Tobias Zielony im Interview zu seiner Ausstellung "The Fall" im Folkwang Museum in Essen

Tobias Zielony „Ich mag den Begriff Augenhöhe“


Die Arbeiten des in Wuppertal geborenen, in Berlin lebenden und arbeitenden Fotografen und Filmemachers Tobias Zielony zeugen von seinem echten Interesse an den Protagonist:innen und ihren Lebensumständen. Sie sind so viel mehr als nur ein Klick für den Augenblick – und so gelingt es Zielony auch immer weiterreichende Eindrücke aus den einzelnen Momenten zu generieren und so die Menschen und Orte in größere subkulturelle und auch soziopolitische Kontexte einzuordnen. Nicht umsonst gilt er als ein einfühlsamer Chronist der Jugendkulturen.

 

Aktuell zeigt Tobias Zielony in Essen „The Fall“, eine durch die titelgebende Serie neuer Fotografien sowie das vernetze Ausstellungs-Setting sehr gegenwärtig angelegte Retrospektive der Arbeiten der letzten 20 Jahre. Ergänzt wird dieser Prozess der eigenen Werklesung und Werkpositionierung durch die parallel zur Ausstellung im Leipziger Spector Books Verlag erscheinende Publikationsreihe mit Texten von Autor:innen wie Dora Koderhold, Sophia Eisenhut, Joshua Groß, Mazlum Nergiz, Enis Maci und Jakob Nolte, aus denen Zitate an den Ausstellungswänden platziert wurden.

 

Tobias Zielony “Aral 1”, 2004


Tobias, du bist 1973 in Wuppertal geboren, deine Arbeiten sind aber mittlerweile Dokumente deiner Reisen um die ganze Welt. Wie wichtig sind spezifische Orte für das, was dich interessiert?

Tobias Zielony: Viele Arbeiten sind sehr ortsspezifisch produziert und auch so gedacht. Auch wenn die Arbeiten mehr die Menschen, die da leben beschreiben, so doch auch immer den Ort selbst; zum Beispiel die Hochhaussiedlung Vele di Scampia in Neapel oder den Kalifornischen Ort Trona.
Die neue Arbeit „The Fall“ bricht da raus, weil ich zum ersten Mal Bilder von all den Orten zusammen zeige, wo ich in den letzten drei Jahren war.

Ich meinte auch gar nicht, dass man sie nicht erkennen könnte, die Frage geht eher in die Richtung, ob es dir um diese bestimmten Orte geht oder es prinzipiell auch andere hätten werden können? Am Anfang waren es natürlich die Orte, an denen du sowieso gewesen bist, aber irgendwann reist man ja gezielt wohin zum Fotografieren.

Wie du schon sagst, am Anfang habe ich in Newport fotografiert, weil ich da studiert habe. Oder vorher in Berlin. Auch danach habe ich es mir erstmal zur Aufgabe gemacht, nicht kreuz und quer durch die Welt zu fahren, sondern an den Orten zu fotografieren, wo ich bin. Warum sollte das weniger interessant und wichtig sein als die Orte, die gerade tagespolitisch aktuell sind?
Später habe ich meine Vorgehensweise ausgeweitet: „Okay, wenn ich in Halle-Neustadt und Newport fotografieren kann, warum nicht auch in Marseille oder Winnipeg?“ 
Zufall spielt aber auch eine Rolle, etwa dass mir Leute erzählt haben, an einem bestimmten Ort sei es interessant, oder dass ich wo ein Stipendium hatte.
Die Phänomene, die mich interessieren, gibt es an sehr vielen Orten in der Welt. Nicht dass sie austauschbar sind, aber etwas verbindet dieser Orte. Diese damals in den Nullerjahren für mich neue Erfahrung prägte meine Arbeiten der ersten zehn Jahre – damit meine ich auf der einen Seite so Phänomenen von Markenklamotten, Orientierung an Musikvideos und Filmen und auf der anderen Seite Deindustrialisierung und die ganze Frage der Arbeiter:innen-Klasse, die ihre Identität verliert oder verändern muss.

Was ist das überhaupt, was dich an Begegnungen mit Menschen dazu anregt ,diese zu dokumentieren.

Das hat natürlich immer auch was mit der Frage zu tun, wen ich gut fotografieren könnte. Darüberhinaus gibt es so etwas wie eine telepathische Verbindung, die ich aber nicht so genau definieren kann. Das ergibt sich oft erst beim Arbeiten, davon lebt auch meine Fotografie.
Es sind auf jeden Fall nicht nur rein äußerliche Sachen. Natürlich interessiere ich mich auch für Mode und Klamotten und denke manchmal: „Wow, was für ein Outfit! Was für ein Styling!“

Tobias Zielony “Hansha”, 2019


Schlüsselreize, wie bei der Videoarbeit „Hansha“, die sich mit den Krumping-Tänzer:innen in Nagoya auseinandersetzt, spielen sicherlich auch eine Rolle, oder?

Den Ort hatte ich auf einer früheren Reise entdeckt. Da treffen sich Leute um verschiedene Street-Dance-Stile einzuüben. Ich bin da dann gezielt fünf-, sechsmal hingefahren und habe mich mehr und mehr auf die Krump-Tänzer:innen konzentriert. In der Arbeit geht es vor allem um das Tanzen, um die individualisierten Formen von Bewegung – die tanzen ja alle sehr unterschiedlich, haben ihre eigenen Choreographien. Da verbindet sich die Arbeit schon mit den einzelnen Personen, ihrem Aussehen und dem, was sie machen.

Trifft es dokumentieren für dich denn überhaupt?

