Luzia Schmid „Ich bin überzeugt, dass meine Filme nur dann gut werden, wenn ich „angefasst“ davon bin“

Luzia Schmid (Photo courtesy Luzia Schmid)
Der neue Dokumentarfilm „Ich will alles. Hildegard Knef“ von Regisseurin Luzia Schmid, wurde auf der Berlinale begeistert gefeiert und läuft nun in den deutschen Kinos an. Hildegard Knef starb am 1.Februar 2002 mit 77 Jahren. Wenn man Berlinerinnen fragt, sind sie, ihre Mütter und Großmütter immer noch alle Fans. Diese intelligente, charismatische Frau, bekannt als Sängerin, Schauspielerin und „Sünderin“ nimmt auch nach ihrem Tod alle in ihren Bann. Ihre Ehrlichkeit und Tiefsinn blitzen in dem Archivmaterial überall durch, frech und angstlos begegnete sie jeder Hürde.
Starke Frauen braucht das Land und interessanterweise ist die Regisseurin Luzia Schmid aus ähnlichem Holz geschnitzt. 2022 bekam sie den Grimme Preis für ihren Film „Drei Frauen – Ein Krieg“. Im Gespräch und der Arbeit ist sie ähnlich wie Hilde sehr direkt mit einer großen Prise Humor. Zusammen mit dem wunderbaren Schnitt von Yana Höhnerbach hat Luzia einen unvergesslichen Film gezaubert, den man sich unbedingt anschauen sollte.
Dein Film „Ich Will Alles“ über Hildegard Knef wurde gerade auf der Berlinale begeistert gefeiert. Was interessierte dich am meisten an der Person Hildegard Knef?
Luzia Schmid: Um ehrlich zu sein – anfänglich gar nicht so viel. Das Thema wurde mir vorgeschlagen und ich dachte so ein bisschen: „Echt jetzt? Nur weil die 100 Jahre alt wird und publikumsträchtig sein könnte, soll nun nochmal ein Film rausgehauen werden?“ Aber irgendwas interessierte mich dann eben doch an ihr (unbedingt auch außerhalb der ewigen Notwendigkeit Geld verdienen zu müssen und also sehr vorsichtig mit zu schnellem Abwinken auf Filmangebote zu reagieren).
Ich glaube, was mich von Anfang an interessierte war die Erinnerung an die alte Hildegard Knef, die meist professionell-souverän ihre Auftritte der 90erJahre Talkshows meisterte im Gegensatz zu Hilde-Schlagzeilen der Yellow Press, die sich offenbar irgendwie in meinem Gedächtnis gehalten hatten. Das barg in sich einen interessanten Widerspruch. Und dann stieß ich bei den ersten Recherchen sehr schnell auf ihr Interview mit Friedrich Luft von 1962, wo sie zu den Höhen und Tiefen in ihrer Karriere befragt wurde.
Sie sagt da diesen Satz, dass sie mit berühmten Regisseuren Filme gemacht habe, die so hervorragende Filme gemacht hätten, dass man sich gar nicht vorstellen könne, dass die auch mal einen schlechten Film machen würden – und den machten sie dann mit ihr, Hilde. Und sie lachte und zündete sich eine Zigarette an. Das Interview hat mich umgehauen. Ich war quasi schockverliebt in sie, weil ich dachte, das würde heute kein Star mehr so offen zugeben. Und selbst wenn sie es täten, hätte es immer eine „Ich-bin-jetzt-authentisch-und-cool“-Anmutung, die eben doch nur ein Auftritt ist. Aber ihr glaubte ich. Ich empfand dieses Interview als absolut authentisch. Und von da an konzentrierte ich mich bei der Suche nach der öffentlichen Hildegard Knef. Sehr schnell entdeckte ich dann einen widersprüchlichen Umgang mit der Öffentlichkeit. Manchmal fand ich sie geradezu schmerzbefreit, wie sehr sie alles mit der Öffentlichkeit teilte, wiederum fand ich sie sehr clever und beinahe manipulativ im Umgang mit den Medien. Und dieses Spannungsfeld interessierte mich.
Hildegard wurde von vielen unserer Mütter verehrt, vor allem, weil sie nie vorgab perfekt zu sein. Ihre Brüche gehörten genauso zu ihrer Person wie Ihre Erfolge. Denkst du Frauen können auch heutzutage solche Brüche öffentlich zugeben oder ist der Perfektionismus zu streng geworden. Gerade in dem Bereich des Liftings und der Schönheitsoperationen wird vieles erwartet, aber kaum etwas zugegeben. Auch Süchte oder falsche Berufsentscheidungen werden selten so öffentlich besprochen wie bei Ihr.
Also zu der Schönheits-Operation hat Hildegard Knef später sehr oft gesagt, dass sie ein Fehler war, weil sie ihr „neues“ Gesicht neu einleben musste, ihm wieder ihren Charakter aufdrücken, es mit neuen Falten und Runzeln versehen musste. Ich glaube aber, dass sie hier leider eine Ausnahmeerscheinung ist bis heute. Natürlich nehme ich wahr, dass der Druck auf Frauen zunimmt, egal wie alt sie sind – gut, jung oder zumindest frisch auszusehen (was immer das heißen mag). Da muss ich gar nicht zu den Stars von heute schauen, da reicht ein Blick in den erweiterten Bekanntenkreis.
