NDW - Die Zukunft ist Vergangenheit (Part 1)

“Du kannst dir 27 Geschlechter aussuchen, aber verarscht wirst du trotzdem” – Peter Hein im Interview

Peter Hein war nie für diplomatische Interviews bekannt. Der Fehlfarben-Sänger und -Texter schüttelt jede mögliche Vereinnahmung mit seinem punk-erprobten Unwillen ab. Dass eine solche Null-Bock-Haltung gegenüber Themen wie Veganismus, Klima oder Geschlechtergerechtigkeit 2022 nicht vornehmlich nach Punk sondern vor allem nach “altem weißen Mann” riecht, kümmert Hein wenig. Unser Autor Marc Wilde hat versucht, ihm goldene Brücken zu bauen, doch die NDW-Ikone aus Düsseldorf geht seit jeher lieber ihre eigenen Wege. Lest selbst.
Der Artikel ist Teil einer Mini-Serie: “NDW – Die Zukunft ist Vergangenheit”.

Ice-Breaker-Frage Bier: Du kommst ja aus Düsseldorf und wir sprechen uns heute in Köln. Dort, wo dieses süßliche Bier in Reagenzgläsern serviert wird. Hast Du vorgesorgt und backstage Alt-Bier deponieren lassen?

PETER HEIN Wenn ich in Köln bin, trinke ich schon Kölsch. Denn, wie heißt es so schön: When you are in Rome, do what the Romans do. And in Cologne, do what the Colognians do.

Du bist vor etwa 15 Jahren nach Wien gezogen und hast dort nun Deinen Lebensmittelpunkt. Hast Du von Deinem jetzigen Wohnort einen anderen Blick auf Deutschland?

Wir gucken Tagesschau abends. Nach der ZIB [Zeit Im Bild], weil die Ösi-Nachrichten ja nur für Kinder sind. Aber mehr weiß ich von Deutschland nicht. Ist mir auch wurscht.

Apropos Wohnen. In dem Song „Ich kann es kaum erwarten“ singst Du: „Ich wohne in dem Land, wo die Nazis blühen. Wie Bäume: unten grün und oben braun.“ Beziehst Du Dich damit auf Österreich oder Deutschland?

Ja, schon Österreich.

In dem Fall wäre das ja vielleicht auch auf beide Länder anwendbar, oder?

Ja, klar. Also die Grünen sind ja immer die gleichen. Wobei zu Österreich muss man sagen, dass hier das ganze politische Spektrum durcheinandergeraten ist. Also das, was die links nennen, ist bei uns der rechte Flügel der CDU. Und bei den Parteien, die rechts genannt werden, kannst Du Dir dann ungefähr vorstellen, wie das dann in Österreich aussieht.

Weiter geht es in der Geographie-Rubrik: Eure Tour ist ja eingerahmt von so Orten wie Coesfeld und Viersen zu Beginn und Oelde zum Abschluss der Tour. Und zwischendrin eine Reihe größerer Städte …

…von Wilhelmshaven nach Friedrichshafen, ja genau.

In jedem Fall eine ziemliche Bandbreite. Was mich interessiert: Nehmt ihr da regionale Unterschieden wahr? Also reagiert das Publikum anders, wenn ihr in Hamburg oder München spielt oder auf dem Land? Und machst Du Dir da im Vorfeld darüber Gedanken und passt eventuell die Setlist an?

Nein, die Setlist bleibt immer dieselbe. Das kann ich mit der Band auch gar nicht anders. Also für Spontaneität ist da kein Raum, da bräuchte ich eine andere Band für. Bei uns kommt jetzt auch nicht so städtespezifisches Publikum, eher ein bandspezifisches. Das sind dann zwar nicht unbedingt so viele, aber die kennen sich dann auch ein bisschen aus. Manche fahren natürlich auch ein paar Kilometer. Und das mit dem regionalen Einschlag scheint mir vorbei zu sein. Das hast Du vielleicht mit einer Kinderband, was weiß ich, wenn Du die örtlichen Favoriten beleidigst. Dann hast du vielleicht Probleme. Aber das machen wir ja nicht mehr. Das ist vorbei.

