Misagh Azimi – Interview

MÂNĪ: “Ich bin großer Fan von kleinen Ideen, die extrem gut umgesetzt werden”

MÂNĪ (Credit- Nico Kleeman)

Eines der großen Privilegien meiner Dozententätigkeit am Institut für Pop-Musik der Folkwang Universität der Künste ist es, sehr eng mit den Studierenden an ihrer Musik arbeiten zu dürfen und so spannende Einsichten in den Entstehungsprozess zu gewinnen.
Misagh Azimi hat während seines Masterstudiums gleich zwei Projekte eingebracht, seine Formation Getier und sein Soloprojekt MÂNĪ, an dessen  ersten Album er aktuell sitzt. Also genau der richtige Zeitpunkt, um die Institutionsräume mal zu verlassen und an die Öffentlichkeit zu treten.
Für das Feature hat er zudem seine Lieblingsvideoclips herausgesucht und kommentiert. 

Misagh, mit Getier und MÂNĪ hast du gleich zwei ambitionierte Projekte. Während erstes ein Trio mit Maika und Benedikt ist, agierst du bei MÂNĪ alleine. Wie positionierst du denn die beiden Projekte abseits dieser Konstellation in Sachen Sound zueinander?
Der wichtigste Unterschied zwischen MÂNĪ und Getier ist der Sound und der dazugehörige Prozess. Ich bin, wenn ich für mich Musik mache, mehr Fan von lauten, kantigen und rauen Sounds. Getier ist aber durchdachter, alles ist mehrmals ausprobiert und rausgeschmissen bis alle drei damit zufrieden sind. Die Ideen bei Getier entstehen sehr spontan, die Ergebnisse brauchen aber sehr lang, da wir im Nachhinein teilweise sehr chirurgisch produzieren. Das kann manchmal frustrierend werden, da alles sehr lange dauert. Die Ergebnisse sind aber immer super.
Bei MÂNĪ geht’s mir hauptsächlich um Stimmungen, Farben und manchmal nur kleine Sound-Ideen, die sich langsam entwickeln und zu Songs werden.

Kommt es auch mal vor, dass du eine Idee zunächst bei Getier siehst und dann doch für MÂNĪ nutzt oder vis versa.
Das ist selten der Fall, weil wir bis jetzt alle Songs von Getier gemeinsam komponiert haben. Alle Songs sind in meinem Studio zu dritt entstanden, während wir gejammt haben oder davor über ein bestimmtes Thema gesprochen haben, zum Beispiel bei dem Track “Lovely Mud”, der noch nicht veröffentlicht ist, haben wir in meiner Küche anderthalb Stunden über den neuen “Blade Runner” und die Zukunft unseres Planeten gesprochen und danach war es klar, was wir gebären mussten! Das ist eine ganz andere Art als wie wenn ich mit meinen Gedanken im Studio alleine bin oder Musik höre und danach experimentiere. Ich versuche, die beiden Projekte klar voneinander zu trennen, da ich bei jedem Projekt verschiedene Emotionen, Zustände, Geschichten und Prozesse erleben und erzählen möchte.

Wobei du in den letzten beiden Jahren dich primär um Getier gekummert hast. Ist es einfach ein Turnusgefühl, dass es dich nun wieder mehr zu MÂNĪ zieht oder was gab den Ausschlag?
Ich habe in den letzten zwei Jahren viel in der freien Szene gearbeitet. Ich habe Sound- und Videoinstallationen gemacht, viel Musik für Tanz geschrieben und mit dem Choreographen Ben Riepe auf vielen Tanzfestivals und in Theaterhäusern performt. Parallel dazu habe ich meine Zeit nur in Getier investiert, viel live gespielt, aufgenommen und zwei Musikvideos gemacht. Nach der letzten Phase, im November war es glaube ich, habe ich gemerkt, dass ich sehr viel Lust auf den Prozess mit MÂNĪ habe: mich im Studio einsperren und ohne Ziel aufnehmen, Sounds und Beats machen. Ich treffe zur Zeit keine Entscheidungen im Studio und folge nur meinen Instinkten. Wenn ich keine Lust mehr habe, speichere ich das Set und gehe weg. Am nächsten Tag nehme ich etwas ganz anderes auf und das Ganze wiederholt sich. Allee vier bis fünf Tage, wenn ich keine neue Ideen habe, komme ich zurück auf die Sets und nehme etwas dazu auf, schreibe einen Text dazu, experimentiere mit Effekten, lösche ein paar Spuren oder vielleicht das ganze Projekt! Ohne Druck, zeitlich oder persönlich, ohne Termine oder Verpflichtungen zu arbeiten und alles nur fließen zu lassen, habe ich wirklich vermisst. Ich habe auch gemerkt, dass ich wieder viel zu erzählen habe und es wurde langsam Zeit, das zu machen.

