Talking Musikjournalismus: Aida Baghernejad

Aida Baghernejad “Ich glaube eben fest daran, dass man über Musik viel über die Welt erzählen kann”

Aida Baghernejad (Photo:Luca Godec)

Kannst du dich an den ersten musikjournalistischen Text erinnern, den du gelesen hast? 

Aida Baghernejad: Das war in der ersten Spex, die ich mir je gekauft habe, ein kleiner, wirklich klitzekleiner Artikel über M.I.A. und ihr Debütalbum. Ich kannte sonst fast keine der Künstler*innen, die da vorkamen, aber sie kannte ich und sie war wirklich eine Heroin für mich – eine Woman of colour, die krasse Musik machte, wie ich sie noch nie gehört hatte? Die sich ihrer Herkunft und ihrer Brownness nicht schämte, sondern musikalische Elemente und Ästhetiken der Kultur ihrer Familie sogar in ihre Musik und ihre Performance einbaute? Omg. Was genau im Artikel stand, weiß ich gar nicht mehr so genau – aber dass sie überhaupt im Meer relativ ähnlich dreiblickender Personen vorkam, daran erinnere ich mich umso besser.

Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das in dir den Wunsch geweckt hat, selbst musikjournalistisch zu arbeiten?

Ich weiß gar nicht, ob es wirklich ein Schlüsselerlebnis gab – es hat sich eher über die Zeit entwickelt, über meine Interessen und auch über die Personen, die ich darüber kennegelernt habe. So war es ganz natürlich, dass ich meine Kontakte zu Künstler*innen nutzen würde, um auch über sie zu schreiben. Wie so viele bin ich wohl vom Fan zur Berichterstatterin geworden.

Was reizt dich am Format Musikjournalismus? Was zeichnet für dich guten Musikjournalismus aus?

Popkultur in all ihren Formen, und Musik ist eben eine der zentralen, dominiert unsere Gegenwart. Musik als eines ihrer Produkten erreicht Menschen emotional und erzählt dabei mit seinen Trends, seinen verschiedenen Formen, seinen Texten und seinen Veränderungen sehr viel darüber, was unseren gesamtgesellschaftlichen Diskurs dominiert. Musik ist also ein fantastisches Vehikel, um über politische, soziale und gesellschaftliche Themen zu sprechen – auf eine Art und Weise und mittels eines Gegenstands, der für sehr viele Menschen accessible ist.

Gibt es einen Lieblingsbeitrag (von anderen Musikjournalist:innen)?

Die ändern sich regelmäßig, ich kann mir doch nichts merken!

Dieselbe Frage auch für dich selbst: welchen Beitrag aus deinem Werkskatalog ordnest du aktuell als deinen wichtigsten ein? 

Puh, immer der nächste, I guess? Aber ein sehr relevanter Beitrag, allein, weil er mir einen Preis eingebracht hat und damit sehr, sehr viel ermöglicht, ist mein Stück „Ain’t I a Human?“ auf Kaput-Mag gewesen. Ich würde ihn heute anders schreiben und betrachte ihn sehr kritisch, aber ich glaube, er gehört immer noch zu meinen wichtigsten:

Darüber hinaus auch ein neues Stück über toxische Nostalgie in der Popkultur im gedruckten Diffus Magazin, das vor wenigen Wochen erschien. Wobei es da wirklich sehr wenig um Musik geht.

Aktuell wichtig finde ich zwei Beiträge im Rahmen der Sendung „Lakonisch Elegant“ im Deutschlandfunk, wo ich über Machtmissbrauch und Fankultur gesprochen habe. Die Arbeit, die Fans, insbesondere weibliche, leisten wird seit Anbeginn der Popkultur klein gemacht, über weibliche Fans wird abwertend gesprochen und im Kontext der Debatte um Lindemann und Co., aber auch vorher schon bei HiphopMeToo wurde Fans, die von sexualisierter Gewalt durch Künstler(*innen) betroffen waren, mindestens Mitschuld am Missbrauch zugesprochen.
Gibt es einen unveröffentlichten Beitrag von dir, den du schon immer gerne mal publizieren wolltest, es sich aber nicht ergeben hat? Kaput biete sich im Rahmen der Serie gerne dafür an. 😊

Einige! Aber das Problem ist eher, dass ich immer wieder neue Ideen haben, manchmal struggle auch Ideen dann wirklich umzusetzen, wenn es keine Motivation von außen gibt und ich generell ziemlich scatterbrained bin. Aber das Magnum Opus kommt noch.

Deine 3 Lieblings-Musikjournalist:innen?