Dann lass uns mal über das neue Album sprechen, was ja schon per se nicht ganz so einfach, weil der Titel „?0??“ ja etwas sperrig ist. Wie sprichst Du den denn aus? 2022?

Ja, am Anfang war ich natürlich auf die Jahreszahlen fixiert, aber jetzt, nachdem unsere Werbeabteilung so schöne Shirts produziert hat, wo es diese Ähnlichkeit zum Buchstaben „P“ gibt, jetzt sage ich nur noch Pop. Also Pop mit Fragezeichen, das finde ich sehr passend.

Mit den vielen Fragezeichen im Albumtitel spielt ihr ja auch ironisch auf das ungewisse Erscheinungsdatum an, angesichts der Wirren der Pandemie, von denen der Produktionsprozess zum Album auch nicht verschont geblieben ist. Abgesehen davon: Siehst Du Dich eigentlich eher als jemand, der Fragen stellt oder lieferst Du auch gerne Antworten?

Ich stelle lieber Fragen. Zumindest in der Öffentlichkeit oder in gedruckter Form. Und Antwort-Bands gab es ja auch schon genug. Da habe ich mir gedacht: Nein, das machen wir nicht mehr. Früher als wir noch klein und dumm waren, war das vielleicht ein bisschen anders.

Man kann sich ja auch noch im weiteren Sinne an diesen Fragezeichen entlang hangeln, nämlich mit Blick auf ein gesellschaftliches Klima der Unsicherheit. Diese Themen nimmst Du in Deinen Texten ja auch auf und beziehst durchaus Position. Selbst wenn Du bisweilen in Interviews den Eindruck vermittelst, als ob Dich das alles nichts anginge. Wie wichtig ist Dir denn dieser zeitkritische Aspekt in Deinen Texten?

Wichtig.

Du hast vor einiger Zeit mal gesagt, Du würdest zwei Sorten von Texten kennen: das politische Liebeslied und das …

… lyrische Protestlied.

Genau. Wobei man dann natürlich auch direkt wieder denkt, ob Du einen jetzt damit auch wieder nur verarschen willst. Weil das eine Attribut ja eher zum anderen gehört und umgekehrt.

Ja, das ist der Witz daran. Und das ist genau das, was die Stücke eigentlich auch erst relevant macht. In beide Richtungen, weil das eine ja mit dem anderen ja verzahnt ist.

Wenn ich mir die zwölf Songs vom aktuellen Album in textlicher Hinsicht anschaue, dann bleibt der Aspekt Liebe aber eher auf der Strecke, oder?

Ja gut, aber sollen wir alten Säcke jetzt noch anfangen, Liebeslieder zu singen? Da denkt man doch gleich an künstliche Vermehrung. Dass die irgendwie was aus der Samenbank abgegriffen haben. Und noch ein Kind haben, das in die Schule kommt, wenn sie sterben. Das ist dann doch auch nicht mehr lustig. Nein, das brauche ich nicht.

Das mag sein. Aber man muss ja auch nicht immer von sich singen.

Ja, aber soll ich mich jetzt in einen 20-jährigen versetzen? Nein, also das mache ich nun wirklich nicht, weil was weiß denn ich, wie die jungen Leute sich vermehren, wahrscheinlich künstlich. Da weiß ich nichts von. Will ich auch nicht.

Aber lass uns doch mal näher über die Gesellschaftskritik in Deinen Texten sprechen, weil da steckt ja ziemlich viel drin: von Klima- und Umweltpolitik über Europa, Migration oder Nationalismus. Nehmen wir das Thema Nachhaltigkeit, wozu es ja auch einen eigenen Song gibt. Da habe ich das Gefühl, dass Dir das mit dem Umweltbewusstsein und der Nachhaltigkeitsdebatte alles etwas übertrieben vorkommt.

Richtig.

In der Form, dass Du denkst, haben wir denn keine anderen Probleme?

Richtig.

Wenn man das bezieht auf den Song „Untergang“ vom Vorgängeralbum, dann wird eine Linie erkennbar. Da heißt es, dass die Welt schon nicht davon untergeht, wenn man sie zerstört. Konkret gefragt: Findest Du das lächerlich, dass viele der jüngeren Generation sich Gedanken machen zu Fragen wie: Was verbrauche ich an Energie? Wie ernähre ich mich? Oder ganz allgemein: Wie führe ich ein verantwortungsvolles Leben?