Nein, überhaupt nicht. Ich bin da eben schon drüber gestolpert als du es benutzt hast. Es ist ja ein historisch und politisch problematischer Begriff, der nicht unschuldig ist. Das muss man immer mit denken, wenn fotografiert und über Fotografie spricht. Ich untersuche in meinen Arbeiten aber auch, welche Möglichkeiten die Fotografie heutzutage noch hat über die Welt und mit ihr zu sprechen, natürlich auch aus einer Tradition heraus, die Dokumentarfotografie geprägt hat.
Du hast eben auch gesagt: Du dokumentierst Leute. Aber was dokumentiert man da? Leben die ihr Leben sonst so als ob es keine Fotografie gäbe und dann kommt jemand vorbei und filmt und fotografiert sie? Da glaube ich nicht dran, es gibt ein Wechselspiel zwischen den Bildern und dem eigenen Leben – und das hat sich dadurch dass wir alle nun ständig Fotos machen, posten und austauschen potenziert in den letzten zwanzig Jahren. Die Feedbackschleife ist viel schneller und intensiver geworden. Das ist es, was mich interessiert, und nicht das Leben an sich, da glaube ich auch nicht dran, dass es das gibt.

Wie würdest du generell die Beziehung zu den Menschen auf deinen Bildern beschreiben? Und verändert sich diese mit der Zeit?

Gerade in dieser Ausstellung sind die meisten Leute jung in meinen Arbeiten: 18 plus. Es gibt ein paar Ausnahmen, wo das Alter keine Rolle spielte, zum Beispiel bei einem Projekt wie „The Citizen“, oder dass ich ein Bild von meinem Vater in die neue Arbeit reingeschmuggelt habe.

Oder auch deinen Neffen mit einem sehr persönlichen Bild, das im Krankenhaus nach einer Operation entstanden ist.

Genau – ich habe ihn auch nochmals extra gefragt, ob das okay sei, es zu verwenden, da die Situation schon ein paar Jahre her ist.
Mit der neuen Arbeit bestand die Chance ein bisschen aus der seriellen Logik auszubrechen und ganze viele verschiedene Bilder zusammenzuführen.

Was denkst und fühlst du wenn du heute die Fotos der Menschen anschaust – jetzt abseits von deinem Vater und Neffen gefragt. Gibt es da eine Art Beziehung?

Für mich auf jeden Fall. Tatsächlich kann ich mich an sehr sehr viele dieser Leute noch sehr gut erinnern, auch wenn der Kontakt manchmal nicht so lange war. Natürlich sind diese Bilder da auch eine Art von Stütze. Ich habe in den letzten Jahren mehr Kontakt gehalten, das liegt hauptsächlich an Instagram, wo das viel leichter möglich ist, Leute weiterhin zu folgen, sich zu schreiben und wieder zu treffen. Es gibt auch Leute, von denen ich nie ein Bild ausgestellt habe und trotzdem erinnere ich mich sehr genau an sie.
Natürlich kann ich zu fast jedem Bild eine Geschichte erzählen. Diese Geschichten sind nicht unbedingt Teil der Arbeit und ich vermeide es auch sie öffentlich zu machen. Manchmal gibt es aber ja auch Projekte wie „The Deboard“, dieser Film über ein Gangmitglied in Kanada, wo der Protagonist selbst eine krasse Geschichte aus seinem Leben erzählt, oder auch in „The Citizen“ kommen die Leute zu Wort. 
Bei dem neuen Projekt „The Fall“ hat jedes Bild für mich so eine Geschichte. Ich frag mich manchmal, was sehen die Leute in den Bildern, die diese Geschichten nicht kennen? Ich vertraue darauf, dass sie trotzdem eine Verbindung herstellen können.
Die andere Sache ist natürlich: wie oft denken die Leute, die ich fotografiert habe an mich – ab und zu schreiben sie mir.

Tobias Zielony “Al-Akrab”, 2014


Kommt es manchmal vor, dass du deine Protagonist:innen wieder triffst? Wissen Sie beispielsweise, dass sie in einer Ausstellung wie nun im Museum Folkwang hängen?

Bei der neuen Arbeit habe ich einigen Leuten Fotos und Links geschickt, zwei kamen auch zur Eröffnung, jemand aus Wuppertal und ein junger Mann aus Mühlheim – die kamen auch direkt mit zehn Leuten, das hat mich total gefreut.

Da sieht man, dass es etwas besonderes für sie ist.

Das weiß ich gar nicht. Die Rolle von Fotografie und Bildern hat sich verändert. Ich hab da auch mit meinem Vater und meinem Neffen darüber gesprochen, die geben sich cool, sind aber vielleicht doch stolz in der Ausstellung zu hängen. Ich glaube dadurch, dass wir alle so viele Bilder um uns herum haben, ist das eine im Museum gar nicht mehr so herausragend.

Das sind dann vielleicht unsere alten Hierarchien, die das Museum noch höher ansetzen als beispielsweise Instagram.

Wir denken, nur da ein Bild im Museum hängt, sei es etwas tolles und wichtiges, aber diese Denke geht den jungen Leuten ab.
In der Ausstellung sind auch ein paar Bilder aus einer Portrait-Reihe zu sehen, die ich für ein französisches Kunstmagazin produziert habe, wo die Idee war, Menschen in Berlin zu fotografieren, die nach 1990, also nach dem Fall der Mauer geboren sind, egal ob nun in Berlin geboren oder woanders auf der Welt. Denen habe ich angeboten, dass sie einen von mir signierten Print bekommen – und nur eine Person von 20 hat das angenommen. Das zeigt, dass der tatsächliche Print an Bedeutung verloren hat.

Irgendwie auch befreiend, sich von den Artefakten frei zu machen. Das sind echte Generationsbrüche.

Absolut. Das veränderte Verhältnis zum Portrait im Verlauf der letzten 20 Jahre ist auch ein Thema der Ausstellung – wenn auch nicht direkt ablesbar.

Bemerkst du, dass die Leute heute schneller natürlich werden in deiner Anwesenheit, da das fotografiert werden eben so sehr zu ihrem Alltag gehört mittlerweile?

