25 Jahre Electronic Beats

Zwischen Glitzer Strümpfen und Säulenruinen: 25 Jahre Electronic Beats

Party im CANK: 25 Jahre Electronic Beats (Photo: Natalie Mayroth)

 

Auf der Bühne steht eine Frau in silbernen Kniestrümpfen, langen Shorts und einer schmalen Sonnenbrille, die wie ein TikTok-Filter wirkt. Ihr Haar ist streng zurückgestylt, das Mikrofon hält Fuffifufzich (siehe Interview auf kaput) wie ein Werkzeug in der Hand. Hinter der jungen Frau glüht wechselnd in Rot oder Blau-Magenta die Wandbeleuchtung. Scheinwerfer strahlen sie von oben an. Publikum singt, wippt, fühlt mit.

25 Jahre Electronic Beats Party (Photo: Natalie Mayroth)

An den kahlen Betonwänden des Konzertraums hängen Poster, die Künstlerinnen wie Donna Summer oder Lana Del Rey ankündigen – Ikonen, die einst bei Veranstaltungen des Musik- und Community-Programms der Telekom auftraten. Vor 25 Jahren begann diese Reise. Nun feierte der Marketingableger ein Vierteljahrhundert Popgeschichte – im CANK in Neukölln, einem ehemaligen Kaufhaus, dessen Säulen und Wände in Magenta schimmern.

Die Nacht wirkt wie aus der Zeit gefallen: Viele Gäste tragen Outfits, als kämen sie direkt aus den späten 90ern oder frühen 2000ern. Enge Stretchtops, geflochtene Zöpfe, Haarklammern – Accessoires wie aus einer Zeitkapsel. Oder um es so zu sagen: Wer in den letzten zwei Jahrzehnten in deutschen Musikredaktionen, Clubs oder auf Festivals unterwegs war, ist heute abend anwesend. Viele von ihnen hatten früher mit „Electronic Beats“ direkt zu tun – oder waren eben zumindest auf einer der Partys oder Festivals gewesen.

Während Künstler:innen von Pop bis Techno mit Beats und intensiven Performances die alte Verkaufsfläche eroberten, drängt sich eine Frage auf: Was wurde aus den Magazinen, die einst über Musik, Partys und Festivals berichteten?
Das Jahr 2018 war ein schwarzes Jahr für die deutschen Musikmagazine. Spex, Groove und Intro verschwanden allesamt von den Kiosken. Manche verabschiedeten sich mit Nachrufen, andere gingen still. De:Bug hatte sich schon 2014 aus dem Printgeschäft zurückgezogen. Zum Abschied hieß es: „Das Glück aber liegt am Ende wohl nicht unbedingt zwischen gedruckten Seiten.”
Vieles wanderte ins Netz, manches überlebte in kleiner Auflage, wie der Musikexpress. Anderes verschwand. Plattformen wie Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop  und Das Filter versuchten ab 2014/15, neue Formen des Musikjournalismus online auszuloten. Ihre Gründer und ersten Autor:innen hatten einst für Print geschrieben. Dazwischen gewann das Print-Nischenprojekt Das Wetter und das Event- und Online-Magazin Resident Advisor (seit 2010 mit Büro in Berlin) an Aufmerksamkeit.

Und Electronic Beats? Es verwandelte sich zur Content-Maschine. Ich erinnere mich noch an das Printmagazin in Pink-Schwarz-Weiß, das auch in Elektronikmärkten in München auslag, bis es 2015 zum letzten Mal gedruckt wurde. Danach folgte ein DVD-Format, ein Webmagazin, YouTube-Programm und Podcasts. Und es gab zahlreiche Events, wie Ende Mai in Neukölln, bei denen man sich weniger als Medium und mehr als Szene verstand.

Der Marketingarm der Telekom hatte unterdessen längst das europäische Ausland im Blick. In Budapest etwa richtete Electronic Beats ein Festival mit Diskurs, Designer:innen und DJ-Sets aus, zu dem ich eingeladen war. Das hatte fast schon politischen Charakter, in einem Land, dessen Regierung die Clubszene eher als Bedrohung sah. Dass ausgerechnet eine Telekommarke dabei zum Gastgeber wurde, sagt viel über die Verschiebungen der vergangenen Jahre: Kultur als Marketingstrategie, Subkultur als Brandingchance.

Man kann das kritisieren – oder man feiert mit, zumindest solange es noch Nischenräume gibt. Ohnehin existieren noch wenige aufwändige Musikevents, die ohne Sponsoren wie Telekom, Red Bull oder Alkoholmarken auskommen. Auch von den VICE-Musik-Ablegern Thump (2017), Noisey (2019) und i-D mussten wir uns zwischenzeitlich verabschieden – und schließlich von VICE selbst, das für gesponserte Events bekannt war. Ein Comeback wird versucht, doch vieles gehört der Vergangenheit an. In Zeiten von TikTok ist es schwer, mitzuhalten.

Kaput-Autorin Natalie Mayroth bei der Dokumentation (Photo: Natalie Mayroth)

Die Bühne gehört nun öfter den Jüngeren. FKA twigs brachte als Headliner mit ihrem „Euphoric Rave“ – einer Wortneuschöpfung aus Euphorie und Sexualität – eine durchchoreografierte, aufgeladene Performance. In knappen Shorts, Lederjacke und an der Seite von DJ Dr. Rubinstein war es der Auftritt, dem alle entgegengefieberten. Doch die Show des Abends lieferte Fuffifufzich: In ihrer Kunstfigur angekommen, präsentierte sie neuen deutschen Sehnsuchts-Pop mit theatralischer Performanz. (Kaput traf sie vor ihrem Auftritt backstage.)

Vor ihr heizte bereits die Kölner DJ-Crew E.P.I.Q. ein, zum Schluss legte der Hamburger Boys Noize auf – wobei gegen Ende der Nacht nicht mehr alle durchhielten. Die Kaufhauskulisse begann sich zu leeren. Draußen in der Karl-Marx-Straße: Nachhall. Einige Menschen zogen noch durch die Straßen, der türkische Imbiss hatte auch noch offen. Vielleicht war dieser Abend nicht nur Jubiläum, sondern ein Zwischenruf. Die leise Bilanz lautet: Pop und Corporate sind kaum mehr zu trennen. Was bleibt, ist der Versuch, inmitten gebrandeter Musikwelten dennoch Nähe, Resonanz und Raum für Szenen zu schaffen – wenn auch nur für wenige Stunden.

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