Ja, solange sie mir das alles mit dem Handy oder im Internet mitteilen, kann ich es nur lächerlich finden. Wenn sie mir das auf Klopapierblätter schreiben und eine Briefmarke draufkleben würden, dann wäre es vielleicht okay.

Also geht es Dir dann an der Stelle eher um Doppelmoral oder Scheinheiligkeit?

Ja, auch. Andererseits ist es tatsächlich so, dass ich mich auch darüber lustig mache. Ganz stumpf: mir ist das einfach wurscht.

Weil du denkst, der Faktor Mensch ist für unseren Planeten sowieso vernachlässigbar?

Ja, wir sind wie ein Ungeziefer am Arsch der Erde, dann kratzt die sich einmal und gut ist. Das geht einfach weiter. Also ich meine, Entschuldigung, dieses ganze Geschwafel: Den Planeten kriegt keiner kaputt. Das schaffen wir nicht. Das haben ja noch nicht mal die Dinosaurier geschafft. Das ist eine Phase.

Aber könnte man nicht auch sagen, dass wir eine Verantwortung der nächsten Generation gegenüber haben?

Ja, ich doch nicht. Ich doch nicht! Sollen die doch selber mit klarkommen. Das bedeutet übrigens nicht, dass ich die Auswirkungen des Klimawandels in Abrede stellen würde. Das ist ja alles der Fall. Aber es ist doch einfach vermessen, zu sagen, dass man das noch irgendwie in den Griff bekommen oder ändern könnte. Das geht ja gar nicht, weil da müsstest Du praktisch erst einmal damit anfangen, einen Atomkrieg anzuzetteln, damit sich die Menge der Atmenden reduziert auf ungefähr die Hälfte von auf den Stand von vor 40-50 Jahren oder so. Und das ist natürlich jetzt auch eine blöde Idee. Und alles andere, sage ich mal, das ist mir auch ehrlich gesagt sowas von scheißegal.

Genauso vermutlich wie die Frage nach veganer Ernährung, nehme ich an, wenn Du singst: „Bin doch schon genauso vegan wie der Mittelstreifen der Autobahn.“

Ja, das ist doch auch schon wieder Humbug. Ich meine, gut, wer es haben will, soll es machen. Aber ich finde, ein Frühstück muss sich vorher schon noch bewegt haben.

Da bist Du also ganz Traditionalist an der Stelle.

Ja klar, ich bin ja auch ein alter Sack, ich darf das.

Stimmt, das mit dem „alten Sack“ ist ja auch wieder ein Zitat von Dir: „Ich alter Sack habe doch nicht in der Hand, von wem ich genervt bin.“ [„Der Dinge Stand“].

Ja, ich komme ja aus der Nummer eh nicht mehr raus. Was soll ich denn machen? Soll ich mich jetzt umoperieren lassen? Aber das wäre ja vermutlich auch wieder kulturelle Aneignung, wenn ich jetzt hier mit Schuhcreme arbeite oder mit Leder, Aktentaschenleder oder sowas.

Hmm, also kann man einfach sagen, dass Dir die „Wokeness-Kultur“ eher so auf den Sack geht?

Ja, die geht mir auf den Keks. Aber schon lange. Also schon bevor es die gab.

Ich erinnere mich auch an einen Song auf dem Album „Über Menschen“, da hast Du ja auch schon mit Gendern und „Binnen-I“ gehadert …

Ja, da auch schon, genau.

Ich kann das auch teilweise nachvollziehen, dass es Auswüchse gibt, wo man sich schon fragen kann, ob oder wie weit man sich an diesen Stellen verkämpfen sollte. Ich fürchte auch, je mehr man sich auf die sprachlichen Dinge fixiert, desto weniger Zeit hat man, sich mit dem Strukturellen dahinter zu beschäftigen …

Ja, die sozialen Ungerechtigkeiten, die verschärfen sich ja immer mehr. Dafür reiten sie dann aber auf Binnen-Is, Doppelpünktchen, Sternchen und sonst was rum. Du kannst dir 27 Geschlechter aussuchen, in denen du verarscht wirst, aber verarscht wirst du trotzdem.

