„Bildet Nischen! Rückkopplungen aus dem Zodiak Free Arts Lab“ – Vom 21.-26.9. im HAU Hebbel am Ufer (HAU1), Berlin

„Bildet Nischen!“: Energie Kraft, Mut und positive Signale

HAU Hebbel am Ufer (HAU2) © Jürgen Fehrmann

Vom 21. bis 26. September findet im HAU Hebbel am Ufer (im HAU1) das „Bildet Nischen! Rückkopplungen aus dem Zodiak Free Arts Lab“-Festival statt. Das originäre Zodiak Free Arts Lab, im Winter 1967 von Conrad Schnitzler und Mitstreiter:innen ins Leben gerufen, gilt als Prototyp eines hierarchiefreien Raums für musikalische Experimente und interdisziplinären Austausch, der bis heute Gegenstand von Verklärungen und Nostalgiewallungen ist, aber und vor allem auch Impulsgeber für neue, nach vorne gerichtete Projekte kollektiver Kulturproduktion. Gerade aktuell, in einem Klima immer präsenter werdender Abhängigkeitsstrukturen von staatlicher Hilfe, dient der Bezug auf Orte wie das Zodiak Free Arts Lab als Ausgangsbasis für den dringend notwendigen Diskurs über den Stellenwert, den Kultur in unseren Gesellschaft einnimmt und die dementsprechende Positionierung der Künstler:innen.
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Kaput hat den Kurator:innen und einigen auftretenden Künstler:innen im Vorfeld zum Festival befragt.
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Photo: Galya

 

Tobias Schurig (HAU Hebbel am Ufer)

Was bedeutet eine Begrifflichkeit wie Nische für Euch 2021? Also zu einem Zeitpunkt (sub)kulturellen Agierens, wo ohne den Staat bei kaum noch jemanden etwas geht?
Wir begreifen Nische als Möglichkeit des Zusammenspiel eines Raumes mit einem sozialen Moment, also einer direkten Interaktion zwischen Menschen deren Resultate eben jenen Raum befüllen können. Konkreter, auf Kunst und Kultur bezogen, ein Ort indem sich, in einer Art Schutzatmosphäre, Ideen finden können ohne dass sie zu stark kulturindustriellen Verwertungsmechanismen beziehungsweise Zwängen ausgesetzt sind. Nische also auch als Refugium, als Möglichkeit gelebter Utopie. Die Idee der Selbstorganistation ist da wichtig. Das sich solche Orte zusehens verknappen, sie verschwinden, ist nicht neu. Entfaltung in urbanen Räumen gestaltet sich gefühlt immer schwieriger in einer sich nach ökonomischen Kriterien verdichteten Stadtgesellschaft. Gleichzeitig ebenso wichtig ist ein Blick auf die Verhälnismäßigkeiten bzw. Lebensrealitäten der in ihr Lebenden. Permanent unter Druck zu stehen kann lähmen und künstlerische Findung oder Entwicklung hemmen, sogar verhindern. Für eine Stadtgesellschaft, die den Anspruch hat sich über ihre kulturelle Vielfalt und die in ihr entstehende Kunst zu definieren, ist es wichtig, dass politisch die Rahmenbedingungen geschaffen und angelegt werden. Und das funktioniert eben nicht nur indem in Institutionen, wie der unseren, durch Förderung Dinge ermöglicht werden, sondern zu forderst, in dem das Leben und die Entfaltung im Stadtraum weiter möglich gehalten werden.

Mit “Bildet Nischen! – Rückkopplungen aus dem Zodiak Free Arts Lab“ eröffnet ihr die Spielzeit 2021/2022. Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen geht ihr in die Spielzeit?
Die naheliegendeste wie auch wichtigste Hoffnung ist es natürlich wieder für und mit
einem real anwesenden Publikum die Ideen unserer Künstler:innen zu erleben und erlebbar zu machen. Wir hoffen auch bald wieder in Regelmäßigkeit mit unseren
internationalen Künstler:innnen im HAU arbeiten zu können. Gleichzeitig arbeiten
wir daran, unsere im Laufe der Corona Zeit entstandene, digitale Bühne HAU4 ohne Lockdown-Druck weiterzuentwickeln zu können.

