„Welche Clubs wird es in ein paar Monaten noch geben? Welche werden überleben?“
Nicht alle Menschen mögen Tänzer_innen sein, aber das soziale Bedürfnis mit anderen zusammen zu kommen, das teilen wir doch fast alle. Clubs kam dabei schon immer eine zentrale Rolle zu, gerade da sie nicht nur den einen Möglichkeitsraum offerieren, sondern derer multiple. Sie sind zugleich Ort für scheinbar sinnlosen Smalltalk als auch intellektuelle Debatten, bieten dunkle Ecken für viele Gefühle und überfrequentierte Toiletten für andere Bedürfnisse – und nicht zuletzt die Tanzfläche als jenen magischen Ort, an dem alle und alles zusammen kommt, um ein ganz besonderes Bündniss auf Zeit einzugehen. Oder um es anders auszudrücken, es gibt so gut wie nichts, was man nicht im Club machen kann. Und natürlich gilt noch immer die alte Regel: Was im Club passiert, das bleibt im Club. Zumindest bis vor kurzen: denn dann kam Corona und plötzlich ist alles anders – die Clubs sind geschlossen und die DJs agieren primär nur noch im digitalen Raum.
Ergänzend zur unserer Serie “Club der Ewigkeiten”, mit der wir die Teams hinter unseren Lieblingsclubs vorstellen, haben wir Sedef Adasi, Hang Aoki und Jakob Thoene zu einem Gespräch über den Zustand der Clubkultur zwischen Shutdown, digitalen Events und prekären Zukunftsaussichten getroffen.
Sedef Adasi
Die gebürtige Augsburgerin ist als Dj, Promoterin und Producerin aktiv und eng mit dem City Club verbunden, einem kleinen Club in der Innenstadt von Augsburg. Der Club liegt im ersten Stock eines
fünfstöckigen Kulturkomplex, in dem sich ansonsten ein Cafe, eine Artist-Wohnung, mehrere Studios und auch ein Theater befinden.
Motto ihrer Crew: „We live for the culture, not from the culture.“
Hang Aoki
Seit mehr als sechs Jahren ist Hang für das Inhouse-Booking im ://about blank zuständig. Zudem legt sie selbst dort als Resident DJ regelmäßig auf. Das ://about blank gehört zu den prägendsten Clubs Berlins, nicht zuletzt, da der kollektivistisch geführte Laden am Ostkreuz klar soziopolitisch positioniert ist und für eine explizit linke politische Haltung mit feministischer, antifaschistischer und antirassistischer Agenda steht.
Jakob Thoene
Der Hamburger arbeitet für Telekom Electronic Beats im Booking Bereich und koordiniert für die Marke zudem die Club-Kooperationen in Deutschland und mitunter in Osteuropa. Bereits vor Corona führte er gemeinsam mit dem City Club in Augsburg Veranstaltungen durch, während des Lock Downs initiierte er mit Sedef Adasi einen Stream im Botanischen Garten.
Sedef, Hang, Jakob, vielleicht fangen wir doch einfach mal der Reihe nach mit einer persönlichen Einschätzung der aktuellen Situation an. Also sowohl was Eure eigene Situation angeht als auch das, was Euer professionelles Umfeld betrifft.
Sedef Adasi: Der City Club ist für eine Kleinstadt wie Augsburg eine tolle Institution, die Augsburger müssen durch ihn nicht in andere Städte. Der CC, unser Wohnzimmer. Unter Corona Bedingungen ist es natürlich schwierig mit einem so kleinen Laden zu überleben, da von heute auf morgen alles weggebrochen ist. Wenn sonst mal nicht so viel los war, konnte man das durch das Cafe als Back-Up irgendwie auffangen und den Laden über Wasser halten.
Wir waren am Anfang überfordert mit der Situation. Für die kommende Woche war eine unserer „Haman Nights“ geplant – und dann kam plötzlich die Frage auf, ob es überhaupt noch okay wäre, die stattfinden zu lassen. Denn die Ansagen war zu dem Zeitpunkt schwammig: man sollte nicht aufmachen, durfte es aber noch. Wir haben uns dafür entschieden, auf Nummer Sicher zu gehen und erstmal keine Parties zu veranstalten. Man wusste zu dem Zeitpunkt ja gar nicht, wie viele Leute man infizieren würde.
So kam es von heute auf morgen zum Stillstand – für uns als Club und Promoter super schwierig. Da sind die Künstler, die du bezahlen musst, die Clubmiete, die Mitarbeiter….
Ich hab zudem ja auch noch die künstlerische Seite, als DJ meine eigenen Bookings. Von meinem Agenten kam die Ansage: „Hey, für den Monat ist alles lahmgelegt.“ Ich war irritiert und wusste gar nicht, wie ich damit umgehen soll. Zu dem Zeitpunkt war man aber noch zuversichtig und dachte, das sei nun so für 1,2 Monate. Es gab die Hoffnung, es würde im Juli oder August spätestens irgendwie weitergehen. Tja, und jetzt zieht es sich halt hin. Es gibt einfach keine Gewissheit, wann es weitergeht. Das ist das Schwierige, womit niemand umgehen kann.
Persönlich habe ich die Zeit für meine Produktion genutzt. Ich hatte viel mehr Zeit ins Studio zu gehen und mich auszutoben.
Wo Sedef gerade vom Café als zweiten Standbein sprach. Hang, ihr habt ja im About Blank auch einen Gartenbereich, den ihr nun als erstes schon mal wieder auf machen dürft.
Hang Aoki: Ja, wir haben den Garten seit zwei Wochenenden wieder auf und das wird bisher ziemlich gut angenommen. Für mich selber ist das auch wieder ein Schritt hin zu mehr Normalität. Bei mir war ja auch alles auf einmal weggebrochen: der Job, aber auch der Ort. Das hat weh getan, wenn ich mich zu sehr damit beschäftigt habe. Deswegen war es besser für mich, mich mit anderen Sachen abzulenken und irgendwann war ich dann auch ziemlich entfernt von Techno und Clubkultur.
Psychologisch macht es auf jeden Fall sehr viel aus, dass wir den Garten wieder öffnen können, auch wenn der Betrieb sich eben mal rechnet.