Erstens ist es schon so, dass ich mich heute oft verabrede, um Leute zu fotografieren, dass mich also das Inszenieren sehr interessiert. Trotzdem versuche ich natürlich, dass sie sich irgendwie entspannen – und das geht heute schneller. 
Auf der anderen Seite ist es aber viel schwieriger, da die Leute viel mehr Posen abrufen können, weil sie viel geübter sind mit der Kamera. Wo ich früher von halbbewusster Imagination eines Bildes von sich gesprochen haben, wissen die Leute heute, wie sie aussehen können.

Gibst du auch Anweisungen?

Ja, das tue ich schon. Das habe ich ganz ganz früher nicht gemacht. Ich habe ja auch Dokumentationsfotografie studiert, wo das sozusagen… mir war die Künstlichkeit der dokumentarischen Erzählung von Anfang an bewusst, ich habe da nie dran geglaubt. Deswegen habe ich schon früher damit angefangen solche Sachen zu sagen wie „Guck doch mal in die andere Richtung“ oder „Komm wir gehen da rüber, da ist es heller“, mich hat eine Form von vermeintlicher Objektivität nie interessiert. Ich bin da mittlerweile vielleicht etwas geübter drin und bringe Taschenlampen mit, so dass es ein bisschen wie ein Fotoshooting wird. Lieber ist es mir nach wie vor, wenn ich an einem Ort bin, wo Leute sowieso rumhängen. Aber die Situationen sind oft anders.

Tobias Zielony “Make Up”, 2017


Wo du dich gerade gefragt hast, was die Ausstellungsbesucher:innen beim Betrachten der Bilder denken – die multiplen Möglichkeiten stecken ja auch in dem Titel der Ausstellung drin: „The Fall“ – wie in „Der Herbst“ oder wie in „Der Sturz“ oder wie in „Der Untergang“?

Ich habe den Titel nicht so gewählt, dass er möglichst viele Lesarten hat, aber das hat er natürlich trotzdem. Ich musste auch an die Band The Fall denken, das setzte ich aber nicht bei allen Leuten voraus. Leute, die eng mit Englisch als erster Sprache aufgewachsen sind, nehmen es anders auf. Wir haben im Deutschen denken auch noch an „Der Fall“ – the Case –, das schwingt auch noch mit, auch wenn es die völlig falsche Übersetzung ist. 
Es macht mir natürlich Spaß solche offenen Begriffe zu nutzen. Den Titel habe ich letztes Jahr gewählt, als gerade die Pandemie losging und der erste Lockdown anstand – ich hatte ein Projekt an einer Skaterampe in Düsseldorf abgebrochen, weil ich wegen des Lockdowns nicht mehr hinfahren konnte. Damals fragte ich mich: Ist das nun der Beginn des Weltuntergangs? Das kann man natürlich auch übertragen auf Pop- und Jugendkulturen, haben die überhaupt noch eine subversive Kraft?

Du meinst, ob Jugendkulturen noch eine subversive Kraft besitzen?

Das frage ich mich schon. Auch ob sie es je hatten. Das interessante an dem Ort in Düsseldorf ist, dass der ganz unterschiedliche Leute anzieht, die auch ganz unterschiedliche Musik hören: HipHop, Punk, Pop – das waren auch so verschiedene Styles: Emo, punkig, ein Red Skin war auch da, den ich später in Wuppertal dann fotografiert habe und der in Ausstellung zu sehen ist – der kam auch zur Eröffnung. Gerade so etwas wie ein Red Skin, das sind so Formen, die ich aus meiner Jugend kenne, aber was ist das heute, wenn Leute das aufgreifen? Eine Mode, eine postmoderne Referent, ist das etwas, was weiterlebt?

Es gibt von Diedrich Diederichsen den für die deutsche Popkritik sehr wichtigen Artikel „The Kids Are Not Alright“, in dem er nach den Ereignissen von Rostock-Lichtenhagen im August 1992 über die sich veränderten (subkulturellen) Codes nachdenkt und diagnostiziert, dass diese ihre klare, monokausale Lesbarkeit verloren haben. Während man bis dato von gewissen linken Band-Shirts und Malcolm X-Caps auf eine explizit linke politische Gesinnung schließen konnte, war dem nach den Anschlägen eben nicht mehr so.
Ich musste daran denken, als ich in der Ausstellung deine Werkstrecke aus Newport betrachtet habe, die während deines Studiums entstanden ist. Hier geht es weniger um politische Aufgeladenheit von Marken, sondern ganz trivial und doch nicht trivial um die Entscheidungen zwischen gewissen Sports-Wear-Marken.
Inwieweit denkst du denn, dass die Mode, die deine Protagonist:innen tragen, noch immer die soziale Herkunft und die soziopolitische Selbstpositionierung reflektiert und repräsentiert?

Ich glaube an politische Bewegungen und an Formen von Widerstand, aber ob die gleichzusetzen sind mit popkulturellen Bewegungen, da bin ich mir nicht mehr so sicher. Dass das eine Zeit lang so war, das kann schon sein, vielleicht in den 70er und 80er Jahren. Diedrich Diederichsen hat das wohl sehr früh und gut erkannt.
Wenn man sich Nazis anguckt, wie oft die mittlerweile linke Insignien und Zeichen übernehmen – vielleicht auch weil ihnen selbst nichts mehr einfällt –, erschreckt einen dieses Gefühl der Austauschbarkeit der Dinge. Ich bin da ein bisschen zweifelnd.

 

Tobias Zielony “Snakepool”


Du hast aber trotzdem ein großes Interesse am Beobachten von Jugendkulturen. Wenn man sich die Menschen auf deinen Bildern in Ihrer Gesamtheit bewusst macht, dann sind es zunächst relativ unanalythisch gesprochen Jugendliche, schärft man den Blick so sieht man eine Vorliebe für subkulturelle Zusammenhänge zwischen Techno, HipHop und Skating und LGBTQIA.