Ich bin da ambivalent. Wenn sich eine Freundin zu einer Schönheits-OP entscheidet, kann ich mich nicht dazu durchringen, ihr eine Standpauke zu halten, weil ich mir denke, wenn es ihr guttut, soll sie es halt machen. Gleichzeitig kann ich nicht umhin zu denken, dass es wenig hilft, wenn auch echt coole Frauen sich Schönheits-OPs unterziehen. Weil natürlich steigt dadurch der Druck. Was mich daran wahnsinnig macht, ist die Gleichmacherei. Alle wollen individuell sein, aber am Ende des Tages scheint mir diese Individualität (und das ausdrücklich nicht nur in Bezug auf Äußeres) sich doch in sehr engen, normierten, wohltemperierten Bahnen bewegen zu müssen. Das ist ein großer gesellschaftlicher Verlust.
Hildegard Knef stand auf alle Fälle zu den ausgeprägten Facetten ihrer Persönlichkeit. Sie war was Arbeitsethos, Perfektionismus und Ehrgeiz betraf ebenso extrem, wie in ihrem Lampenfieber und ihrer Verletzbarkeit. Ich glaube, sie war eine irre anstrengende Persönlichkeit, aber sie wusste darum und versuchte dagegen anzukämpfen, weil es ihr selbst das Leben manchmal auch zur Hölle machte. Ob sie daraus als Quelle für ihre Kreativität schöpfte, das weiß ich nicht. Aber wenn ich darüber nachdenke, glaube ich nicht, dass ihre Extreme Quelle ihrer Kreativität waren. Da bewegen wir uns ja in die Richtung, eine große künstlerische Persönlichkeit kann/darf/muss ein Arschloch sein, um das Genie auszuleben. Das finde ich überhaupt nicht!
Hildegard Knef war einfach eine wirklich vielseitig talentierte Frau, die sich in schwierigen Zeiten wieder fand. Ihre Brüche sehe ich insofern eher als Ausdruck dieser extremen Persönlichkeit. Faszinierend bleibt für mich ihr Drang, das alles sehr öffentlich auszutragen. Gesund war das bestimmt nicht immer, aber mir persönlich sympathischer als weichgezeichnete Popstarkrisen. Aber fraglos ist der Preis, der dafür gezahlt wird, eine gewisses Maß an öffentlicher Peinlichkeit.
Im Jahr 2022 bekamst du für deinen Film „Drei Frauen – Ein Krieg“ bereits zum dritten Mal den Grimme Preis (und zudem den Publikumspreis der Marler Gruppe). Im Film wird auch Lee Miller vorgestellt, dessen Geschichte gerade in einem Biopic mit Kate Winslet veröffentlicht wurde. Interessierte dich an dem Thema vor allem das Historische oder vor allem die Frauen?
Unbedingt beides! Ein Dokumentarfilm Kollege machte mal eine latent abfällige Bemerkung, darüber, dass jeder Dokfilmer:in mal, was zum Thema 2. Weltkrieg veröffentlicht haben müsse, bis er dann selbst auf eine Geschichte aus dem 2. Weltkrieg stieß, die er einfach machen musste. Und natürlich zuckt man angesichts der unzähligen und leider oft auch zweifelhaften „2. Weltkriegsdokus“ manchmal zusammen. Andererseits ist es eben so, dass ich seit 25 Jahren in Deutschland lebe und kaum eine Woche vergeht, in der ich nicht schmerzlich mit dem Thema in Berührung komme. Das Desaster, das der zweite Weltkrieg (oder historisch richtiger ausgedrückt „the great war“, der den 1. und den 2. Weltkrieg als einen Krieg begreift) für die deutsche Bevölkerung, für Europa, ja für die gesamte Menschheit bedeutete, ist quasi der Nullpunkt unserer heutigen Welt und der politischen Systeme, in denen wir leben. Sich nicht damit zu befassen, halte ich für fahrlässig.
Durch die drei Protagonistinnen (Lee Miller, Martha Gellhorn und Margaret Bourke-White) bot sich mir die Möglichkeit, einen vielschichtigen Blick auf den „guten Krieg“ der US-Amerikanischen Streitkräfte zu werfen. Einerseits erschütterte es mich erneut, welch unglaublich hohen Preis, unsere europäischen Nachbarn, ihre Soldaten aus aller Welt und die US-Amerikanischen Streitkräfte dafür bezahlt haben, Europa und Deutschland von der Nazi Terror-Herrschaft zu befreien. Andererseits interessierte mich der unterschiedliche Zugang der drei Frauen zum Krieg. Da war natürlich der Umstand, dass sie erst gar nicht als Kriegsreporterinnen zugelassen waren und sich ihren Weg an die Front regelrecht erkämpfen mussten. Da war aber auch die Faszination der Frauen für den Krieg. Interessant ist hier, dass es sich um einen „guten Krieg“ handelt, der natürlich trotzdem in seinen Folgen für jedes einzelne betroffene Individuum verheerend ist.