Uns ging es am Anfang auch ähnlich wie euch mit dem City Club, Sedef. Plötzlich hieß es wir müssen schließen. Erst dachten wir nur für ein paar Wochen, dann aber kam schnell die Frage auf, ob wir im Sommer überhaupt noch aufmachen können? Innerhalb des Kollektivs gab es ein Notfall-Gremium, das sich anfangs täglich online getroffen und die Lage besprochen hat. Das Kollektiv hat uns mit sehr viel Umsicht durch die Krise geführt und uns regelmäßig über die Situation um den Laden informiert.
Als klar war, dass wir die nächste Zeit nicht wieder aufmachen können, haben wir eine Startnext Kampagne auf die Beine gestellt, die einen Monat lief und recht erfolgreich endete. Das hat uns gut getan zum einen, da wir damit die nächsten Monate über die Runden kommen, aber auch Halt gibt zu sehen, wieviele Supporter es gibt. Natürlich ist es trotzdem nicht so, dass wir uns entspannt zurücklehnen können, wir sind nach wie vor immer noch von einer Schließung bedroht. Wahrscheinlich können wir dieses Jahr keinen normalen Betrieb mehr aufnehmen, das sind krasse Vorstellungen. Es hängen auch viele Arbeitsplätze am ://about blank.
Was ihr beide angesprochen habt: Auffällig an der aktuellen Situation ist, dass man dieselben Prozesse auf dieselbe Art und Weise erlebt wie die Politik. Das ist bemerkenswert, denn es ist ja nicht die Regel, dass die Gesellschaft als Ganzes und das eigene Biotop so gleich getaktet sind. Doch nun fahren wir alle auf Sicht. Daran musste ich eben denken, als du, Hang, von dem sich täglich treffenden Gremium gesprochen hast, eine Art Krisenstab, wie man ihn aus der Politik kennt. Das bringt mit sich, dass auch wir plötzlich viel offensiver ökonomisch denken müssen und nicht mehr nur kulturell. Einfach da die Dringlichkeit so groß ist und man für die jeweiligen Teams Verantwortung trägt. Auch wenn man am Ende dann oft emotional entscheidet und eben einen Garten aufmacht, auch wenn er sich nur gerade so trägt – ihm aber als Ort eine wahnsinnige Signal-Bedeutung in diesem Moment zukommt.
Hang Aoki: Wir haben aktuell Freitag bis Sonntag geöffnet und Djs legen auf, wobei wir aber leider keine Gage anbieten können. Im Juli werde ich zum ersten mal seit drei Monaten wieder auflegen, da freue ich mich schon total drauf. Ich fühle mich wieder mehr verbunden, seit der Garten auf hat und wir einen Semi-Betrieb aufrecht erhalten können. Vorher, die ganzen Streams habe ich irgendwann nicht mehr mitverfolgt. Man wurde einfach so überflutet, so dass bei mir der Reiz verloren ging. Aber jetzt im Garten, wo Djs wieder auflegen können, fühlt sich das wieder richtiger an. Musikalisch ist es ganz offen. Als wir aufgemacht haben an dem Wochenende, spielte ein Dj Techno und das hat gut gepasst und hatte Clubvibes, obwohl ja nicht getanzt werden darf und alle am Tisch sitzen bleiben müssen. Es muss also kein Garten-Gedudel gespielt werden.
Jakob Thoene: Das ist interessant, was du gerade zu den Streams und der Überflutung gesagt hast. Plötzlich nimmt jeder sein DJ-Set auf und stellt es online – was bei vielen auch aus Verzweiflung passiert, da man versucht da zu sein und ein Zeichen zu geben.
Wo du es gerade sagst, dass ihr den Garten eher aus sozialer Sicht wieder aufgemacht habt und nicht aus ökonomischer: man darf nicht vergessen, für viele ist der Club ein Lebensmittelpunkt, wo man sich mit Freunden trifft, oder man beruflich involviert ist. Ich finde es auch mutig, dass ihr aufmacht, obwohl es betriebswirtschaftlich nicht so viel Sinn ergibt, bzw. ihr euren Garten aufmacht, um euch ein Stück weit gesundheitlich zu erhalten. Bei mir ist es so, dass ich jobbedingt immer mit sehr vielen Leuten an unterschiedlichen Orten im Austausch stehe. Von daher ist es nicht so, dass bei mir dieser eine Ort weggefallen ist.
Sedef hat es angesprochen, dass man am Anfang nicht wusste, ob man nun Veranstaltungen absagen oder sie trotzdem durchführen soll. Wir hatten mit Electronic Beats im März an nahezu jedem Wochenende eine Veranstaltung geplant: in München, in Dortmund, in Dresden – und ich kann mich noch gut an die Unterhaltungen erinnern, wie ich die lokalen Veranstalter gefragt habe, wie sich die Situation für sie anfühlt:
„Hast du Lust aufzumachen? Hast du Lust die Veranstaltung durchzuführen? Und wenn ja: warum? Und wenn nein: warum?“
Die Reaktionen waren total unterschiedlich. Der Eine meinte nur, verzweifelt „ich kann jetzt doch nicht zu machen, das ist ein viel zu großes Risiko, wer weiß, wie es danach ist“.
Es galt, selbst abzuwägen, da man die Entscheidung nicht von der Politik bekam. Worauf viele warteten, da das den Effekt hat, dass man auf mehr Verständnis bei Künstlern und Agenturen trifft. Bei einer Veranstaltung wollte der DJ beispielsweise unbedingt kommen, warum auch immer, aus finanziellen Gründen oder idealistischen, aber der Veranstalter wollte es nicht, hätte aber sonst die Kosten tragen müssen, da es noch nicht offiziell verboten war.
Als die Corona-Phase dann so richtig losging, habe ich sehr intensive Gespräche darüber geführt, was der Effekt auf unser Zusammensein sein wird. Plötzlich fühlte sich eine Umarmung mit jemandem, den man einmal die Woche sieht, komisch an – wie soll es dann erst im Club sein, wo man beim Tanzen ja die körperliche Nähe fühlen will. Wollen die Leute wieder nah beieinander sein, wenn alles vorbei ist?
