Dr. Stefanie Roenneke: „Als Lehrbeauftragte sehe ich mich eher als Phantom, das für zwei Stunden in der Woche in einem Seminarraum Studierende bespukt“
Mit ihrer im Herbst 2020 initiierten Aktion #95vsWissZeitVG (95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz) haben Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon auf Twitter auf die Argumentationslinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) reagiert. Das Bundesministerium spricht dabei von einer drohenden “Gefahr der Systemverstopfung“, sollte man Wissenschaftler:innen Normalarbeitsverhältnisse anbieten.
Die Reaktionen innerhalb des Wissenschaftsbetriebs (aber auch darüberhinaus) waren vehement und führten zum Hashtag #IchbinHanna – „benannt nach der fiktiven Figur, anhand derer die vermeintlichen Vorteile des WissZeitVG im Video veranschaulicht werden“ (zitiert nach https://ichbinhanna.wordpress.com) –, unter dem sehr viele Wissenschaftler:innen von persönlichen Frusterlebnissen berichteten und Einblicke in ihre (oft) prekären Lebensumstände gaben.
Am 27. März 2022 erschien im Berliner Suhrkamp Verlag das Buch „#IchBinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland“.
Nicht vom Wissenschaftszeitvertragsgesetz betroffen – und dennoch ähnlichen Frust- und Prekariatsverhältnissen ausgesetzt – sind die Freien Dozent:innen an Deutschen Universitäten und Hochschulen. Anders als ihre festangestellten Kolleg:innen dürfen sie zwar im Prinzip lebenslang weiter unterrichten, so denn sie es sich leisten können angesichts eher mäßiger Stundensätze, (oft) fehlender Anreisekostenübernahme und (zumeist) nicht bezahlter Vor- und Nachbereitungszeit.
Ich selbst kenne den Wissenschaftsbetrieb durch viele Lehraufträge in den vergangenen zwanzig Jahren gut – was letztlich (jenseits der genannten Publikation) über meine Gespräche mit Kolleg:innen zur Idee zu dieser Interview-Reihe führte, deren Intention es ist, den Diskurs über diese suboptimalen Arbeitsbedingungen der einen erheblichen Teil der Universitäts- und Hochschullehre ausmachenden Freien Lehrkräfte ausgesetzt sind, anzuregen, und, naiv gesprochen, damit vielleicht Impulse zu Veränderungen zu setzen.
Ich freue mich sehr, dass Dr. Stefanie Roenneke sich bereits erklärt hat den Fragebogen auszufüllen. Bis vor kurzem hatte ich das Vergnügen, gemeinsam mit ihr am Institut für Pop-Musik der Folkwang Universität der Künste zu unterrichten und sie in diesem Rahmen als sehr kompetente und bei den Studierenden äußerst beliebte Kollegin kennenzulernen. Derzeit hat Dr. Stefanie Roenneke jedoch die Seiten gewechselt. Sie arbeitet an der Hochschule der bildenden Künste (HBK) Essen im Bereich Kommunikation.
Können Sie bitte in aller Kürze und Prägnanz ihre Hochschule/Universität, das Institut/Fach und konkret das Studienangebot/den Studiengang beschreiben.
Stefanie Roenneke: Ich habe zuletzt von 2017 bis 2022 am Institut für Pop-Musik der Folkwang Universität der Künste unterrichtet. Ich habe pro Semester ein Seminar im Teilmodul „Trends und Gesellschaft“ angeboten. In meinen Kursen, sei es zu „Pop und Identität“, „Pop-Musik zwischen Befreiung und Unterdrückung“ oder zu Entwicklungen im Popmusikjournalismus, habe ich aktuelle und historische Bezugsräume von Pop-Musik aufgezeigt, damit Folkwang Studierende ihre eigene künstlerische Position ausloten können und gleichzeitig einen erweiterten Blick auf ihr Schaffen haben. Zuvor habe ich von 2008 und 2015 am Institut für Optionale Studien an der Universität Duisburg-Essen unterrichtet, sowie einzelne Seminare an der Ruhr-Universität Bochum, der Universität Siegen und der Universität Paderborn angeboten. Hier haben ich Seminare in Bereich Literatur- und Kulturwissenschaft angeboten.
Wie lange sind Sie an Ihrer jetzigen Hochschule/Universität bereits tätig und in welcher Position?
Mit Ende des Sommersemester 2022 unterrichte ich nicht mehr. Am Institut für Pop-Musik der Folkwang Universität der Künste war ich knapp fünf Jahre als Lehrbeauftragte tätig. Eine lange Zeit für mein Verständnis.