Kannst du sagen, was dich an spezifischen soziokulturellen Milieus reizt, dass du dich künstlerisch mit ihnen auseinander setzen möchtest?

Früher habe ich oft gesagt, dass mich die Leute interessieren, die irgendwie durchs Raster fallen, Leute, die sich einen Fishbone Pulli anziehen und irgendeine Kappe tragen, die aber nicht explizit sagen: „Wir sind jetzt Skater:innen“. Das war vielleicht auch ein bisschen voraus ahnend, inwieweit diese Konsumkultur die Jugendkulturen nicht ablöst aber in vielen Teilen ersetzt hat. Ich habe nicht über gewisse Bands und Malcolm X nachgedacht, sondern mich gefragt, warum alle Leute Nike Logs tragen.
Oder in der frühen Diashow, da sieht man auf jeden dritten Bild jemand mit Fishbone Klamotten – das war kein Fashion Statement, aber solche Sachen haben mich interessiert. Es gibt auch ein Bild, das in Los Angeles entstanden ist, da trägt ein Mädchen einen Pulli auf dem steht: „Scandaleous“. Da fand ich interessant, wie diese Aussage – „Mein Leben ist skandalös!“ – gleichzeitig eine Marke ist.

Dieser Prozess wurde durch die Pandemie vielleicht noch potenziert. Da man ja noch weniger miteinander soziale Räume teilt und dort die Einflüsse aufsaugt, sondern eben auf Abstand im Netz agiert. Man ist nicht mehr drei Mal gemeinsam auf einem Konzert mit anderen, kapiert wie sie sich anziehen und ahmt das nach, da man Teil einer Jugendbewegung werden möchte, um es mit Tocotronic zu sagen. Man sieht nun nur noch Bilder und shoppt digital.

Mode ist ja schon immer hin und her gesprungen zwischen den Leuten, die sie produzieren und der Mode, die auf der Straße getragen wird. Wenn man an so große Städte wie Berlin denkt, gibt es da eine Wechselwirkung. Nicht nur die Produzent:innen geben den Stil vor, sondern es gibt auch Eigenentwicklungen.
Das was du ansprichst, war in Berlin während des Lockdowns zu beobachten, als kaum mehr Leute auf der Straße waren. Sie ist als Ort um Gesehen zu werden weggefallen. Gleichzeitig ist der Zugriff auf alle möglichen Styles global und man kommt leicht an die Sachen ran.
In Seoul wollte ich ein Projekt machen über einen großen Modemarkt, der tatsächlich noch in real existiert – das fiel aber wegen der Pandemie aus. Viele der Händler:innen dort haben selbst Marken entwickelt und verkaufen online in ganz Asien. Die haben verstanden, wie die Mode aussieht und verkaufen sie nicht nur, sondern erfinden selbst erfolgreiche Marken. Eine junge Frau, die ich in Kiev fotografiert habe, die lebt mittlerweile in Russland und betreibt einen solchen Modeonlinehandel, hauptsächlich über Instagram. Sie schaut, was die Chinesischen und Koreanischen Anbieter haben, sucht sich gute Sachen raus und zieht diese an, fotografiert es und stellt die Bilder ein. Sie hat die Produkte nicht selbst in der Hand, sie hilft nur bei der Abwicklung, sie ist nur der Link für den Weg von China nach Russland.

Sie hat ihre Wirkung auf die Leute erkannt und daraus sofort ein Geschäftsmodell gebastelt.

Natürlich denken wir immer noch in den alten Kategorien: Das Museum ist für uns ein Qualitätssicherungsmechanismus, das Plattenlabel sorgt dafür, dass gute Platten raus kommen, oder wenn wir zu Kaufhof gehen, wissen wir, dass wir da gute Klamotten kaufen können – wir alle wissen, dass dem nicht so ist.

Wobei du mit beiden Welten spielst: du veröffentlichst deine Bilder auf Instagram schnell und später in Katalogen und Ausstellungen. Du hast keine Berührungsängste, lebst sozusagen best of both worlds. Hat die Kunstwelt da manchmal ein Problem mit?

Das wird akzeptiert. In der neuen Arbeit finden sich viele Bilder, die ich zuerst auf Instagram gepostet habe – da kam jemand bei der Eröffnung zu mir und fragte, wo ich das Bild früher schon ausgestellt hätte. Er kann es aber nur auf Instagram gesehen haben!
Das ist – glaube – ich okay für die Kunstwelt. Die Frage für mich ist: Wie positioniere ich mich dazu? Kann man das miteinander verbinden? Was ist mir wichtiger? Und natürlich auch: Wie verdiene ich damit Geld? Ich mache ja auch ab und zu Aufträge wie für die Ruhrtriennale oder fürs Art Magazin, aber ich lebe natürlich auch vom Bilder verkaufen auf dem Kunstmarkt. Wenn ich nur auf Instagram unterwegs wäre, müsste ich mir ein anderes Geschäftsmodell einfallen lassen. Variante a: ich bin Influencer mit ein paar hunderttausend Followern und muss Geld über Product Placement machen. Oder es gibt ja auch Leute, die dann Prints verkaufen: „Das Bild gibt es jetzt in Auflage 100 für 200€“ – das ist natürlich auch ein Modell.

Das Wetter Magazin operiert ja so, die machen ihren Umsatz nicht mit dem Magazin, sondern mit dem Merchandise. Von dir gibt es da ja auch einen Kapuzenpulli aktuell.

Damit verdiene ich ja kein Geld – wie mit den meisten Sachen, die ich mache.

So meinte ich das auch nicht.

Aber in der Instagram-Vermarktungswelt existiert das Businessmodell natürlich.

Wie leicht fällt es dir denn, deinen Blick unschuldig zu belassen?