Ich denke schon, dass die Sehnsucht nach Nähe weiterhin existiert. Die Frage ist nur: ab welchen Punkt fühlt man die Sicherheit es zu machen, nicht nur für sich, sondern auch für das Umfeld. Man denkt ja für Risikogruppen mit.
Jakob Thoene: Man fragt sich auch, was mögliche Besucher-Beschränkungen für die kleinen Läden bedeuten werden. Sedef ihr hatten nach den alten Standards Platz für 150 Leute, ihr dürft dann 20 rein lassen?
Sedef Adasi: Ich nehme mal an, dass man sich an den Quadratmetern orientieren wird. Da wird es viele Einschränkungen und Regeln zum Beachten geben. Eigentlich sind wir ein Ort, wo man spontan zueinander findet. Jetzt wird in eine Ecke gepfercht und in so vielen Dingen eingeschränkt. Da kommen Fragen auf: Macht das überhaupt noch Spaß? Ergibt es Sinn?
Wirtschaftlich nicht. Es ist ein schwieriges Thema, weil man an jedem Punkt irgendwas findet, was sich richtig anfühlt aber auch falsch.
Wir alle sind ja kulturell sehr international ausgerichtet. Das macht die Entscheidungen nicht leichter, die aktuell und in naher Zukunft anstehen. Zum einen gehen bei uns nun die Schleusen wieder auf, andererseits eskaliert es aktuell in den USA, Brasilien, Chile oder auch Indien. Die Entscheidungsfindung muss plötzlich zu weltweiten Geschehnissen in Relation gestellt werden.
Was ich meine: plötzlich spielen Freund_innen wieder auf Festivals in Nord-Italien oder Serbien, machen in der Schweiz wieder Clubs auf… wie fühlt sich das für euch an, wie nehmt ihr das wahr? Sind das Testläufe für euch?
Hang Aoki: Unsere Regierung geht ja sehr vorsichtig vor, die hat ja auch viel Geld reingepumpt in die ganzen Soforthilfen. Die wollen nicht, dass noch eine zweite oder eine dritte Welle kommt. Sie geht in Baby-Steps vor, was ich eigentlich auch ganz richtig finde. Man sieht aktuell ja auch mit den Clubs, die in Seoul und Zürich wieder aufgemacht haben, wie schnell es geht und ein Infizierter zum Superspreader wird und der Club wieder sofort schließen muss. Da hat keiner Bock drauf, niemand will nach ein, zwei Wochen wieder alles runterfahren müssen. Eigentlich finde ich es ganz spannend, die verschiedenen Modelle zu beobachten.
Ich hätte es gerne gesehen, dass das Modell Schweden funktioniert hätte – weil alles runterfahren, dieser Lock-Down, die Isolation, schon krass war. Leider ist die Infektionszahl in Schweden ja doch extrem hoch gemessen an der Einwohnerzahl. Insofern ist es besser nichts zu überstürzen anstatt gleich wieder runter fahren zu müssen. Das zehrt nur noch mehr an der Psyche.
Nochmal kurz zur Frage von Jakob, wie das ist, wenn die Clubs wieder aufmachen – ich glaube auch, dass die Leute hungrig sind, wieder clubben zu gehen, Djs zu hören, die Nächte durchzumachen und durchzutanzen. Wenn Clubs wieder öffen können, würde ich am liebsten gleich eine 5 Tages Party planen, das obliegt aber nicht meiner Entscheidung. Ich glaube das wird für viele wie ein Befreiungsschlag und alle Clubs werden richtig voll.
Sedef Adasi: Wir überlegen uns aktuell auch ein Konzept für danach. In Bayern gibt es ja noch immer eine Sperrstunde, das heißt bei uns müssen alle Leute um fünf Uhr für eine Stunde raus. Erst ab 6 Uhr kann dann eine Afterhour starten. Das macht natürlich gar keinen Sinn. Seit Jahren kämpfen wir gegen diese unnötige Sperrstunde. Wir hoffen nun, dass wir in dieser Krisenzeit wenigstens von der Regierung ein bisschen Rückhalt bekommen und sie endgültig abgeschafft wird. Das wäre ein kleiner Lichtblick für die Zeit danach.
Jakob Thoene: Ein positiver Effekt der Krise.
Sedef Adasi: Manchmal braucht es eine Krise. Wie gesagt, die sind jetzt dabei es schriftlich zu machen.
In Köln ist es nun plötzlich möglich, extra Außengastrobereiche zu bekommen. Da werden Parkplätze nun für Tische freigeben, weil sie merken, dass die Gastronomie das braucht, um zu überleben. Da bewegt sich mal was als positiver Effekt, wird den Leuten zugehört.
Ich würde ganz kurz auf die Streams nochmal zurück kommen. Sedef, du hast ja mehrere gemacht, auch mit Electronic Beats wie angesprochen. Wie hat sich das denn für euch angefühlt? Analog zu dem, was wir vorhin zum Cafe-Betrieb gesagt haben, haben die Streams ja kaum einen ökonomischen Effekt außer vereinzelten Spenden, die über sie generiert werden, dafür aber einen immens wichtigen emotionalen Effekt für die die Community.
Sedef Adasi: Die Streams waren eine gute Plattform für Künstler um in der Krise aktiv zu bleiben, gar keine Frage. Klar, irgendwann hat das Ganze aber auch Überhand genommen und es waren zu viele Streams. Dennoch waren Sie sowohl für uns Künstler als auch für die Zuhörer wichtig. Bei dem Electronic Beats Stream war es tatsächlich so, dass ich eigentlich eine Radioshow bei Radio 80.000 geplant hatte. Ohne Video. In der Zeit waren wir im Lock down und es hat sich echt viel in meinem Kopf getan. Die Idee, Augsburger Künstlern eine Plattform zu geben und den City Club zu representen fand ich toll. Dann dachte ich mir, okay, eine besondere Location wäre ein guter Grund, einen Video-Stream zu hosten. Also haben wir den Botanischen Garten angefragt und spontan eine Genehmigung für eine Live-Übertagung bekommen. Sechs Stunden Musik aus dem wunderschönen japanischen Garten, kann man machen. Vor allem aber ein Zeichen zu setzen, war mir persönlich sehr wichtig. Wir sind da und wir bleiben stark. Es war auch total emotional für alle, da die Crew wieder zum ersten mal, wie in alten Zeiten zusammen gekommen ist.