Und in welchem Verhältnis steht die Auswahl dieses spezifischen Programmpunkts zum Start dazu?
Tatsächlich hatten wir das Festival bereits für den September 2020 angedacht aber aus bekannten Gründen verschoben. Wir setzen uns in unserer Arbeit, und damit verbunden in Themenschwerpunkten, regelmäßig mit dem Leben im urbanen Raum auseinander. Zum Beispiel in verschiedenen Formaten bei unserer Spielzeiteröffnung 2019 durch das Festival „Berlin Bleibt!“. Dafür initiierten wir in einem damals leerstehenden, inzwischen abgerissenen Gebäude den „Projektraum Urbane Arbeit“ in dem zu Themen wie soziale Teilhabe oder der Wohnungsfrage gestritten, performt und geforscht wurde. Wir konnten so durch unsere Strukturen verschiedenen Aktivist:innen auch Raum und Gehör verschaffen und uns so den Themen gemeinsam annähern, Solidaritäten finden und sich gegenseitig stärken.
Zodiak ist für uns einerseits ein Thema der Geschichte unseres Hauses, das wir aber eben auch als Frühform eines (sub)kulturellen, unabhängigen Freiraumes, als ein Kapitel Berliner Kultur- und Stadtgeschichte lesen. Am Ende dieser Spielzeit schließen wir die Stadt-Klammer mit einem Schwerpunkt über den Mehringplatz der in direkten Nachbarschaft des HAU liegt. Dabei arbeiten wir eng mit dessen Bewohner:innen zusammen.

Das von Conrad Schnitzler gegründete Zodiak Free Arts Lab war von 1967 bis 1969 in zwei Zimmer im Erdgeschoss der damaligen Schaubühne am Halleschen Ufer ansässig, also im heutigen HAU2 (WAU). Der dort kultivierte experimentelle und sozialpolitisch-egalitäre Kulturbegriff ermöglichte die Genese einer sogenannten Berliner Schule zwischen Krautrock und Jazz. Wie kam es zur Idee die eigene Geschichte wieder aufzugreifen?
Natürlich ist es naheliegend und legitim die Assoziation mit Krautrock, Kosmische Musik und Ambient aufzugreifen und zweifelsohne war das auch in unserer Annäherung an das Zodiak der Erstimpuls. Richtig spannend wurde es aber in der Recherche auch durch die diversen Gespräche mit damals Aktiven und Gästen, wodurch sich der Raum immer weiter auftat. Man* muss sich eine Mischung aus Bildenden Künstler:innen, Musiker:innen und nicht Nichtmusiker:innen, Filmschaffenden, Gammler:innen, Kiffer:innen, Junkies und Student:innen vorstellen. Eine interdisziplinäre Praxis, die neben Musik auch Performance, Filmkunst und Literatur beinhaltete. Die Ermöglichung einer Avantgarde, ein Drang nach Erneuerung und die Abkehr vom Klima des Postnazismus. Mich fasziniert die Energie die sich im Zodiak entlud. Eine Initialzündung, die eben auch in oben genannten musikalischen Neuerungen mündete, die wiederum bis heute nachhallen.

Wie seid ihr an die Programmierung einer solchen nennen wir es mal Hommage-Reihe herangegangen? Was gab den Ausschlag für die spezifischen Künstler:innen und Kombinationen?
Wir sind das Thema von Anfang an nicht als Hommage angegangen. Natürlich gilt es das Zodiak und das Geschehen im Zodiak zu würdigen, diese Geschichte aus den nach unserem Dafürhalten relevanten Gesichtspunkten zu beleuchten. Aber statt einer Mythenbildung passiert die stärkere Würdigung des Zodiak aus sich selbst heraus. Aus dem, was es auch nach fünfzig Jahren noch zu erzählen vermag: als ein inspirierendes Bespiel für Aktivismus, Offenheit und Selbstermächtigung. Herangehensweisen, die sich ursächlich in vielen spannenden musikalischen Szenen der folgenden Jahrzehnte nachweisen lassen und uns dazu bewegten mit dem Thema Zodiak eine Brücke ins Hier und Jetzt zu versuchen. Das Zodiak als einen frühen Ort Berliner Undergrounds zu feiern. Entsprechend spielten neben musikalischen Kriterien auch die gelebte Praxis der jeweiligen Musiker:innen eine entscheidende Rolle.

