Thank God for Vivien Goldman!
“Thank God for Vivien Goldman!”, rief Tessa Pollitt laut von der Bühne, Anfang November 2018. Die Berliner Premiere von William E. Badgleys Dokumentarfilm über die Slits hatte gerade stattgefunden, eine Diskussion über die Rolle von Frauen im Punk schloss sich an. Goldmans Auftritt in „Here to be Heard“ ist nur kurz – aber ungemein bewegend, weil sie selbst so bewegt ist angesichts der Marginalisierung von Frauen im Musikgeschäft, die auch den Slits widerfuhr.
Interview mit der Journalistin, Buchautorin, Filmemacherin, Radiomoderatorin und Hochschullehrerin Vivien Goldman aka „The Punk Professor“ – Goldman spielt am 12.11.2019 im Rahmen der “Foggy Notion”-Reihe im Kölner Club Jaki.
Um Vivien Goldmans Bedeutung für die Geschichtsschreibung des Punk (beziehungsweise nicht nur Punk, auch Reggae) angemessen zu beschreiben, muss man weit ausholen: Goldman ist Journalistin, Buchautorin, Filmemacherin, Radiomoderatorin und Hochschullehrerin („The Punk Professor“). Sie brachte ein Musical mit August Darnell / Kid Creole & The Coconuts auf die Bühne, hält Vorträge über Reggae, Dub und Pop-Kolonialismus und lebt seit vielen Jahren in Queens, New York City. Ihre Laufbahn begann jedoch in London, wo sie geboren wurde und aufwuchs, ihre jüdische Familie war vor den Nazis von Deutschland nach England geflohen. Seit den 1970ern schrieb sie für NME, Sounds und Melody Maker; ihr erster Artikel handelte übrigens von „Women in Rock“, dem Thema, das sie fortan begleiten sollte.
Zum Musikmachen kam sie eher zufällig, und doch gehören ihre Aufnahmen mit den Flying Lizards, mit Eve Blouin als Duo Chantage und ihre Solotracks mit der Mischung aus Dub und Reggae zu den innovativsten Stücken der Postpunk-Ära, wurden unter anderen von Asian Dub Foundation gecovert. Kritikerlegende Greil Marcus zählt ihren Song „Private Armies“ zu den wichtigsten seines Lebens – und irgendjemand sagte mal, Goldman verkörpere die „Punky Reggae Party“, von der Bob Marley sang.
Vivien Goldman arbeitete mit Adrian Sherwood, Aswad und John Lydon; 2016 erschien die Compilation „Resolutionary“ auf dem Kölner Label Staubgold, die ihre Aufnahmen aus den späten siebziger Jahren bis frühe Achtziger versammelt. „It all starts with a German“, sagt sie lachend und buchstabiert akribisch den Namen von Staubgold-Chef Markus Detmer, der ja so oft falsch geschrieben würde. Dieser Moment ist typisch für Vivien Goldman: very very busy, aber trotzdem super-aufmerksam, zugewandt, caring.
Als wir telefonieren, ist sie gerade erst vom „Myths Festival“ zurückgekehrt, das alljährlich in der texanischen Künstlerkolonie Marfa abgehalten wird. Goldman performte mit Band (siehe Foto von Gianna LaMorte) alte und neue Songs, in Kürze wird ihr erstes (!) Soloalbum erscheinen, das sie gemeinsam mit Martin Glover alias Youth, Bassist von Killing Joke aufgenommen hat. „Martin ist so ein großartiger, einflussreicher Bassist! Wir kennen uns schon sehr lange“, sagt Goldman über Glover, „im vergangenen Jahr haben wir uns zufällig auf Jamaica wiedergetroffen. Er half mir, meine Performance beim Berliner Pop-Kultur-Festival vorzubereiten, und überredete mich, neue Songs aufzunehmen. Wir haben so hart gearbeitet! Das ganze Album entstand in einer Woche, manchmal zwei Songs an einem Tag. Youth hat mich angetrieben!“
Die Platte wird auf Youth‘ Label Butterfly Records erscheinen, das Veröffentlichungsdatum steht noch nicht fest – aber es gibt auch an anderer Stelle einen Song mit Vivien Goldmans Beteiligung: Auf Von Spars neuem Album „Under Pressure“ ist neben Laetitia Sadier auf dem Track „Boyfriends (Dead or Alive)“ auch Goldman als Gastsängerin zu hören.