Jakob Thoene: Umgeben von lauter Kirschblüten.
Perfektes Timing in der Hinsicht zumindest mit Anfang April.
Hang Aoki: Ich fand es auch schon gut, dass so viele Djs ihre Sets gestreamt haben und ich supporte auch jeden einzelnen, nur irgendwann wurde es zu viel. Bei einem Stream habe ich doch gespielt, bei uns im ://about blank auf dem Techno-Floor. Das ist eigentlich mein Lieblings-Floor, aber ohne Gäste und mit der Kamera in der Mitte des Raums und den Producern ganz hinten, das war so eine komische Stimmung und man hat gar kein Feedback bekommen. Normalerweise bekommst du unmittelbar von den Gästen Feedback, das war jetzt halt alles etwas emotionslos im Raum.
Jakob Thoene: Noch mal von meiner Seite, da wir jetzt so viele Streams gemacht haben mit unterschiedlichen Clubs und auch nicht nur in Deutschland. Mein Wunsch war es immer, darüber zu diskutieren, wie sich der Club präsentieren möchte. Denn es ist klar: wenn man den Club besucht, dann geht es um die Auswahl der Djs, um die Musik, aber sind auch die Räumlichkeiten, die den Club ausmachen. Bei den Streams reduziert sich das auf die Kamera, auf den Dj und die Musik.
Die Unterhaltungen darüber, was der Club darüber hinaus transportieren möchte, war oft sehr spannend. Zum Beispiel mit David Muallem vom Blitz Club in München. Der Club ist ein Versammlungsort von Gleichgesinnten. Wir haben jetzt zwar diesen Tanzort nicht mehr, das heißt aber auch, dass wir jetzt zeigen können, dass dieser Club da sein kann für visuelle Kunst, oder auch als Gesprächsforum. Dass man es weiterspinnt. Das ist oft aber in der Umsetzung auch gescheitert, weil einige das gar nicht wollen, da sie gerade nicht in der Stimmung waren, über bestimmte Themen zu reden. Bei einem Stream aus dem Blitz Club haben vier Djs in einem Zoom Call darüber gesprochen, wie sie Platten diggen. Das waren alles Djs, die schon Mal im Blitz gespielt haben und so haben sie den Club als Plattform genutzt, um ein bestimmtes Thema zu diskutieren.
Wir haben die Möglichkeit über einen Stream mehr Leute als vor Ort im Club zu erreichen. Zwar ist die Aufmerksamkeitsspanne nicht immer die Selbe wie bei physischer Präsenz, aber wir hatten zum Beispiel bei einem Stream aus dem Expirat vor den Dj Sets drei Frauen aus der Bukarester Musikszene, die sich darüber auf englisch unterhalten haben, wie sich die Situation in Rumänien darstellt. Ich fand das super spannend zu hören, wie es sich für sie anfühlt und was ich davon für die Situation in Deutschland lernen kann oder gar ob man die Situation eins zu eins vergleichen kann.
Diese anderen Aspekte wie Diskussionen oder Foren, Treffpunkt für Kreativität – das können auch Seiten von Clubs sein. Clubs können noch mehr in diese Richtung gehen, wenn das Umfeld es hergibt. Aber nur wenn jemand aus dem Club heraus sprechen will. Das ist für mich der Reiz an den Streams, ich möchte ein neues Format mit reinbringen, welches den Club auch wieder spiegelt. Denn für mich ist er nicht nur ein Ort zum Tanzen.
Das ist ja auch nicht neu. Im Robert Johnson in Offenbach gibt es die „Robert Johnson Theory“-Reihe, im About Blank finden regelmäßig Panels- und Diskussionsrunden statt, auch im Pudel in Hamburg. Worüber ich noch gerne bei dem Thema sprechen würde, sind die Kameras. Ich war noch nie ein Boiler Room Fan aus dem Grund, dass für mich der Club ein Ort des Loslassens sein soll und nicht des Beobachtetwerdens. Ich bin da, vielleicht auch Altersbedingt eher ein Vertreter von dunklen Clubräumen mit Nebel und Strobo und Musik. Nun werden aber alle immer gefilmt: man muss bereit sein, sich vor der Kamera zu präsentieren. Die Talkformate verlangen von einem die Bereitschaft sich zu zeigen ab. Wie geht es Euch denn als Künstlerinnen damit, Hang, Sedef? Habt ihr Angst, dass das auch nach Corona mehr der Fall sein wird – womit ich jetzt gar nicht gegen all diese Ideen ansprechen möchte, da gibt es auch sehr gute Ansätze. Aber für viele Künstler_innen ist es eben auch ein emotionales Problem. Gerade in Phasen, wo es ihnen nicht gut geht, sollen sie sich auch noch vor der Kamera präsentieren und reden.
Hang Aoki: Für mich ist es eigentlich viel zu ruhig und ich finde unsere Branche müsste viel mehr auf sich aufmerksam machen. Aber dann gab es diese dusselige Demo auf dem Landwehrkanal. Diese Schlauchboot-Demo hat viel zerstört, sowas hilft nicht, dass die Politik uns früher öffnen lässt. Es fehlt, dass man sich mit den Politikern an einen Tisch setzt und ihnen die Lage darlegt und eine vernünftige Auseinandersetzung führt. Aber ich kann auch alle verstehen, die sich zurückziehen… mir ging es ja auch so, dass mir die Motivation fehlte, weil ich nichts greifbares hatte. Wenn es ein Datum geben würde, von dem man weiß, dass da wieder aufgemacht werden kann, dann könnte darauf hingearbeitet werden, aber so schweben wir in der Luft und wissen nicht, was wir machen sollen. Soll man sich nach einem anderen Job umschauen? Werden wir überhaupt durchhalten? Was passiert mit der Belegschaft? Künstler sind ja teilweise auch scheue Menschen, sie wollen nicht unbedingt Interviews geben und ihre Meinung öffentlich äußern.
