EM GUIDE — SeeTheSound-Festival in Köln zeigt Filme über Jazz, House & Reggae

Michael P. Aust: „Musikfilm-Branche erlebt krassen Wandel“

„Sound Dreams of Istanbul“ (Photo:  ©SoundTrack_Cologne)

„Musikdokus werden vor allem aus Leidenschaft gemacht“, sagt SeeTheSound-Festivaldirektor Michael P. Aust. „Da steckt viel Herzblut drin.“ Kaput-Autorin Vicky Hytrek hat mit ihm über das Programm der 17. Ausgabe des Kölner Filmfestivals gesprochen, über knappe Ressourcen und berufliche Hürden für Komponistinnen im Filmgeschäft.

Das Filmfestival SeeTheSound findet vom 09.-13.07. in ausgewählten Kölner Kinos statt.

 

Ihr geht wieder mit einem sehr vielseitigen Programm an den Start und zeigt über 30 Filme – auf vier Kinos und Spielstätten in Köln verteilt. Welche Themen stechen dieses Jahr besonders hervor?

Michael P. Aust (Photo:  ©SoundTrack_Cologne)

Michael P. Aust: Ganz klar: Die ganze elektronische Musikszene, Techno, House, Raves, Clubs, und so weiter, das wird gerade historisch. Die Pioniere von damals werden jetzt gerade alle 60, blicken zurück und wundern sich, dass sie nicht berühmt geworden sind. Andere sind schon komplett abgefrühstückt. Über Peaches zum Beispiel zeigen wir jetzt auch schon den dritten Film. Alle immer interessant, alle absolut sehenswert, jeder mit einer anderen Facette, aber man fragt sich: Echt? Schon wieder? Eigentlich müsste jetzt die nächste Generation kommen, aber da gibt es nicht diese großen Dokumentarfilme mehr, die es vorher gab.

Woran liegt das?

Die Branche erlebt gerade einen krassen Wandel. Während der Corona-Zeit haben die Streamer relativ viel Geld für Musikdokus ausgegeben. Sie haben die Leute animiert, noch mehr Filme zu machen. Dann war das plötzlich mit dem Ende der Corona-Zeit wohl nicht mehr so interessant. Die Leute haben dann diese Nischenfilme gar nicht mehr geguckt, sondern nur noch die großen Blockbuster und die Serien, sodass die Streamer im Moment als Finanziers ausscheiden. Die öffentlich-rechtlichen Sender machen extrem wenig, überall in Europa. Auch hier in Deutschland. Das ist sehr schade. Da wird wahrscheinlich eine ganze Generation von musikalischen Kuriositäten, Stars, interessanten Musiker:innen, nicht abgedeckt.

Und trotzdem habt ihr lange Listen mit aktuellen Musikfilmen in der Schublade. Wie entstehen diese Filme, wenn es kaum oder keine Förderung gibt?

Heutzutage ist es einfacher geworden, einen Film zu produzieren. Gerade Musikdokus werden oft von Leuten gedreht, die ihren ersten Film machen, Absolvent:innen von Hochschulen oder Fans. Dadurch entstehen ganz viele Werke der Liebe. Aber diese Regisseur:innen werden danach wahrscheinlich nie wieder einen Film machen, weil sie nie zurück bekommen werden, was sie da an Zeit, Energie und Geld reingesteckt haben. Das schafft man nur einmal im Leben. Und so sind auch viele von diesen Filmen. Die sind nicht perfekt, haben aber viel Liebe zum Detail.

Wie entdeckt ihr denn die Filme? Wie kommen die zu euch?

Ich glaube, da hat jeder Film seinen ganz eigenen Weg. Wir haben uns über die Jahre ein Netzwerk aufgebaut, zu dem Weltvertriebe ebenso zählen wie der lokale Filmverleih, in Köln sind das zum Beispiel Real Fiction oder Mind Jazz. Die sagen dann „Hier, das ist was für euch. Der passt in euer Programm.“ Wir sind in einem regelmäßigen Austausch mit so 80 Firmen. Natürlich gucken wir auch auf die großen Festivals, wie zum Beispiel Cannes, Sundance, South by Southwest. Viele amerikanischen Rock-Festivals haben auch angefangen, Filme zu zeigen. Irgendwann hat man dann ein paar hundert Filme, die man sichtet und daraus wählen wir dann einen Teil aus.

