Jan Rohlf: “Wir müssen uns fragen, wie wir durch Handlungen und Forderungen in unserer Einflusssphäre zu den notwendigen Veränderungen beitragen können”
Das CTM Festival findet zwar auch 2021 Ende Januar statt (vom 19. bis 31. Januar) – ansonsten fällt die “Transformation – Pandemic Edition” aber anders aus, als man es aus den vergangenen Jahren kennt.
Statt Konzerten, Panels und Clubnächten vor Ort, bei denen sich alle endlos durch die Tage und Nächte treiben lassen, finden alle Programmpunkte strictly digital statt, deswegen auch die Erweiterung des Festivalzeitraums auf “sequence of events from December 2020 to Summer 2021”. Eine große Herausforderung für das CTM Team und alle involvierten Mitarbeiter:innen und Künstler:innen.
Jan Rohlf, Co-Director und Teil des künstlerischen Leitungsteams des CTM Festivals, war so freundlich kaput trotz des aktuell sehr großen Arbeitsdrucks ein paar Fragen zu beantworten.
Jan, in etwas mehr als einem Monat beginnt das CTM Festival 2021. Wir befinden uns also an einem Zeitpunkt innerhalb des Festivalbiorhythmus, der unter normalen Umständen schon arbeitsintensiv und hektisch ausfällt. Doch was ist aktuell schon noch normal? Covid-19 hat die Welt auf den Kopf gestellt. Wie geht ihr als Festivalmacher mit dieser speziellen Situation um?
Jan Rohlf: Wir sehen uns als gefördertes Projekt zu aller erst in der Pflicht, überhaupt etwas zu produzieren und anzubieten, in diesem Sinne also Kontinuität zu liefern in einer Zeit, in der Vieles unterbrochen ist. Vor allem geht es darum, Künstler*innen zu beauftragen und ihnen, aber auch anderen, die üblicher Weise an unserem Festival mitwirken, Arbeit und Einkommen zu ermöglichen. Konkrete Projekte und Zusammenarbeiten können darüber hinaus auch emotionale Anker sein.
Eine wichtige Funktionen von Festivals sind ja Austausch und Begegnung – und wir alle müssen ja im Moment damit klarkommen, das gerade Begegnungen, insbesondere außerhalb des engeren Kreises, kaum mehr möglich sind. Die Arbeit an der Ausgabe 2021 liefert Anlässe miteinander im Kontakt zu stehen, wenn auch fast ausschließlich medial vermittelt. Wichtig ist uns dabei, dass wir uns angesichts der Pandemie eben nicht ausschließlich auf unsere lokale Situation konzentrieren, sondern weiterhin mit Menschen in vielen Teilen der Welt zusammenarbeiten. Dafür suchen wir nach Wegen und Formaten.
Wir befinden uns ja nun schon im neunten/zehnten Monat mit der Pandemie – der ökonomische und soziale Druck ist ja schon massiv und wird gerade jetzt im Herbst / Winter nicht geringer – inwieweit könnt ihr schon Unterschiede feststellen, was das für die Arbeit in Euerem Team bedeutet?
Natürlich hat die Situation seit März auch bei uns so gut wie alles durcheinander geworfen. Sehr vieles muss neu gedacht und neu organisiert werden. Das erfordert Diskussion, Lernen und Experiment – und das in einer für alle privat wie beruflich mental sehr herausfordernden Situation. Für viele steht die Existenz auf dem Spiel. Was in jahrelangem Engagement aufgebaut wurde steht auf der Kippe …. bei uns ist es unter anderem die an das Festival angedockte DISK Agency. Wie bei allen Künstleragenturen steht hier derzeit alles still. Wie und wann wir die Arbeit wieder herauffahren können, und was dann noch von dem, was wir aufgebaut haben, übrig ist, werden wir sehen.
Menschen in unserem Team, Leute mit denen wir eng zusammenarbeiten, Künstler*innen, Partner, alle stehen unter einem unterschwelligen oder ganz unmittelbaren Stress. Das macht den Prozess, Antworten auf die Lage zu finden, besonders schwierig. Die Herausforderung ist daher im Moment sicher nicht nur, kreativ und organisatorisch Wege zu finden, sondern auch als Kolleg*innen, Freunde, Familien Verständnis, Geduld und Solidarität zu üben.
