The real Neukölln
Immer nur meckern, das können alle – sich selbst aktiv einfordern, das ist die hohe Kunst des Dagegenseins. Emma Czerny (Magic Island), Michael Aniser (Noisekölln), Kevin Halpin (Shameless/Limitless) und Anton Teichmann (Mansions and Millions) haben ihre Unzufriedenheit mit dem 2015 installierten Staats-Festival Pop-Kultur in endlosen Barnächten kanalisiert und nun relativ kurzfristig das Off-Kultur-Festival als Alternative für all jene initiiert, die sich vom Pop-Kultur nicht repräsentiert fühlen.
Kaput fragte bei den vier OrganisatorInnen nach, wie man sich das Spannungsverhältnis aus Off- und Pop-Kultur vorzustellen hat.
Damit wir uns richtig verstehen, euer Festival positioniert sich nicht gegen das Pop-Kultur-Festival an sich, sondern explizit gegen dessen 2016er-Edition in Neukölln, wo ihr das Line-Up als nicht angemessen für das, was sich wirklich im Stadtteil tut, empfindet.
Michael Aniser: Um genau zu sein, ging das ganze schon im letzten Jahr los. Das Line-up vom Pop-Kultur Festival 2015 fand ich für ein Festival, das die Nachfolge der Berlin Music Week antreten sollte, ziemlich eindimensional. Vor allem für ein Festival, das es besser machen wollte als die Music Week. Es wurden praktisch keine lokalen Promoter oder Veranstalter konsultiert und man hat es sich im Berghain gemütlich cool eingerichtet. Es war einfach nicht repräsentativ für das, was wirklich in der Stadt passiert – und was, auch marketingtechnisch, Berlin ausmachen sollte. Die 2016er Edition geht noch eine Spur weiter und instrumentalisiert die vermeintliche Coolness des Stadtteils Neukölln.
Anton Teichmann: Der Auslöser war die Ankündigung der neuen Ausgabe, das stimmt. Ich persönlich habe aber auch ganz generell Probleme mit dem Festival. Es braucht kein Publikumsfestival veranstaltet von der Stadt, welches in Konkurrenz tritt zu etablierten Festivals und unabhängigen und DIY-Veranstaltern und Veranstalterinnen. Wenn sich das nun nicht vermeiden lässt, würde ich mir wünschen, dass es positivere Effekte für die lebendige lokale Szene gäbe. Die sehe ich nicht, obwohl sich das Festival dies auf die Fahne schreibt. Die meisten internationalen Acts würden eh in Berlin spielen, Berliner Acts finden sich kaum.
Da nun aber erstmals ein klarer Bezug auf einen Stadtteil gemacht wird, und das auch noch jener ist, in dem ich wohne und arbeite, hab ich mich nun gefragt, warum so wenig, was Neukölln ausmacht, dort vertreten ist. Wo sind die vielen KünstlerInnen, die hier aktiv sind, warum sind fast nur die “cleanen” Venues vertreten und nicht die, wo sich der Underground konstituiert? Warum wurden hier aktive Veranstalter und Veranstalterinnen in keinster Weise eingebunden oder konsultiert? Aufgrund all dieser Fragen haben wir beschlossen, unsere Sicht auf den Bezirk wiederzugeben
Emma Czerny: Das ganze ist ja auch kein völlig neues Konzept. Viele Festivals wie das SXSW haben ja einen Off-Teil der jeweils dazu beiträgt neuen Bands die Möglichkeit zu geben, entdeckt zu werden – wovon ja auch die Infrastruktur und Glaubwürdigkeit der größeren Festivals profitiert. Mit Off-Kultur wollen wir ein bisschen das, was wir als “richtiges” Neukölln empfinden ins Licht rücken: Die Leute, die zu der Szene hier beitragen und die von Pop-Kultur einfach nicht repräsentiert werden. Außerdem können die Leute hier gut feiern, davon sehe ich bei Pop-Kultur nicht viel.
Wir profitieren alle auf bestimmte Weise vom Musicboard und ich schätze den Support, den ich kriege ja sehr – zum Beispiel bin ich dieses Jahr Teil des Stipendiatenprogramms. Also nur um klarzustellen: Off-Kultur ist keine aggressive Antwort auf Pop-Kultur, im Gegenteil, es sollte eine natürliche und produktive Weiterentwicklung sein, von der alle profitieren.
Anton Teichmann: Man muss das ganze ja auch kritisieren dürfen. Wir reden beim Pop-Kultur ja von einem von der Stadt veranstaltetem Festival, keinem mit privaten Interessen. Da ist es doch völlig legitim, wenn man auch Veränderungen einfordert. Das macht Demokratie ja irgendwie auch aus.
Ich gehe jetzt mal davon aus, dass ihr natürlich der Meinung seid, dass das Off-Kultur dem Status Quo der Straßen von Neukölln gerecht wird. Könnt ihr mal verdeutlichen, was Neukölln für euch ausmacht und in wie weit sich euer Ansatz für ein dem Stadtteil gerecht werdenden Festival unterscheidet?
Emma Czerny: Bei dem Neukölln wie ich es empfinde geht es um eine Community und darum, sich gegenseitig zu unterstützen, von den kleinen, lokalen Geschäften bis hin zur Kunst. Diese unprätentiöse, “realtalk” Attitüde macht den Kiez authentisch. Mit unserem Ansatz wollen wir den Leuten eben diese Venues, neue sowie etablierte Künstlerinnen und Künstler zeigen, ohne die diese Community nicht so lebendig wäre. Wir wollen den Underground präsentieren.
