Record of the Week

Hendrik Otremba „Riskantes Manöver”

Hendrik Otremba
„Riskantes Manöver”
(Trocadero/Indigo)

Große Gesten müssen nicht gescheut werden. Opulenz und Orchestralität können Mut beweisen und schwer wiegen gleichzeitig. Gedankenschwangerschaft kann leuchten. Nachdenklichkeit meint nicht Humorlosigkeit.

Irgendwann saßen Hendrik Otremba und ich mal im ehemaligen Raketencafé. Kind of Befreundung. Das war schön. Und seltsam. Und vor Jahren. Davor hatte mir der unersättliche Post Punk Ollie Schwabe (Regisseur von u.a. „Egoshooter“ mit Gastauftritt von Nikki Sudden sowie großen Musikdokus zu Heino, Tokio Hotel, Hamburg, Eurodance/Techno/Westbam usw.) den Tipp gegeben, die Gruppe Messer mal genauer anzuhören, weil auch aus Münster.

Eine Ehre, Hendrik und Ollie dann mit ins Team unser Paderborner Pop-Studiengänge bekommen zu haben (neben vielen anderen tollen Lehrbeauftragten auch Thomas Venker 😊) und gemeinsam mit so vielen tollen Menschen an einem weiten, heterogenen selbstkritischem Konzept von Pop zu arbeiten. Verkopftsein bedeutet nicht Emotionslosigkeit. Von wegen Kühlschrank. Große Missverständnisse. Im Gegenteil, sympathische Haltungen und Neigungen.

Hendrik Otremba (Photo: Mirko Borscht)

Hendrik schreit und singt und bildet und spielt und schreibt und liest und theoretisiert und, und, und… Was macht er eigentlich nicht? Sein Solo-Debüt ist ein riskantes Manöver für mich. Dies nicht, weil Messer alles bestimmen würden, sondern weil Hendrik sich offenhörbar ausprobiert, in die Löcher begibt. Während alle Messer auf diversen Projektschiffen unterwegs sind, Pogo McCartney etwa jüngst mit den krautigen Seoi Nage Eindruck hinterlassen hat und die Gruppe Messer nicht komplett ruht, sondern höchstselbst gerade ein neues Album aufnimmt, hat Hendrik seine poetische, fast intime Klangspur zu seinem Leben erzeugt. Unterstützt u.a. von seinem alten Schulfreund und Multi-Instrumentalist Alan Kassab und Kadaver-Schlagzeuger Christoph Bartelt. Aus allem seinem Schaffen führen Spuren in Hendriks sehr cineastische Stücke, ergänzt um Splitter von: Malaria, Blade Runner, Lesungen, These Immortal Souls, Palais Schaumburg, Messer, Xmal Deutschland, Heiner Müller, Jowe Head, Lydia Lunch, Neubauten, Welt am Draht, Nico, Nick Cave, Alexandra, Über uns der Schaum, Patrick Wagner, Stella Sommer (stimmlich zu Gast auf „Smog in Frankfurt“), Gregor Schwellenbach, Angelo Badalamenti, Epic Soundtracks, David Bowie („New York II“), Laura Nyro, All Diese Gewalt, Red Lorry Yellow Lorry, Karies, Ghosts Again („Unfall“), Prisen von Industrial und Wave („Nektar Nektar“).

Hendriks Solo-Album ist auch ein Gruppenwerk, welches Hörspiel, Lesung, Postrock, Theater, Erzählung, Malerei, Experiment und dunklen, mitunter fast bedrohlichen freien Fall vereint. Sehr sleazy wird hier kalter Rauch verbreitet. Tatsächlich reiht sich Hendrik in große Crooner wie Tex Perkins oder Simon Bonney ein, gleichwohl irgendwie im positiven Sinn klappriger, vielseitiger, selbstreflexiver und weniger machoistisch. Ein ziemlicher Brocken, vielleicht gar ein Monolith.

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