächlichen) Hören setzt sich jedoch der Eindruck durch, dass die Instanz in den Songtexten in solitärer Weise auf sich selbst zurückgeworfen ist, eingeschneit in einer entlegenen Hütte am Rande einer Kleinstadt, dabei aber doch im moderaten Austausch mit der Außenwelt. Dazu passt die dezent gegenläufige Organisation der Musik, die auf der Basis eines diffus elektronischen Klangbilds leicht zugänglich und melodisch anmutet, ohne ihre Präsenz in den Vordergrund zu rücken.

Kurt Wagner (Photo: Steve Gullick)

Kurt, ich frage mich, wie Du den musikalischen Ansatz beschreiben würdest, der das neue Album bestimmt.
Kurt Wagner: Zunächst denke ich, dass es ein sehr kollaborativer Ansatz ist. Die Songs auf dem Album wurden in Zusammenarbeit mit Matthew McGaughan (Bon Iver, Hiss Golden Messenger) geschrieben. Es gibt wahrscheinlich kein Lambchop-Album, das mehr im Zeichen von Kooperation steht als dieses.

Ich habe gelesen, dass die Musik auf dem letzten Album („FLOTUS“) darauf ausgerichtet war, deiner Frau zu gefallen. Das war diesmal aber nicht der Fall?
Nein, es ging dieses Mal wirklich darum zu sehen, was passiert, wenn verschiedene Leute zusammen Musik machen.

Gab es denn konkrete Modelle, auf die sich die Musik auf „This (is what I wanted to tell you)“ beziehen und zurückführen lässt?
Nein, ich habe versucht, meinen Geist dafür offen zu halten, was passieren würde. Auf der Platte hört man, wie ich auf die musikalische Information reagiere, die Matthew mir zukommen lässt. Und umgekehrt. Dabei war immer klar, dass wir später Elemente hinzufügen würden, die immer schon Teil des Lambchop-Sounds waren. Es fühlte sich wirklich angenehm an, so zu arbeiten. Manchmal war ich mir nicht mal mehr der Tatsache bewusst, dass wir gerade dabei waren, ein Album einzuspielen.

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Ich hatte auch den Eindruck, dass das Album eine sehr prozessuale Qualität hat, die den Eindruck erweckt, der Musik beim Entstehen zuhören zu können. Wie, denkst du, verhalten sich die Song-Texte zu dieser Versuchsanordnung?
Wegen der kollaborativen Ausrichtung der Musik habe ich die Texte erst hinzugefügt, nachdem die Songs bereits gesetzt waren. Erst vor diesem Hintergrund erschien es mir richtig, die Bilderwelten zu kreieren, die den Songs entsprachen.

Es kam mir so vor, als würden die Texte insofern gut zur Musik passen, als sie in ihrer assoziativen Bewusstseinsstrom-Poetik den performativen Charakter der Musik ganz gut unterstützen.
Naja, ich glaube, das ist ohnehin die Art, wie ich Texte schreibe. Aber vielleicht harmoniert diese Arbeitsweise dieses Mal noch mehr mit der Musik.

Mir ist aufgefallen, dass die Lieder in der Regel keine erkennbaren Refrains haben, ist das Absicht?
Ach, Refrains haben mir schon immer Probleme bereitet! (lacht) Ich versuche oft, Refrains einzusetzen, aber irgendwie gelingt es mir nicht. In gewisser Weise verleiht das den Lambchop-Songs vielleicht eine singuläre Identität, wer weiß.

Trotz der Abwesenheit von Refrains, gibt es ein sich inhaltlich wiederholendes Thema in den Songtexten, nämlich die Nachrichten.
Ich denke, dass ich beim Schreiben von Texten als Beobachter meiner Erfahrungen agiere. Seit 2016 sind die Nachrichten zu einem zentralen Bestandteil der meisten Menschen in den USA geworden. Ohne dem Konzept der „fake news“ auf den Leim zu gehen, lässt sich nicht wegdiskutieren, dass es mediale Manipulation gibt, die zusehends raffinierter auszufallen scheint. Vor allem in der Hinsicht, dass private Daten instrumentalisiert werden.

Als ich das Album gehört habe, hatte ich das Gefühl, dass es von einer sehr winterlichen Stimmung geprägt ist. Empfindest du das auch so?
Es ist sicherlich kein Frühlingsalbum, da stimme ich dir zu.

Wie wird diese winterliche Stimmung erreicht? Es gibt in den Texten natürlich Bezüge auf fallende Blätter, Santa Claus und Dezember, aber hat es nicht auch etwas mit der Musik zu tun?
Vielleicht ist die Musik eine Antwort auf den allgemeinen Geisteszustand, in dem ich mich befand, als die Platte aufgenommen wurde. Jede Platte entspricht in dem Sinne einem musikalischen Tagebuch, das meinen Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt in meinem Leben reflektiert. In über 25 Jahren ist da eine Menge zusammengekommen. Ich bin nicht sehr gut darin, fiktional zu arbeiten oder Geschichten zu erzählen. Stattdessen notiere ich, was um mich herum passiert.