„Every Note you Play“ (Photo: Niklas Weber)

Ich habe mir mal ein paar Filme aus eurem Programm raus gepickt: „Every Note You Play“ (über die Monheim Triennale), „Harder Than The Rock“ (The Cimarons: UKs erste Reggae-Band), „Move Ya Body: The Birth Of House“ (Ursprung von Chicago House), „My Way2 (Geschichte eines Songs), „Sound Dreams of Istanbul“ (Kunstmusik-Szenen in Istanbul), „We Are Fugazi from Washington“. Die sind alle sehr verschieden, die Themen vielfältig. Wie habt ihr das Programm strukturiert?

Es gibt einmal den Wettbewerb. Das sind Filme, die sollten auf jeden Fall formal was anders machen, wie zum Beispiel der Fugazi-Film, der aufgebaut ist mit Fan-Interviews und Fan-Filmmaterial. Es muss eine unfassbare Fleißarbeit gewesen sein, die Leute aufzutreiben, die das dritte oder vierte Konzert von denen gefilmt haben. Und da kommt man aus meiner Sicht der Band sehr, sehr nah. Es ist kein perfekter Film, aber der ist sehr interessant gemacht. Und deshalb fanden wir den wichtig und haben ihn in den Wettbewerb reingenommen. Des Weiteren haben wir die Reihe Queer as Kalk, in Anlehnung an den Film Queer as Punk. Das heißt in Kalk werden fünf queere Filme gezeigt. Dann haben wir eine Reihe mit Jazz- und Experimentalfilmen, zum Beispiel der Istanbul-Film. Im Filmhaus haben wir immer so Paare gebildet, an einem Tag zwei Reggae-Filme, zwei Filme über House, zwei Filme über Hard Rock. Im Odeon laufen Filme über Jazz. Und so hat sich dann das Programm so nach und nach zusammengesetzt.

Das Festival SeeTheSound ist wie jedes Jahr gekoppelt an SoundtTrack_Cologne, ein Kongress für Musik und Ton in Film, TV, Games und Medien. Das sind zwei unterschiedliche Events. Habt ihr auch zwei unterschiedliche Zielgruppen?

Der Kongress richtet sich vor allem an Professionals, davon sind gut ein Viertel Student:innen und Berufseinsteiger:innen. Das Filmfestival hingegen richtet sich eher an das Kölner Publikum. Wir versuchen hier Filme hinzubringen, die mit Sicherheit hier nicht nochmal zu sehen sein werden.

Die Stadt Köln hat letztes Jahr bekanntgegeben, dass drastische Kürzungen im Haushalt anstehen. Viele Kunst- und Kultureinrichtungen sind davon betroffen. Wie seid ihr mit dem Schock umgegangen?

Das Loch im Haushalt hätte uns auch beinahe dahin gerafft, obwohl wir letztes Jahr die erfolgreichste Ausgabe überhaupt gemacht haben. Das war ein langer Kampf im Herbst, mit allen Förderern nochmal zu sprechen. Am Ende haben wir eine neue Förderung bekommen von der Initiative Musik, die sich vor allen Dingen natürlich für diesen Business-Aspekt von SoundTrack Cologne interessiert. Wir haben im letzten Jahr über 500 Eins-zu-Eins-Meetings gemacht zwischen potenziellen Auftraggebern und Auftragnehmern. Da gibt es also richtig Matchmaking-Formate an allen Ecken und Enden plus ganz viele Empfänge, die gezielt zum Netzwerken gedacht sind. Und wir haben ein Matchmaking nur für Frauen in der Medienmusik, weil die gerade so 8 bis 10 Prozent bei den Aufträgen ausmachen.

Meinst du Komponistinnen?

Ja, Film- und Fernsehkomponistinnen. Und in den Games sind es, glaube ich, noch weniger. Es ist wichtig, dass wir ein extra Format haben, damit wir dem Teil der Branche einen kleinen Schub geben. Wir machen dieses Jahr auch ein Netzwerktreffen von Frauen-Lobbygruppen. (Personen mit LGBTQIA-Identität sind ebenso dazu eingeladen, Anm. d. Red.).