Die Frage nach der richtigen Reaktion auf die sich ständig wandelnde COVID-19-Lage hat bei uns den über 20 Jahre gewachsenen Konsens, wie wir Dinge tun und warum, aufgebrochen. Die letzten Monate waren daher auch ein intensiver Prozess der Aushandlung eines neuen Konsens. Das alles war auf vielen Eben unglaublich intensiv. Es fühlt sich so an, als hätten wir gegenüber Vor-COVID-Jahren das doppelte Arbeitspensum absolviert. Das Gute darin könnte sein, dass wir daraus langfristige neue Impulse für unsere Festivalarbeit und unsere Zusammenarbeit als Team mitnehmen.
Wie fühlt sich die Zusammenarbeit mit den Künstler:innen überhaupt an? Kommuniziert man enger? Spürt man dass die emotionale Komponente und auch die ökonomische eine größere Rolle spielt als in „normalen“ Jahren?
Das lässt sich sicher nicht über einen Kamm scheren, denn die Situation stellt sich für Künstler*innen ja extrem unterschiedlich dar, je nach persönlicher Situation, aber auch nach Art ihrer künstlerischen Praxis oder wo sie leben. Die einen haben Zugang zu finanziellen Hilfen, andere nicht und sind damit beschäftigt, das Nötigste zu organisieren. Manche haben vielleicht Projekte, die auch unter Pandemiebedingungen weiterlaufen können, andere wurden komplett aus ihrer Bahn geworfen. Manche können das Zurückgeworfen-Sein auf ihr Studio produktiv nutzen, andere finden sich in kreativer Blockade. Aber klar, in mancher Kommunikation spürt man den emotionalen und wirtschaftlichen Stress, in denen sich Menschen befinden. Da sind Sorgen, Schwermut, Depression, die Kommunikation erfordert noch mehr Achtsamkeit und Einfühlung als sonst. Ich spüre aber auch eine stärkere Zugewandtheit: Solidarität, Freude und auch Dankbarkeit, etwas zu Projekten beizutragen zu können, die trotz aller Schwierigkeiten und aller Zweifel, was das bringen mag, die künstlerische Arbeit weiterhin nach Außen tragen wollen.
Was sind aktuell im Arbeitsalltag die größten Herausforderungen für Euer Team und euch?
Nach vielen Monaten, in denen die größte Herausforderung darin lag, angesichts einer sich beständig ändernden Pandemielage überhaupt zu konkreten Plänen und Entschlüssen zu gelangen und Wege zu finden, die ausbleibenden Ticketeinnahmen zu kompensieren, kämpfen wir jetzt, knapp sieben Wochen vor dem eigentlichen Festivaltermin vor allem gegen die Uhr. Fast alles, was wir uns vorgenommen haben, ist in irgendeiner Form neu für unser Team. Wir müssen unheimlich viel dazu lernen, arbeiten auch mit neuen Partnern und Expert*innen zusammen, müssen noch sehr viele Details in sehr kurzer Zeit irgendwie zusammenführen. Und über allem schwebt weiterhin, dass wir im Grunde nicht sagen können, ob das alles funktionieren und was dabei für das Publikum, die Künstler*innen und uns selbst wirklich herauskommen wird. Alles ist eine gute Stufe experimenteller als sonst. Wir können uns nicht im gleichen Maß auf über Jahre gewachsene Erfahrung stützen.
Habt ihr angesichts der unklaren Situation, was zum Zeitpunkt des Festivals möglich und erlaubt sein wird und was nicht, verschiedene Pläne in der Schublade?
Wir haben lange Zeit verschiedene Festivalversionen parallel gedacht und geplant. Mittlerweile aber gehen wir fest davon aus, dass im Januar und Februar keinerlei Publikumsveranstaltungen möglich sein werden. Wir haben daher einige Projekt auf später im Jahr 2021 verschoben und bespielen den üblichen Festivaltermin im Januar ausschließlich online.