Bon Iver “Naeem”
“Wenn man den Text kennt, kann man sagen, dass das Video entweder absolut nichts mit dem Song zu tun hat, oder eben ganz viel. Abgesehen von der super filmischen Erzählung , die ich sehr mag, finde ich diese Interpretationsoffenheit faszinierend.”

Mit MÂNĪ hast du bei mir ja auch bereits mal eine Prüfung am Institut für Pop-Musik der Folkwang Universität abgelegt, wo du einen Masterstudiengang absolviert hast. Vielleicht jetzt seltsam das von Dozent zu Studieren zu fragen, aber wie hast du das Studium denn empfunden? Was war das wichtigste, was du daraus mit genommen hast?
Die Tatsache, dass ich gerade von dir (meinem ehemaligem Dozent) für dein Magazin interviewt werde, stellt die Essenz vom IfPoM sehr gut dar! IfPoM ist ein Kollektiv aus Künstler_innen, die selbst in deren Branche tolle Sachen machen. Menschen, die aktuell sind und dementsprechend offen. Menschen, die mehr als die Studierende wissen, jedoch selbst immer weiterlernen und weiter erleben wollen.
Ein Musikstudium bringt aus meiner Sicht nur was, wenn die Umgebung eine Perspektive der Zukunft verdeutlichen kann. Vor allem ein Masterstudium, was man im Gegensatz zum Bachelor als Weiterbildung eines/einer bereits qualifizierten Musiker_in sehen sollte.
Ich habe kein Interesse daran, bei “out of touch”-Büro-Hochschul-Menschen Kunst-machen zu lernen, während ich keine Ahnung von der Welt draußen habe. Ich möchte damit niemandem etwas vorwerfen. Ich möchte nur demonstrieren, dass es hilft und zu der Qualität des Studiums beiträgt, wenn der Dozent für Musikjournalismus selbst ein Magazin hat und viel unterwegs ist, wenn Gregor (Schwellenbach) bei Kompakt ist oder in der Elbphilharmonie “Six Pianos” von Steve Reich performt. Es motiviert einen/e, wenn er/sie über Disco mit Hans (Nieswandt) redet und nicht (nur) mit einem/r MusikwissenschaftlerIn. Die Stimmung an IfPoM ist völlig anders als die an einer Musikhochschule, jedoch lernt man extrem wichtige, elementare und fortgeschrittene Sachen, bei hochqualifizierten Menschen. Ehrlich gesagt, man muss es einfach gemacht haben, um meine Worte zu verstehen. Ohne Bedenken eine der besten Entscheidungen meines Lebens.

Mir wurde die Information übermittelt, dass du für das kommende MÂNĪ Album auch viele Gastfeatures angehst. Mir wem arbeitest du bislang zusammen und kannst du sagen, warum du diese Leute ausgewählt hast?
Ich habe schon erzählt, dass ich bei dem jetzigen Prozess das allein-Arbeiten sehr genieße. Ich habe aber in den letzten Jahren durch meine anderen Projekte, aber auch durch Reisen und menschlichen Begegnungen jede Menge tolle MusikerInnen kennengelernt, mit denen ich gerne arbeiten möchte. Mir geht’s hauptsächlich um Gesang. Ich möchte selbst nicht mehr singen, zumindest nicht mehr live. Ich habe so viele tolle Stimmen kennengelernt, mit denen ich unbedingt Musik machen möchte. Ich hatte bei meiner ersten Single “Black Holes” die Stimme der iranischen Sängerin Maha Taheri dabei gehabt. Auf dem kommenden Album werde ich mindestens einen Song mit ihr machen, wenn nicht mehr. Maha hat eine dunkele und erzählerische Stimme, die sehr gut zu meiner Musik passt. Des Weiteren arbeite ich auch mit der Sängerin Joyce van de Pol an einem Song. Joyce hat Jazzgesag studiert, kann aber viele Genres bedienen, von Pop bis R&B und Soul. Ich mag ihre Stimme, weil sie für mich eine träumerische und manchmal old-schoole Welt darstellt, deren Farbe ich extrem mag.
Weitere Zusammenarbeiten habe ich schon im Kopf, habe sie aber noch nicht gestartet. Ich lasse mir bei dem Album sehr viel Zeit. Ich will den Prozess genießen und nicht nach Deadlines arbeiten. Bald kann ich mehr über die Kollaborationen erzählen.