Was erhofft Ihr euch über diese Woche hinaus von “Bildet Nischen! – Rückkopplungen aus dem Zodiak Free Arts Lab“?
Es wäre toll, Menschen zu erreichen, die die Geschichte des Zodiak noch nicht kennen. Wir als HAU Hebbel am Ufer sind uns bewusst, aus einem institutionell geförderten Haus heraus senden. Wir möchten auf jene Nischen und Freiräume aufmerksam machen und darauf verweisen, wie wichtig sie für ein vitales, kulturelles Leben sind: davon profitieren auch wir als Haus in dem wir dadurch immer wieder unseren Blickwinkel erweitern können.
Nicht zuletzt durch Corona sind auch die unabhängigen Räume in ihrer Existenz enorm unter Druck geraten. Es wäre toll wenn das Festival mittels der Geschichte des Zodiak Energie Kraft, Mut und positive Signale aussenden könnte. Wir hoffen auch einen fruchtbaren Austausch zwischen den verschiedenen Generationen.

Was können wir für die kommende Spielzeit noch erwarten?
Im Anschluss an „Bildet Nischen!“ wird sich die Performance „Virtual Wombs“ von Anna Fries & Mali Peeters im HAU3 mittels der Schwangerschaft eines Post-Humans mit utopischen Körperbildern erfahrbar durch VR-Technologie beschäftigen.
Die Premiere von Christiane Rösinger’s feministisch, utopischen Stück „Planet Egalia“ werden wir im November vor Publikum nachholen können.
Ebenfalls im November setzen wir uns in dem Schwerpunkt „Zusammen verbrennen wir die Angst“ durch verschiedene performative wie diskursive Formate mit patriarchal-kapitalistischen Zusammenhängen und daraus resultierender Gewalt in Lateinamerika auseinander. Wir werden dabei unter anderem die Zusammenarbeit mit dem chilenischen Kollektiv LASTESIS fortführen und darüber hinaus eine Arbeit der Regisseurin Manuela Infante zeigen.
Im Januar werden wird dann die an den Münchner Kammerspielen entwickelte Konzertperformance „The History of the Federal Republik of Germany as told by Fehler Kuti und die Polizei“ von Fehler Kuti im HAU1 zu Gast haben.
Im April wird die Musikerin Circuit Des Yeux ihr neues Album „-io“ vorstellen.

Midori Hirano

 

Monika Werkstatt (Gudrun Gut, Midori Hirano, Islaja, Pilocka Krach)

Gudrun Gut: Es ist ein langjähriger Traum und Wunsch von mir, dass dieser wichtige Berliner Ort und diese moderne Form der Begegnung und Erforschung von Musik mit Publikum eine neue Würdigung und Ehre erfährt — ja endlich! Ich bin super stolz, dass wir mit der Monika Werkstatt nun dabei sein dürfen Die Electronik-Szene um cluster etc. war für mein ganzes Leben als Musikerin inspirierend und wichtig. Die Freiheit und Unabhängigkeit haben mir auch wirklich immer wieder als Vorbild gedient. Ha. Ist so.

Was ist Dein Lieblingssong von Conrad Schnitzler
Midori Hirano: Als Kluster: „Eruption“

Was verbindest du mit dem Zodiak Free Arts Lab?
Midori Hirano: Monika Werkstatt verbindet mich mit dem Zodiak Free Arts Lab – und ich freue mich sehr, es gemeinsam mit ihnen in eine neue Form zu bringen.

Wie hat man sich den von Euch eingebrachten Programmpunkt vorzustellen? Findet da eine explizite Auseinandersetzung mit dem Überthema statt?
Midori Hirano: Hierarchiefreier Raum.

Pilocka Krach

Die Woche steht unter dem Motto: „Bildet Nischen!“ Was löst diese Motto bei Euch aus?
Midori Hirano: Versuchen weiter Experimente zu machen und die Klischees zu brechen.
Pilocka Krach: Bildet Banden!