Auch die drei Frauen gingen versehrt aus der Berührung mit dem Krieg hervor. Dieses Thema behandelt das pazifistische Dilemma, mit dem wir seit dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine wieder konfrontiert sind. Das ist extrem schmerzhaft und komplex- und für mich waren die Frauen eine Möglichkeit, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, noch bevor Putin uns die Gegenwärtigkeit des Themas bewusst gemacht hatte.
Viele deiner Filme haben soziale oder historische Themen, was ist deine grundsätzliche Motivation als Filmregisseurin?
Tatsächlich folge ich bei der Wahl der Filme, die ich mache, einer seltsamen Mischung von eigenen Themen, Intuition und Zufällen. Ich war nie strategisch bei der Wahl der Themen. Aber bei allen (mir wichtigen) Filmen muss es etwas sein, zudem ich einen direkten persönlichen Bezug verspüre. Etwas das in meinem Inneren einen Widerhall findet. Ich bin überzeugt, dass meine Filme nur dann gut werden, wenn ich „angefasst“ davon bin.
Weil dann muss ich mich aus meiner Komfortzone heraus bewegen und wirklich nachdenken. Dass es soziale und historische Themen sind, ist vermutlich, der kleinste gemeinsame Nenner der Stoffe. Das rührt bestimmt daher, dass ich wirklich sehr gerne über Menschen, und ihre Beweggründe sich so oder anders zu verhalten, nachdenke. Das ist ein ewiges, unlösbares – und nicht selten beängstigendes Rätsel für mich. Aber ich möchte da immer etwas verstehen. Daher rührt auch mein Interesse für Geschichte. Das war schon in der Grundschule mein Lieblingsfach. In Geschichte versucht man rückblickend der Lauf der Dinge zu verstehen- und damit doch eigentlich die Beweggründe für Menschen, sich so zu verhalten, wie sie es getan haben,
Was reizt dich daran, Dokumentationen zu drehen? Wäre es für dich auch denkbar, einen Spielfilm zu drehen?
Das, was ich oben geschildert habe, das Nachdenken über Menschen und ihre Beweggründe, reizt mich an Dokumentarfilmen. Das könnte man bestimmt auch in Spielfilmen machen. Aber ich glaube mir wäre ein Spielfilm-Set zu groß. Mir würde dort während des Drehs, die Zeit zum Nachdenken fehlen. Ich glaube bei einem Spielfilm-Set ist der Zeitdruck enorm, weil so viele Menschen involviert sind. Jeder Tag kostet ein irres Geld, da muss man sehr auf Zack sein. Ich kann das manchmal auch, aber eigentlich bin ich ein Typ, der sich Einsichten langsam erdenkt und erarbeitet. Auf dem Spielfilm Set muss man Fehler sehr schnell erkennen und sofort darauf reagieren. Bei Dokumentarfilmen scheint mir der Prozess versetzter und langsamer zu sein. Das entspricht mir mehr. Sehr oft sage ich meiner hervorragenden Editorin Yana Höhnerbach bei Problemen im Schnitt, „warte auf mich! Ich muss nachdenken.“ Ich bin einfach eher langsam unterwegs.
Wie ist deine Biografie? Wie bist du zum Filmemachen gekommen?
Fast ein bisschen „contre coeur“. Ich fing als junge Frau beim Schweizer Rundfunk an und fand das super. Einige meiner Freund:innen arbeiteten beim „cooleren“ Fernsehen und ich habe sie bemitleidet, weil die nicht so unmittelbar arbeiten konnten wie wir, die wir nur mit dem Ton zu tun hatten. Aber irgendwann reizte es mich dann doch, ich landete beim Schweizer Fernsehen und sollte einen News-Beitrag über Herztransplantationen machen. Bei der Recherche stieß ich auf den Abschlussfilm einer Filmschülerin über Menschen, die ein fremdes Herz trugen- eine eher essayistische Arbeit. Als wir dann im Schnitt waren, sagte ich eigentlich eher zu mir selbst als zu der Editorin, einer älteren Frau, dass ich lieber solche Filme machen würde, statt News Beiträge, und die Frau schaute mich an und sagte einfach nur: Dann mach es doch. Ich war damals Ende 20 und dachte: ja, warum eigentlich nicht? – und kündigte beim Schweizer Fernsehen, um mich an der Kunsthochschule für Medien in Köln zu bewerben. Gottlob klappte das.
Was sind deine nächsten Pläne?
Da halte ich es mit Hildegard Knef und bleibe bei meinem Aberglauben, klopfe auf Holz und sage erst mal gar nichts, weil ich das junge Pflänzchen nicht weg hexen möchte. Aber vermutlich wird es wieder ein Nachdenken über Menschen und ihre Beweggründe, in der einen oder anderen Form.