Würden Sie sagen, dass die aktuellen Angebotsverhältnisse an Ihrem Institut/in ihren Studiengängen von Ihnen mitgeprägt wurden und ihren Wünschen entsprechen?
Da ich als Lehrbeauftragte eine Ergänzung zum bestehenden Lehrangebot liefere, ist es grundsätzlich nicht Teil meiner Aufgabe, ein Institut und einen Studiengang mit zu prägen, da Lehraufträge mit einer bestimmten Anzahl an Semesterwochenstunden vergeben werden, die oftmals ausschließlich die Unterrichtszeit abdecken. Durch die Freiheit der Lehre wähle ich mein Seminarthema und Methode selbstbestimmt. Bei den Zeiten bin ich jedoch dem bestehenden Lehrbetrieb untergeordnet. Als Lehrbeauftragte, insbesondere an großen Einrichtungen, sehe ich mich in der Regel eher als Phantom, das für zwei Stunden in der Woche in einem Seminarraum fünf, zehn, 15 oder über 40 Studierende bespukt und dann wieder unsichtbar wird. Eine Ausnahme hat meine Tätigkeit am Folkwang Institut für Pop-Musik dargestellt. Hier hatte ich das Glück, auf eine offene, eine sich im Werden befindende Einrichtung zu stoßen, wo meine Person und Ideen über den Lehrauftrag hinaus geschätzt wurden.
Wie haben Sie an der Hochschule/Universität die Pandemie bis dato erfahren?
Wie in vielen staatlichen, aber wohl auch privaten, Einrichtungen wurde durch die Pandemie ein Digitalisierungsschub erzwungen und Abläufe erleichtert, auch wenn letzteres sicherlich nicht immer kampflos geschieht. Ich konnte meine Seminare stets durchführen und habe mich schnell an die neue digitale Unterrichtsform gewöhnt. Hybride Unterrichtsformen habe ich jedoch als wenig praktikabel und auch als negativ für das Unterrichtsgeschehen sowie den Dialog mit den Studierenden erfahren.
Ich selbst bin Freier Dozent an drei Universitäten in NRW (an der Folkwang Universität der Künste in Bochum/Essen, an der Universität Paderborn und an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf). Wenn man Anfragen zu Lehraufträgen bekommt, schmeichelt es einem zu Beginn, recht schnell bemerkt man aber, dass ein Großteil des Betriebs Deutscher Hochschulen und Universitäten auf solchen mäßig bezahlten Lehraufträgen aufbaut (oftmals sind zudem nicht mal Anfahrtskosten und Unterkunftskosten bei mehrtägigen Seminaren abgedeckt). Und so fragt man sich schnell, warum werden in Deutschland eigentlich Lehrer:innen an Schulen gut bezahlt, an den Hochschulen und Universitäten aber hat sich ein Honorierungsmodell etabliert, das ich zynisch gerne als „Hartz 4-Lehre“ bezeichne. Auf welchen institutionellen Diskursen beruht so ein Modell? Wer hat sich das ausgedacht und die Rahmenbedingungen definiert?
Ich kann mit meiner Antwort nicht jeden Aspekt der Frage abdecken und wahrscheinlich eher die Annahme bestätigen, die eröffnet wird.
Lehrbeauftragte stellen eine Ergänzung zum Lehrangebot dar. Sie bilden zum einen die Möglichkeit, externes Know-how an die Hochschule zu holen, aber vor allem sind sie aus meiner Perspektive ein kostengünstige Alternative, ein vielfältiges Lehrangebot aufrechtzuerhalten, was durch den Abbau wissenschaftlicher Stellen und dem Abbau des Mittelbaus sonst nicht mehr möglich wäre. Auch festangestellte Lehrkräfte für besondere Aufgaben kommen an ihre Belastungsgrenzen oder haben diese schon weit überschritten.
Wie Personen den Lehrauftrag empfinden, hängt sicherlich von dem Weg ab, der sie an die Hochschule führt und welcher Anspruch damit verbunden wird. Doktoranden führen Lehraufträge durch, um Lehrerfahrung zu sammeln oder weil sie ihr Promotionsthema in einem Seminar präsenteren müssen. In den optionalen Studien, die durch die Hochschulreform eingeführt wurden, wird oft externes Know-how an die Hochschule geholt, um die Angebote im Spracherwerb oder PR oder Lernmanagement etc. abzudecken. Für andere stellt der Lehrauftrag wiederum eine Übergangslösung dar, um an einer Hochschule weiterhin tätig zu sein, während sie sich auf eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeitende bewerben oder auf eine Doktorandenstelle hoffen.
