Record of the Week

The Jazz Butcher „The Highest in the Land”


The Jazz Butcher
„The Highest in the Land”
(Tapete/Indigo)

Ob es nun persönliche, popgesellschaftliche oder musikindustrielle ‘Retromania’ (Simon Reynolds) ist, letztlich geht es in einer solchen Besprechung für mich um den noch vorne blickenden Zusammenhang aus Pop, Gesellschaft und einem/r selbst. Und so ist es vielleicht kein Zufall, dass der leider letztes Jahr 63jährig zu früh an Krebs verstorbene Pat Fish aka The Jazz Butcher in meinen Ohren und – um das gleich klarzumachen – meinem Herzen gelandet ist. Neben auch gerade zum x-ten Mal wiederentdeckten Alben der Television Personalities, Swell Maps, Marine Girls, Slits, Felt, Woodentops und, und, und. Allesamt wegweisend zwischen Post und Art School Punk, aber nie so prominent wie The Clash, Sex Pistols, The Cure oder The Smiths. Vielleicht aber wichtiger.

Der Jazz Butcher erschien mir in eben jenen 1980ern im Grunde nur deswegen, weil auf seinem Live-Album aus 1985 Andrew Eldritch auftauchte, der damals noch überaus kredible und m.E. später leider arg verunglückte Sänger der Sisters of Mercy. Dieser residierte seinerzeit bekanntlich in Hamburg und gastierte hier beim Konzert seines Kumpels. Gleichwohl war der schlaue Pat Fish für mich immer näher am Songwriting, Storytelling, (Selbst-)Witz und der durchaus dandyhaften Sophistication der australischen Go Betweens oder gar von Bob Dylan und sicherlich (wahrscheinlich ohne es zu wissen) mit großem Einfluss auf etwa Element of Crime. Zudem war Fish politisch sehr aktiv, verstand sich früh als Europäer und kritisiert auf seinem neuen Album den isolationistischen Brexit mal subtil, mal ganz deutlich. Nur mit dem Ruhm und Geld hat es eben nie so wirklich überlebensnotwendig ausgereicht. Trotz vieler kleiner Erfolge und Kooperationen unter anderen mit Spacemen 3 oder den Blue Aeroplanes.

In diesen letzten neuen Songs, die Fish über sieben Jahre hinweg und neun Jahre nach seinem vorletzten Album „Last of the Gentleman Adventures“ (2012) aufnahm, scheint das alles glänzend und – wenn das auch für jemanden wie den Jazz Butcher unwürdig klingen mag, sorry Pat – rührend durch. In „Running on Fumes“ inklusive wunderbar old school-igem Animations-Musikclip oder „Time” wird das offenhörbar:
„Time’s running out. The money’s running out. You don’t need me to tell you what it’s all about. Time’s running out. The money’s running out. Oh, baby!“
Eine Entschuldigungsballade an verpasste (Liebes-)Gelegenheiten wie „Never Give Up“ („until you want to“, ergänzt Fish) angesichts der Ahnung um das eigenen Vergehen lässt einem Tränen in die Augen schießen.
Wie war das noch, das Persönliche ist politisch, das Politische ist persönlich, von Thatcher bis Johnson: „The Highest in the Land“.

Nachdem zuvor erfreulicherweise schon die alten Alben des Jazz Butchers wiederveröffentlich wurden, hat sich das Hamburger Label „Tapete“ dieses wichtigen letzten Albums angenommen, das mich tief bewegt. Ist das eigentlich Indie oder Alternative Folk? Im Gestus Post Punk oder Prä-„NMEC86“ (die berühmte Compilation der britischen Musikzeitschrift „New Music Express“ mit unter anderen Primal Scream, The Pastels, The Mighty Lemon Drops)? Jedenfalls ist das keinerlei Retromania, denn Fishs Lyrics sind und bleiben im Hier und Jetzt, von ihm, über sich und doch für uns alle. Ist doch auch einfach scheiße mit dem Sterben und Präteritum. Ein seltsames Gefühl, aber toll, dass dieses Album quasi gerade so eben fertig war, bevor der Jazz Butcher Geschichte wurde. Nochmal „Time”: „My hair’s all wrong. My time ain’t long. Fishy go to heaven, get along, get along.“

 

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