Michael Ruff – ein Nachruf

Michael Ruff: zwischen euphorischer Fanperspektive & kritischer Distanz

Aus Spex 01/89
Dass Volker Ippig, der damalige Torwart von FC St. Pauli, mit Michael Ruff für Spex die Singles besprach, galt als kleine Sensation. Ippig erwies sich als großer Velvet-Underground –Fan mit einem offenen Ohr für gitarrendominierte Spielarten. Der Look ist spätachtziger Norm-Core, einmal verkatert, einmal im Training.


Aus dem Musikjournalismus der 80er Jahre ist der Name Michael Ruff nicht wegzudenken. Sein markanter Stil zwischen euphorischer Fanperspektive und kritischer Distanz brachte einige der besten Texte über Musik hervor, die je veröffentlicht wurden.

Der Musikjournalist als Erziehungsberechtigter

Michael Ruff ist gestorben. Er war Autor, Sänger der Proto-NDW-Band Geisterfahrer sowie zuletzt Betreiber des Plattenladens Ruff-Trade (ehemals Rough Trade) in Hamburg. Als ich auf Facebook von seinem Tod erfuhr, war ich geschockt und traurig. Obwohl ich ihn nicht persönlich kannte, hat er mir als Teenager in den 80ern und Twen in den 90ern per Musikjournalismus die Welt erklärt. In diesem Text soll es daher in erster Linie um seine Autorentätigkeit gehen.

Vor allem die 80er sind eine Zeit, in der Pop-Schreiber:innen mindestens ebenso wichtig sind wie ihre Sujets. Sie stehen oft für eine bestimmte Haltung und musikalisches Spezialwissen, was sie identifizierbar macht. Zur Identifizierbarkeit von Michael Ruff trägt der Umstand bei, dass er zu den Autoren zählt, die häufig auf ihre eigene Sozialisation und private Episoden rekurrieren, ein Ansatz, der in den 80ern nicht ungewöhnlich ist – man spricht auch von der „Rededefinition des Privaten“ (Sounds 1/83).

Michael Ruff und ich haben fast zeitglich bei Spex angefangen, er als Schreiber, ich als Leser. Meine erste Ausgabe kaufe ich im November 1985, seine ersten Texte erscheinen einen Monat zuvor in der Oktoberausgabe. Womöglich ist es sogar sein Name, der mich zum Kauf des Hefts animiert, kenne und schätze ich ihn doch schon von der Rock-Spezialitäten-Seite im ME/Sounds, die er sich alternierend mit Harald InHülsen teilt.
Im ME/Sounds geht man 1985 dazu über, die Rezensionsrubrik im Heft derart zu personalisieren, dass die einzelnen RezensentInnen angeben können, welche Musik sie gerade hören („Zur Zeit auf meinem Plattenteller“). Michael Ruffs Playlist stellt in der Regel eine interessante und für mich als Teenager verwirrende Mischung aus aktuellen, von mir als cool wahrgenommenen Indie-Produktionen (The Fall, Einstürzende Neubauten, Jesus & Mary Chain) und unverständlichen Beispielen dessen da, was mir als „Alte-Leute“-Musik erscheint (Johnny Cash, Neil Young). Da Ruff sich zunehmend als Gewähr für guten Geschmack herauskristallisiert, erfolgt eine vorsichtige Kontaktaufnahme mit dem Werk Neil Youngs. „On The Beach“ kann man damals für 6,90 DM bei Malibu bestellen (als Cut-Out, aber egal), und ich werde nicht enttäuscht. Dennoch frage ich mich in selbstkritischen Momenten (von denen es genug gab), ob ein 15jähriger diese Musik hören sollte.

Aus Spex 10/85: Michael Seiler war Mitglied der Hamburger Goth-Band Mask For. Mit ihm besprach Michael Ruff für die Ausgabe 10/85 die Singles. 1986 erfolgten vereinzelt weitere Ko-Autorschaften. Auf dem Foto sieht Michael Ruff frisch und für seine Verhältnisse kurzhaarig aus. Also note the Kinnbart. Cooles Hemd außerdem.

 

Von wild wuchernder New Wave zu Pop als Wegbereiter des Neoliberalismus

Angefangen zu publizieren hat Michael Ruff 1980 in der damals maßgeblichen Musikzeitschrift Sounds. Im Spannungsfeld von Joy Divisions Innerlichkeit und den brachialen Attacken der Birthday Party manifestiert sich in Ruffs Schreiben ein geschmackliches Koordinatensystem, das die Zeichen einer Zeit abbildet, in der das Unformatierte, noch nicht zu Ende Gedachte zu seinem Recht kommt. Diese Offenlegung von Gemachtheit im Sinne des damals populären Do-It-Yourself-Gedankens ist dabei ein Aspekt, der sich unmittelbar in der stilistischen Struktur von Ruffs Texten zeigt – immer ist da ein erratisches Element, das sein Schreiben weit über den Status bloßer Serviceleistung hinaushebt.

