“Wer bei den Goldies spielt kann leider nicht kündigen!”
Das war unsere BRD / Unsere weiße BRD / Monodeutsche BRD / Unsere Petra Kelly BRD
Das war unsere BRD / Unsere Brutalismus BRD / Unsere braune BRD / Die verhasste BRD
Das war unsere BRD / Heterosexuelle BRD / Unsere graue BRD / Latzhosen BRD
Das war unsere BRD / Die frivole BRD / Unsere orangene BRD / Nostalgisch erklärte BRD
Am morgigen Montag, den 15. April, spielen Die Goldenen Zitronen im Kölner Stadtgarten als erstes Konzert der neuen Foggy Notion Reihe von Jan Lankisch.
Der Zitronen Schlagzeuger Stephan Rath hat uns im Vorfeld ein paar Fragen zum neuen Album “More Than A Feeling”, zur alten BRD und zu einem Toilettenbesuch beantwortet.
Stephan, aus aktuellen Anlass der „Das war unsere BRD“ Single gefragt: Wie wichtig ist die BRD für die Goldenen Zitronen?
Also ich würde natürlich nicht für die anderen sprechen wollen, für mich ist die BRD ein Land, in dem ich zufällig aufgewachsen bin. Früher wie heute ist mir die BRD unangenehm. Ich habe aber auch kein Wir-Gefühl oder irgendwie einen Heimatbezug. Vieles ist für mich eher Erinnerung was die „BRD“ angeht, das finde ich in dem Text auch schön umgesetzt, den genau diese Erinnerung hatte ich als Heranwachsender. Da gibt es sicher auch emotionale Erinnerungen. Diese typische BRD der 80er vor dem Mauerfall. Daher haben wir auch altes Filmmaterial bei allen angefragt und auch in unserem Umfeld gesucht. Da sind tolle Sachen dann aufgetaucht und auch alte Freundschaften entstaubt worden. Jeder hat ja seine eigene Geschichte, die dann auch einen ähnlichen Verlauf nahmen.
Und wie wichtig sind generell die großen politischen Ereignisse als Stimuli für eure Musik? Also der Katalog der Tristesse, den einem die Politik so hinwirft.
Ich glaube das ist ja nun bei den Zitronen das Inspirations-Elixier. Alles was uns umgibt an Wahnsinn, auch regionalpolitisch, was uns direkt betrifft ist Stimullierung.
„Das war unsere BRD“ bietet sich ja auch an, um über die Rolle des Schlagzeugs zu sprechen, einfach da es hier so schön leitend das Narrativ lenkt. Es entspricht aber natürlich nicht der gängigen Wahrnehmung der Zitronen, da diese immer zunächst über Texte und Haltung stattfindet. Nervt das denn – wenn wir mal die gelebte Dringlichkeit außen vor lassen, die ihr mit den Inhalten verbindet – dich / euch alle eigentlich da so oft die im eigenen Recht großartige Musik zu kurz kommt?
Tja, das ist eine gute Frage. Die Songs entstehen ja oftmals vor den Texten. Man bekommt das erst in den letzten Phase mit, wie der Gesang und Text platziert wird. Ich finde das überaus spannend und freue mich darüber, aber die Songs könnte man auch als Instrumental wunderbar genießen. Die Option haben zwar nicht alle Zuhörer, aber von „nerven“ kann nicht die Rede sein. In der Produktion wird auch sehr genau darauf geachtet, dass die Musik mit dem Text (der ja auch hoch komplex sein kann, darf, muss) immer in den Song eingepasst wird. Für mich kann dann auch der Text schnell Musik werden und ich bin überrascht, wie gut das auch funktioniert. Wir haben ja auch auf der „Frosch“ Platte, Songs wie „Bürgermeister“ unter anderem einfach mal als Instrumental veröffentlicht. Ursprünglich auch für den „internationalen Markt“ gedacht funktioniert unsere „Frosch“ Platte neben den englischen Texten auch wunderbar als Instrumental-Genuss.
Denn es ist ja insofern auch ungerecht euch so verkürzt wahrzunehmen, als dass die Zitronen sich ja bewusst immer wieder klanglich und ja auch existentiell in Frage stellen und neue Stimulation entgegen aller falscher Bequelichkeit suchen. Das beginnt ja schon allei bei den Zyklen der Band. Eine neue Zitronen Platte, ein neue Zitronen Tour heißt ja auch immer, dass ihr alle eure vielseitigen anderen Tätigkeiten (Buback Management bei dir, Theater bei Schorsch, diverse weitere Musikprojekte bei Mense zum Beispiel…) etwas runterfahrt und wieder zurück zur Band kommt. Kannst du beschreiben, was die Zitronen unruhig werden lässt und eine neue Runde notwendig macht?
Irgendwie weiß ich nie wie es plötzlich zu einer neuen Platte kommt. (haha) Plötzlich finden wir uns in unserem Art Blakey Studio wieder und schon gehts los. Natürlich gibt es Absprachen mal wieder Musik zu machen. Das fängt mit einem Treffen an und man redet über eine neue Platte, eine musikalische Idee, vielleicht auch über ein musikalisches Konzept, manchmal gibt auch einen Text, der dann mal eben ausprobiert wird. Aber der Prozess kommt mir organisch vor, da gibt es von allen Seiten ein Drängen, dass es jetzt wieder schön wäre ein neues Album-Kapitel aufzuschlagen. Manchmal dauert es eben länger wie bei “MORE THAN A FEELING”.