Wie schwierig ist es denn für dich als Musiker aus verschiedenen Gaststimmen ein zusammenhängendes Klangwerk zu kreieren?
Es ist auf jeden Fall eine Herausforderung. Anderseits werden die verschiedenen Stimmen die Farbe des Album bereichern und das ist etwas Schönes für mich. James Blake hat es aus meiner Sicht sehr gut in “Assume Form” gemacht, obwohl das Album von fast allen meinen Freunden gedisst wird! Es geht darum, dass jeder/jede den passenden Platz hat und nicht nur dabei ist, um einen Feature Song zu machen, also weil feat. cool ist. Ich glaube, dass man bei den kommenden Songs überall einen roten Pfaden erkennen kann, da ich selbst die Songs produziere und die Klangwelten zusammenstelle, auch wenn die Songs teilweise sehr unterschiedlich erscheinen.

Sevdaliza “Human”
“Wie diese fantastische Frau einen Zentaur darstellt und dabei davon singt, wie ist es ein Mensch zu sein, finde ich super. Ich bin großer Fan von kleinen Ideen, die extrem gut umgesetzt werden. Noch dazu, ein sehr gut geschnittenes Video.”

Misagh, ich hörte du trinkst gerne in Studio? Ich schließe darauss, dass du Nachtmensch und Vertreter der gelebten Kunst Tradition bist und weniger nüchtern-analytischer Studiomusiker.
Obwohl ich immer unterschiedliche Phasen habe, kann ich mit Sicherheit sagen, dass ich sehr selten beim Tageslicht und ohne ein Glas Wein etwas geschrieben habe! Ich weiß, es klingt ein wenig abartig, aber ich habe in meiner Musik viel mit Emotionen jeglicher Form zu tun und das kann man (zumindest ich) schlecht nur logisch und analytisch ausdrücken. Nicht nur Alkohol aber auch das Licht im Studio spielt für mich eine enorme Rolle. Die Stimmung muss immer stimmen, auch nüchtern, hauptsache, du befindest dich in einer Blase, die dich von der Außenwelt trennt und den Flow ermöglicht. Ich möchte zum Beispiel gar nicht über Harmoniefolgen oder Voicings oder ähnliches nachdenken und höre nur zu und entscheide nach Geschmack/Mood. Deshalb benutze ich oft nur zwei oder vier Akkorde und baue darauf auf. Ich merke das Ganze dann erst, wenn ich jemanden danach Frage, ein paar Tastenspuren darauf einzuspielen und stelle fest, dass meine Voicings aufm Klavier absolut abartig sind! Das interessieret mich aber ehrlich gesagt gar nicht. Das ist was ich in dem Moment wollte und dafür ist es, genau so wie es ist, richtig.
Wenn der Track aber produziert wird, also abgemischt und rund gemacht, arbeite ich lieber tagsüber und völlig wach. Da möchte ich jedes Detail hören können und das ist wieder eine Kopfsache. Ich habe sogar darüber nachgedacht, diese Arbeit (mixen) abzugeben. Als Control-Freak muss ich aber die richtige Person dafür finden und bin noch auf der Suche!

Moses Sumney “Virile”
“Genauso ist dieses Video auch voller Gegensätze. Ein muskulöser, gutaussehender Mann, der mit seiner sehr hohen Stimme, neben rohem Fleisch, in der Kirche, über die verschwindende Männlichkeit singt und dazu sehr potent, aber gleichzeitig zerbrechlich tanzt. Super simple, banal aber auch extrem deep und spannend, finde ich.”