In den vergangenen beiden Jahren haben wir Pandemie-bedingt eine (noch stärker als zuvor bereits) stattfindende Annäherung (sub)kulturellen Agierens gen Staatliche Organe und Bezuschussung erlebt. Denkt Ihr, dass dieser Prozess nur temporär war oder von bleibender Realität ist? Und was bedeutet das für die kulturellen Zusammenhänge?
Midori Hirano: Ich sehe, dass die Pandemie die Kulturwelt auf vielen Ebenen verändert hat –  ich finde es immerhin positiv, dass das für die Welt mehr Solidarität gebracht hat. Und ich glaube, dass das so bleiben könnte, wenn die Pandemie tatsächlich vorbei ist.

Welche weitere Rückkopplung aus der Vergangenheit sehnt Ihr herbei?
Midori Hirano: Ich würde mich lieber mit dem Geist der Vergangenheit verbinden.

Dirk Dresselhaus: „Das Foto stammt aus der Serie, die Jens Strüver von mir 2016 mit Conrad Schnitzlers Lautsprecherhelm vorm Bauhaus-Archiv für mein „Con-Struct“ Album gemacht hat.“ Link zum Album: https://www.discogs.com/Conrad-Schnitzler-Schneider-TM-Con-Struct/release/9591962


Dirk Dresselhaus (Die Angel)

Was ist Dein Lieblingssong von Conrad Schnitzler?
„HONGKONG / KOMM MIT NACH BERLIN (Con 3)“

Was verbindest du mit der Geschichte des Zodiak Free Arts Lab?
Ich verbinde mit dem Zodiak Free Arts Lab den Anfang der (nicht nur) Berliner und eher abstrakt-elektronischen Facette einer experimentellen Musik aus Deutschland der späten 60er und frühen 70er Jahre, die später etwas oberflächlich zusammenfassend als „Krautrock“ bezeichnet wurde. Soweit ich weiß, war es ein Raum im jetzigen Hebbel Theater, in dem die Grenzen zwischen Musiker:innen, Publikum, Instrumenten, Zeit und sonstigem verschwammen.

Wie hat man sich den von Dir eingebrachten Programmpunkt vorzustellen?
Da wir als die ANGEL das Glück haben, zusammen mit Günter Schickert, einem der letzten überlebenden Zeitzeugen und Protagonisten des Zodiak spielen zu dürfen, und auch bei uns seit den späten 90er Jahren der bewußt provozierte musikalische Kontrollverlust zugunsten von mäandernden Zyklen aus (De-)Konstruktion stattfindet, sind wir quasi mit dem speziellen Konzept für unseren Programmpunkt wie für dieses Thema geschaffen:
„Günter Schickert schickt akustische Signale von Blas- und Perkussionsinstrumenten oder auch selbstgebauten Klangobjekten durch Mikrofone in Ilpo Väisänens & Dirk Dresselhaus’ Mischpulte, in denen diese durch Effektschleifen, Elektronik sowie Re-Sampling verarbeitet und rearrangiert werden. Zusätzlich werden noch eigene Klänge von Analog Synthesizer & präparierter E-Gitarre beigesteuert, die dem improvisatorischen Charakter des Konzerts unvorhersehbare Dynamiken verleihen. Die eigentliche Komposition ist dieses spezielle Set-Up, in dem wiederum Alles offen und möglich ist, so wie es auch im Zodiak Free Arts Lab war.“

Die Woche steht unter dem Motto: „Bildet Nischen!“ Was löst diese Motto bei Dir aus?
Mut zur Utopie.