Wie man sich eine Neugierde und Offenheit erhält? Ich hoffe, dass mir das gelingt. Ich freue mich nach wie vor über Fotos, die ich mache und die mir was bedeuten – das sind gar nicht so viele. Ich mache natürlich viele Fotos, aber ich habe einen hohen eigenen Anspruch.
Was mich interessiert, sind die Geschichten dahinter – wie nach Seoul reisen und mit den Modeleuten dort reden, sie kennenzulernen, sie zu verstehen versuchen. Da geht es auch um einen Lebensstil, der mir gefällt.

 

Tobias Zielony “Secret”, 2017

 

Fällt es dir mit dem Alter schwerer das Vertrauen der Jugendlichen zu bekommen? Du kennst ja vielleicht auch diese Momente, wo man plötzlich ein „sie“ zurück bekommt.

Es fällt mir nicht schwer, was interessant ist, aber die Spanne wird größer, das merke ich. Die Frage ist, was daraus resultiert? Dieses Jugendthema zieht sich durch meine Arbeit –das ist auch ein Wert, ein Thema so lange zu verfolgen und zu gucken, was hat sich bei mir und was hat sich in der Welt verändert. Auf der anderen Seite habe ich auch mal Lust, etwas anderes zu machen. Gerade mit so ganz jungen Leuten ist die Überschneidung nicht mehr so groß.

Wirkt sich das auf die Verweildauer aus? Bist du früher länger mit den Protagonist:innen abgehangen, da du quasi in der Clique angedockt bist und ziehst du dich nun nach getaner Arbeit sofort wieder raus?

Das habe ich früher schon in meinem Kopf getrennt. Ich habe mich nie als Teil der Clique gefühlt und das auch klar gemacht. Das hilft mir jetzt. Ich habe da jetzt keine Verlusterfahrungen.
Wobei: als wir in Gelsenkirchen letztes Jahr fotografiert haben, sind wir danach zum Kiosk gegangen und haben Bier getrunken – mich interessieren ja die Geschichten der Leute. Beim Fotografieren rede ich auch die ganze Zeit mit den Leuten, aber da kann man auch nicht über alles sprechen.
Aber ich merke schon, dass meine Energie nicht mehr so endlos ist. Ich kann mir nicht mehr endlos Nächte um die Ohren hauen, oder ich kann es noch, aber ich habe nicht mehr so Bock drauf.

Man muss spüren, dass da was Besonderes drin ist.

Früher habe ich mich auch mal in gefährliche Situationen gebracht, weil ich unbedingt ein Foto machen wollte, das würde ich heute nicht mehr machen. Da haben sich die Prioritäten verschoben.

Was mich zur Serie „Trona“ bringt, die in der US-amerikanischen Stadt Trona entstanden ist, einer Crystal-Meth-Hochburg. Der bis dato gefährlichste Ort an dem du gearbeitet hast?

Über Trona habe ich zuletzt viel nachgedacht, weil aktuell so eine Hitzewelle in den USA herrscht. Ich habe die Stadt noch immer gespeichert im Handy – da waren es gerade 47 Grad. Als ich da war, war es auch ganz oft über 40 Grad heiß. Ich habe nicht in der Stadt selbst übernachtet, sondern in einem Motel mit Klimaanlage eine Stunde entfernt. Ich bin immer am Nachmittag hingefahren und habe in der klimatisierten Bibliothek lesend gewartet, bis es einigermaßen erträglich wurde, bin aber als es dunkel wurde immer ins Motel gefahren, da es mir zu gefährlich war, und auch keine Lust hatte, im Dunkeln allein durch die Wüste zu fahren.
Die Frage ist ja immer: Was ist gefährlich? Ist es die Gefahr, dass einem die Kamera geklaut wird? Oder dass man verprügelt wird? Oder dass man umgebracht wird? Das ist ja alles relativ. Aber tatsächlich: ich habe ja auch viel mit Leuten gearbeitet, die Heroin konsumierten, auch früh schon in Newport, dieses Crystal Meth ist eine andere Welt, es macht die Leute unberechenbar und sorgt für eine ständige Paniksituation, ob die real ist oder nicht, ist schwer einzuschätzen. Eine
ungemütliche Droge.

Man wird ja irgendwann im Leben clever und erkennt das heikle Potential einer Situation an und verhält sich dementsprechend. Crystal Meth Konsumenten sind eben keine berechenbaren Kiffer.
Es gibt in der Serie gibt es auch ein Bild, das sich stark von deinen sonstigen Arbeiten abgrenzt: Das tieftraurige aber irgendwie auch warmherzige Bild dieser Crystal-Meth-Familie.

Erstmal: ich mache keine Fotos, wo ich direkt den Leuten zuschreibe: die nehmen Crystal Meth, die nehmen Heroin. Aber deine Beobachtung ist natürlich nicht ganz falsch. Gerade in den USA ist Familie enorm wichtig, weil der Staat und staatliche Strukturen so schwach sind und in Trona fast nicht existent – und deswegen eine starke Solidarität innerhalb der Familien existiert. Ich mag das Bild auch total gerne.
Ich freu mich auch immer, wenn Erwachsene und ältere Leute in meinen Bildern auftauchen.