Wie gestaltet ihr eure Netzwerkangebote für Frauen?

Wir haben 2015 das erste Mal eine sogenannte Female Film Composer Class veranstaltet. Da wollten wir gezielt Skills vermitteln, die außermusikalisch sind: Wie funktioniert ein Musikverlag, wie kann ich am meisten aus der GEMA rausholen, wie spreche ich auf Englisch über Musik, wenn ich ein internationales Projekt habe, Verhandlungen, was sind die normalen Bedingungen, wie viel kann ich an Geld fragen, solche Themen.

Also Business.

Ja genau, es ging um Business Skills. Und was jetzt in den letzten Jahren auch dazu kam: Wie baue ich ein Projekt im Team auf, wenn alle verschiedene Skills haben. Eine kann HipHop-Songs machen, die andere macht den Score-Teil. Eine hat Producer-Skills, eine Dramaturgische, eine andere ist wiederum besser im Verhandeln und in der Kommunikation. Im ersten Jahrgang hat sich eine ziemlich interessante Gruppe gebildet mit dem Namen Track 15, weil es die SoundTrack 15 war, im Jahr 2018. Und die haben sich, sozusagen gegenseitig am Schopf aus dem Sumpf gezogen. Sie sind jetzt alle erfolgreich mit Serien, Mehrteilern, Spielfilmen. Sie arbeiten auch immer wieder gemeinsam im Team, was mich sehr freut. Das ist auch nicht ganz selbstverständlich. Bei den anderen Gruppen klappt das zum Teil nicht so gut.

Woran liegt das?

Vielleicht am Generationen Gap. Da sind Frauen zusammen gekommen, die waren schon 60 und andere waren am Anfang ihrer Karriere. Und die haben dann auch andere Wege verfolgt. Wir machen auch Alumni-Treffen, laden immer wieder alle ein. Dadurch entsteht ein großes Netzwerk. Und das ist, glaube ich, auch der Weg, wie Frauen erfolgreicher werden können. Nach den offiziellen europäischen Zahlen von der European Audiovisual Observatory, gehen europaweit maximal zehn Prozent der Aufträge bei Spielfilmen an Frauen, und ich glaube bei TV-Serien sind es noch weniger. Das ist schon sehr erschreckend.

„Queer as Punk“ (Photo: © 2024 Locke Films Talamedia)

Und wie sieht das an den Unis oder an den Hochschulen aus? Gibt es da auch so wenig Frauen?

Nein, das ist ja das Erstaunliche. Es gibt seit sieben oder acht Jahren circa 55 Prozent Frauen, die studieren oder das Studium erfolgreich abschließen. Es macht aber nur ein kleiner Teil dann tatsächlich Karriere in die Branche. Man hat noch nicht so richtig herausgefunden, woran das liegt. Viele Frauen sagen, dass sie lieber auf Nummer sicher gehen wollen. Wenn sie eine Stelle beim WDR kriegen, wo sie 400 Euro pro Tag verdienen, weil sie Noten mitlesen, dann ist das schon ein extrem bequemes Leben. Sie haben dann eben nicht diese Qual, die beim Filme komponieren leider eine große Rolle spielt. Dieses: Ich habe jetzt drei Wochen Zeit und soll 60 Minuten Musik komponieren. Und gleichzeitig sagt der Regisseur, er finde die Musik zu blau. Was soll man damit anfangen? Und drei Tage später sagt er, er findet Flöten blöd, dann stellt sich aber später raus, dass er eine Trompete gemeint hat, weil er sich nicht auskennt und auch dramaturgisch gar kein Gefühl hat und man muss trotzdem immer Ja und Amen sagen.

Das klingt stressig.

Und der Stress ist echt massiv bei der Filmproduktion. Gerade weil die sich nie an ihre eigenen Zeitpläne halten, aber am Ende immer eine Deadline da ist oder ein Festival, für das es fertig werden muss. Und das wird in der Regel an den Filmkomponist:innen ausgelassen.

Und die Frauen denken sich dann wahrscheinlich: Ja, nee, das mache ich nicht mit.