Was kannst du uns über das Album noch bereits verraten?
Da das Album die erste LP von MÂNĪ wird, werde ich wahrscheinlich über die (für mich) üblichen fünf Tracks gehen, ich glaube sieben oder acht. Ich möchte auch am liebsten zu jedem Track ein Video machen, ist aber alles noch nicht klar.
Was ich aber sagen kann, ist, dass ich zum ersten Mal Lust drauf habe, persische Texte zu benutzen und auch ein paar Elemente von der persischen Musik zu übernehmen. Ich bin lange nicht mehr in Iran gewesen und irgendwie spiegelt sich die Sehnsucht zur Zeit in zwei Tracks. Dafür ist die Stimme von Maha auch perfekt geeignet. Eine andere Sache ist, dass ich mich in den letzten Jahren, vor allem nach meinem Solo Album “Panic Driven Diaries”, selbst bewusst davon abgehalten habe, akustische Instrumente zu benutzen. Ich weiß nicht warum, alles musste aber elektronisch sein. Jetzt habe ich sehr viel Lust auf das Klavier und habe es auch schon mehrmals eingesetzt. Ich habe schon sechs Tracks, wovon drei fast fertig sind und schreibe einfach weiter. Wie gesagt, ich lasse mir sehr viel Zeit und genieße die Freiheit. Hoffentlich sind die Songs bis November aufgenommen und gehen dann in den Mix-Prozess. Parallel werde ich mit vielen Filmkollegen an Videos arbeiten und schauen, was möglich ist. Als Phantom-Release-Deadline überlege ich gerade Frühjahr 2021.

Moderat “Eating Hooks”
“Das Video ist für mich genau Moderat: Emotional, bunt, sentimental, geheimnisvoll, aber auch gleichzeitig kalt, elektronisch und digital. Eine menschliche Form, die aus einem geheimnisvollen Haufen aufsteht und ins Leben gerufen wird.”

Mit Getier wart ihr ja bereits in Asien auf Tournee. Für dein Soloalbum willst du auch DIYmäßig viel international angehen über Kontakte in der Türkei, Malaysia und den USA. Hast du Angst, dass die Langzeitwirkungen von Corona diese DIY-Strukturen nachhaltig ins Kollabieren bringen werden?
Ja schon. Alleine in Deutschland wurden unsere Gigs in Bochum, Köln etc. deshalb abgesagt. Ich mache mir vor allem Sorgen, wenn Social-Distancing so weitergeht, dass die Locations lange leer stehen. Reisen wird schwierig und die Veranstalter müssen auch irgendwie deren Kosten zusammenkriegen und werden sehr wahrscheinlich erstmal auf viele Veranstaltungen verzichten. Gerade eben wurde mir eine Tour mit der Tanzkompanie von Ben Riepe in Brasilien und Paraguay deswegen abgesagt. Das gute in den USA ist, dass mein Cousin, der als Festival-Booker in Texas arbeitet, sich weiterhin bemühen wird. Ich glaube aber, dass die Strukturen sich erstmal enorm verändern werden und wir DIYer abwarten und uns gegebenenfalls anpassen müssen. Man kann zur Zeit nichts konkretes sagen oder planen und das macht schon Angst. Ich beschäftige mich seit Dezember viel mit Virtual Reality und vielleicht kann man sich für die Zukunft virtuelle Strukturen der Veranstaltungen überlegen, die nicht nur in solchen Zeiten helfen, aber auch um weiteres Publikum zu erreichen.

Radiohead “Daydreaming”
“Sehr simple und mutige Idee, sehr gut und rau umgesetzt. Total super, sechs Minuten Thom Yorke, der gerade nicht so wirklich gut aussieht, beim laufen zu zeigen. Plakativ gesehen, es ist einfach der Titel des Songs, der eins zu eins visuell dargestellt wird. Ein extrem geiles Video.”

Hast du derzeit viel Austausch mit Künstler_innen around the world?
Aktiv zur Zeit nicht wirklich, weil ich eben sehr viel alleine arbeite. Da ich aber in ein paar Ländern gelebt habe und die FreundInnen aus diesen Zeiten auch selbst weiter in die Welt gezogen sind, tausche ich mich regelmäßig mit vielen von denen in verschiedenen Ländern aus. Ich habe Musikerfreund_innen in Großbritannien, Iran, den USA, der Türkei, Malaysia, Brasilien usw. Ich wollte dieses Jahr schon gerne Sessions im Ausland mit ihnen starten, wird aber wohl wegen Corona nicht klappen. Ich höre weiterhin deren Sachen über Bandcamp und Spotify und hoffe, dass wir bald uns treffen können. Es ist aber schon ok, da ich jetzt zwangsläufig mehr Zeit für meine Sachen habe!

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