„Die Untoten“, eine Videoarbeit, bei der der „Thriller“-Videoclip von Michael Jackson Pate für eine Kung-Fu-Zombie-Analogie auf den Kampf gegen die Rechten im Osten Deutschlands stand, sticht auch raus aus der Ausstellung.Wie kam es zu dieser stilistischen Entscheidung?
Die Arbeit fällt tatsächlich raus. Sie ist für eine Ausstellung im öffentlichen Raum in Chemnitz produziert worden.
Als ich in Leipzig studiert habe, habe ich auch in dem Viertel fotografiert, wo die NSU in Chemnitz ansässig war und ihr Unterstützer:innen-Netzwerk hatte. Als ich dann diese Archivarbeit gemacht habe, dachte ich die ganze Zeit: „Mist, hoffentlich finde ich jetzt nicht Bilder von den dreien.“ Irgendwie ist mir das im Kopf rumgespukt, dass ich denen begegnet sein könnte.
Zwar sind zwei von ihnen jetzt unter nicht ganz geklärten Umständen gestorben, und Beate Zschäpe sitzt im Gefängnis in Chemnitz, aber das Problem mit Nazis und rechten Ideologien geht natürlich weiter. Man denke nur an die krassen rechten Demos in Chemnitz 2018. Daher die Idee, dass die als Untote weiterleben, als Zombies. Sie sind tot aber nicht tot. Aber wenn sie auf diese Art weiter leben, dann hat man auch die Möglichkeit etwas dagegen zu tun.
In der Arbeit gibt es zwei Superheldinnen, die Kampfsport können und die Zombies vertreiben – aber sie kommen immer wieder. Natürlich ist eine solche Herangehensweise nicht unproblematisch. Darf man da lachen? Kann man Geschichte so überschreiben? Das sind schon Fragen, die man sich stellen kann.
Die Hauptkritik ist, dass sich in der Kunst und im Film nach wie vor mit dem Thema hauptsächlich aus der Täter:innen-Perspektive beschäftigt wird. Gewissermaßen habe ich das auch gemacht, aber der Problematik eben eine Form von Empowerment entgegengesetzt: man kann was tun.

Eine andere Filmarbeit, die bei mir besonders hängen geblieben ist, ist „Hurd’s Bank“, wo du auf der Bildebene sehr konzentriert ins Detail (der Mond, der Hafen von Malta ) eintauchst während du auf der Soundspur eine politische Analyse der Verhältnisse vor Ort monologisierst. Wie kommt es zu so einem Moment der verbalen Kommunikation in Abgrenzung zum sonst auf Eigenleistung der Betrachter:innen setzenden Arbeiten?

Auch das ist eine Ausnahme in meinem Werk, ich habe den Text ja auch selbst geschrieben und viel dafür recherchiert, fast schon wie ein Journalist. Wobei es auch fiktionale Momente gibt, es ist also nicht so, dass ich „Euch jetzt mal erzähle, was da in Malta so los ist.“ Da geht es ja nicht nur um Ölschmuggel und die Ermordung der Journalistin Daphne Caruana Galizia, sondern auch um die Frage: Was ist da überhaupt passiert? Was ist Wirklichkeit? Was kann man sehen? Was ist sichtbar? Was ist unsichtbar? Was passiert soweit weg – außerhalb der 12 Meilen Zone –, dass man es von der Insel nicht sehen kann, es sei denn man hat das Teleskop, das ich benutzt habe, aber selbst dann sieht man nur Pixelrauschen und Umrisse von Schiffen und Wellen.
Und trotzdem hatte ich da so ein Mitteilungsbedürfnis. Die Fakten, die ich da liefere, sind alles keine Geheimnisse, die kann man alle online selbst recherchieren. Interessant war, dass als ich den Film in Malta gezeigt habe, parallel nur 100 Meter entfernt vom Ausstellungsort der Prozess gegen den Drahtzieher des Mordes an Daphne Caruana Galizia lief. Während des Aufbaus bin ich manchmal da hin gegangen, da kamen mir dann schwer bewaffnete Polizisten vermummt entgegen, die aufgepasst haben, dass da kein Anschlag verübt wird, wenn der Angeklagte und Zeugen ins Gerichtsgebäude gebracht werden. 
Die Reaktionen der Leute aus Malta waren interessant: Ich dachte, „okay, ich komm da hin und erzähl denen einen über Malta“, aber die haben gesagt, dass ihnen der Versuch das zusammen zu fassen ihnen etwas gibt, weil sie die Sache schon so lange verfolgen und so viele Informationen gleichzeitig haben oder auch wieder nicht haben.

Interessant. Zumal du ja auch ästhetisch damit sicherlich die Erwartungen nicht unbedingt erfüllt hast.

Das war ja eine Einzelausstellung im kleinen Projektraum, wo ich allerdings mehrere Arbeiten gezeigt habe. Ich habe da auch fotografiert – zwei Bilder aus Malta sind nun auch im „The Fall“-Raum gelandet. Aber irgendwie hat mich das Thema interessiert. Für mich war es völlig neu mit dem Teleskop zu arbeiten. 
Ich mache ja Kunst – und wenn man Künstler:innen einlädt, kriegt man meistens nicht genau das, was man vorher gedacht hat.

Tobias Zielony “Lampedusa in Hamburg”, 2015

„Hurd’s Bank“ ist eine beeindruckende Arbeit. Man versteht ja sofort bei deinen Arbeiten, die aus dem System ausbrechen, warum das geschieht. Das ist so bei den „Untoten“, bei „Hurd’s Bank“ – und bei „The Citizen“, die eint alle, dass es diese explizite, politische Aufgeladenheit gibt, man spürt sofort, dass es einen Anlass gibt für die andere Arbeitsweise. 
Den „The Citizen“ Raum mochte ich in der Ausstellung auch sehr, da kann man ja nicht nur die Werkserie sehen, die du 2015 für den Deutschen Pavillon bei der Biennale in Venedig konzipiert und umgesetzt hast, sondern bekommt auch noch die extra dafür entstandene Zeitung. Nicht das einzige publizistische Begleitmedium – du hast damals deine Bilder Redaktionen in den Heimatländern der Migrant:innen zur Verfügung gestellt, die diese frei redaktionell benutzen durften. Wie hast du diesen Akt des Loslassens der künstlerischen Kontrolle empfunden?