In den vergangenen beiden Jahren haben wir Pandemie-bedingt eine (noch stärker als zuvor bereits) stattfindende Annäherung (sub)kulturellen Agierens gen Staatliche Organe und Bezuschussung erlebt. Denkst du / denkt Ihr, dass dieser Prozess nur temporär war oder von bleibender Realität ist? Und was bedeutet das für die kulturellen Zusammenhänge?
Ich denke, dass diese Art staatlicher Unterstützung speziell für Subkultur im besten Falls eine Wechselwirkung haben könnte, in der sich dort etwas Neues, Utopisches entwickelt, das wiederum als futuristischer Impuls auf die Gesellschaft zurückstrahlt. Im schlimmsten Fall wird experimenteller Lärm so zu einer Art Mainstream-Unterhaltung für höheres Bildungsbürgertum, Investmentbanker, Wirtschaftsmanager, BND und Polizei. Momentan ist nicht absehbar, in welche Richtung es sich entwickelt, was anscheinend auch für die größeren Zusammenhänge gilt.
Es kann sein, dass der revolutionärste Ansatz, Musik zu machen dann das geschriebene Lied, der Song wird, der ja zum Beispiel von den Protagonisten des Zodiak strikt abgelehnt wurde.

Welche weitere Rückkopplung aus der Vergangenheit sehnst du herbei?
Metal Machine Music

Photo: Galya

 

Valentina Magaletti

Valentina Magaletti

Was ist Dein Lieblingssong von Conrad Schnitzler
„Fata Morgana“ vom Album „Consequenz“.

Wie hat man sich den von Dir eingebrachten Programmpunkt vorzustellen? Findet da eine explizite Auseinandersetzung mit dem Überthema statt?
Erwartet eine perkussive Auflösung – in verschlüsselten Illusionen präsentiert. Drei bemerkenswerte Schlagzeuger:innen, gefiltert durch analoge Tape-Poesie.

Die Woche steht unter dem Motto: „Bildet Nischen!“ Was löst diese Motto bei Dir aus?
Als Schlagzeugerin und Lesbe bin ich Teil eine kulturellen und sozialen Minderheit. Ich habe mich von jeher engagiert und weiß kreative Kollektive und Gemeinschaften zu schätzen. Musik und Kunst sind für mich die Essenz von Inklusivität. Die Pandemie hat es in den vergangenen anderthalb Jahren erschwert, gemeinschaftliche Räume aufzusuchen. Wir Künstler:innen mussten neue Wege finden, um in Kontakt zu treten. Digital über Entfernung zu arbeiten, wurde zum kulturelle Mittelpunkt, zur „Nische“, um in Austausch zu sein und miteinander zu arbeiten.

In den vergangenen beiden Jahren haben wir Pandemie-bedingt eine (noch stärker als zuvor bereits) stattfindende Annäherung (sub)kulturellen Agierens gen Staatliche Organe und Bezuschussung erlebt. Denkst du, dass dieser Prozess nur temporär war oder von bleibender Realität ist? Und was bedeutet das für die kulturellen Zusammenhänge?

Ich hoffe, das den Menschen die Bedeutung von Kunst und Musik in den letzten beiden Jahre klarer geworden ist.

 

Markus Acher (The Notwist)

Was ist Dein Lieblingssong von Conrad Schnitzler
„Sage mir“ von C.Schnitzler & Michael Otto (von der „Micon In Italia“ LP)

Was verbindest du mit der Geschichte des Zodiak Free Arts Lab?
Ich kenne das ja nur vom lesen und kurzen gefilmten Sequenzen, deswegen ist das eher so ein mythischer Ort oder auch eine Utopie eines freien Raumes, in dem experimentelle und elektronische Musik neu und lebendig ist. Diese Utopie war auch eine Idee für unsere Soundclashs auf dem Alien-Disko-Festival, bei denen mehrere Bands und Musiker:innen, elektronisch oder akustisch, abwechselnd oder zusammen in verschiedenen Ecken des Raums gespielt haben.

Wie hat man sich den von Euch eingebrachten Programmpunkt vorzustellen?
Wir werden unser Programm danach ausrichten, das macht Spaß. Die Kraut-Elektronik von Conrad Schnitzler, Roedelius, Popol Vuh etc… war sehr wichtig für unseren Soundtrack zu „One Of These Days“ von Bastian Günther, und dann auch für unsere Platte „Vertigo Days“, deswegen haben wir uns im Vorfeld auch schon viel musikalisch damit auseinandergesetzt.