Als 1982 Pop sowohl in der Wirklichkeit als auch Sounds intern mehr und mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, nimmt Ruff eine eher distanzierte Haltung zu dieser Entwicklung ein. Im Januar 1983 stellt er mit dem Ende von Sounds einen Zusammenhang zwischen dem Wahlsieg Helmut Kohls und dem Erstarken einer sich selbst feiernden hedonistischen Popausrichtung im Zeichen der Postmoderne her: „Die bad guys kriegen Oberwasser und nützen Formschwäche und unklar gewordene Moral der Guten, um Sozialdemokratie und wild wuchernde New-Wave-Ernsthaftigkeit durch duselige Hier-und-jetzt-Feel-Alright-Pack-Ma’s-An-Gedankenlosigkeit auszutauschen und uns damit der völligen Perspektivlosigkeit/Bedeutungslosigkeit resignierter, bürgerlicher Wünsche nach aristokratischer Lebensweise auszuliefern.“

2009, also 26 Jahre später, wird diese Denkungsart weitergeführt anlässlich eines Textes zum Tode Michael Jacksons. Michael Ruff legt dar, in welchem Maße die poetologische „Sinnferne“ des Thriller-Albums enggeführt werden könne mit den Deregulierungsprinzipien des Neoliberalismus. Der Artikel erschien zu einer Zeit, als er sich eigentlich schon davon zurückgezogen hatte, das Pop-Geschehen zu kommentieren. Umso schöner empfand man damals die plötzliche und unerwartete Rückmeldung, der offenbar das Ansinnen zugrunde lag, das seit zwanzig Jahren immerwährende 80er-Revival mit einer Anti-These zu konfrontieren.
Was daran besonders gefiel, ist, daß Michael Ruff nie die Pose des allwissenden Theoretikers einnimmt. Sein Ansatz entspricht eher einer ausschnitthaften Beobachtung, die in kurzen Seitenblicken erhascht werden kann.

Aus Spex 07/86: Nikki Sudden gehörte 1986 und 1987 zu den meisterwähnten Musikern in Spex. Dies hatte seine Ursache darin, dass Sudden damals über längere Zeitabschnitte in diversen westdeutschen Städten lebte, vor allem in Hamburg und Frankfurt. Michael Ruff scheint einen diffusen Hippie-Look zu kultivieren, während Sudden gerade dem samtenen Keller Robespierres entstiegen ist, natürlich.


Die Spex-Jahre: Konsolidierung zwischen Euphorie und Kritik

In der Spex-Zeit setzt sich seine Vorliebe für Spielarten, die unfertig und undefiniert schienen, fort. Jede Musik, die sofort einem etablierten Genre zuzuordnen ist, kann sicher sein, mit Desinteresse oder einem Verriss goutiert zu werden. Höhepunkt in dieser Hinsicht ist vielleicht seine elaboriert komponierte Demontage von Noise-Pop als selbstgenügsamer Nabelschauszene in Spex 09/86. Drei Monate später kann Selbstgenügsamkeit allerdings schon wieder eine Haltung sein, die positiv besetzt ist (etwa im Falle von Felt). Ruffs Texte reagieren stets auf die musikalische wie außermusikalische Wirklichkeit, so wie sie sich ihm darstellt. In diesem Sinne stehen sie im Zeichen einer Diskursivität, die sehr persönlich geprägten Parametern unterliegt.

Zwischen 1986 und 1989 kommt es immer wieder zu schönen, euphorischen Texten, die die Fan-Perspektive absolut setzen, ohne dabei auf Analyse zu verzichten. Seine Artikel über Pentangle, Go-Betweens und immer wieder Neil Young seien hier stellvertretend genannt. Die Texte dieser Zeit künden von einem Schreibstil, der sich nah am Gegenstand bewegt, aber nie in die Falle der Tautologie tappt.

Dass er während des genannten Zeitraums in Spex einen Ort findet, in dem er sich frei entfalten kann, wird belegt von manch sympathisch anmutenden Egozentrismen. Im Januar 1989 überrumpelt er die Leserschaft im Rahmen der Rezension einer Jubiläums-Best-Of-Compilation mit einer Verneigung vor Franz-Josef Degenhardt, die mich damals maßlos beeindruckt hat. Auch sein Einsatz für die als Witz gelten Sigue Sigue Sputnik zweieinhalb Jahre zuvor demonstriert, dass stets mit Überraschungen zu rechnen war.

Meinungsmacher

Im Zuge des Golfkriegs 1991 stellt Ruff einen Zusammenhang her zwischen militärischer Auseinandersetzung und sich hart gerierender Rockmusik. Als Konsequenz ergibt sich eine Favorisierung leiser Folkspielarten im Umfeld des kalifornischen Okra-Labels. Tatsächlich kann man sagen, dass Ruff einen kleinen Hype lanciert, der sich nicht zuletzt an der Prägung des Schlagworts „Softcore“ festmachen lässt. Hier agiert Ruff ganz klassisch wie ein Meinungsmacher, der allerdings in Übereinstimmung mit scheinbar von außen vorgegebenen Zeitströmungen handelt.

Rückzug in den Plattenladen

Nachdem er Mitte und Ende der 90er noch für den Rolling Stone und Szene Hamburg geschrieben hatte, war es seit Mitte der Nuller Jahre hinsichtlich journalistischer Äußerungen stiller geworden um Michael Ruff. Er konzentrierte sich anscheinend zunehmend auf den Plattenladen, den er Facebook-Kommentaren zufolge mit einer schlecht gelaunten Anti-Haltung betrieb, wie sie Plattenladenbesitzern typischerweise zugeschrieben wird. Ein Freund meint allerdings, dass er in den letzten Jahren „viel netter geworden“ sei. Als ich bei meinem ersten Besuch 1986 mit süßen 14 Jahren und in Begleitung meiner Eltern eine Roky-Erickson-LP bei ihm kaufte, war er jedenfalls nicht unfreundlich. Leider war ich zu cool, vemutlich eher zu schüchtern, um mich als Fan seiner Texte zu outen.

Michael Ruff ist im September mit 67 Jahren in Hamburg gestorben.

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