Auf dem neuen Album kommt wieder Autotune zum Einsatz. Worin besteht hier der Reiz für dich?
Es macht Spaß damit herumzuspielen, und wenn es richtig eingesetzt wird, kann Autotune auch emotionale Akzente setzen, die der natürlichen Stimme nicht möglich sind. Die meisten Leute denken ja, dass eine Maschine oder ein technisches Mittel Emotionen eher verhindert, aber ich habe die gegenteilige Erfahrung gemacht.

Kurt Wagner (Photo: Steve Gullick)

Kann man sagen, dass Autotune dabei hilft, eine neue Perspektive auf die eigene Stimme zu gewinnen?
Oh ja, ganz bestimmt. Es ist tatsächlich so, dass man den Eindruck bekommen kann, mit sich selbst im Duett zu singen. Mir geht es darum, meine Stimme zu bearbeiten, indem ich sie beschleunige oder verlangsame. Insgesamt soll Autotune nicht als billiger Effekt wahrgenommen werden, sondern als Möglichkeit, die Stimme komplexer zu gestalten.

Kennst du „Trans“ von Neil Young? Das Album ist von 1982/83 und die Stimmverfremdung funktioniert da gar nicht.
Ja, das liegt natürlich daran, dass die Technologie damals noch nicht so weit fortgeschritten war wie heute. Heutzutage könnte er die Technologie viel effektiver einsetzen. Aber man muss ihm zugute halten, dass er das Potenzial erkannt hat. Das hat wohl auch damit zu tun, dass er in Bezug auf sein Gitarrenspiel immer schon sehr viel mit Effektgeräten gearbeitet hat.
Sehr viel schlimmer finde ich, was Paul McCartney gerade mit Autotune anstellt. Ich hörte vor einiger Zeit einen Auszug aus seinem aktuellen Album und dachte nur: oh, oh. Das ging wohl schief (lacht). Das Problem ist, dass er es nicht aus kreativen Beweggründen macht, sondern weil er krampfhaft Anschluss an die Gegenwart sucht.

 

Aber wenn man Lambchop anguckt, gewinnt man auch den Eindruck, dass ihr immer wieder Neues zu eurem Sound hinzufügt.
Das stimmt. Wir haben vor über fünfzehn Jahren damit angefangen, elektronische Elemente und neue Technologien und Ideen in unsere Musik zu integrieren. Ich denke allerdings, dass wir dabei stets sehr subtil vorgegangen sind. Oder manchmal vielleicht auch nicht so subtil, wenn man das zweite und dritte Lambchop-Album in Betracht zieht, die ganz offensiv mit Sound experimentieren.

Gefällt es dir generell, dich Situationen auszusetzen, deren Ergebnis nicht feststeht? Ich denke an das experimentelle Setting eines Konzerts beim Weekend-Fest 2016, bei dem du mit Kölner Musikern, wie Twit One, Gregor Schwellenbach, Colorist und Philipp Janzen aufgetreten bist, um das damals aktuelle Lamchop-Album „FLOTUS“ neu zu interpretieren.
Das war wirklich etwas Besonderes. Das Konzert hat mir die Augen geöffnet hinsichtlich des Umstands, dass es so eine kreative Musik-Szene in Köln gibt. Es war sehr erfrischend für mich, einen Ort zu sehen, der diese Art von Begeisterung auszulösen vermag.

2017 haben Lambchop eine 12“ mit „The Hustle“ herausgebracht, deren Sleeve die Coverästhetik von Westend Records imitierte. War das ein Tribut an Disco?
Wir hatten einfach eine gute Zeit. Es erschien uns eine abgefahrene Idee zu sein, und ich glaubte auch nicht daran, dass sie Wirklichkeit werden würde, bis ich die Platte in Händen hielt (lacht).

Mochtest du Disco in den 70ern?
Ich mochte, dass im Zuge von Disco der Gedanke sich durchzusetzen begann, dass Songs mit Hilfe des Remix‘ rekontextualisiert werden können.

Disco schlug damals ja auch viel Hass entgegen.
Es wurde nicht einhellig geliebt (lacht). Ich glaube, die Leute wollten nicht akzeptieren, dass die Welt im Begriff war, sich grundlegend zu verändern, gerade auch mit Blick auf die Musik. Aber es gibt natürlich immer wieder Einschnitte, die das Althergebrachte in Frage stellen.

Die Songs auf dem neuen Album haben nicht viel mit Disco gemein. Ich fand die Stimmung über weite Strecken fast schon verzweifelt und intim. Im positivsten Sinne. Dennoch frage ich mich, ob es nicht schwierig ist, diese Songs mit anderen zu teilen, gerade in einer Konzertsituation.
Es ist auf jeden Fall eine Herausforderung. Ich glaube, wir sind gerade dabei, uns den Songs in einer sehr musikalischen Art zu nähern. Das heißt, dass wir das Stadium hinter uns gelassen haben, in dem wir das Vorhandene nur reproduzieren. Stattdessen haben wir in unserem Zusammenspiel mittlerweile eine größere Dynamik erreicht, die den Sound des Albums auf interessante Weise variiert.

Lambchop LIVE 2019:
17.04. Leipzig, Felsenkeller
18.04. München, Muffathalle
20.04. Darmstadt, Centralstation
26.04. Berlin, Funkhaus
27.04. Köln, Gloria
29.04. Hamburg, Elbphilharmonie

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