Die Woche steht unter dem Motto: „Bildet Nischen!“ Was löst diese Motto bei Dir aus?
Für uns waren schon immer die Nischen und kleinen subkulturellen Szenen extrem wichtige Orte und sehr inspirierend. In Weilheim in der Bayrischen Provinz waren wir ja auch komplett in der Nische, als wir angefangen haben, und da waren das neuseeländische Kassettenlabel X-Pressway oder das Nijmegener Risoprint-Kollektiv Extrapool unsere großen Vorbilder, um kreativ etwas zu organisieren und veröffentlichen. Und da tun sich immer wieder neue Welten auf… gerade zum Beispiel die in Corona-Zeiten entstandene, komplett unabhängige Download- und Streaming-Seite Minna Kikeru unserer Freunde Tenniscoats aus Japan: https://minnakikeru.com

 

Galya Ozeran


Galya Ozeran (Chikiss)

Was ist Dein Lieblingssong von Conrad Schnitzler
Ich bin nicht wirklich sehr vertraut mit dem Werk von Conrad Schnitzler, da möchte ich gar nichts vormachen. „Tanze im Regen“ findet sich auf meiner Playlist. Natürlich habe ich seine Solo-Musik gehört, auch Kluster, Eruption und Tangerine Dream aus der Zeit mit ihm. Oft erkenne ich seinen Sound, aber ich bin nicht wirklich tief in sein Werk eingetaucht. Dank dem Label Bureau B habe ich seine Alben „Rot“, „Grün“ und „Blau“ entdeckt.

Durch die Zunahme an Informationen im Laufe des letzten Jahrzehnts wird es für mich immer schwerer, mir Namen Titel, Namen von Stücken und Alben zu behalten. Das Gedächtnis kann das nicht mehr aufnehmen. Das ist nicht cool, denn als Musiker:innen nehmen wir Alben auf, Botschaften – und jede Komponente ist dabei der Versuch, ein Stück Seele zu transportieren – und Lieblingsstücke sind das, was sich aufbaut.
Von den im Zodiak aktiven Musikern beeinflusste Roedelius mich am meisten. Auf den ersten Blick sind es einfache, minimalistische, melodische Bewegungen und Strukturen, die einen aber zutiefst berühren – und du fragst dich:  was ist das Geheimnis? Warum ist das so catchy? Weniger aus dem Kopf heraus als mehr aus dem Bauch. Es ist immer interessant, seine Musik zu hören. Eines meiner Lieblingsstücke ist „Durch die Wüste“; und alle seine Klavier Alben.

Was verbindest du mit der Geschichte des Zodiak Free Arts Lab?
Wie hat man sich den von Dir eingebrachten Programmpunkt vorzustellen?
Ich habe vor ein paar Jahren das erste Mal vom Zodiak Free Arts Lab gehört. Ich begann mich darauf hin mehr für die Geschichte der deutschen experimentellen Musik zu interessieren und stellte schnell fest, dass die Musik meinen Ansätzen und meinem Sound sehr nah steht. Beim Ghost Zoo-Auftritt, für den ich mit Etkin Çekin und Sebastian Lee Philipp zusammen spielen werde, spielt Improvisation eine besondere Rolle. Es geht um Spontanität, um die Unberechenbarkeit des Verlaufes.  Die Idee ist es, unsere Tiere für einen Spaziergang rauszulassen, sie knurren und zwitschern zu lassen. Das verbindet uns mit dem Zodiak und den damals aktiven Musiker:innen, wir alle sind Geistesverwandte, die weltweit einen natürlichen Fluss generieren und so etwas neues entstehen lassen. So entstehen immer wieder Nischen, manchmal bekommen sie einen bestimmten Namen verpasst – und manchmal wachsen sie auch in eine gewisse Richtung weiter, das ist immer auch eine Frage des richtigen Zeitpunkts und der Rahmenbedingungen.

Die Woche steht unter dem Motto: „Bildet Nischen!“ Was löst diese Motto bei Dir aus?
Einiges hierzu habe ich ja bereits geantwortet. Ich muss an Improvisation denken. An einen freien künstlerischen Prozess in einer Gemeinschaft mit Gleichgesinnten – in einem solchen Austausch entstehen neue Ideen, die manchmal neue Entwicklungen in Gang setzen. Selbst eine noch so kleine Nischen birgt in sich großes Kapital und kann so  eine musikalische Vielfalt nähren.

