Anne Imhof, Eliza Douglas und Billy Bultheel „SEX“ & Pan Daijing „Tissues“
Anne Imhof, Eliza Douglas und Billy Bultheel „SEX“ (PAN)
Während der langen Stunden der Pandemie-bedingten Isolation Zuhause hatten wir alle viel Zeit zum Nachdenken. Eine zentrale Frage, die man sich und der Welt immer wieder stellte: wie wirkt sich das, was wir aktuell durchleben (müssen) auf die Kunst aus?
Nicht nur ich war mir sicher, dass das danach nicht wie das zuvor aussehen konnte.
Als sich dann alles (zumindest temporär) wieder öffnete, stellt sich eine gewisse Ernüchterung ein, da doch im Großen und Ganzen ein Business as Usual konsterniert werden muss. Vielleicht ist es aber auch noch zu früh, die Künstler:innen mit ihren (fehlenden) Ableitungen zu konfrontieren, denn vieles, was dieser Tage aufgeführt und veröffentlicht wird, ist schon vor der Pandemie definiert worden.
Ich führe das aus, da ich mir kaum vorstellen konnte, dass die – stark verkürzt – auf zur Schau gestellten Lethargie und kokettierendem Nihilismus aufbauende (Performance)Kunst von Anne Imhof so noch fortführbar wäre im Antlitz einer Welt, die echte und dringlichere Probleme kennt als diese First-World-Inszenierungen. Denn genau das ist „Sex“ – entstanden in Kooperation mit Imhofs Partnerin Eliza Douglas und dem langjährigen musikalischen Wegbegleiter Billy Bultheel als Soundtrack für Performances in der Tate Modern, London, dem Art Institute of Chicago und dem Castello di Rivoli Museo d’Arte Contemporanea – im Innersten.
Lässt man all diese (wichtigen) grundlegenden Aspekte mal außen vor, und ignoriert auch den plakativen Titel „Sex“, so ist den dreien ein größtenteils sehr gutes Album gelungen. Die Verehrung für epochale Künstler:innen wie Diamanda Galas, Yoko Ono und Anthony & The Johnsons ist omnipräsent, wobei es ihnen jedoch größtenteils gelingt, die Einflüsse in eine eigene, stimmige Textur zu überführen, in dem sie selbstbewusst genug sind, die eigene Stärken zu erkennen, wie beispielsweise die größtenteils faszinierend zitternde Stimme von Eliza Douglas – markante Ausnahme bilden die zwei nennen wir es mal verspielte Hommagen „Vivaldi“ und „Marlene“, die eher in Playback-Showformate und auf Provinzbühnen passen. Schön hingen der finale Bezug auf die Gruppe Low, deren prophetische Textzeile “All you pretty People, you’re all gonna die” wirklich wie gemacht ist für die hier von Imhof, Douglas und Bultheel kultivierte Welt – obwohl es natürlich so Pre-Covid ist.
Ich hatte das Glück im Herbst 2019 eine der Performances von Pan Daijing in den Tanks des Tate Modern Museums in London erleben zu dürfen.
Wobei das Vergnügen primär ein akustisches war, die Performance selbst wirkte ein bisschen wie eine Zeitgeist- und Karrierenotwendigkeit, an der sich die Musikerin (scheinbar) abarbeiten musste, die aber dem musikalischen Kern ihres künstlerischen Schaffens nicht wirklich etwas substanzielles hinzufügte, sondern im Gegenteil fast schon die Gefahr der Dekonstruktion in sich trug (um das zu verhindern schloss ich über längere Passagen die Augen, um mich ganz und gar auf die Musik und den einnehmenden Gesang von Anna Davidson, Marie Gailey, Steve Katona und Pan Daijing selbst zu konzentrieren).
„Tissues“ hat mich analog zu„SEX“ viel über die Unzeitgemäßigkeit solcher nennen wir es Bored-Youth/Zombie-look-Performance nachdenken lassen. Angesichts der extrem euphorischen Reaktionen auf die aktuellen Pariser “Carte blanche“-Performances von Imhof liegt es nahe, das als singuläre Position eines Kritikers einzuordnen, vielleicht ist es aber auch zu früh im gesellschaftlichen Verarbeitungsprozess der Pandemie, um dies abschließend zu beurteilen.
Was sich definitiv sagen lässt: die Musikerin Pan Daijing ist eine Ausnahmegestalt, die sowohl was ihre eigene Präsenz im Raum als auch die kompositorischen Fähigkeiten ihresgleichen sucht im Feld der experimentellen Elektronik / Soundavantgarde; mühelos verwebt sie in ihren Stücken Einflüsse aus traditionell-chinesischer Folkmusik und westlicher Klangforschung mit der eigenen, kompromisslosen Soundästhetik. Hört man „Tissues“, das aus einer einzigen, enigmatisch mäandernden Komposition besteht, nun ohne die Londoner Inszenierung als Sidekick wieder, so bestätigen sich alle damaligen Eindrücke: diese Musik steht für sich allein!
Thomas Venker