Stefan Betke im Interview

Pole: 20 Jahre scheint ein natürlicher Zirkel zu sein in dem sich Genres wiederholen

Stefan Betke aka Pole (Photo: Tina Winckhaus)

 

Die drei ersten Pole Alben “1”, “2” und “3”, auch bekannt als das blaue, das rote und das gelbe Album, gehören zu den prägendsten Veröffentlichungen der deutschen Elektronikmusikgeschichte. Zwischen 1998 und 2000 (auf dem Hamburger Label Kiff SM) erschienen, definierte Stefan Betke mit ihnen Dub-Techno maßgeblich mit und legte so den Grundstein für sein eigenes Label ~scape – wobei das Wording Dub-Techno wirklich nur an der Oberfläche dessen kratzt, was Betke, seine (Label)Partnerin Barbara Preisinger und die mit dem Label assoziierten Musiker wie Andrew Pekler, Burnt Friedman, Deadbeat, Jan Jelinek, Kit Clayton und Safety Scissors an Jazz-Esprit, Reggae-Leidenschaft und Elektronischer Klangforschungsneigung anzubringen wussten. Anlässlich des 20jährigen Jubiläums der Trilogie werden  die Album nun auf Mute neu aufgelegt. 

Stefan, bevor ich zu den Wiederveröffentlichungen komme, möchte ich gern mit einer allgemeinen Frage beginnen: Kannst du beschreiben, was dich an Musik reizt, sowohl als Hörer als auch als Produzent? Was ist es, dass du in der Musik suchst und findest und sonst nirgendwo?
Musik begleitet mich seit ich denken kann. Ich habe schon als Kind auf dem Balkon meiner Eltern mit der Gitarre meines Bruders versucht englische Pop Songs nachzuspielen. Zwar ohne Erfolg, Gitarre und Singen war nie meins, aber als ich mein Klavier bekam, wurde mir klar das Musik für mich elementar als Ausdruck meiner Sichtweisen zu allem werden kann. Musik erlaubt es dich auszudrücken, gibt aber dem Hörer deiner Musik jede Freiheit diesen Ausdruck neu zu interpretieren , zu nutzen. Diese Freiheit findet sich sonst selten.

Ursprünglich sind deine drei Alben „Pole 1“, „Pole 2“ und „Pole 3“ auf Kiff SM, dem Label von Jutta Bächner erschienen – die Wiederveröffentlichungen kommen nun zwanzig Jahre später auf Mute heraus. Was empfindest du selbst, wenn du die Alben heute wieder hörst?
Die Trilogie hat für mich nie an Wichtigkeit verloren. Es war ja meine erste richtige Veröffentlichung. Viel Arbeit steckte da drin. Als ich dann am Re-Release gearbeitet habe, war es toll so viele Erinnerungen an die Zeit der Entstehung aufleben zu sehen, an die Orte an denen Ideen entstanden, an die Energie die ich damals hatte an diese Musik heranzugehen. Die Konsequenz im Umsetzen dieser Ideen und die Rücksichtslosigkeit auf Konsens oder Zeitgeist. Das machte Spaß diese Gefühle von damals wieder zu spüren. Nicht daß ich diese Energie und Konsequenz in der Arbeit heute nicht mehr hätte, aber damals war es so NEU.

Welche Rolle spielt für dich als Künstler ein Aspekt wie zeitgenössisch, wenn es um die eigene Musik geht?
Ich beschäftige mich sehr mit zeitgenössischer Musik, ich möchte auf dem Laufenden sein und verstehen, worum es Produzenten heute geht. Dies bekomme ich auch gut in meinem Studio für Mastering und Vinylschnitt „scape mastering“ vermittelt, dafür bin ich dankbar. Ich habe jedoch nie versucht in meinen eigenen Produktionen zeitgenössische Musik absichtlich zu machen. Der Versuch war und ist immer aus der Historie und dem Jetzt zu lernen, mich stetig weiter zu entwickeln und meine ganz eigene Musik zu schreiben. Nicht die Frage nach „Was ist jetzt zeitgenössisch“ treibt mich. „Zeitgenössisch“ kommt im Idealen von alleine genau dann, wenn ich meine Musik veröffentliche, und wenn dies nicht gelingt, bleibt hoffentlich meine Sicht der Dinge. Ob zeitgemäß oder nicht, ist dann nicht so wichtig.