In den vergangenen beiden Jahren haben wir Pandemie-bedingt eine (noch stärker als zuvor bereits) stattfindende Annäherung (sub)kulturellen Agierens gen Staatliche Organe und Bezuschussung erlebt. Denkst du, dass dieser Prozess nur temporär war oder von bleibender Realität ist? Und was bedeutet das für die kulturellen Zusammenhänge?
Die Unterstützung war substantiell, gerade zu Beginn der Pandemie. Es gibt immer Menschen, die unzufrieden sind,  aber für Künstler:innen wie mich, die aus Ländern stammen, in denen unabhängige Künstler:innen nicht gefördert werden, wir wissen die Hilfe zu schätzen und sind dankbar dafür. In wenigen Ländern der Welt werden Künstler:innen so ermutigt und wertgeschätzt, besonders in Krisenzeiten wie wir sie im Moment erleben. Ich hoffe, dass das in Deutschland so bestehen bleibt.. Ein Leben ohne Kunst und Musik ist schwer vorstellbar.

 

Hans-Joachim Roedelius

 

Hans-Joachim Roedelius

Was ist Dein Lieblingssong von Conrad Schnitzler?
Das kann ich nicht stante pede sagen, er  hat soviel authentisches gemacht. Eigentlich alles, was Conni selbst getextet und gesungen hat.

Was verbindest du mit der Geschichte des Zodiak Free Arts Lab?
Ich habe es mit gegründet und nachdem Schnitzler eigene Wege ging bis zur Schließung mit meinen Kollegen von „Human Being“ geführt, mit denen dort gespielt und das Programm des Clubs mit gestaltet.

Wie hat man sich den von Dir eingebrachten Programmpunkt vorzustellen? Findet da eine explizite Auseinandersetzung mit dem Überthema statt?
Der Vorschlag, als besonderen Appendix des Roedelius-Teils bei der Feier zur Erinnerung an das Zodiak, mich mit einem Zeitgenossen von damals einen Set gemeinsam spielen zu lassen, kam von Tobias Schurig. Ich habe sehr gerne zugestimmt und mir Manuel Göttsching als Partner dafür ausgesucht. Manuel hat erfreulicherweise – nachdem ich ihm ein Horch-Muster dessen zugeschickt hatte, was mir in diesem Augenblick meiner künstlerischen Entwicklung am meisten Freude macht, beziehungsweise was gegenwärtig vor allem den Tenor meines Livespiels dominiert – zugestimmt, mich bei meinen Klavier-Phantasien mit der Konzertgitarre zu begleiten und damit das Gesamtbild des “im live-Spiel-Entstehenden” mit den besonderen Klangfarben dieses Instruments  zu vervollständigen / bereichern.

Wir, die wir uns damals im Zodiak nie persönlich näher begegnet sind, werden also etwas versuchen – was aber 1968 sowieso noch nicht möglich gewesen wäre.
Ich habe noch die räumliche Gesamtstruktur des Ur-Zodiaks in bester Erinnerung, den Geruch von Schmalzbroten (die ich selber zubereitete) und Bier (das ich selbst ausgeschenkt habe) in dessen Kneipenteil in der Nase und im Ohr die zum Teil betäubenden Geräusche, die wir uns und unserem Publikum als Human Being zumuteten, aber auch die Klänge einer neuen Musik, zum Beispiel des Psychedelic Rock der Urgruppe Tangerine Dream von Edgar Froese und von zum Teil höchst schrägen Musiken anderer Gruppen, die dort Gastspiele gaben, unter anderen Sven Ake Johannson, der ja heute auch hier zu Gast ist.
Eine neue Gesamt-Musikkultur im Aufbruch, beflügelt durch ein neues Paradigma. Ich war mit dabei, war Mittäter, Mitgestalter.

