Danielle De Picciotto & Friends in conversation – Andrea Wünsche (Magnet Musik)

Andrea Wünsche: “Die Veranstalter gehen kaum mehr Risiken ein”

Andrea und die Gang – Barcelona, Sonar Festival

Ich habe Andrea Wünsche 2010 durch Khan und Kid Congo kennengelernt. Khan und ich hatten uns überlegt, eine Tour mit unterschiedlichen Acts zusammenzustellen und Kid schlug vor Andrea als Bookerin zu engagieren. Wir trafen sie in Ihrer Agentur und nachdem sie unser Konzept gehört hatte, war sie interessiert und sagte zu – und ich tuckerte so in 2011 zusammen mit meinem Mann Alexander Hacke, Kid Kongo Powers, Khan, Julie Cruise und Chris Hughes durch Europa in einem schicken Nightliner von Berlin bis nach Istanbul.

Die Tour hat trotz chaotischer Musiker_innen, zu viel Alkohol und einer hartnäckigen Grippewelle wegen Andreas Vorarbeiten und zuverlässiger Begleitung wie am Schnürchen geklappt und mal wieder bewiesen wie wichtig eine gute Booker_in ist. Für Musiker_innen ist dies ein großes Thema. Genauso wie  gute Manager_innen, ein billiger Proberaum, eine faire Plattenfirma oder eine Steuerberater_in, die sich mit dem Künstlerleben auskennt. Man kann zwar ohne sie auskommen, aber das Leben ist wesentlich schwieriger und das Vorankommen ab einer gewissen Größe beinah unmöglich. Erstaunlicherweise gibt es von all diesen Berufssparten immer weniger und davon sind noch weniger gut. Man würde denken, dass es ein dankbarer Job ist, denn es gibt unzählige Bands und Musiker die danach schreien.

Üblich ist es auch, dass Booker_innen und Manager_innen einen Prozentsatz der Gage des Künstlers bekommen, das heißt, wenn man gut Arbeitet leistet, bekommt man eigentlich auch gutes Geld. Tatsächlich ist es aber nicht ganz so einfach und die Verantwortung all dieser Arbeiten lastet immer mehr auf den Schultern der Musiker_innen. In den USA ist es seit Jahren üblich, dass Musiker_innen ihre Reise und Übernachtungskosten selber tragen müssen, teilweise sogar die Clubs bezahlen, um dort spielen zu dürfen. In Europa war diese Haltung Jahrelang verpönt. Sowohl Plattenfirmen, Promoter_innen wie auch Booker_innen glaubten daran, dass Künstler aufzubauen sinnvoller wäre, und trugen das Risiko mit. In vielen Instanzen hat diese Herangehensweise wunderschöne Blüten hervorgebracht.

Durch den Zusammenbruch der Musikwirtschaft und den international ansteigenden Mieten hat sich diese Haltung aber auch in Europa radikal verändert. Tour-Support gibt es von Seiten der Plattenfirmen nicht mehr und Clubs brauchen jede Besucher_in, um Ihre Kosten zu decken. Musiker_innen müssen inzwischen auch hier meistens Ihre Reisekosten selber aufbringen und die unbekannteren sogar ihr Hotel, die Soundtechniker_in und alle anderen Kosten decken die anfallen. So ist es dann meistens, dass sie nach drei Monaten Tournee pleite wieder nach Hause ankommen und sich überlegen müssen, ob sie sich so etwas leisten können.

Andrea mit Ata (Playhouse, Ongaku, Klang)

Für junge Booker_innen ist diese Tatsache Alltag und sie sind überrascht, wenn man es in Frage stellt. Für die erfahreneren Hasen ist es eine traurige Entwicklun,g denn wenn nur kommerziell erfolgreiche Musik und Kunst auf dem Markt bestehen kann, geht viel Wertvolles verloren. Sie versuchen deswegen durch besonders gute und hartnäckige Arbeit Schlupflöcher zu finden, mit denen man begabte Musiker_innen das Leben etwas erleichtern und Kosten einsparen kann, so dass sie weiterhin Ihre Arbeit machen können.

So eine Bookerin ist Andrea Wünsche. Mit ihr zu arbeiten war eine Wonne. Nicht nur, dass sie sehr zuverlässig war und flexibel in ungewöhnlichen Situationen – sie blieb auch am Ball, man konnte sie immer erreichen (eine Seltenheit) und wenn sie zu den Konzerten kam (was sie öfters tut und auch ungewöhnlich ist), hatte man das Gefühl, dass sie nicht nur die Musik versteht, sondern auch liebt und es für wichtig hält, dass sie aufgeführt wird. So etwas ist unbezahlbar.