Denkst du, dass Menschen, die die Alben heute zum ersten Mal hören, sie ähnlich oder anders wahrnehmen als die damalige Generation? Und wenn zweiteres: inwieweit?
Wie junge Menschen meine Platten von damals heute wahrnehmen, vermag ich schwer zu sagen. Ich weiß, dass die Trilogie für Dubstep wichtig war. Ich weiß, dass meine Konzerte junge Leute ansprechen und wir danach manchmal in einen Austausch kommen, in dem dann auch oft über die Trilogie gesprochen wird. Insofern gehe ich davon aus, daß die Trilogie immer noch Interesse erregt und Fragen aufwirft.
Damals hat die Reihe sicherlich viele Produzenten inspiriert und motiviert. Sie war sehr allgegenwärtig für eine gewisse Zeit.

Nun betreibst du selbst seit langen mit ~scape Mastering ein Mastering Studio, beschäftigst dich also intensiv mit dem Klang aller möglicher Art von Musik und nicht nur deiner eigenen. Würdest du sagen, dass sich das auch auf deine Art des Produzierens auswirkt?
Es hat sich schon Mitte/Ende der 1990er Jahre auf meine Arbeit ausgewirkt, als ich noch bei Dubplates und Mastering gearbeitet habe. Das war ja auch der Grund eine Pause vom Mastering einzulegen, wenn auch nur eine kurze. Es ist eigentlich Segen und Fluch in Einem. Segen, weil du an so wahnsinnig viel guter Musik mitarbeiten darfst, lange vor Veröffentlichung ( du bist der Zeit etwas voraus ), Fluch, weil es dich immer davon abhält selber Dinge zu tun und dich in deinem Schaffen auch stark verwirren kann. Diese Frage nach dem Zeitgenössischen kommt hier wieder zum Tragen. Wenn du soviel Musik hörst, kommst du gar nicht daran vorbei dich selber zu Fragen „ Braucht das jemand, was du da gerade machst?“ Du darfst dem nur nicht nachgeben und die falsche Antwort geben. Wenn es gut ist, braucht es Jemand und Musik hören, auch beim Mastern, hilft.

Weiter gefragt: Wie verhält sich denn generell der Produzent Stefan Betke im Jahr 2020 zu jenem Anfang der Nullerjahre?
Er ist älter geworden, hat noch weniger und gleichzeitig deutlich mehr Respekt vor vielem – was gut so ist, und er versucht immer noch, sich nicht an musikalische Normen zu halten, sondern weiter seinen eigenen musikalischen Weg zu gehen.

Hast du denn beim Mastering der Re-Issues auch noch größere Eingriffe vorgenommen? Und wenn ja, was bist du warum und wie angegangen?
Das Wort Re-Mastering mag ich ja nicht. Das braucht man nur, wenn die Original Pressung nicht gut klang. Hier habe ich lediglich dafür gesorgt, dass das Vinyl in Teilen etwas offener klingt, weil auf der pole 1 und 2 etwas wenig Höhen waren hier und dort, und vor allem, dass die Schneidefehler in Form von Zerren und Springen der Nadel „nachkorrigiert“ wurden. Ansonsten sollte das Box-Set den Vibe von damals zu 100% nachbilden. Ich habe also mit Absicht nicht LAUTER gemacht, sondern eher Ungenauigkeiten angepasst, ohne den Charme dieser zu entfernen.

Überhaupt Stichwort Wiederveröffentlichungen. Zum einen liegt es ja nah, die Alben gerade jetzt wieder aufzulegen, da das 20jährige Jubiläum ansteht. Aber so wie ich dich einschätze, ist das allein kein signifikanter Grund. Ich bin mir sicher, du musst auch das Gefühl verspüren, dass der historische Bogen stimmt.
Insofern überspringe ich die Antwort und frage gleich, welche aktuellen Produzent_innen und Produktionen du denn als Dialogpartner_innen für die Alben heute siehst?
20 Jahre scheint ein natürlicher Zirkel zu sein in dem sich Genres wiederholen. Im Augenblick erscheinen wieder viele Kopien von Dubtechno und/oder Dub beeinflusster Musik. Der zeitliche Rahmen scheint also zu stimmen. Allerdings habe mich nie absichtlich in einen Dialog mit anderen Produktionen begeben. Arbeiten von Kollegen fließen zwar stetig mit in die eigene Arbeit ein, aber während der Arbeit an meinen Produktionen habe ich es immer vermieden Musik zu hören, um möglichst wenig in einen direkten Dialog mit existierendem zu treten. Referenzen sind mir als Begriff eh lieber. Im Fall der Wiederveröffentlichung muss ich aber sagen, ich kam zum einen auf die Idee, weil mich viele darauf angesprochen haben und das Vinyl einfach schwer zu bekommen ist. Und es ist doch auch schön einen runden Geburtstag mal zu feiern.