Ja, tatsächlich, diese Arbeiten haben alle eine andere konzeptionelle Grundlage. Das interessiert mich total. Das freut mich auch, dass wir in der Ausstellung in Essen, solche Arbeiten zeigen können, die etwas rausfallen. Ich hoffe, dass sich die Leute das Bild von meinem Werk erweitern.
Bei „The Citizen“ gab es ja diese Idee einer Gruppenausstellung für den Deutschen Pavillon – unter anderen mit Hito Steyerl. Da ging es um die Produktion und Zirkulation von Bildern auf verschiedenen Ebenen. Ich habe unabhängig von diesem Thema – es ging um die Protestbewegung von Flüchtlingen in Deutschland –, überlegt, wie Bilder, Geschichten, Narrationen zirkulieren können. Ich dachte mir, dass ich viel mehr über die Produktionsprozesse, die Zirkulation und die Kontexte, in denen sie erscheinen lerne, wenn ich die Kontrolle an den Bildern aufgebe. Natürlich ging es mir auch um die Umdrehung des Blicks des tradierten Journalismus aus dem globalen Norden. Ich habe ja mal Dokumentarfotografie studiert und einige meiner Mitstudierenden sind dann vielleicht Fotojournalist:innen geworden und nach Afrika gefahren, um da irgendwas zu recherchieren und in London oder so in einer Tageszeitung oder in einem Magazin zu veröffentlichen. Ich hingegen habe in Deutschland fotografiert und in afrikanischen Zeitungen veröffentlicht.

Die Geschichten in der Zeitung sind heftig. Ich bin an der einen besonders hängen geblieben, wo der Autor davon erzählt, dass er das Meer als das, was es ist, erst erkannt hat, als er in einer stürmischen Nacht davor stand, Da er eben davor noch nie am Meer war.
Da bemerkt man, wie wenig man oft begreift, welche Wahnsinnsdeals diese Menschen eingehen, was sie riskieren.
Dann gibt es aber auch diesen anderen Moment, wo sich surreal ein paar Boote auf dem offenen Meer treffen und ihre Wege abgleichen: Wo wollt ihr hin? Wo gehen wir hin?
Tolle Publikation.

Das freut mich. Die war eine Reaktion darauf, dass in den Artikeln, die ich mit den verschiedenen Autor:innen in den afrikanischen Medien veröffentlicht habe, die Berichte der Leute oft etwas zu kurz kamen. Ich hatte das Gefühl, dass wir ganz kurzfristig eine Zeitung machen müssen, wo alle richtig zu Wort kommen. Die wurde eine Auflage von 100.000 produziert– die restlichen Exemplare liegen nun in Essen zum Mitnehmen.

Bei den Filmarbeiten gibt es zumeist keinen Soundtrack, was vor allem bei dem Tanzvideo aus Nagoya, „Hansha“, eine gewisse Irritation auslöst. Wieso verzichtest du hier auf den Sound?

Das erste Video ohne Ton war auch meine erste größere Videoarbeit: „Vele di Scampia“ – die Arbeit hat ja aus ihrer Produktionslogik als Animation keinen eigenen Ton mitgebracht. Da haben wir in der Tat viel rumprobiert und uns am Ende gegen Ton entschieden. Daraus sind dann eine Reihe an Videos entstanden, die keinen Ton haben.
Bei „Hansha“ haben wir es gar nicht erst probiert. Hinzu kam, dass die Leute vor Ort Kopfhörer auf hatten oder eben auf dem Handy relativ leise Musik hörten, damit sie sich nicht gegenseitig stören, da so viele Leute da was proben. Das hatte sowieso schon was Geisterhaftes. Deshalb war das für mich von Anfang an klar.

Das passt auch zu meinem Bild von Japan, dass man dort selbst das anders sein als lautlosen Akt inszeniert. Man sieht sie wahnsinnige Sachen machen, aber es gibt keine Soundhaftigkeit.

Ich bin ja immer vorsichtig, solche Zuschreibungen zu machen.
Der Film geht ja los mit Leuten, die Streetdance-Synchronbewegungen machen, aber mich hat interessiert, wie diese Kramp-Tänzer:innen ausbrechen – der Film geht von diesem synchronen Gruppending zu immer individualisierteren, aggressiveren und autoaggressiven Bewegungen über.

Beim Kenneth Anger Tribute „Dream Lovers“ hingegen arbeitest du nicht nur mit Musik (der gleichen wie Anger). Diese ist zudem weit hinein in die Ausstellung zu hören, also auch in den Räumen mit anderen, „stummen“ Arbeiten.

Das verrückte ist, dass der Essener Kurator Thomas Seelig vorher im Fotomuseum Winterthur gearbeitet hat und dort eine Ausstellung gemacht hat, wo der Originalfilm von Kenneth Anger lief – mit dem genau gleichen Sound – und auch dort in der gesamten Ausstellung zu hören war. Er kannte die Erfahrung also schon und meinte sofort: „Ja, das ist eine gute Idee.“

Tobias, in der Ausstellung kann man sehr gut visuell nachvollziehen, wie du zu deinem Licht gefunden hast. Die frühen Arbeiten sind noch heller, ja diffuser, du hattest damals noch nicht diese dunklere, emotional stark aufgeladene Textur gefunden. Du schaust so kritisch?

Ich hab verstanden, was du sagst, aber ich glaube, ich stimm edir nicht zu. Ich überlege gerade.

Ich habe das Gefühl, dass man bei den späteren Arbeiten tiefer in die Bilder hineingehen kann – wohingegen am Anfang der Raum noch nicht so aus definiert war.

Ich habe damals, als diese ersten Bilder entstanden sind, diese Arbeit in der Dunkelheit begonnen. Die allererste Serie ist da nicht zu sehen, aber dann kam ja 2001 schon „Curfew“ – und natürlich ist es so, dass ich damals noch nicht so viel Erfahrung hatte im Arbeiten mit künstlichen Licht und in Dunkelheit. Was noch dazu kommt: das war damals Analogfotografie, bei der die Filme ganz anders auf das lLcht reagieren. Was mich damals interessiert hat, war wie die Dunkelheit Räume nach hinten abschließt – wenn man einen dunklen Hintergrund hat, schafft es es etwas Bühnenartiges, etwas Filmisches. Auf er einen Seite kann man meine Arbeiten immer soziologisch lesen, aber ich will die Leute auch immer ein bisschen aus dem Ortskontext , dem Erklärungkontext, dem Deutungskontext heraus nehmen – das dreht die Perspektive um: nicht ich guck von Außen auf die Leute drauf, sondern ich guck von Innen in die Welt.