Ich habe mit vielen Bookern in den letzten 25 Jahren gearbeitet. Es waren außer Andrea meistens Männer. Teilweise sehr gute, teilweise chaotische, teilweise sehr schlechte. Viele machen keine Akquise, sondern warten nur auf Angebote, andere brauchen Monate um eine Show hinzubekommen. Deswegen habe ich auch sehr viel selber gebucht, ganz einfach aus der Verzweiflung unbedingt meine Musik aufführen zu wollen. So freue ich mich immer sehr, wenn ich jemanden begegne, der die Leidenschaft und harte Arbeit von Musiker/innen wirklich schätzt. So sehr, dass es nicht nur um einen Job oder Geld geht, sondern ganz einfach um die Musik. Das ist nicht nur für die Künstler_innen sondern auch für unsere Kulturlandschaft sehr wichtig.
Für Ihren unglaublichen Einsatz möchte ich Andrea danken und sie heute hier vorstellen.

Danielle de Picciotto: Andrea, wann hast Du angefangen als Bookerin zu arbeiten und wie bist du darauf gekommen? Es ist ja ein Bereich, in dem es eigentlich nicht viele Frauen gibt, oder? Wann hast du deine eigene Firma gegründet? Was hat dich daran interessiert?
Andrea Wünsche: Nachdem ich unsere geliebte „Intimbar“ , ein kleiner Laden mit Bühne in Frankfurt am Main, im Frühjahr 1995 aufgeben musste, hat mir ein Freund den Tipp gegeben, dass Delirium Booking jemanden sucht. Ich habe dort erst als Assistentin, dann auch als Bookerin gearbeitet, nach einem Jahr habe ich meine eigene Agentur, damals noch Magnet Booking gegründet. Viele meiner Freunde haben Musik gemacht. Ich hatte ein sehr enges Verhältnis zu der Playhouse/Klang-Crew, so hatte ich gleich einen sehr guten Roster.
Für Musik habe ich mich schon immer interessiert, habe selbst aufgelegt, Schlagzeug gespielt, war jeden Abend auf Konzerten. Es war eine verlockende Vorstellung, mit dem, was mir so viel bedeutet, meinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Aber es hat einige Jahre gedauert, bis ich wirklich von der Agentur leben konnte. Morgens bin ich Kurier gefahren, habe Urin- Blut- und Stuhlproben von Arztpraxen abgeholt, abends oft hinter der Theke gestanden im St. Tropez und im Rotari, oder Maxim.
In den größeren Agenturen gibt es viele Männer, aber in den kleinen Techno-Agenturen damals gab es viele Frauen – ein Klischee –, Frauen mit Helfersyndrom und Organisationstalent. Zu der Zeit hatte ich mir gar nicht so viel Gedanken gemacht, ich habe einfach begonnen und habe es geliebt in dem Bereich zu arbeiten, wir waren eine große Familie , die Szene damals.

Wie würdest du die Arbeit einer Booking-Agentur beschreiben? Gehört Management für dich dazu?
Als ich anfing gab es noch keine Emails, das heißt ich habe mir eine gebrauchte PC Kiste gekauft, um Verträge und Itineraries erstellen zu können. An der Wand hing ein großer Kalender, in den ich alle Shows eingetragen hatte; es bedeutet auch noch heute sehr viel Kommunikation und Organisation. In den Anfängen hauptsächlich per Telefon; wir hatten horrende Telefonrechnungen, da gab es noch keine Flatrates, heute hat dafür wohl jeder Booker eine Mausschulter. Man sitzt den gesamten Tag am Rechner, man muss ständig von einem Thema zum anderen wechseln, man hat nie frei, bis ich dann meine erst Mitarbeiterin hatte Anfang 2003, habe ich jedes Wochenende SOS-Telefondienst gehabt, im Urlaub musste man sich einen Laden suchen mit Computern… Wie hießen die Läden noch ? Da gab es kaum WIFI. Da saß man dann jeden Tag stundenlang.
Naja, als Booker musst du eine Strategie, einen Plan für deinen Künstler erstellen, musst viel mitreisen, die Veranstalter kennenlernen, Die Künstler gut und marktgerecht unterbekommen, je nachdem wo es hingehen soll. Ich wollte meine Künstler nie wirklich kommerziell unterbringen, ich wollte gute Musik nach außen bringen, von der ich überzeugt war. Auf jeden Fall habe ich auch Management gemacht, heutzutage hat jeder Anfänger einen Manager, aber meine Künstler kaum, immer noch nicht, so dass ich die Aufgaben einer Managerin oft mit übernommen habe: also strategisch planen, Verbindungen herstellen, Promo und Presse organisieren und so weiter. Du musst als Booker/in auf jeden Fall sehr gut organisiert sein, einen guten Überblick behalten und Stress resistent sein.