Wahrscheinlich kommt dann auch so Deine Punk-Natur zum Vorschein, wo man auf missionarischen Eifer allergisch reagiert. Oder eine gewisse Anti-Haltung zum gesellschaftlichen Konsens, einfach die Tendenz, dagegen zu sein. Kann das sein?

Ein bisschen auch, schon noch. Immer noch. Oder immer noch ein bisschen. Auch wenn das natürlich albern ist. Und auch wenn der Rentenbescheid eigentlich was Anderes sagt.

In einigen Deiner Texte klingen ja auch kritische Töne hinsichtlich Corona-Politik an. „3 Kapitäne“ zum Beispiel. Wenn man jetzt auf diese ganze Sammlung an Reizthemen blickt – Corona, Klima, Gender, Veganismus – und Deine distanzierte Haltung dazu, dann löst das Reflexe aus. Ich kann mir gut vorstellen, dass Du von der jüngeren Generation, wenn sie hören, wie Du Dich darüber lustig machst, dann schnell als „alter weißer Mann“ in die Ecke gestellt wirst …

Ja, was soll ich jetzt dagegen machen?

Nichts. Mir geht es da um etwas Anderes: Mir geht es um die Vereinnahmung von Leuten, wo Du vielleicht auch sagst: dass Du mit denen lieber nichts zu tun haben willst.

Ja, das sind die so genannten „falschen Freunde“. Aber das erleben wir ja seit der ersten Platte so. Ich meine, „Es geht voran“ wurde zuerst auch bei so Hausbesetzer-Feiern gespielt. Und ein paar Jahre später dann bei irgendwelchen Ossi-Demos. Auch nicht so lustig. Aber interessiert mich so gar nicht: alles falsche Freunde.

Also das ist nichts, wo Du jetzt beim Texten darüber nachdenken würdest, das könnte instrumentalisiert werden?

Nein, da gibt es jetzt keine Bremse bei mir. Da kann ich dann ja auch im Zweifelsfall einfach sagen: falsche Freunde? Habe ich mir jetzt nicht ausgesucht. Und ich habe ja trotzdem das Recht, das zu sagen.

Ich lasse dich mit diesen Themen noch nicht ganz in Frieden. Wir haben ja bereits über Sprache gesprochen, und da kann ich Deine Haltung auch gewissermaßen nachvollziehen. Aber gehen wir mal etwas ganz Konkretes an: Frauen in der Rock- und der Punkmusik. Da gibt es seit einiger Zeit eine Diskussion im Musikbereich, die in einigen Punkmagazinen unter dem Hashtag „punktoo“ geführt wird und an die „Me too“-Debatte anknüpft. Und bei der es darum geht, dass Frauen artikulieren, wie scheiße sie das finden, dass sie im Genre Punk nicht richtig vorkommen oder bei der Auswahl von Bands für Festivals nicht gleichermaßen berücksichtigt werden. Kannst Du diese Debatte nachvollziehen, wo es um strukturelle Benachteiligung von Frauen und auch um die maskulinen Stereotypen im Rock geht? Über diese Form des Mackertums habt ihr Euch ja damals auch schon lustig gemacht.

Ja, damit wollten wir nichts zu tun haben. Udo Lindenberg in Deutschland, und ich weiß nicht was. Oder Rolling Stones, „Black and Blue“, damit hatten wir abgeschlossen. Da haben wir damals auch ganz viele blöde Witze gemacht, über so Thekentypen. Aber letztlich war es einfach so: Es gab halt Bands mit Frauen und ohne und sicher auch etwas Drittes. Das war letztendlich ziemlich egal oder man hat es einfach nicht so hinterfragt. Und dass sich dann, jetzt nicht so richtig viele Frauenbands aus der Phase durchgesetzt haben, da kann ich ja nichts für.

Also war eine reine Frauenband wie Östro 430, mit denen ihr ja gegenwärtig auch zusammen auftretet, schon eine Ausnahmeerscheinung damals?

Ja, die haben sich ja praktisch selber erfunden und ermächtigt. Vor denen hatten wir Angst. Wobei die ja jetzt auch keinen großen Erfolg hatten. Den hatten höchstens Ideal, aber das war ja auch wiederum nur eine Sängerin mit so einer Muckerband.