Ändert sich auch laufend, insbesondere was aktuell aktive Personen angeht. Aber international lese ich extrem gerne, was Laura Snapes (Guardian/Pitchfork) schreibt, ich finde Jon Caramanica (New York Times) fantastisch, ich freue mich riesig darauf, Hua Hsus (The New Yorker) Memoiren „Stay True“ zu lesen, ich finde Tshepo Mokoena (u.a. Guardian) total toll und freue mich sehr, dass Thomas und ich sie für ein gemeinsames Projekt von uns gewinnen konnten (Chart – Notes to Consider).
Sorry waren vier und ich habe noch nicht mal mit meinen deutschen Favs angefangen)

Du bist selbst seit Ende der Nullerjahre als Autorin aktiv. Was sind die einscheidendsten Veränderungen in deinem persönlichen Berufsprofil über diesen Zeitraum?

Seitdem ist das große Magazinsterben im Gange, bzw. eigentlich schon fast vorüber, weil es kaum noch Blätter gibt. Nischenmagazine überleben, aber selbst an den Musikexpress zu kommen ist mittlerweile sehr schwer. Als Musikjournalistin ausschließlich tätig zu sein, ist mittlerweile sehr unrealistisch geworden. Insbesondere als Quereinsteigerin.

Und über den eigenen Horizont hinaus: wie empfindest du den Status Quo des Biotops Musikjournalismus im Jahr 2024 im Vergleich zu früher?

Mies, natürlich, aber jede Krise gibt ja auch eine Chance, sich neuzuerfinden – einerseits. Andererseits ist ja auch das Problem, das Geld für unabhängigen Journalismus in General mangelt und mit dem Aufkommen von Social Media, aber auch Podcasts usw. Kunstschaffende, Labels und Co immer weniger auf Journalismus als Gatekeeper angewiesen sind. Ihre Macht ist damit weiter angewachsen, was ich gefährlich finde. Denn wo viel Macht, da muss umso besser hingeschaut werden. Aber es gibt immer weniger Konsument*innen des Hinschauens, und immer weniger Geld dafür. Siehe zum Beispiel Taylor Swift, Ticketpreise und Kosten, ihren Film zu gucken. Nimmt sie ihre Fans aus? Oder ist das gerechtfertigt? Die Räume, diese Fragen zu stellen, schwinden.

(Wie) kann man Musikjournalismus in das Storytelling von TikTok und Instagram überführen?

Es gibt ja schon Leute, die das supergut machen. Aber eben noch wenige. Ich glaube, damit es auf Tiktok und Co funktioniert, muss man sich eher kleine Aspekte heraussuchen und da in die Tiefe gehen, statt wie oft bei einem Text von einem Teilaspekt aus ein großes Panorama zu entwickeln. Ich habe mich da bislang noch gar nicht so richtig ausprobiert, auch, weil mir das Videoformat nicht liegt. Aber ich finde, man kann sich viel zum Beispiel von Booktok abgucken.

Stichwort Karriere. Ab wann war Musikjournalismus für dich eine Berufsoption?

Das kann ich gar nicht mehr so genau sagen. Ich glaube, es ist dieses typische „reingerutscht“. Manchmal frage ich mich, ob ich einfach drauf hängengeblieben bin, statt mich weiterzuentwickeln? Aber tatsächlich ist es auch immer noch eine Passion von mir. Und ich glaube eben fest daran, dass man über Musik viel über die Welt erzählen kann. Und dabei eine richtig gute Zeit haben.

Bereust du die Berufswahl manchmal?

Na klar, am Ende eines Monats. Nein, Spaß beiseite: prinzipiell nicht, auch wenn ich manchmal darüber nachdenke, dass ich doch auch ganz gerne abenteuerfreudige rasende Reporterin geworden wäre. Aber eigentlich nicht. Was mich eher ärgert, ist wie wenig Relevanz Kulturjournalismus im Allgemeinen und Musik- und Popjournalismus im besonderen zugesprochen wird. Und mit mangelndem Respekt und Relevanz kommen auch weniger Ressourcen von Geld bis literally Platz in Blättern, auf Webseiten, etc. Dabei ist die Musikindustrie mit all ihren Verästelungen – von Pop über Jazz bis Klassik und Experimentalmusik – ein großer Wirtschaftszweig und einer der wichtigsten Diskursräume über unsere Vorstellungen von Gesellschaft in einem. Musik und die Industrie dahinter zu ignorieren empfinde ich als fatal.

Letzter musikjournalistische Beitrag, der dir so richtig gut gefallen hat.

Ich habe ja das große Glück und Privileg, Teil der Jury für den Music Journalism Award zu sein und bekomme da viel mit, was mich mega glücklich macht. Ich möchte gerne zwei sehr unterschiedliche englischsprachige Stücke teilen, die mich total geflasht haben:

1) The Sound of Grief
Ein sehr persönliches Stück über Musik und Trauer von Matthew Schnipper
newyorker.com

2) The DJ and the War Crimes
Eine investigative Arbeit, die zwischen Kriegsberichterstattung, Investigativjournalismus und Musikjournalismus hin- und her schwankt

Und zum letzten: bald erscheint von Lena Kampf und Daniel Drepper ein Buch zu Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt in der Musikindustrie, bei dem ich als Expertin unterstützt habe. Das wird wichtig!

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