Diese Liste der Beweggründe ist sicherlich noch vielfältiger, gerade im künstlerischen Bereich. Ich spreche aus der Perspektive wissenschaftlicher Lehraufträge. In diesem Bereich gibt es zum Beispiel auch unbezahlte Lehraufträge, die eben Personen übernehmen, die noch eine wissenschaftliche Laufbahn anstreben. Lockmittel kann dann zum Beispiel sein, nur Master-Studierende unterrichtet ‚zu dürfen‘.
Das Honorar für die Seminare beinhaltet in der Regel auch Vor- und Nachbereitung – und an den meisten Hochschulen / Universitäten auch Prüfungen. Das wirkt sich natürlich langfristig auf die Qualität der Lehre aus, da viele Lehrenden immer wieder die gleichen Seminare abhalten, da ihnen schlichtweg die Zeit für eine stete Neudefinition der Lehrinhalte fehlt. Kennen Sie diese Problemstellung aus Ihrem Alltag? Und wie positionieren Sie sich hierzu?
Eine solche Einschätzung ist abhängig davon, in welchem Bereich der Lehrauftrag durchgeführt wird. Dozent*innen, die aufgrund ihrer Expertise an die Hochschule geholt werden, können die Lehre auch dann bereichern, wenn sie sich nicht jedes Semester ein neues Seminar ‚ausdenken‘. Das hängt aber nun mal von den Inhalten und dem Unterrichtsfeld ab. Und es ist nun nicht immer die Aufgabe von Lehrbeauftragten die Forschung voranzutreiben. Wenn zum Beispiel Doktoranden Seminare anbieten, bleibt der angestrebte Zusammenhang von Forschung und Lehre bestehen und die damit auch fortgeführte Anspruch, der erkenntnistheoretischen Weiterentwicklung.
Die Konstruktion des Hochschul- /Universität Lehrbetriebs über wenig festangestellte Professor:innen, Lehrende und Institutsmitarbeiter:innen sowie eine Vielzahl freier Dozent:innen mit in der Regel nur 2, 3 oder 4 Semesterwochenstunden reduziert natürlich auch das Wissenschaftliche Forschungspotential. Die enge Taktung der Lehraufträge ermöglicht es schlichtweg nicht, dass Freie Dozent:innen potentielle Forschungsideen einbringen und nachgehen können. Zumindest empfinde ich diese Situation von Außen so. Wie schätzen sie diesen Sachverhalt ein? Und wie wirkt sich das konkret in Ihrem Bereich aus?
Einige Punkte hierzu habe ich bereits in meinen vorherigen Antworten angesprochen. Als selbstständige Lehrbeauftragte habe ich es oft nicht als Teil meiner Aufgabe und meiner Rolle verstanden, die Forschung voranzutreiben. Denn dafür habe ich nie Zeit und Budget erhalten. Wenn man das dennoch durch Seminare oder Veröffentlichungen macht, und das habe ich, ohne je die Perspektive auf eine wissenschaftliche oder künstlerische Anstellung zu haben, dann trägt das eventuell zur mentalen Gesundheit und zum persönlichen Profil bei und auch das Institut kann sich erfreuen, an dem die Person tätig ist, doch eigentlich ist das die Aufgabe von angestellten Wissenschaftler*innen – dafür sind sie in dieser Funktion angestellt. Dass diese Stellen auch gravierenden Probleme haben, ist eine andere Geschichte und seit „Ich bin Hanna“ auch kurzzeitig ins öffentliche Bewusstsein gerückt.
Bemerken Sie an ihrer Universität, dass die geschilderten Zustände dazu führen, dass die Fluktuation unter den Freien Dozent:innen hoch ist?
Das kann ich aus meiner Perspektive nicht beantworten, da das von dem jeweiligen Etat abhängt und dem Bedarf.
Gibt es eine Hochschule / Universität (in Deutschland – aber auch gerne im Ausland), die sie als positives Beispiel hervorheben wollen, da dort Definition der Studienfächer und Lehrinhalte, die Organisation des Lehrbetriebs und Kommunikation mit und Arbeitsbedingungen für die Freuen Dozent:innen gut (oder gar ideal) aufgestellt sind?
Ich habe meine Zeit am Institut für Pop-Musik sehr geschätzt. Hier war es insbesondere die Kollegialität untereinander und auch meine Integration in das Institut durch die damalige künstlerische Leitung und das Institutsmanagement, auch wenn ich nur Lehrbeauftragte war. Das dehnte natürlich auch das Verständnis eines Lehrauftrags, aber hier durchaus positiv. An der Universität Paderborn war ich positiv überrascht, dass ich Ansprechpartner hatte, die auf mich zugekommen sind und ich nicht alles selbst zu Raum, Ausstattung, Kommunikation mit den Studierenden, Credit-Vergabe etc. erfragen musste.
Vielen Dank für Ihre Zeit.