Genau wie bei Nina Hagen, der man ja aus Eurer Szene heraus stark kritisiert und den Punk-Status aberkannt hat.

Ja, gut, den hat sie auch nie gehabt. Die hat damit gar nichts zu tun. Also das war einfach dieses Muckerzeugs. Und die war halt – jetzt reite ich mich in die Scheiße – die war halt die Gesangstussi da. Also ich finde, das war Quälerei.

Wobei textlich oder von der Inszenierung her hatte das doch schon eine gewisse Punk-Attitüde, nicht?

Ja, das stimmt schon. Also das war inhaltlich, teilweise, auch das Einzige was erträglich war. Aber, sorry, alleine wie die gesungen hat, das hält ja kein Schwein aus. Dieses Opernhafte, dieses Gedöns.

Dann doch lieber Hans-A-Plast.

Ja, die waren cool. Die Annette war super, auf ihre Art so. Wir haben aber vielleicht auch nur drei oder vier Mal zusammengespielt.

Und dann gab es auch noch Bärchen und die Milchbubis, die gerade auch wieder touren.

Ja, das war aber auch, glaube ich, wieder nur so eine Sängerin mit einer Band. Und die waren aus Hannover – das heißt, die waren eh schon einmal schlecht.

Dann lass uns doch noch einmal etwas mehr eintauchen in die alten Zeiten. An die knüpft ihr auf dem neuen Album auch selbst an. Wie ist denn dazu gekommen, dass ihr mit „Innenstadtfront“ einen alten Mittagspausen-Song gecovert habt?

Also, ganz einfach. Ich spiele ja in verschiedenen Bandkonstellationen, wo das Konzept ist, dass wir Stücke nehmen, die ich entweder super finde oder die von uns oder von mir sind, also wo ich was mit zu tun habe. Und mit einer dieser Bands, zusammen mit Kurt und Michael, hatten wir vor einiger Zeit in Berlin im Rahmen einer Ausstellung von meiner Frau gespielt. Und dann haben wir ein Set zusammengestellt, von Mi-Pau bis Fehlfarben gehört da alles Mögliche rein. Auch „Innenstadtfront“. Und ich haue denen dann natürlich auch immer Family 5-Stücke rein. Und als das dann wieder losging und wir mit den Fehlfarben im Proberaum standen, war es halt einfach leicht, diesen Song zu spielen. Weil die beiden konnten den einfach schon. Das sind so Gelegenheiten, die muss man nutzen. Sonst müssen die alle immer so viel üben. Und die Nummer ist ja jetzt auch nicht so schwer, die konnten dann alle zusammen sehr schnell lernen.

Noch einmal kurz zurückgeblättert: Charley’s Girls, Mittagspause, das waren Deine ersten Bands. Und dann gab es ja auch noch Male, die wahrscheinlich einen Fußbreit vor Euch als Punkband da waren, richtig?

Ja, Male gab es vor uns. Also ich habe Male praktisch gesehen, noch bevor wir eine Band waren.

Jürgen Engler, Sänger von Male, hat einmal etwas ganz Interessantes im Rückblick auf die Szene von damals gesagt. Dass die Düsseldorfer Altstadt für ihn wie ein Mikrokosmos gewesen sei und der Ratinger Hof der Club, der den Leuten eine Identität gegeben hätte. Auf der anderen Seite sei es aber auch eine Szene gewesen, in der man nicht gut kooperiert hätte und viel bespöttelt wurde. Und das sei so typisch deutsch: sich selbst zu zerlegen mit dieser Kritik und Abgrenzung, die es innerhalb der Punk-Szene gegeben hätte.

Das war aber auch wichtig, weil das war ja das Entscheidende. Denn wir wollten nicht sein wie alle anderen. Also das haben wir ja schon in der Predigt in der Kirche gelernt: „Oh Herr, ich danke dir, weil ich nicht so bin wie jener dort.“ Also wir sind alle Zöllner gewesen.

Ja, aber man hätte auch sagen können, die Feinde, das sind die Hippies.

Nein, nein.

Das wäre zu einfach?