Anton Teichmann: Wir versuchen und können nur einen Teil wiedergeben und sind uns der Unzulänglichkeit bezüglich der kompletten Präsentation des Stadtteils völlig bewusst. Unser Fokus liegt halt erst mal nur auf der Szene, in der wir InitiatorInnen arbeiten und verkehren. Wir waren ja wie angedeutet etwas erstaunt, davon so gut wie gar keine Spuren im Pop-Kultur Programm zu finden, und machen das nun selbst.
Einer der Gründe warum unser LineUp jetzt so aussieht, ist eben wegen des Ansatzes, die Leute hier einzubinden und kein zentrales Bookingteam zu haben, welches von oben herab entscheidet, was förder- und repräsentationswürdig ist.
Michael Aniser: Ich bin 2010 nach Neukölln gezogen und arbeite seitdem mit unzähligen lokalen Venues und Veranstaltern zusammen. Wie oben schon angedeutet, fehlt ein Großteil dieser Leute im Pop-Kultur Programm – und es wurde auch nicht der Dialog gesucht. Neukölln ist für mich ein Netzwerk, in dem sich Akteure der Szene gegenseitig unterstützen und zusammenarbeiten. Wenn man da künstlich ein Konzept wie Pop-Kultur raufsetzt, werden diese ganzen etablierten Strukturen ignoriert und fast ein bisschen entwertet. Das geht schon mit den Venues los die sich das Pop-Kultur Festival ausgesucht hat. Es wird einfach ein Großteil der Szene, die diesen Stadtteil “groß gemacht hat”, ausgeblendet. Das Pop-Kultur Festival wird mit 700.000 Euro unterstützt – warum profitiert die Stadt davon nicht? Warum profitieren vor allem internationale Acts davon?
Wenn ich das Konzept richtig verstanden habe, setzt ihr auf Dezentralität und Hierarchielosigkeit, nehmt also bewusst als OrganisatorInnen eine eher stimulierende Rolle ein. Das klingt erstmal sehr sympathisch, birgt in sich aber die Gefahr, dass das Programm dementsprechend konturlos ausfällt. Wie vermeidet ihr diese Falle der Überdemokratisierung?
Anton Teichmann: Ganz hierarchielos ist es nicht, wir schieben die Sache an und gehen auf die Leute zu und versuchen ein bisschen zu lenken, wer, was, wann, wo machen sollte. Wir kennen die meisten Veranstalter und Veranstalterinnen hier persönlich und versuchen durch direkte Kommunikation, organisatorischen Probleme in den Griff zu kriegen.
Emma Czerny: Neukölln macht ja gerade diese Diversität aus. It’s a beautifull mess.
Michael Aniser: Das Programm definiert sich über den Stadtteil, die lokalen Orte, die Gegebenheiten. Das finde ich reicht als Konzept auch schon aus, um abzubilden, was hier wirklich los ist, ohne künstliches Stadteilmarketing zu betreiben.
Nun seid ihr vier InitiatorInnen als auch etliche der weiteren beteiligten Läden und Akteure ja per se schon auch Zielpublikum und Kooperationspartner des Pop-Kultur-Festivals – wie geht ihr mit dieser Doppelrolle um?
Anton Teichmann: Wir sind ja alle eben keine Kooperationspartner des Festivals und schaffen uns die Repräsentation eben selbst. Von daher sehe ich keine Doppelrolle und genau deswegen fällt es uns leicht, dieses Festival zu organisieren. Es gibt so gut wie keine Überschneidungen, weil ja die meisten hier aktiven Leute nicht im anderen Festival eingebunden sind. Andererseits ist das Festival kein “Wir-gegen-Ihr”. Wir haben das ganze aus oben genannten Gründen gestartet und freuen uns die Szene anders präsentieren zu können. Wir erwarten nicht von jeder und jedem, die gleiche Meinung zum Stadtfestival zu haben.
Michael Aniser: Im besten Fall hätte sich das Pop-Kultur Festival im Vorfeld mit der lokalen Szene in Verbindung gesetzt und sie auch anerkannt. Off-Kultur ist kein Anti-Festival, es ist eine Erweiterung und soll den Fokus darauf zurücklenken, was wirklich in Neukölln passiert. Wir sind auch noch nicht fertig, wir haben ja erst die ersten Termine bekanntgegeben – und würden uns freuen, wenn noch mehr Leute mitmachen wollen. Einfach 1 mail schreiben.
Handelt es sich bei dem Off-Kultur denn erstmals um ein einmaliges Festival, oder könntet ihr euch vorstellen, dass es sich zu einem jährlichen Festival a la des Torstraßen-Festivals entwickelt – es sich also emanzipiert von der Anti-Position zum Pop-Kultur hin zu einem Festival im eigenen Recht.
Emma Czerny: Wir werden sehen, was passiert. Wichtig ist erst mal, dass wir uns zusammengetan haben, um unserer Community und der Szene ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zu ermöglichen – wenn sie uns nicht gegeben wird, schaffen wir diese eben selbst.
Michael Aniser: Wie oben schon angedeutet, geht es vor allem darum, die lokale Szene abzubilden und einen konstruktiven Dialog zu finden. Wie sich das weiterentwickelt, wird sich zeigen.
Anton Teichmann: Wir wollen das einfach erst mal durchziehen, mit den angenehmen Effekten, dass sich die Szene hier weiter vernetzt und besser kennenlernt – und dann kann man ja mal schauen, wie sich das entwickelt.