In wie weit habt Ihr Euch von der Politik wahrgenommen und reflektiert gefühlt? Gab es produktive Dialoge?
Wie sah das denn in Augsburg aus, Sedef?
Sedef Adasi: Bis heute hat sich nicht viel getan. Wir haben in Augsburg auch eine Club Kommission, aber selbst von denen habe ich persönlich nicht viel mitbekommen. Man weiß nicht, wie es weitergeht – keiner weiß, wann und wie es überhaupt weitergeht, die Ungewissheit macht mir einfach nur Angst. Man hat Visionen und Projekte die man umsetzen möchte, aber dann scheitert es doch, da einfach alles ungewiss ist. Wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich im Stich gelassen und ich glaube ich kann das im Namen vieler Kollegen sagen. Hätten wir Künstler doch lieber alle etwas anständiges gelernt. Uns wurden von heute auf morgen alle Gigs gecancelt und wir durften nichts mehr spielen – Dann heißt es, man kann eine Soforthilfe beantragen, aber auch da darfst du nur deine Betriebskosten in Anspruch nehmen. Ansonsten hast du zum Beispiel auch die Möglichkeit zum Arbeitsamt zu gehen und Hartz 4 beantragen. Yeah. Da wird es für uns nochmal emotionaler, da es wirklich um die Existenz geht. Ich weiß nicht, wie viele Telefonate ich wegen der Soforthilfe geführt habe… Auf meiner To-do-Liste mit den offenen Fragen stehen sie immer noch unbeantwortet. .
Hang Aoki: Kurz noch zu den Projekten, die Jakob eben angesprochen hat. Es war halt schwierig irgendwas umzusetzen, weil uns die Hände gebunden waren durch die Hygiene-Auflagen und das Kontaktverbot. Deswegen konnte man nichts initiieren und den Club als andersartigen künstlerischen Raum zur Verfügung zu stellen und ihn so weiter zu öffnen.
Jakob Thoene: Ich habe Mitte April einen Künstlermanager hier in Hamburg auf der Straße getroffen und gefragt, wie er mit der Situation klar kommt. Er hat nur mit den Schultern gezuckt: „Was soll ich sagen? Berufsverbot!“ Man hat das dann kurz gemeinsam belächelt. Aber das ist natürlich krass, so ein gefühltes Berufsverbot, das kennt man aus der DDR oder von Regimen. So ein echtes Berufsverbot ist nicht witzig, du bist total hilflos, du kannst nichts machen außer deine Profession zu ändern oder nicht zu arbeiten. Dass so eine drastische Situation eine bestimmte Betreuung bedarf, dass man Austausch und Hilfe braucht, dass jemand mit einem Perspektiven entwickeln muss, das alles kam zu kurz.
Nicht umsonst versuchen wir Soloselbständigen die Diskussion über all das endlich in den Bundestag zu bekommen, da wir den Handlungsbedarf an allen Ecken und Enden spüren. Man fragt sich allerdings auch: warum bedarf es 50.000 Unterschriften und einer solchen Petition damit die Politiker bemerken, dass ihre Beschlüsse nicht greifen. Man muss doch nur ein bisschen die Echowellen in den Sozialen Medien und den klassischen Medien verfolgen, um das zu spüren. Die Politik könnte das selbst auf die Agenda setzen. Ihr kennt das alle: man hatte Aufträge und binnen einer Woche ist das gesamte Jahr weg gepurzelt – und nicht, da ihr zuvor scheiß Arbeit abgeliefert habt, sondern weil es rechtliche Rahmenbedingungen gibt, die euch, wie Jakob eben ausführte, das Arbeiten verbietet. Da wundert man sich schon, dass die Politik das nicht pro aktiv angeht, das ist ja immerhin eine große Berufsgruppe.
Jakob Thoene: Man hat das bei der „Red Light“-Aktion der Live-Industrie gesehen, als die Locations rot beleuchtet wurden, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Der Live-Sektor mit allen Menschen – vom Veranstaltungstechniker bis hin zu anderen Berufsgruppen wie der Gastronomie – sind drei Millionen Menschen in Deutschland. Das ist nicht zu vernachlässigen. Die Kultur leidet unter der aktuellen Situation sehr – und das wird noch einen viel krasseren Effekt auf die Kulturvielfalt haben, da wird ganz viel wegfallen.
Hang Aoki: An der Kultur hängt ja oft die Gastronomie noch mit dran: Restaurants, Cafés, Bars und Clubs, das geht Hand in Hand und da wird krass viel Umsatz gemacht, viel mehr als etwa in der Luftfahrt. Aber die Luftfahrtbranche versuchen sie zu retten und uns speisen sie ab mit einem kleinen Betrag, womit die meisten nur ein paar Monate überleben können und wenn du richtig Pech hast, hast du auch noch Berufsverbot. Es ist traurig, wie stiefmütterlich mit der Kreativbranche umgegangen wird. Meine Familie kommt aus Bergisch Gladbach, das ist in der Nähe von Köln. Da war ich vor ein paar Wochen auf Besuch. Abends ist da nichts los, die Läden sind alle zu und die Menschen hängen Zuhause. Genau das wird den Großstädten blühen, wenn die Kulturbranche untergeht und Bars und Clubs schließen müssen, weil alle insolvent gehen.
Jakob Thoene: Das glaube ich nicht. Aber ich glaube, dass ganz viel Kultur in die Illegalität abrutschen wird. Als Club hat man Verantwortungen zu tragen, man muss sehr viele Dinge beachten, die Geld kosten. Und auch die Infrastruktur kostet Geld. Aber wenn du deinen Rave irgendwo im Park auf einer Wiese machst, das kostet dich weniger Geld – ist aber oftmals in der Illegalität. Du machst eine Veranstaltung mit 5000 Leuten und hast kein Security Konzept – und stehst dann vor ganzen anderen Schwierigkeiten.
Jetzt wäre der Zeitpunkt, die Kultur zukunftsfähiger zu machen. Denn Kultur ausschließlich in der Illegalität, das bringt uns nichts. Dann ist sie nicht mehr zugänglich für jeden.