Stephan, wie hat man sich den Songwritingprozess der Zitronen denn vorzustellen?
Und wo siehst du das Schlagzeug dabei verortet?
Wir sprechen viel über Styles und auch Instrumente die eingesetzt werden. Dann versuchen wir das umzusetzen. Oftmals kann das ein minimalistisches Pattern sein, ein schräger Sound, oder ein Loop, auf den dann die Ideen der einzelnen Musiker geschichtet werden. Nach der Schichtung sichtet mal das Material und sortiert die einzelnen Ideen und setzt sie in einem ersten Mix zusammen. Manchmal gibt es auch einen Text, eine rudimentäre Aufnahmen die man dann versucht musikalisch zu übersetzen. Der Rhythmus spielt da auch immer eine wichtige Rolle. Er kann oftmals die Ausgangsbasis sein nach dem sich die gesamte Komposition richtet.
In der 2003 veröffentlichten Dokumentation „Golden Lemons“, gedreht von Jörg Siepmann, gibt es eine wunderbare Sequenz mit dir. Man sieht dich unter der Dusche und dann kommt Wesley Willis, mit dem ihr auf Tour wart, ins Bad rein um die Toilette zu benutzen. Sind das die großen Momente für die man das alles macht? (Oder habe ich die Sequenz nur geträumt?)
Ich erinnere mich gar nicht an die Sequenz im Film, aber es ist ja nun altbekannt, dass wir eine sehr kritische Haltung zu dem Film haben. Ich finde Siepmanns Werk als Dokumentation echt nicht gelungen und er war nie zugegen, wenn es wirklich mal spannend wurde und man auch Leute traf, die eine andere amerikanische Subkultur verkörperten. Dadurch wirkt die Doku wie eine depressive Geschichte über eine Gruppe aus Hamburg, die Wesley Willis supportet und irgendwie vielleicht scheitert (so in der Darstellung).
Zurück zur Sequenz: Ich erinnere mich, dass wir in Las Vegas im MGM Hotel waren und Wesley und wir ein Tageshotel hatten, wo er ein bisschen schlafen konnte und wir die Dusche nutzen durften. Wesley ist ein sehr spezieller Mensch gewesen und hatte eine opulente Statur. Er wirkte oftmals gar nicht anwesend und ignorierte dich völlig. So hatte er dann in der Szene ein einziges Ziel: Die Toilette, ob ich dabei war oder nicht hat ihn null interessiert. War für mich OK..
Ihr feiert ja dieses Jahr das 35jährige Bandjubiläum – du selbst bist immerhin seit 2001 dabei, also auch schon 18 Jahre. Ist sowas ein Thema innerhalb der Band?
Natürlich, wer bei den Goldies spielt kann leider nicht kündigen!
Wenn du dich entscheiden müsstest für ein Konzert – und du musst das jetzt: welches Konzert der Goldenen Zitronen deiner Ära ist dir am meisten in Erinnerung geblieben.
Oh, da fällt mir mein erstes Konzert ein, das ich mit den Goldies gespielt habe: San Francisco (ich glaube es war The Regency Ballroom mit Wesley Willis). Das war ein absolutes Desaster für mich. Schrecklich. Ich glaube ich habe bei fast jedem Song versagt 🙂
Hast du eigentlich vor deinem Einstieg in die Band mal gedacht: bei der Gang wäre ich gerne dabei?
Ja, ich hatte mal die Goldies auf der Popkomm in Köln live gesehen, damals noch mit Platzgumer. Da war ich echt beeindruckt.
Stefan, danke für die Zeit. Letzte Frage: dein persönliches Zitronen Lieblingsstück und warum?
“Wenn ich ein Turnschuh wär” – Ich mag das wirklich minimalistische, einfache, DAF-artige an dem Song und der Text ist so präzise und nach wie vor hochaktuell, dass es mich immer wieder beeindruckt, auch wenn ich es auf der Bühne spiele.
Die Goldenen Zitronen auf Tour:
14.04.2019 Heidelberg – Karlstorbahnhof
15.04.2019 Köln – Stadtgarten
16.04.2019 Hannover – Musikzentrum
01.05.2019 Berlin – Festsaal Kreuzberg
02.05.2019 Erfurt – Kalif Storch
03.05.2019 Dresden – Groove Station
04.05.2019 Chemnitz – Nikola-Tesla
06.05.2019 Hamburg – Uebel & Gefährlich
07.05.2019 Bremen – Lagerhaus
08.05.2019 Münster – Gleis 22
01.08.2019 – 04.08.2019 Luhmühlen – A Summer’s Tale
02.08.2019 – 04.08.2019 Dangast – Watt En Schlick Fest
26.09.2019 AT – Linz – STWST
27.09.2019 Ingolstadt – Kulturzentrum Neun
28.09.2019 Nürnberg – Desi
02.10.2019 Karlsruhe – P8
03.10.2019 Freiburg – Cafe Atlantik
04.10.2019 CH – Bern – Dachstock
05.10.2019 Darmstadt – 806qm