Wie siehst du die Entwicklung von Konzertmanagement seit den 90iger Jahren? Ich als Musikerin habe das Gefühl, dass es viel härter geworden ist. Leute gehen nicht mehr so viel aus und Veranstalter müssen viel genauer rechnen als vor 20 Jahren noch. Siehst du das ähnlich?
Ich komme ja nicht aus dem klassischen Konzertbereich, sondern eher aus der elektronischen Musik, also DJs und Live Acts, einige Bands oder Projekte habe ich aber auch verbucht. Ja, es hat sich sehr verändert, es ist sehr kommerziell geworden alles. Ich kann es nicht beurteilen, ob die Leute weniger ausgehen, aber viele Events sind doch ausverkauft.
Einige Festivals und Veranstalter haben Schwierigkeiten, Events werden abgesagt. Aber ja, Veranstalter müssen genau sehen, was hip ist, mit welchem Künstler sie den Laden voll bekommen, ich denke die Konkurrenz ist so groß geworden.
Es gibt so unglaublich viele Musiker, DJs, die es geschafft haben, werden erstmal duchgereicht und die Halbwertzeit ist schneller. Der Hype ist schnell wieder vorbei. Aber es gibt auch immer wieder neue junge Menschen, die es wagen zu veranstalten und Plattformen bieten, aber natürlich sind das oft kleine Läden.

Wie siehst du das Musikbusiness im Vergleich zu den Musikern? Passt das noch zusammen? Kann unkommerzielle Musik überhaupt noch finanziell überleben?
Das ist die große Frage, die Veranstalter gehen kaum mehr Risiken ein, es geht oft nicht mehr um die Musik, sondern darum was läuft. Viele Veranstalter, die aus Leidenschaft buchen, geben auf, es gibt viele Veranstalter ,die zugeben, dass sie nicht unbedingt die Acts buchen die ihnen gefallen, sondern die, die laufen, Geld einbringen. Ich denke eine gesunde Mischung macht’s, aber ja es ist extrem schwer geworden für die unkommerziellen Acts.

Hast Du jemals mit Diskriminierung zu tun gehabt? Hast du Diskriminierung mit weiblichen Musikerinnen erlebt?
Ich persönlich habe keine Diskriminierung erlebt und kann auch nicht davon berichten, dass meine weiblichen Künstler etwas in der Richtung erlebt haben, aber ja weibliche Künstler werden oft nach dem Äüßeren beurteilt, beziehungsweise spielt es eine größere Rolle als bei männlichen Musikern. Frauen wird oft unterstellt, oder früher war es so, dass sie nicht auflegen können, dass sie nur wegen ihres Aussehens gebucht werden – und klar das ist Diskriminierung.
Heutzutage wird das viel mehr diskutiert und viele Veranstalter achten darauf mehr, weibliche Musiker einzuladen und es gibt ja sogar 50/50 Quoten, wie zum Beispiel beim Primavera Festival.

Die Bookerin als DJ, Silvester 2003.


Welche Musiker sind dir am meisten in Erinnerung geblieben? Welches Konzerterlebnis war für dich das herausstechendste?

Also privat haben mich viele Konzerte beeindruckt, Fela Kuti in Berkely, Gil Scott Heron im Sinkkasten Frankfurt, Henri Rollins im SO36, Ramones, Prince, Hope Sandoval; ich habe so viele Konzerte im meinem Leben gesehen, dafür bin ich sehr dankbar.
Beruflich war ein großer Moment, als Ata das erste Mal Alter Egos „Rocker“ gespielt hat bevor es veröffentlicht wurde.
Das war im Watergate, die Leute sind einfach nur durchgedreht. Oder der lleine Rave damals im Taunus, mit Ricardo, Roman, Ata, Heiko…. Ich habe so unglaublich viele schöne einprägsame Moment gehabt mit meinen Künstlern, musikalisch, persönlich, die kann ich alle gar nicht aufzählen. Es ist einfach ein wunderbares Gemeinschaftsgefühl, mit anderen Menschen in einem Raum die Musik zu hören, die man liebt, dazu zu tanzen und zu fühlen, sehr erhebend.