Mal davon abgesehen, dass die Strafen jetzt sicherlich noch drastischer ausfallen, wenn man einen illegalen Rave für 5000 Leute durchführt.
Jakob Thoene: Genau. Du bist eigentlich Kulturschaffender aber wirst plötzlich strafrechtlich verfolgt, weil du versuchst etwas zu machen. Das ist ja die Horrorvorstellung schlechthin.
Jakob, wie gehst du denn konkret mit der Situation unterschiedlicher Handhabe um. Du arbeitest ja international. Würdest du in einem Staat schon wieder eine Veranstaltung buchen, wenn das in den meisten anderen Ländern noch nicht möglich ist? Oder nimmt man davon noch Abstand, da eine gemeinsame Linie, ein gemeinsames Kulturempfinden wichtig ist?
Jakob Thoene: Das ist eine super schwierige Diskussion, die wir intern auch bereits geführt haben. Wir haben jetzt einen Stream aus Zagreb in Kroatien – und in Kroatien sind die Auflagen wieder sehr gelockert. Man könnte das im Prinzip auch in einem kleinen Café mit Tanzfläche machen, man braucht nicht mehr mit Maske durch den Laden laufen und so weiter. Unser Partner vor Ort, mit dem wir darüber gesprochen haben, der wollte natürlich, dass die Leute tanzen und wir positive Signale senden. Was ich als ein gerechtfertigtes Argument empfinde – gerade in solchen Zeiten sehnt man sich nach Hoffnungsschimmern. Aber wir haben dann überlegt, dass das andere dazu bewegen könnte, ihnen gleichzutun, obwohl es dort die Rahmenbedingungen nicht vorgeben.
Gestern gab es zum Beispiel in der Hasenheide in Berlin ein Open Air mit 1000 Leuten. Solche Leute will man nicht ermutigen. Wir sind eine internationale Plattform. Wenn wir etwas in Kroatien machen, dann sehen das auch Leute aus Deutschland, Österreich und Frankreich, die den Kontext vielleicht nicht einordnen können. Aber klar, das ist echt schwierig, wir wollen ja Veranstaltungen machen.
Hang, Sedef, wie sieht das bei euch aus? Gibt es schon neue Bookinganfragen?
Sedef Adasi: Bei mir steht für die erste September Woche ein Nachholtermin in Madrid an, was mich ziemlich überrascht hat. Da in Spanien ja alles sehr strikt war, ist es auch noch unter Vorbehalt. Es bleibt also spannend. Es ist kein großes Festival, sondern ein kleiner Club. Für mich auf jeden Fall ein Lichtblick. So lange die Infektionszahlen im grünen Bereich sind und alles legal ist, sehe ich nichts, was dagegen spricht es wieder langsam angehen zu lassen. Ich würde mich natürlich freuen, wenn sich allgemein die komplette Corona Situation ins positive entwickelt, die Zahlen stetig besser werden und es step by step wieder los geht.
Hang Aoki: Bei mir steht nichts an.
Wir hätten im April im ://about blank unseren zehnten Geburtstag gefeiert mit einer 3-Tages-Party, die wir dann canceln mussten und alle anderen Veranstaltungen natürlich auch. Bis jetzt haben wir den Djs noch keine Nachholtermine angeboten, weil es keinen Sinn macht, solange nicht feststeht, wann Clubs wieder aufmachen können.
Ich habe ja großen Respekt vor den Booker_innen, die nicht nur alle Dates logistisch zurück buchen mussten, sondern sie teilweise ohne Gewissheit, dass sie dann real stattfinden können, wieder zu einem späteren Zeitpunkt reinbuchen. Wenn man das dann zum zweiten oder gar dritten Mal zurück buchen muss, dann ist das psychologisch nochmal eine ganze andere Welle. Da stellt man sich schon die Frage nach der Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit.
Deswegen ja auch vorhin meine Frage an dich, Jakob, nach der Internationalität des Ganzen. Wenn man sieht, dass in der Schweiz die Clubs wieder öffnen und in Norditalien und Serbien Festivals stattfinden, dann sendet das ja Signale an alle anderen Regionen. Am Anfang fühlte es sich so an, als ob wir alle das gleich erleben, aber jetzt geht die Taktung auseinander. Es ist spannend zu sehen, was die Nichtgleichzeitigkeit mit uns macht. Denn natürlich denkt ein(e) 20jährige_r in Berlin, dass er/sie eine Party schmeißen kann, wenn sie/er offene Clubs in der Schweiz sieht und es im eigenen Umfeld keinen einzigen Fall gibt. Der Gedanke ist ja allzu menschlich.
Sedef Adasi: Das sind die ersten Versuche zurück in eine Normalität zu finden. Man wird sehen, was klappt und was klappt nicht. Wir alle kennen den Weg nicht. Kleine Schritte, die vielleicht hinhauen, vielleicht nicht, die vielleicht gut sind, vielleicht aber auch nicht.
Hang Aoki: Ich habe mir natürlich auch sehr viele Gedanken gemacht, wie es weitergeht, vor allem hier in Berlin, wo der Wettbewerb sehr stark ist. Man weiß nicht, welche Clubs es in ein paar Monaten noch geben wird. Welche werden überleben? Alle Bankkonten sind leer. Wir können nicht einfach wieder mit dem Booking wie davor weitermachen, die Situation jetzt ist eine ganz andere. Wir können nicht die gleichen Gagen an die Künstler und Agenturen zahlen wie vor Covid. Ich würde es mir wünschen, dass sich die Clubs und Promoter zum Austausch treffen, wir befinden uns alle in der gleichen Lage. Ich wertschätze die Arbeit der Künstler und ich finde auch dass man dafür gewisse Gagen bezahlt. Aber wenn die Clubs schließen müssen, bricht auch sozusagen der Arbeitsplatz der Künstler weg Und dann wird sich alles zuspitzen. Die Eintritts- und Getränkepreise werden steigen, wenn es weniger Clubs gibt und es wird eingeschränkteren musikalischen Zugang geben. Was wir doch erhalten wollen, ist eine diverse, offene und bunte Clubszene. Das können wir erreichen durch einen kollektiven Zusammenhalt. Wenn wir irgendwann wieder aufmachen können, heißt es erstmal über die Runden kommen und sparen für die besucherschwache Jahreshälfte. Das geht nur, wenn das Gagen-Karussell nicht wieder anfängt. Ich sehe die Chance da nur mit einer Gagen-Deckelung, so können wir Clubs vor der Schließung bewahren und die Subkultur erhalten.