Das CTM zeichnet sich ja neben dem Konzert- und Clubnächteprogramm auch durch ein umfangreiches Kongressprogramm aus – dieses lässt sich digital zumindest relativ ähnlich umsetzen, oder wie empfindet ihr das?
Ja, das Diskursprogramm lässt sich sicher einfacher rein Online produzieren, als viele der andern Programmelemente des Festivals. Aber natürlich haben wir auch hierin keine Routine und deshalb sind wir schon sehr gespannt, ob das alles so klappen und gut rüberkommen wird. Wir hoffen, auf Nachsicht bei allen, die uns mögen. Es ist ein Learning by doing, wie für eigentlich alle Kulturproduzenten in diesem Jahr.
Im Juli habt ihr in Kooperation mit dem Minecraft venue Club Matryoshka eine virtuelle Party veranstaltet. Wie hat sich diese Nacht für Euch dargestellt?
Die virtuelle Clubnacht mit Club Matryoshka in Minecraft war für uns ein tolles Erlebnis und ein echter Lichtblick in bedrückender Zeit. Es war unheimlich wichtig für uns, nach Monaten der gedanklichen Arbeit und des Zurückgeworfenseins auf uns selbst endlich wieder eine konkrete Produktion zu machen. Es war auch einer der seltenen Momente, in dem wir als Team ein Gemeinschaftserlebnis hatten. Es war total überraschend, wieviel positive Energie, Witz und auch Zusammenhalt und Begegnung in so einer dann doch gegenüber einem echten Club reduzierten Umgebung möglich ist. Und dann sind in Minecraft ja auch Dinge möglich, die es so im echten Club nicht geben kann. Und manche Ausschlußkriterien, die in der realen Clubwelt für Verletzungen sorgen, sind abwesend, was eine der Motivationen hinter Club Matryoshaka ist. Es hat unheimlich Spaß gemacht, sich die Welt mit auszudenken, die die Leute von Club Matryoshka dann in Tagelanger Detailarbeit eigens für die Veranstaltung gebaut haben. Die Zusammenarbeit mit dem Club Matryoshka war super. Wir haben viel gelernt. Und dann gab es am Ende natürlich viele Stunden großartiger Musik.
Was habt ihr Ableitungen für das Festival daraus gezogen?
Sowohl Club Matryoshka als auch CTM haben beschlossen, die Zusammenarbeit für eine zweite Ausgabe im Rahmen von CTM 2021 fortzuführen. Dafür wird die Welt weiter ausgebaut und um neue Ideen erweitert. Für die Ausgabe im Januar wird es einen zweiten, experimentelleren Floor geben und eine narrative Grundierung geben, die Einfluss auf das Gameplay haben wird. Wir sind gespannt!
Das CTM ist sehr eng mit den kooperierenden Institutionen wie HAU, Berghain, SchwuZ oder Heimhafen Neukölln verbunden. Werden diese auch in den digitalen Plänen eine besondere Rolle spielen?
Leider können wir in der aktuellen Lage an den meisten der Spielorte, mit denen sich das Festival eng verbunden fühlt, keine Produktionen machen. Wir werden lediglich an zwei, drei Orten Performances für das Streaming-Programm des Festivals aufzeichnen. Aber wir freuen uns schon jetzt riesig darauf, an all diese Orte zurückzukehren und mit all den vielen tollen Leuten wieder zusammenzuarbeiten, die sie am Laufen halte. Wir hoffen sehr, dass es allen gelingen wird, ihre Orte durch diese Krise zu steuern. Berlin braucht jeden dieser Orte. Daher hoffen wir, dass Stadt und Bund in den noch kommenden Monaten ihrer Verantwortung gerecht werden, um die Veranstaltungsorte zu ausreichend unterstützen, damit es sie auch nach der Pandemie noch geben wird.
Was könnt / wollt Ihr an diesem Zeitpunkt bereits zum konkreten Programm teilen?