Ich verfolge die Entwicklung seitdem mit wachen Sinnen, durch mein besonderes Schicksal in die glückliche Lage versetzt, in Sachen Gestaltung wirklich nur das machen zu dürfen, was ICH für richtig halte. Keinerlei Bestimmung zu Diensten, die mir abverlangen würde, Zulieferer für die Erfordernisse des  Mainstreams zu werden. Was ich tue ist die natürliche, logische Folge der Kulturarbeit meiner Ahnen, Johann Christian Roedelius, Zeitgenosse des großen Johann Sebastian, hat die gleiche Orgel in Leipzig bespielt wie dieser. Ein anderer Urahne, einst Pastor und Kantor in Lieberose bei Berlin, hat die rockigste Kitchenmusik aller Zeit geschrieben. Man horche auf die 52 Sekunden, die das Stück dauert.
 Natürlich schlägt sich auch im Gedankengut und in der Arbeit unserer drei Kinder und der Enkel nieder, was uns, den Mitgliedern der Familie,  als Lebensaufgabe zugedacht ist
HEUREKA, Dank dem Herren, Lob sei Jesus Christus.

Die Woche steht unter dem Motto: „Bildet Nischen!“ Was löst diese Motto bei Dir aus?
Ich verkörpere, seitdem ich auf der Welt bin, die Roedeliusnische.

Was ist denn die Roedeliusnische für dich?
Das ist das Gefühlt, dass ich seit meiner Geburt mit/in mir trage und bewahre, nämlich etwas tun zu können, dass nur ich kann, beziehungsweise das nur mir möglich ist, frei nach dem Motto : Was man nicht ist, kann man nicht werden.

In den vergangenen beiden Jahren haben wir Pandemie-bedingt eine (noch stärker als zuvor bereits) stattfindende Annäherung (sub)kulturellen Agierens gen Staatliche Organe und Bezuschussung erlebt. Denkst du, dass dieser Prozess nur temporär war oder von bleibender Realität ist? Und was bedeutet das für die kulturellen Zusammenhänge?
Ich lebe ja seit Jahrzehnten in Österreich, wohin mich eine Ehe und ein unvergleichbares staatlich/stattliches Förderungssystem geführt haben, was in meinem Falle heißt, dass ich von Beginn meiner Wohnsitznahme an hier mit Zuschüssen zu Konzerttouren, Projekten, Produktionen, ergo mit Förderungen rechnen konnte, die sowohl mein und damit auch das Überleben meiner Familie mit garantierten, als mit den Resultaten aus meiner künstlerischen Arbeit auch meine Reputation weltweit einzementiert haben.
Zuletzt ist mir der Würdigungspreis für hervorragende Verdienste auf dem Gebiet zeitgenössischer Musik 2020 zuerkannt worden – die Urkunde davon steht vor mir auf dem Klavier; und neben mir am Computer liegt eine Medaille, der “Silberne Beethoven“, der mir jüngst von den für Kultur verantwortlichen Honoratioren meiner Wahlheimatstadt  Baden verliehen worden ist.

Welche weitere Rückkopplung aus der Vergangenheit sehnst du /herbei?
Nix rückkoppeln, avanti avanti avanti!

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„Bildet Nischen! Rückkopplungen aus dem Zodiak Free Arts Lab“ – Vom 21.-26.9. im HAU Hebbel am Ufer (HAU1), Berlin

Mit Auftritten von Hans-Joachim Roedelius, Manuel Göttsching, Günter Schickert, Wolfgang Seidel, Taste Tribes (Alfred 23 Harth, Hans Joachim Irmler, Wolfgang Seidel, Günter Müller), Nika Son, Galina Ozeran, Etkin Çekin, Detlef Krenz, Sebastian Lee Philipp, Monika Werkstatt (Gudrun Gut, Midori Hirano, Islaja, Pilocka Krach), The Notwist, die ANGEL (Dirk Dresselhaus & Ilpo Väisänen), Christoph Dallach & Andreas Dorau, Valentina Magaletti, Andrea Belfi, Katharina Ernst, Marta Salogni, Air Cushion Finish, Niklas Kraft, Sven-Åke Johansson, Jan Jelinek, Contagious, Datashock und Kulku.

Hier geht’s zur Festivalzeitung

https://www.hebbel-am-ufer.de/zodiak-festival/

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