Jakob Thoene: Und die Clubkultur als eine offene Kultur bestreiten. Denn wenn man, wie du es gerade gesagt hast, die Ticket- und Getränkepreise anhebt, dann wird Clubkultur plötzlich etwas Exklusives für die Middle und Upper Class.
Hang Aoki: Dann haben wir auf einmal Ibiza-Preise in Berlin. Das möchte doch niemand und dem sollten wir vorbeugen. Ich weiß, dass du, Thomas, selbst ein Management betreibst und sich dir jetzt bestimmt die Nackenhaare aufstellen müssen, bei dem was ich hier sage. Aber was wir doch möchten, ist eine vielfältige Szene mit verschiedenen Clubs und unterschiedlichen Musikrichtungen und Preisen, die man sich leisten kann. Wir Clubs haben davor schon geächzt, in Berlin ist der Wettbewerb halt sehr stark. Du musst ein interessantes Line-Up anbieten und kannst nicht nur unbekannte Djs buchen. Es sollte sich ergänzen, vom Headliner bis zum Local. Wenn wir wieder öffnen, können wir nicht wie frühermehrere Headliner einfliegen und hohe Gagen bezahlen.
Also mir stehen da keineswegs die Haare zu Berge. A) da das eh klar ist, was du da sagst. Aber auch b) da doch alle, die man schätzt, schon immer Mischkalkulationen betrieben habe. In so Clubs wie dem About Blank, aber auch dem Pudel, Blitz und Robert Johnson, oder auch bei dir in Augsburg, Sedef, da spielen doch alle für geringere Gagen. Es gibt ein gewisses Milieu da setzt man andere Maßstäbe an. Sprich: es gibt den Bereich, wo mehr Geld da ist und wo man auch höhere Gagen verlangt, aber es gibt auch viele Orte, wo man das nicht macht. Oder nicht machen sollte – dass es trotzdem viele machen, darüber müssen wir hier nicht reden, dass wir das nicht gut heißen. Da sind wir uns einig. Ich persönlich glaube, dass sich die Gagen deutlich reduzieren werden. Ich gehe von 50% aus. Man kann doch nicht mit Clubs, die am Boden sind, Gagenpoker betreiben. Da will man nicht verhandeln, sondern gemeinsam was auf den Weg schicken, dass für beide Seiten okay geht. Aber das sollte eh die Maxime im geteilten kulturellen Milieu sein. Es wird dauern, da beide Seiten ächzen, aber die richtigen Leute werden das gemeinsam hinbekommen.
Hang Aoki: Das ist das, was ich hoffe. Dass da auf Seiten der Künstler, Agenturen und Managements, Verständnis dafür da ist, dass die Clubs das nicht mehr zahlen können. Um den unangenehmen Prozess des Verhandelns zu überspringen, könnte man die Gage vorher schon deckeln: „Das ist das Maximum, was man in jedem Club in Berlin bekommt!“ Und dann kann sich der Künstler aussuchen, wo er spielen möchte. Exklusivitäts-Klauseln würden dann natürlich auch entfallen. Da entstehen aber auch wiederum Chancen für Newcomer. Wie oft bieten mir die Agenturen neue Künstler aus ihrem Roster an, aber ich kann die nicht booken, weil ich für den Headliner schon so viel bezahle. Wenn ich für den Headliner weniger zahlen muss, dann kann ich mehr Newcomer in mein Lineup integrieren. Das ist eine Chance für die, die anfangen.
Jakob Thoene: Es ist eine spannende Zeit für Newcomer. Wenn man sich aktuell die Maßnahmen der Clubs ansieht, um Aufmerksamkeit zu erregen, das findet zumeist mit Residents statt. Reisen ist nicht möglich – zumal auch niemand kommunizieren möchte, dass er zu einem Stream fliegt. Diese Zeit, in der wir eher mit lokalen Sachen beschäftigt waren – zum Beispiel, dass man kleine Läden und Restaurants unterstützt –, wirkt sich auch auf die Residents aus. Und am Ende hat man trotzdem eine kulturelle Vielfalt.
Hang Aoki: Ich habe auch schon spannendere Sets von Newcomern gehört als von Djs, die extra eingeflogen kamen.
Jakob Thoene: Und die das gleiche Set gespielt haben wie in der Woche zuvor im Internet.
Hang Aoki: Wahrscheinlich.
Jakob Thoene: Es mag Idealismus sein, aber wenn ich mir die Clubs in anderen Ländern angucke, mit denen wir zusammen arbeiten, dann kommen da immer viele Namen vor, die ich noch nie gehört habe, eben da es deren Residents oder Newcomer sind. Zum Beispiel in Nord Mazedonien. Letztes Jahr haben wir dort im Dezember über ein Wochenende jeden Abend in einem anderen Club Veranstaltungen gemacht. Da waren so interessante Acts dabei und die wurden auch krass gefeiert vom Publikum. Ich spüre derzeit viel Wertschätzung für Lokales. Vielleicht kannst du da gleich noch was dazu sagen, Sedef.
Sedef Adasi: In der Kleinstadt ist natürlich immer mehr Aufsehen, wenn Leute von außerhalb kommen, ganz klar. Klar ist aber auch, dass wir es uns nicht leisten können, jede Woche jemanden einfliegen zu lassen. Das geht einfach nicht. Trotzdem gibt es viele bekannte Künstler, die Wert darauf legen, kleine Läden wie den CC zu unterstützen. Das finde ich sehr wichtig und richtig. Schließlich haben wir alle mal in den kleinen Schuppen angefangen. Bei meinen Veranstaltungen lege ich Wert darauf, den Leuten ein diverses und interessantes Line-Up zu bieten. Ob bekannter Künstler oder Newcomer, alles ist dabei. Wir haben viele tolle DJ’s in der Umgebung und es ist enorm wichtig auch neue Talente zu unterstützen. Am Ende des Tages geht es einfach um die Musik.