Wir werden mit verschiedenen Online-Formaten experimentieren. Es wird einen virtuellen multi-player Online-Space geben, der sowohl als Online-Ausstellungsort, als auch als Ort der Begegnung funktionieren soll. Dafür haben wir einen ganze Reihe künstlerischer Arbeiten in Auftrag gegeben. Dazu wird es virtuelle Clubformate geben, das Diskursprogramm und ein Streamingprogramm mit Premieren von Live-Performances und vorproduzierten Videos. Neu sind auch die Online-Workshopformate A2A Transmission und Rethinking Music Ecosystems. Letzteres sind kollektive Thinktanks, in denen zur Transformation einzelner Aspekte unserer Musikkultur spekuliert werden soll. Outputs aus diesen Thinktanks werden dann im Frühjahr in unserem CTM Festival Magazin veröffentlicht, das seit wenigen Wochen online über unsere neue Webseite frei zugänglich ist. Für Rethinking Music Ecosystems können sich Interessierte noch bis zum 18. Dezember bewerben. Weiteres werden wir in den nächsten Tagen veröffentlichen.
Ich nehme mal an, dass Ihr Euch die Aktivitäten der anderen Festivals wie Sonar, Unsound, Atonal, c/o Pop, Reeperbahn Festival, Pop-Kultur, Mutek… angeschaut habt. Wer oder was ist euch da denn besonders nachhaltig aufgefallen? Und warum? (Gerne mit Links, wenn es davon Sachen in den Archiven der Festivals gibt.)
Vor allem ist uns klar geworden, wie schwierig es ist, rein Online das zu transportieren, wofür wir alle unsere Festivals machen: Begegnung, Austausch, gemeinsames Lernen, gemeinsame Erlebnisse, die über Unterschiede hinweg Brücken schlagen können.
Gibt es Formate, die ihr woanders gesehen habt und aufgreifen werdet?
Sicher fließt alles, was wir in den letzten Monaten irgendwo gesehen oder erlebt haben, in unsere eigene Arbeit ein. Andererseits, war das Jahr so atemlos, dass wir vieles, was wir uns genauer angesehen hätten, gar nicht so intensiv mitverfolgen konnten, wie wir das gerne getan hätten.
Das diesjährige Festival steht unter dem sehr passenden Motto „Transformation“ – inwieweit hat sich die Klangfarbe des Begriffs für Euch in diesem Jahr verändert?
Wir haben das Thema gewählt unter dem Eindruck von COVID-19, den vielen Kämpfen gegen Rassismus, die in 2020 durch Black Lives Matter und in Deutschland nach den Anschlägen von Hanau zu neuer Dringlichkeit fanden, der immer deutlicher werdenden Bedrohung von rechts und wie sich das alles mit der ungebremst fortlaufenden Klimakrise und globaler Ungleichheit verbindet. Niemand sollte sich angesichts dieser Gemengelage in 2020 noch ernsthaft der Einsicht verweigern können, das unsere Gesellschaften einen tiefgreifenden und schnellen Wandel braucht hin zu mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit.
Die Pandemie, die ja auch Ursachen in unserem Umgang mit dem Ökosystemunseres Planeten hat, zeigt, wie nah wir als Gesellschaft an der Schwelle zum Verlust von Planbarkeit, Sicherheit und anderen zivilisatorischen Errungenschaften stehen. Transformation will nicht den radikalen Bruch, sondern kann im Besten Fall eine Art kontrollierte Revolution sein. Eine noch einigermaßen selbst bestimmte und selbst gestaltete Veränderung, bevor andere Kräfte den Umbruch herbeiführen, ob wir es dann wollen oder nicht. Daher schien uns das der passende Begriff. Transformation stellt sich mehr denn je als konkrete Aufgabe für uns alle. Wir müssen uns fragen, wie wir durch Handlungen und Forderungen in unserer Einflusssphäre zu den notwendigen Veränderungen beitragen können. Und das natürlich auch innerhalb der Musikszene.
Jan, zum Schluss noch die Frage nach deinenLieblingstracks 2020 bislang:
Faten Kanaan „The Archer“
Slikback “WA 1023”