Ja, also du kennst das ja: drei Punks, sieben Bands, und das heißt mindestens fünf davon können sich nicht leiden.

Aber ist das nicht ein bisschen schade, dass man sich lieber bekriegt als sich zu verbünden?

Nö, das ist nicht schade. Weil persönlich haben wir uns ja schon gemocht. Also alle miteinander. Da ging es ja praktisch nur um die Außenwirkung. Also wir haben zum Beispiel auch nie gegen Male irgendetwas gemacht. Und Male auch nicht gegen uns. Das waren immer nur so diese Frotzeleien untereinander. Es gab nie Streit. Mit Ausnahme vom KFC, die wollten uns allen aufs Maul hauen, aber das ist ihnen meistens nicht gelungen.

Okay, aber mit dem Publikum war es auch nicht immer so lustig, wenn man den Erzählungen Glauben schenken kann. Da musste man sich als Band vor fliegenden Bierflaschen und Rotze ja schon wegducken, oder?

Ja, ab und zu, das stimmt. Und das sind dann natürlich die Momente, die man dann auch irgendwie behalten hat. Also, was weiß ich, das in Dortmund mit der Handgranate zum Beispiel…

… Handgranate?

Ja, also eine richtige Handgranate war es nicht, die da geworfen wurde, eher so ein Manöver-Kracher. In Herford waren es Bierflaschen, glaube ich …

Du meinst die „Scala“?

Ja, genau. Jetzt wo Du es sagst, so hieß der Laden. Ich habe schon den ganzen Tag überlegt, wie der Laden hieß, weil der Michael Girke, der Sänger, der als Support von uns mit auf Tour ist, der kommt auch aus Herford.

Das war ja zunächst ein altehrwürdiger Club, wo auch Jimi Hendrix, The Who und so weiter aufgetreten sind. Und dann haben die den unter „New Wave Scala“ wieder aufgemacht. Zeltinger war die erste Band, die nach der Neueröffnung dort gespielt hat, anschließend haben Brausepöter dort ihr erstes Konzert gespielt, die ja auch aus der Ecke kamen.

Wir haben da auch relativ früh gespielt. Und das war auch der Laden, wo uns Alfred Hilsberg wahrgenommen hat. Also, de facto, ohne den Gig, wäre es glaube ich gar nicht zur Platte gekommen.

Gibt es weitere denkwürdige Konzerte, die Dir in Erinnerung geblieben ist. Ihr wart ja zum Beispiel auch bei dem von Hilsberg organisierten Festival in der Hamburger Markthalle am Start, richtig?

Ja, da haben sie uns auch beworfen, mit diesen Pils-Deckchen, mit nassen.

Das geht ja noch.

Ja, aber wenn man sich auf der Bühne bewegt, ist das schon scheiße. Wenn Du nämlich Ledersohlen hast, fällst du auf die Fresse – das ist total glitschig und nass. Das denkst du erst nicht so, aber das ist gefährlich.

Wie ist denn heute Dein Verhältnis zu Punk? Ihr selbst macht ja keine Punk-Musik.

Nee, machen wir nicht.

Hat Punk für Dich ein Verfallsdatum, also wo Du sagen würdest, nein, jetzt nicht mehr in dem Alter noch Punkmusik machen oder zu versuchen, das zu imitieren?

Nein, ums Imitieren geht es auch nicht, das machen die ja auch alle wieder neu. Aber das ist für mich ehrlich gesagt egal. Ich höre mir immer noch gerne Konzerte an von Kumpels, so die alte Clique halt – um eine Hausnummer zu nennen: Arturo von den Lurkers, Mad Sergeant usw.

Ist aber alles Englisch?

Ja. Mit was Anderem habe ich auch nichts am Hut. Also mit Deutsch kannst Du mich mit jagen. Das würde ich mir auch nie angucken, eine deutsche Punkband, furchtbar. Ab und zu stehe ich mal bei den Hosen auf der Gästeliste, da gehe ich dann auch hin. Die Konzerte sind dann aber auch wirklich immer geil.

Die Toten Hosen haben ja vor einiger Zeit auch „Innenstadtfront“ gecovert.

Ja, aber nur auf der Bonusplatte. Das war eigentlich das letzte Album, von dem sie Millionen verkauft haben. Aber das Stück war nur auf einer Beilage von 10.000 oder so.