Das geht ja auch meistens gar nicht, wenn du als Frau Kinder hast. Aber es gibt auch Gegenbeispiele. Die Filmkomponistin Jessica De Rooij hat letztes Jahr bei uns auf einem sehr interessanten Panel darüber referiert, wie sie vier bis sechs Projekte parallel macht. Und sie hat trotzdem drei Kinder. Und die kriegt das hin, weil die sich so eine Struktur baut, dass sie für jedes Projekt drei, vier Co-Komponist:innen hat, die auch alle offen beteiligt sind. Alles sehr gute Leute. Und sie hat einen Ehemann, der ist Regisseur, der trägt das voll mit.

Der versteht dann auch ihre Situation. Aber wie ist es mit Vorurteilen und Machtstrukturen in der Branche? Machen Frauen vielleicht auch nicht so oft Karriere, weil ihnen weniger zugetraut wird?

Michael P. Aust

Also es ist nicht so, dass in der Branche allgemein die Meinung herrscht, eine Frau könne nicht komponieren. Das hat es vielleicht in der Vergangenheit mal gegeben, dass Leute gesagt haben, eine Frau könne keinen Thriller oder keinen Actionfilm vertonen. Aber das ist lange vorbei. Ganz im Gegenteil.
Netflix hat eine Datenbank für eine Reihe von europäischen Ländern aufgebaut mit Komponistinnen und da bin ich auch von verschiedenen Seiten gefragt worden. Und natürlich ruft immer mal jemand an, der ein spezielles Profil sucht, zum Beispiel, Frau, NRW, Rap, Orchestererfahrung… da wird es dann natürlich überschaubar…
Filmförderung ist immer sehr lokal und da gibt es bestimmte Kriterien, die man erfüllen muss. Also wenn du hier Geld für einen Film bekommst, solltest du 150 bis 250 Prozent von dem Geld auch in NRW ausgeben. Das heißt, wenn hier die Produktion sitzt, dann will die möglicherweise hier einen Filmkomponisten haben. Und der soll dann möglichst noch eine Frau sein und dann wird es auch schon kompliziert.

Aber dann sind die Weichen ja schon gestellt. Was können Filmkomponistinnen tun, um ihrer Karriere selbst einen Schub zu verpassen?

Aktuell ist es so: Frauen sind nicht so viel auf Festivals unterwegs wie Männer, machen nicht so viele Kontakte. Sie sind auch weniger in der Öffentlichkeit präsent. Ich merke das, wenn ich Speaker für unsere Panels suche. Überspitzt gesagt: Ich muss zehn Frauen fragen, damit sich eine bei mir aufs Panel setzt. Ein Mann sagt immer sofort ja, auch wenn er mir dann am nächsten Tag vielleicht doch wieder absagt, weil ihm dann eingefallen ist, dass er mit seiner Familie gerade im Urlaub ist. Die Frau fragt eher erst mal zu Hause nach, ist das auch möglich, passt das? Und dann sagt sie vorsichtshalber lieber ab, wenn noch nicht ganz klar ist, was die Familie für Pläne hat oder so.

Ein schwieriges Thema, dass sich durch viele Branchen zieht.

Viele Leute sprechen auch einfach nicht gerne öffentlich über ihre Arbeit. Das bringen die Filmhochschulen den Leuten offensichtlich nicht richtig bei. Es ist ein Teil des Jobs, über das zu reden, was man macht und es gehört dazu, sich auch mal auf ein Panel zu setzen und sich zu präsentieren. Und manche sagen, meine Musik steht für mich, ich mache das nicht. Ich frage mich dann, wie willst du ein Vorbild sein, wenn du dich versteckst? Und das erlebe ich definitiv öfter bei Frauen. Und die Frauen, die richtig dick im Geschäft sind, haben einfach keine Zeit zwischen den ganzen Projekten.

Da könnte man eigentlich mal einen Film drüber machen, oder?

Horror. Ja.

In der Woche vom 09.-13. Juli laufen im Rahmen des Filmfestivals SeeTheSound rund 30 Musikdokus aus aller Welt in ausgewählten Kölner Kinos und Spielstätten (Odeon, Filmhaus Köln, Lichtspiele Kalk, COMEDIA, 674FM Konzertraum). Die Filme portraitieren außergewöhnliche Bands, Solo-Künstler:innen und Musik-Genres. Parallel dazu findet mit SoundTrack_Cologne einer der führenden Kongresse für Musik und Ton in Film, Games, TV und Medien statt.

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