Wie kam es denn zu dieser Zusammenarbeit? „Von Spar haben mich out of the blue kontaktiert! Sie schickten mir diesen Track, zu dem ich singen sollte, und ich mochte ihn sofort. Wir haben long distance daran gearbeitet, die Files hin und her geschickt, und Ryan Burvick hat dann meine Vocals aufgenommen und abgemischt.“
Viviens musikalische Aktivitäten sind allerdings nur ein Teil ihrer derzeitigen busy-ness, das wichtigste Event steht noch an: Am 12. Mai fand der launch von „Revenge of the She-Punks” in einer New Yorker Buchhandlung statt. Zweieinhalb Jahre arbeitete Vivien an dem Buch, mit dem sie von der Texas University beauftragt wurde, nachdem 2016 das Rough Trade Magazine ein mehrseitiges Porträt über Goldman und ihre Freundin aus Punk-Tagen, Fotografin Janette Beckman veröffentlicht hatte. Eine Punk-Historie aus weiblicher Sicht war längst überfällig, die Zeit für feministische respektive feminine Versionen endlich bereit: Die in der jüngeren Vergangenheit veröffentlichten Biographien von beziehungsweise über Poly Styrene, Jordan, Viv Albertine, Kim Gordon, Chrissie Hynde erzählen andere Geschichten als die ewig gleichen (Anti-) Heldenstories über Johnny, Sid, Iggy und Joe. „Offensichtlich haben die Leute ein Interesse an den Punkfrauen – das Bewusstsein dafür ist gewachsen, dass einer Hälfte der Bewegung lange Zeit nicht zugehört wurde.“
In „She-Punks“, ihrem „Womanifesto“ fasst Vivien Goldman den Punk-Begriff buchstäblich weltweit. Auch wenn sowohl ihre eigene, als auch die gängige Punk-Geschichte in England und/oder den USA begann, und sie natürlich Wegbereiterinnen wie den Slits, X-Ray Spex, Malaria! oder Bush Tetras Respekt zollt, beschränkt sich Goldman nicht wie viele andere Punk-HistorikerInnen auf den westlichen beziehungsweise angloamerikanischen Raum. Ihr Blick auf Punk ist global: sie interviewte Künstlerinnen aus Japan, Indien, Indonesien, Jamaica, Kolumbien und die russischen Pussy-Riot-Aktivistinnen, schreibt über Bands wie Fea, Shonen Knife und Jayne Cortez and the Firespitters – auch musikalisch sieht sie Punk eher als Initialzündung denn als strenge Stilrichtung. „Wenn du Musik machen willst und fängst mit Jazz an – das ist schwer. Punk macht es dir leicht anzufangen, Punk ist ein Türöffner!“
Die Kapitel sind nicht chronologisch, sondern thematisch sortiert und beginnen jeweils mit einer Auflistung der Songs, die Goldman zitiert. Die Kapitel heißen „Girly Identity“, „Money“, „Love/Unlove“, „Protest“ – es geht nicht nur um Musik und Style. Goldman thematisiert auch Armut, (sexuelle) Diskriminierung, Klassismus und politische Verfolgung aus weiblicher Perspektive. „Punk ist ein Geschenk, das unablässig nachwirkt“, sagt Vivien, „bisher gab es keine verbindende Erzählung. Wenn heute junge Frauen in Manila eine Punkband gründen – The Male Gaze zum Beispiel, sie sind großartig – und die Flamme dazu vor vielen Jahren in London gezündet wurde: diese globale Entwicklung begeistert mich!“
Wie weit Goldman den Punk-Begriff fasst, zeigt sich an ihrer Charakterisierung von Beyoncés Alter Ego Sasha Fierce als deren Punk-Persona. Als ich erwähne, dass Beyoncé hierzulande für ihr politisches Engagement kritisiert wird beziehungsweise es ihr manche gar nicht erst abnehmen, wird Goldman richtig sauer: „Beyoncés politische Bedeutung in Amerika ist unschätzbar. Ihre Performance bei Coachella war eine Riesenshow für alle – eine Demonstration kulturellen Stolzes! Aber es ist ja so einfach, Frauen niederzumachen, sie zu trivialisieren, nicht ernstzunehmen!“
In den gut fünfzig Jahren ihres eigenen Involviertseins in Punk (of all genres) hat sich Goldman genau dafür immer eingesetzt: Die Sicht- und Hörbarmachung der „anderen Hälfte“, zu der sie schließlich auch gehört. „Weißt du, als Freelancer muss man zu dem stehen, was man tut. An die eigenen Ideen glauben und dranbleiben. Das habe ich immer gemacht. Gottseidank!“ – sagt sie auf deutsch und lacht. Indeed, thank God for Vivien!
Vivien Goldman
“Revenge of the She-Punks. A Feminist Music History from Poly Styrene to Pussy Riot”
(University of Texas Press)
ISBN: 978-1-4773-1654-2)
For further Reading:
Celeste Bell & Zoe Howe, Dayglo
“The Poly Styrene Story”
(Omnibus Press, 2018)
Cathi Unsworth & Pamela Rooke, Defying Gravity
“Jordan’s Story”
(Omnibus Press, 2019)