Schade für die Tantiemen …

Ja, es wäre besser für uns gewesen, sie hätten es auf der B-Seite von irgendeiner Hit-Single gehabt.

Jetzt wohnst Du ja schon lange in Wien. Gibt es denn aus der Wiener Szene heraus Musik, die Dich anspricht?

Nein. Nur meine Kumpels, mit denen ich was mache oder so, die ich dann kenne. Nein, also da empfehle ich nichts.

Apropos Kumpels oder Band: Mein Eindruck ist, dass Du das Ressort „Text und Gesang“ klar für Dich beanspruchst und Dir da auch nicht reinregieren lässt. Meine Frage: Welches politische System haben die Fehlfarben: Monarchie? Oder herrscht bei Euch eher Sozialismus? Oder Demokratie?

Eher Alltag. Es kommen Musikvorschläge und die lehne ich entweder ab oder halt nicht.

Also bist Du letzten Endes der Souverän?

Ja, sagen wir mal so: Wenn ich nichts singe, wird nichts gesungen. Also es gibt da so Grenzfälle – ist jetzt schon ein bisschen länger her – wo sich der Text dann auf drei Worte beschränkt hat. Das ist dann de facto mein Kommentar zum Stück.

Aber ist es nicht teilweise so, dass Frank Fenstermacher auch Texte beisteuert?

Ja, Frank ist einer der fleißigsten Texter, die ich überhaupt kenne. Und das ist sein Problem.

Und wieviel von den Texten entsteht wirklich so spontan wie Du oft sagst. Bei den Sessions oder einfach so nebenbei?

80%, denke ich. Wenn wir im Studio sind, ist das normal. Ich höre mir das an, gehe mit irgendeiner Idee in die nächste Kneipe und dann komme ich mit einem Text zurück.

Ein paar Fragen habe ich noch: Einmal zu der Auszeichnung, die Du in diesem Jahr für Dein Lebenswerk bekommen hast – als „Düsseldorfer des Jahres“. Bedeutet Dir der Preis etwas?

Nö. Eigentlich nicht so. Das hören die jetzt vielleicht auch wieder nicht so gerne, aber das ist schon wieder vorbei. Also, ich sehe die ja auch nicht wieder. Und es gab ja auch eh kein Geld.

Ihr seid mit dem neuen Album inzwischen auf Platz 19 der Deutschlandcharts gelandet. Wie sehr freut Dich das?

Gar nicht. Nehme ich noch nicht einmal nicht zur Kenntnis.

Das wusstest Du nicht?

Doch. Ich habe es jetzt gestern oder vorgestern gehört. Aber ich sagte ja, ich registriere es noch nicht einmal. Das ist mir so etwas von wurscht. Ich hoffe, mir fallen bald schlechte Witze dazu ein.

Gute Überleitung: Witze. Du hast einmal gesagt, als Musiker sei man irgendwie ein „verkappter Comedian“. Und jetzt habe ich kürzlich von jemandem gelesen, auf dem neuen Album würdest Du teilweise klingen wie Helge Schneider. Kannst Du damit was anfangen?

Ja.

Gibt es da eine gewisse geistige Nähe? Helge Schneider hat ja auch mal bei Euch auf einem Album Klavier gespielt.

Ja, das war auch so einer dieser großen Momente. Das war so geil, das mit ihm zu machen. Also ich fand das wirklich super. Ich habe auch ein paar seiner Konzerte gesehen. Da lachst Du Dich einfach schlapp. War so. Muss ich leider zugeben.

Danke für die Zeit, die Du Dir genommen hast und auch für die Offenheit. Das war ein spannendes Gespräch, vor dem ich Respekt hatte. Ich wusste ja, dass du kein sehr bequemer Interview-Gesprächspartner bist oder sein kannst…

Nö, das stimmt ja gar nicht.

Na, Du kannst ja schon auch mal ein bisschen einsilbig reagieren.

Das kommt immer darauf an, also auf die Fragen. Und wenn man digitale Fragen gestellt bekommt, dann gibt es auch nur digitale Antworten.

Das Interview führte Marc Wilde

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Köln (Gebäude 9), 23.10.2022

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