Wo wir schon beim historischen Längstschnitt sind: Inwieweit hattet ihr denn mit ~scape, dem Label, das du mit deiner Partnerin Barbara Preisinger betrieben hast, damals das Gefühl mit Künstler_innen zusammenzuarbeiten und Musik zu veröffentlichen, die über den Moment hin von Bedeutung sein wird? War das Barbara und dir bereits bewusst
Was wir spüren wollten, war dass eine Produktion etwas sehr Eigenes und Unabhängiges hatte, Tiefe und Konsequenz, Alleinstellungsmerkmale, und intelligent sollte sie sein. Sie mussten uns in den Bann ziehen. Kopien kamen für uns nicht in Frage. Wenn wir etwas bereits kannten und in derselben Form schon vorlag, machten wir die Platte nicht. Wir mussten an die Produktion glauben, ob wir damit allerdings in Schwarze treffen würden, war nicht vorhersehbar und machte die Sache reizvoll. Hat ja dann auch manches Mal geklappt.

Die gleiche Frage stellt sich auch für Pole – wann ist dir denn bewusst geworden, dass du ein Projekt geschaffen hast, das nicht nur bleiben, sondern historisch sogar an Bedeutung zunehmen wird?
Keine Plattenfirma damals hat daran geglaubt, dass die Trilogie einmal so eine Bedeutung bekommt. Ich ja auch nicht. Das einzige dessen ich mir bewusst war, war dass ich keine Platte kannte welche meiner Produktion ganz nah war. Ähnlichkeiten gab es, aber nie Gleichheiten, also war sie für mich eher alleinstehend. Als dann die rote Platte veröffentlicht wurde und die Aufmerksamkeit immer mehr stieg, und Kollegen mich ansprachen deren Fan ich selber war, kam der Verdacht auf das könnte etwas werden. Dass es historisch an Bedeutung zugelegt hat, habe ich auf jeden Fall verstanden, als ich letztes Jahr gefragt wurde, die Reihe als Box-Set wieder zu veröffentlichen.

Oder denkst du als Künstler gar nicht in solchen Kategorien über die Rezeption deiner Arbeit nach?
Im Vorfeld und bei der Arbeit selber stellt sich diese Frage nicht, aber natürlich stellt man sich die Frage der Relevanz, wenn die Arbeit fertig ist und bevor diese veröffentlicht wird. Ich habe viele Stücke niemals veröffentlicht, weil ich nicht an ihre Relevanz geglaubt habe, oder sie für zu schlecht hielt. Wenn ich jedoch eine Relevanz sehe und die Platte gut ist, gehe ich meinen Weg ohne über die mögliche Rezeption und Bewertung meiner Arbeit durch andere nachzudenken.

Stefan Betke aka Pole (Photo: Tina Winckhaus)

Wieso hast du dich eigentlich ab einem gewissen Zeitpunkt als Produzent rar gemacht und auf das Masteringstudio konzentriert?
Ich habe nie aufgehört Musik zu produzieren. Es gelang mir nur nicht immer relevante Musik zu schreiben, welche ich auch veröffentlichen wollte. Dann gab es noch den Punkt, an dem ich nicht mehr so extrem viel spielen wollte, wie ich es tat, weil ja keine neue Musik vorhanden war, ich drehte mich also in einem Kreis. Da ich immer auch gemastert und Vinyl geschnitten habe (schon vor der Trilogie ), habe ich mich darauf konzentriert und weiterhin parallel an Musikkonzepten gearbeitet. Es hat etwas gedauert aber es gab immer wieder Platten, die ich rausbrachte und die auch gut waren.
Und gerade jetzt habe ich eine neue LP fertig, mit der ich sehr sehr glücklich bin und die hoffentlich noch in diesem Jahr erscheinen wird.

Hat das Ende von ~scape Records, dabei auch eine Rolle gespielt? Also im Sinne dass eine gewisse Unschuld der elektronischen Musikszene irgendwann verloren gegangen ist?
Nein, das würde ich so nicht sagen. Es wurde zwar immer schwieriger für Barbara und mich Musik zu finden, die wir veröffentlichen wollten, aber verlorene Unschuld der elektronischen Musik war nicht der Grund, warum wir scape geschlossen haben. Die Abwesenheit von scpae hat mir dann eher wieder Zeit gegeben um an Musik zu arbeiten.