Das Problem sind halt wie so oft die Versuchungen. Ich bin ja in den 90er Jahren mit Clubkultur sozialisiert. Bei uns sah der Deal immer so aus: 400 DM Garantie, das hat gereicht für das Zugticket und ne kleine Gage – und danach haben wir an der Tür den alten DIY/Hardcore-Deal gemacht, 50%/50% nach allen Kosten. Das war eine realistische Idee von man macht das zusammen. Je größer das Spinnennetzwerk wird, desto schwieriger wird so ein Modell aber. Solche Abrechnungsmodalitäten setzen Vertrauen voraus. Ja, es wäre wünschenswert, wenn das wieder so ginge. Ich sehe aber das Problem von so einer Deckelungs-Idee, wie du sie angesprochen hast, Hang, dass wir zwar so tun können, als ob es nur die eine Clubkultur gibt, aber letztlich ist es doch so, dass da auch andere Akteure mitspielen – und da greifen dann halt klassische Markt- und Kapitalismusmechanismen. Denn es wird immer jemanden geben, der sich nicht an den Deckel von 800€ oder 1000€ oder was auch immer hält, sondern den DJ mit einer höheren Gage anzulocken versucht. Die Schneller-Weiter-Idee von Elektronischer Musikkultur hat zuletzt einen großen Mainstream generiert. Deswegen müssen wir uns darauf konzentrieren, mit wem wir zusammen arbeiten wollen und mit wem nicht.
Hang Aoki: Die Situation vor Covid fand doch kein Club oder Promoter toll mit den hohen Gagen, den 5-Sterne-Hotels – obwohl der Künstler da eh nur für ein paar Stunden bleibt und dem Rider mit Champagner und allem. Ich weiß nicht, welcher Promoter oder Club das gut fand. Jetzt wäre die Chance das auf eine faire Basis zu leveln. Es war eigentlich auch nur eine Frage der Zeit, wann diese Techno-Blase platzt. Dass es dann doch so schnell passiert , damit hat wohl keiner mit gerechnet. Aber es konnte so einfach nicht weitergehen. Die Gagen sind so hoch geschossen, dass man nicht mehr rechtfertigen konnte, den Künstler zu buchen. Nun wäre die Gelegenheit, es auf eine für alle Seiten faire Ebene zu bringen um weiterhin ein vielfältiges Nachtleben anbieten zu können und für ein Verhältnis auf Augenhöhe zwischen Club, Promoter, Agentur, Management und Künstler zu sorgen. Spätestens jetzt sollte es allen klar sein, dass es nur Miteinander funktioniert und niemand am längeren Hebel sitzt.
Bei wieviel Prozent der Booking in deinem Arbeitsbereich hattet du denn das Gefühl, dass da das Verhältnis nicht mehr stimmt, Hang?
Hang Aoki: Wenn ich mit Agenturen verhandelt habe, dann in etwa 80% der Fälle. Wir schätzen ja, was die Künstler machen und möchten sie auch fair bezahlen, aber die Konditionen sind einfach zu extrem geworden und hatten mit Subkultur nichts mehr zu tun.
Du sprichst da natürlich die doch spezielle Berliner Situation an. Deswegen mal kurz bei Sedef nachgefragt, wie sich das aus ihrer Augsburger Sicht darstellt. Warst du auch so unzufrieden vor dem Corona Break? Oder drängt das Thema bei dir weniger, da du eben ganz andere Bedingungen hast: weniger Konkurrenz, kleinere Club, wo eh solche Gagen nicht drin sind…
Sedef Adasi: Das ganze Agenturen Business ist natürlich eine Sache für sich. Wir als kleiner Club in Augsburg können und wollen da auch nicht mitmachen, zumal es auch überhaupt nicht möglich ist. Bei Maximum 150 Leuten kannst du es dir ausrechnen, da kann man keinen Superstar buchen. Aber uns gibt es seit sieben Jahren und wir haben das Glück, dass viele Leute, die den Laden kennen und aus Sympathiegründen für Friends-Deals spielen. Sehr oft werden wir von Agenturen angeschrieben, ob nicht Künstler XY mal spielen könnte. Deswegen habe ich nicht die Gefühle von Hang, denn klar, wenn man einen Laden in Berlin macht, dann herrscht ein ganz anderes Konkurrenzdenken – in Augsburg gibt es neben dem City Club nur noch zwei, drei Läden, aber unserer ist der schönste..
Jakob Thoene: Ein sehr intimer und schöner Club.
Sedef Adasi: Ihr solltet alle vorbeischauen, wenn Corona vorbei ist.
Wir haben jeden Mittwoch eine spezielle Reihe namens, „Hängin In da Club“, die heißeste Party-Nacht der ganzen Woche in Augsburg. Auch hier gibt es nur mini Gagen und trotzdem haben da schon ganz viele tolle Djs gespielt, neulich erst Detroit In Effect.
Hang Aoki: In Berlin ist man halt doch ein kleiner Snob, weil wir so verwöhnt sind von der Szene. Es gibt hunderte Clubs und Parties und tausende Djs. Wenn ich dann in einer kleineren Stadt ausgehe oder selber spiele, dann sind die Parties meistens viel intensiver, die Leute haben noch richtig Lust zu tanzen und auszuflippen.
Wir könnten ewig weiter diskutieren… Sedef, Hang, Jakob, vielen Dank für Eure Zeit und Offenheit hier. Habt ihr noch was, was ihr los werden wollt?
Sedef Adasi: Ich hoffe wir können alle bald wieder tanzen!
Oh ja, wir müssen bald Abende im City Club und About Blank machen!
Hang Aoki: Bei der ersten Party, wenn wir wieder aufmachen können, seid ihr alle auf meiner Gästeliste.
Sedef Adasi: Unbedingt! Der Sekt steht kalt und die Pizza ist bereits im Steinofen habibi.