Es gibt da dieses eine Bild in der „The Fall“-Serie, bei dem man ganz ganz tief in die dunkle Texture reingehen kann. Die im Abgleich zur frühen Serie…

Du meinst glaube ich die „Maskirovka“ Arbeit. Das stimmt natürlich. Durch die digitale Technik ist die Dunkelheit nicht mehr so schwarz wie sie mal war, so dunkel, die Kamera sieht auch in diesen dunklen Bereichen, die wir mit den Augen nicht mehr wahrnehmen können, noch was.

Das sind so tripartige David Lynch Räume, wie beispielsweise in den neuen „Twin Peaks“ Episoden. Wo früher in den Horror Filmen das graue Kriseln des Bildschirm das Ende war, taucht man nun endlos in sich hinein.

Ich bin ja ein großer David Lynch Fan, seine Filme haben mich sehr geprägt, schon bevor ich Fotografie studiert habe. Ich erinnere mich wie ich in Berlin „Lost Highway“ 1997 oder 98 geguckt habe, da gibt es eine Szene in der Wohnung des Hauptdarstellers, wo die Kamera in eine Unterbelichtung hineinfährt, wo nur noch braunes Rauschen ist. Das hat mich damals total fasziniert. Diese komischen dunklen/nichtdunklen Räume, die symbolisch aufgeladen sind.

Über den Arbeiten in „The Fall“ befinden sich immer wieder Zitate an den Wänden. Im ersten Raum eines von Joshua Groß aus „Erst kommt die Zeit ins Stürzen und dann die Erde“, das man zum einen auf die Unsicherheiten der Protagonist:innen in ihrem Leben lesen kann, aber auch auf dein künstlerisches Hadern mit diesem speziellen Moment des gesellschaftlichen Stillstands – die Strecke ist als letzte während der Pandemie als Auftragsarbeit der Ruhrtriennale entstanden – , der ja genau genommen eben keiner war sondern eine aufwühlende Implosion. Wie wichtig ist es, dass diese Verbalisierung deiner Arbeit dich mit den Protagonist:innen auf Augenhöhe platziert?

Die Zitate sind aus den sechs Texte, die für die Publikationsreihe mit dem Spector Verlag entstanden sind, die es statt eines Katalogs geben wird. Joshua Groß hat auf „The Fall“ und „Apolo“ reagiert – wir haben über das Bild des Fallens, des Stolperns auch miteinander gesprochen 
Ich bin ganz begeistert von den sechs Texten, die sehr unterschiedlich sind. Der Text von Jakob Nolte, der unbedingt über „Trona“ schreiben wollte, da er die Arbeit ganz früh mal gesehen hat und tief beindruckt war, heißt „Familienfotos“ – sicherlich auch eine Referenz an das Familienfoto, über das wir eben gesprochen haben.
Diese Texte schweben wie ein eigene Ebene da drüber, die gleichzeitig einen Bezug zu meinen Arbeiten herstellen aber auch autonom sind.
Zur Frage mit der Augenhöhe: Das ist ja die Hoffnung, dass die Trennung zwischen der Betrachter:in und mir dem Fotografen immer wieder ins Wanken gerät. Ich mag den Begriff Augenhöhe. Aber ich stell mich jetzt nicht hin und proklamiere ihn.

Ein anderes Wandzitat stammt aus „392 Tage der Visionen“ von Mazlum Nergis und hinterfragt unser Tendenz die wichtigen Zusammenhänge immer im Zentrum eines Geschehens, einer gesellschaftlichen Konstruktion zu vermuten und sensibilisiert den Blick auf die Peripherie. Das scheint mir aber beim Betrachten deines Werks für dich nie ein potentieller Irrweg gewesen zu sein, dich haben doch von Anfang an immer eher periphere Charaktere und ihre Handlungen als gesellschaftlicher Motor interessiert und eben nicht die Populär-Charaktere oder die Haupt-Akteure, die den politischen und wirtschaftlichen Takt vorgeben. Oder siehst du das anders?

Ich habe ein Problem mit dem Begriff Periphere. Ich bin immer vorsichtig zuzuschreiben, wer an der Peripherie ist und wer in der Mitte. Natürlich ist es so, dass man meine Sachen als Arbeiten über Klassenverhältnisse auffassen kann.Das sind schon Leute, die man früher ganz traditionell als Arbeiter:innenklasse bezeichnet hätte, oder Leute, die irgendeiner prekären Arbeit nachgehen, oder arbeitslos sind – oder eben nicht die Taktgeber der Wirtschaft sind, auf eine andere Art aber schon, da sie ja eben die Arbeit machen.
Die Leute sind im Zentrum ihres eigenen Lebens – das ist mir wichtig. Auch wenn man sagt, das sie marginalisiert sind, so ist doch ihr eigenes Leben immer das Zentrum. Der Text von Mazium bezieht sich auf die Arbeit „Big Sexyland“. In diesem Ausschnitt geht es um einen Friedhof, der ein schwuler Cruising Ort ist. Das ist für ein ein realer Ort, an dem seine Kurzgeschichte beginnt, den kann man ab er auch metaphorisch lesen: Was passiert da im Dunkeln? Was passiert in der Mitte vom Friedhof, wenn man am Rand schon so verrückte Sachen passieren.

Tobias, vielen Dank für das lange Gespräch.

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TOBIAS ZIELONY, “The Fall“, Museum Folkwang, 25. Juni – 26. September 2021
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Tobias Zielony “Park”, 2006

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