Danielle: Persönlich finde ich, dass ein Label, eine Booking Agentur und Verlag gut sind, wenn sie bereit sind Musiker_innen mitaufzubauen. Ich kenne das noch aus den 80igern und frühen 90igern. Viele der Bands, die heute sehr erfolgreich sind, hätten es nicht ohne deren Unterstützung und Glaube geschafft. Heute scheint es so zu sein, dass durch die allgemeine Inflation ein sofortiger Erfolg in jeder Berufssparte erwartet wird. Ich sehe das in der Musik, der Literatur und der Musik – wenn es kein Hit ist und Massen anzieht, wird man schnell fallen gelassen. Zeit für Entwicklung ist nicht mehr möglich. Deswegen gibt es so viele “One Hit Wonders”, die schnell wieder verschwinden. Siehst du das auch so? Wie verändert diese Haltung die Musiklandschaft an sich? Wird der Underground verschwinden?

Ja Künstler, Booking Agentur, Label und so weiter sollten einen Künstler Hand in Hand nachhaltig aufbauen. Heutzutage geht es oft um das schnelle Geld, aber ich denke nicht, dass die Underground Szene gänzlich verschwindet, aber der Markt ist kommerzieller geworden. Es wird immer schwerer bezahlbare Übungsräume / Studios zu bekommen, auch haben kleine Veranstalter mehr Probleme, Räume zu finden, aber es gibt immer noch viele motivierte Menschen mit Visionen, die sich den Underground in alle Richtungen musikalisch auf die Fahne schreiben. Aber viele junge Künstler sind sehr ungeduldig und wollen schnell viel für viel Geld spielen. Es gibt Eifersucht, Misstrauen und Neid unter den Musikern. Das ist natürlich nicht die Regel, aber durch den größer gewordenen Konkurrenzkampf denken die Künstler sie kommen zu kurz und den Druck bekommen die Agenten ab.

Die Bookerin als Sängerin

Wie hat sich die elektronische Musik für dich verändert in den letzten zwanzig Jahren?
Ich höre unter anderem seit Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre elektronischer Musik, mein Einstieg war der damalige HipHop, dann ging es ganz schnell zur elektronischen Musik. Aber ich höre divers, also in wirklich alle Richtungen Musik, auch Schlager und Country, alle Genres.
Am Anfang war es wie ein Weckruf, Aufbruchsstimmung, die Musik war so neu und aufregend, die Raves und Parties waren phänomenal, eine Halle, eine Anlage, ein bisschen Licht und Getränke oder Open Airs, irgendwo auf einer Wiese, im Wald, legal oder illegal. Es war eine große Familie, es war alles sehr leidenschaftlich. Die Raver waren voller Hingabe, es war egal wie man aussah. Heutzutage ist die elektronische Musik überall angekommen, ohne jetzt über Qualität zu urteilen. Ich fühle noch immer die Leidenschaft, aber meistens denke ich, „das kenne ich schon”, es gibt ganz selten neue Releases die mich vom Hocker hauen, alles kommt in Wellen wieder, außerdem finde ich den Markt unübersichtlicher, inflationär, viel zu viele Veröffentlichungen, ich finde es schwierig den Überblick zu behalten.

 Was machst du momentan?
Ich betreibe nach wie vor meine Agentur Magnet Musik, habe aber Ende letzten Jahres beschlossen, diese Ende 2019 zu schließen. Nach fast 25 Jahren Booking. Meinen Künstler_in nen habe ich im Januar mitgeteilt, dass sie sich neue Agent_innn suchen müssen, teilweise haben wir gemeinsam beraten, welche passend wären. Meine Angestellten habe ich entlassen, ich habe noch eine freie Mitarbeiterin und wir arbeiten die Shows bis Ende des Jahres ab. Ich habe das Bedürfnis nochmal etwas anderes zu machen in meinem Leben, vielleicht eine Aufgabe mit Anfang und Ende.

Was sind deine Zukunftspläne?
Erstmal möchte ich meine Agenturarbeit sauber abschließen und dann mal sehen, was kommen wird. Ich habe einige Ideen, die ich hier aber nicht verraten möchte, es ist spannend, alles ist offen. Anfänglich nach meiner Entscheidung hatte ich große Existenzängste, aber ich bin mittlerweile sehr zuversichtlich und froh. Ich freue mich sehr auf meinen ersten Urlaub ohne Emails und berufliche Telefonate nächstes Jahr, ohne SOS Telefondienst an den Wochenenden, auf neues Input, neue Themen. Aber Musik wird immer eine große Rolle in meinem Leben spielen.

Processed with VSCOcam with f2 preset

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!