Spielten denn auch finanzielle Überlegungen eine Rolle? Also im Sinn von, dass du dich irgendwann als Musiker im Hamsterrad gefühlt hast, da das alles ja nur funktioniert, solange man bereit ist stetig zu Touren.
Es war einerseits nicht mehr spannend für mich mit der gleichen Platte über lange Zeit zu touren. Es motiviert einfach mehr, wenn man neue Sachen im Repertoire hat. Da mir dies aber nicht wirklich zufriedenstellend gelang, konzentriert ich mich wieder mehr auf das Mastern. Dies war sicherlich auch hilfreich finanziell unabhängig zu bleiben. Ansonsten hätte ich wohl Musik aus Ökonomischen Gründen machen müssen, was ich aber vermeiden wollte. Aus dem Grunde habe ich immer schon als Engineer gearbeitet. Ich spiele dennoch sehr gerne live und würde mich auch freuen, wenn zur neuen Platte wieder mehr gute Shows ins Spiel kämen.

Was uns dann doch noch kurz auch zur aktuellen Corona Situation bringt. Kurzfristig wirst du ja sicherlich noch mit Aufträgen für das Mastering Studio eingedeckt sein, aber wie schätzt du die Auswirkungen über die kommenden Wochen hinaus ein?
Wir haben noch gut zu tun, ein Blick in die Zukunft macht aber dennoch Angst. Sollten Clubs und Konzerthallen weiterhin geschlossen bleiben, werden sich nur noch große Plattenfirmen es leisten können zu produzieren. Unterbrochene oder zeitlich verzögerte Zulieferketten werden Kosten nach oben treiben. Dennoch sollten wir nicht schwarz sehen, sondern gemeinsam an Lösungen arbeiten.
Viele Musiker nutzen ja gerade die Zeit um neue Musik zu schreiben, dies ist sehr gut und vorrausschauend, um nach der Corona Krise loslegen zu können. Wenn diese Künstler aber keine Einkommen mehr haben (die meisten finanzieren sich ja durch das live spielen ) werden sie auch keine Platten mastern lassen. Wir müssen dringend unsere lokalen Plattenläden unterstützen (NICHT AMAZON ), damit jeder, der per Mailorder Platten verkaufen kann, zumindest hier aktiv bleiben kann, und wir uns so gegenseitig unterstützen. Wir sollten unter anderem auch digitale Release planen und über Bandcamp und andere digital Retailer versuchen, gute Musik zu veröffentlichen und etwas Geld im Umlauf zu halten. Auch hier können wir sehr aktiv bleiben. Kunst wird gerade in schwierigen Zeiten dringend gebraucht. Da es auch im rein digitalen Markt auf guten Klang ankommt, versuchen wir als Mastering Studio innerhalb unserer Möglichkeiten, Produzenten zu unterstützen.

Und auf Pole bezogen, gab es denn rund um die Wiederveröffentlichungen Pläne für Performance, die nun erst mal ad acta gelegt werden müssen?
Wir hatten gerade erst angefangen nach Shows zu suchen, als es losging. Von daher ist bei mir nichts abgesagt worden. Allerdings wollte ich auch erst zum neuen Album im Herbst mit Konzerten starten, nicht zum Re-Release. Eine Planung hierzu ist im Augenblick aber auch nicht leicht, da keiner weiß, wann es vorbei und wir alle wieder in Clubs und Konzerträumen zusammen sein können. Es wird auch in den EU Ländern und der gesamten Welt nicht gleichzeitig wieder erwachen.

Stefan, wie empfindest du denn generell den heutigen Status Quo der Szene für Elektronische Musik im Vergleich zu den frühen Nullerjahren?
Vital und spannend. Es war Anfang bis Mitte der Nullerjahren ja schon langsam ein beginnender Rückgang zu sehen, die 90er waren glaube ich etwas vitaler. Heute gibt es global gesehen viel mehr Austausch als in den Nullerjahren:  Afrikanische, Asiatische Künstler werden heute deutlich mehr gefeatured. Die Festivals bilden nun auch vermehrt Musik ab, die nicht nur aus Europa, USA, oder England stammt. Es gibt zwar leider in den Ballungszentren und einschlägigen Orten nur noch eine recht einseitige Mono-Clubkultur, mit wenig Willen Risiken einzugehen, aber die interessanten Künstler finden immer einen Weg sich zu präsentieren. Damals wie Heute.

Lieber Stefan, vielen Dank für deine Zeit. 

 

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